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10 Ob 13/18m; OGH; 14. März 2018
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.
Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Kinder G*****, geboren am ***** 2016, E*****, geboren am ***** 2013 und C*****, geboren am ***** 2004, vertreten durch Gloss Pucher Leitner Schweinzer Gloss Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Unterhaltsverpflichtung des Vaters G*****, vertreten durch Mag. Franz Paul, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 29. November 2017, GZ 23 R 472/17k-78, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. Oktober 2017, GZ 2 PU 120/16g-75, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs und die Revisionsrekursbeantwortung werden zurückgewiesen.
Begründung
1. Die Vorinstanzen legten der Unterhaltsbemessung die vom Vater (Unterhaltsschuldner) bezogene Berufsunfähigkeitspension zugrunde und lehnten eine Anspannung auf ein Arbeitseinkommen (früheres Aktiveinkommen) ab. Das Rekursgericht ließ nachträglich über Antrag der Kinder den Revisionsrekurs zur Klärung der Anspannungsobliegenheit ungeachtet der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Bescheids über die Zuerkennung einer unbefristeten Berufsunfähigkeitspension zu.
2. Der Revisionsrekurs der Kinder ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
3. Die Pensionsversicherungsanstalt hat dem Vater mit rechtskräftigem Bescheid vom 11.05.2016 die zunächst bis 30.04.2016 befristet zuerkannte Berufsunfähigkeitspension für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit unbefristet weiter gewährt. Bei der Erlassung dieses Bescheids wurde sie entgegen der Auffassung der Kinder als Verwaltungsbehörde hoheitlich tätig (vgl Holzinger/Frank in Raschauer, Österreichische Verwaltungslehre³ 145 f; Fink, Sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen [1995] 63).
4. Zivilgerichte sind an sich an rechtskräftige Bescheide von Verwaltungsbehörden gebunden, ohne ihre inhaltliche Richtigkeit überprüfen zu können (RIS-Justiz RS0036981 ua). Dritte, am Verwaltungsverfahren nicht Beteiligte werden jedoch nur von der Gestaltungs- und Tatbestandswirkung eines Bescheids erfasst (RIS-Justiz RS0036981 [T18]; RS0121545; RS0114910; 10 ObS 152/13w).
5. Die Frage, ob die rechtskräftige Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension die Überprüfung einer Anspannungsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen im Unterhaltsfestsetzungsverfahren als Folge einer Bindungswirkung ausschließt, muss hier nicht beantwortet werden. Das Problem der Bindung und deren Umfang stellt sich nämlich nicht.
6. Die Kinder streben eine Anspannung auf das höhere Aktiveinkommen des bei der Pensionsversicherungsanstalt beschäftigt gewesenen Vaters an. Sie bezweifeln – so wie bereits im Rekurs – die Richtigkeit des (medizinischen) Gutachtens, das der Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension zugrunde lag. Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners hätte ihrer Ansicht nach im Unterhaltsfestsetzungsverfahren durch ein arbeitsmedizinisches Gutachten geklärt werden müssen. Der Oberste Gerichtshof ist aber auch im außerstreitigen Verfahren nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0007236). Das Erstgericht hat aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gesamtgutachten festgestellt, dass der Vater weiterhin (aufgrund seines Gesundheitszustands) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht einsetzbar ist. Das Rekursgericht sah in der Unterlassung der Einholung des von den Kindern gewünschten Gutachtens keinen Verfahrensmangel. Die Frage, ob zur Klärung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ein Sachverständigengutachten notwendig gewesen wäre, betrifft reine Tatfragen, die der Oberste Gerichtshof nicht zu prüfen hat.
7. Eine Anspannung auf ein fiktives Einkommen, setzt nach der Rechtsprechung ein vorwerfbares Verhalten des Unterhaltspflichtigen voraus (RIS-Justiz RS0047495 ua). Wenn der Vater nach den Feststellungen der Vorinstanzen aufgrund seines Gesundheitszustands weder seine bisherige noch eine andere Erwerbstätigkeit mehr ausüben kann, scheidet eine Anspannung auf das frühere Aktiveinkommen schon deshalb aus, weil ihm die Stellung eines Antrags auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension und die Einstellung seiner Erwerbstätigkeit nicht vorgeworfen werden kann.
8. Der Freistellungsbeschluss des Rekursgerichts wurde dem Vater am 10.01.2018 zugestellt. Seine entgegen § 68 Abs 4 Z 1 AußStrG an das Erstgericht gerichtete und dort am 24.01.2018 eingelangte Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht innerhalb der 14-tägigen Rechtsmittelbeantwortungsfrist (§ 68 Abs 1 AußStrG) dem zuständigen Gericht übermittelt. Sie ist deshalb als verspätet zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041584 [T15]).
Leitsätze
-
Der Anspannungsgrundsatz im Unterhaltsrecht im Zusammenhang mit einer Berufsunfähigkeit
Bei der Anspannung auf ein fiktives Einkommen ist es der Rechtsprechung folgend entscheidend, dass dem Unterhaltspflichtigen ein Verhalten vorgeworfen werden kann. Ist dieser berufsunfähig, kann ihm die Einstellung der Erwerbstätigkeit und der Erhalt einer Berufsunfähigkeitspension nicht vorgeworfen werden, sodass die Voraussetzung für eine Anspannung fehlt.WEKA (api) | Judikatur | Leitsatz | 10 Ob 13/18m | OGH vom 14.03.2018 | Dokument-ID: 1007338