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Dokument-ID: 1183391

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 3/24w; OGH; 20. März 2024

GZ: 6 Ob 3/24w | Gericht: OGH vom 20.03.2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers E*, Spanien, vertreten durch SRG Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die Antragsgegnerin W* Privatstiftung, *, wegen Auflösung der Privatstiftung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 16. November 2023, GZ 6 R 171/23v 15, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

 [1] Der Antragsteller ist Erststifter und Begünstigter der Antragsgegnerin. Er errichtete diese Privatstiftung im Jahr 2019 mit Dr. M* als Zweitstifter, der W. * GmbH als Drittstifterin und der I* Anstalt als Viertstifterin.

Die Stiftungsurkunde lautet auszugsweise:

„§ 2

Stiftungszweck

1. Zweck der Privatstiftung ist

(i) der Erwerb, die Geltendmachung und die Durchsetzung von Forderungen,

(ii) die geeignete Gestion der Kulturgüter des Hauses H* im Geiste des Königlichen Hausgesetzes für das Königreich H* vom 19. November 1836,

(iii) weiters auch die Unterstützung von Begünstigten, namentlich durch Gewährung von Geldleistungen, durch Nutzungsüberlassungen von Stiftungsvermögen als Sachzuwendung oder auch durch Übertragung des Eigentums an einzelnen Teilen des Stiftungsvermögens.

Dieser Zweck wird erreicht durch Nutzung, Verwaltung und Verwertung des der Privatstiftung gewidmeten oder von dieser erworbenen Vermögens. Eine Erweiterung und Präzisierung des Stiftungszweckes kann in der Stiftungszusatzurkunde erfolgen.

[…]

§ 5

Dauer der Privatstiftung

1. Die Privatstiftung ist auf unbestimmte Zeit errichtet.

2. Sie kann jedenfalls aus den in § 35 (Paragraph fünfunddreißig) PSG genannten Gründen aufgelöst werden. […]

Insbesondere hat der Stiftungsvorstand auf Antrag der Stifter die Auflösung der Privatstiftung zu beschließen, wenn nachstehende Auflösungsgründe erfüllt sind, die als Auflösungsgründe im Sinn des § 35 Absatz 2 Ziffer 4 PSG zu gelten haben:

[…]

2.3. Sofern sich die Verhältnisse, unter denen die Privatstiftung errichtet wurde, dergestalt ändern, dass der Zweck der Privatstiftung nicht mehr sinnvoll erfüllt werden kann, oder dies mit dem mutmaßlichen Willen der Stifter unvereinbar ist.“

Die Stiftungszusatzurkunde lautet auszugsweise:

„§ 2

Stiftungszweck

Der in der Stiftungsurkunde festgelegte Zweck der Privatstiftung wird durch die nachstehenden Regelungen präzisiert und erweitert.

1. […]

Zweck der Privatstiftung ist es daher, entsprechend dem Grundgedanken des Königlichen Hausgesetzes für das Königreich H* vom 19. November 1836 das Vermögen des Hauses H* so weitgehend wie möglich in dieser Privatstiftung zu bündeln und es angemessen zu verwalten und zu verwerten. […] Um diesen Stiftungszweck zu erreichen, muss die Privatstiftung zunächst alle ihr übertragenen Forderungen (gerichtlich) geltend und nach Möglichkeit einbringlich machen. [...]“

 [2] Der Antragsteller und die Privatstiftung führen derzeit mehrere Prozesse gegeneinander in unterschiedlichen Parteirollen, wobei es jeweils um die Sicherstellung der Eigentumsbeschaffung von Kulturgütern des Hauses H* geht. Streitgegenstand sind unter anderem Anbote mit der Bezeichnung „Kaufvertrag über Kunst- und Einrichtungsgegenstände“ sowie „Kaufpreisvereinbarung samt Schulderlass auf den Todesfall“, die der Antragsteller zugunsten der Privatstiftung im Zuge der Errichtung der Stiftungs- und Stiftungszusatzurkunde unterzeichnete. Der Antragsteller bekämpft einerseits die Rechtswirksamkeit dieser Angebote, andererseits begehrt die Privatstiftung die Feststellung, der Antragsteller sei Eigentümer bestimmt bezeichneter Kunst- und Einrichtungsgegenstände (zumindest gewesen). Beide Verfahren sind anhängig (zur Ergänzung des Sachverhalts vgl RS0121557 [T3]).

 [3] Das Erstgericht wies den Antrag auf Auflösung der Privatstiftung ab.

 [4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Ziel der Privatstiftung, insbesondere die Verwaltung der Kulturgüter des Hauses H*, könne derzeit nur deshalb nicht erreicht werden, weil die Vermögensgegenstände nicht in den Verfügungsbereich der Privatstiftung übertragen worden seien. Dass dieses Ziel nach menschlichem Ermessen nicht mehr erreichbar sei, könne – insbesondere mit Blick auf die anhängigen Gerichtsverfahren – nicht angenommen werden. Es sei nicht einmal mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Stiftungszweck unerreichbar wäre.

 [5] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers.

 [6]

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 40 PSG verhandelt und entscheidet über Angelegenheiten, die im Privatstiftungsgesetz dem Gericht zugewiesen sind, dieses im Verfahren außer Streitsachen, sofern es sich nicht um Angelegenheiten handelt, die dem Prozessgericht zugewiesen sind. Zu den im Außerstreitverfahren zu behandelnden Sachen gehört auch ein Antrag auf Auflösung der Privatstiftung nach § 35 Abs 2 PSG (6 Ob 136/09g; vgl auch 6 Ob 202/21f). Es bedarf daher keiner Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Rekursgericht (§ 62 Abs 4 AußStrG); es kommt vielmehr nur darauf an, ob eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG vorliegt (6 Ob 235/08i).

 [7] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 71 Abs 3 Satz 3 ZPO).

 [8] 3.1. Im Revisionsrekursverfahren ist nur der Auflösungsgrund der Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks strittig. Nach § 35 Abs 2 Z 2 PSG hat der Stiftungsvorstand einen einstimmigen Auflösungsbeschluss zu fassen, sobald der Stiftungszweck erreicht oder nicht mehr erreichbar ist. Kommt ein Beschluss nach § 35 Abs 2 PSG trotz Vorliegens eines Auflösungsgrundes nicht zustande, so kann unter anderem jeder Begünstigte und jeder Stifter die Auflösung durch das Gericht beantragen (§ 35 Abs 3 Satz 1 PSG).

 [9] 3.2. Eine Unmöglichkeit des Erreichens des Stiftungszwecks kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Privatstiftung über kein hinreichendes Stiftungsvermögen (mehr) verfügt. Die Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks ist dabei durch Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen. Mitunter ist hiefür eine Prognose erforderlich. Der Stiftungszweck ist dann nicht mehr erreichbar, wenn nach menschlichem Ermessen auf längere Sicht keine Umstände eintreten werden, die ihn erreichbar machen (6 Ob 202/21f = RS0133891).

 [10] 4. Ob die Kriterien des § 35 Abs 2 Z 2 PSG erfüllt sind oder nicht, kann regelmäßig nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, sodass diese Frage im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft (RS0133891 [T1]).

 [11] 5.1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der maßgebliche Zweck der Privatstiftung sei die Verwaltung des Vermögens des Hauses H*, bestreitet der Revisionsrekurs nicht. Wenn das Berufungsgericht darüber hinaus in Anbetracht des Umstands, dass ein Vermögenserwerb der Privatstiftung – insbesondere im Hinblick auf eine allfällige Fremdfinanzierung des Kaufpreises für die Kulturgüter – nach menschlichem Ermessen nach Klärung der Rechtswirksamkeit der Angebote des Antragstellers in den anhängigen Zivilverfahren sowie allfälliger Folgeverfahren zu deren Durchsetzung eintreten könne, davon ausging, dass der intendierte Stiftungszweck mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht unerreichbar sei, liegt darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

 [12] 5.2. Soweit der Revisionsrekurs unter Bezugnahme auf Ausführungen der Privatstiftung in einem Rekurs gegen einen Beschluss des Landesgerichts Salzburg über den Entzug der Verfahrenshilfe in einem vom Antragsteller gegen die Privatstiftung geführten Verfahren argumentiert, eine Drittfinanzierung sei selbst nach Ansicht der Privatstiftung ausgeschlossen, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich deren Ausführungen auf die Drittfinanzierung des (dortigen) Prozesses und nicht auf die Drittfinanzierung der Annahme des Kaufangebots beziehen.

 [13] 5.3. Es ist zwar richtig, dass die Frage, ob der Prognose zur Unmöglichkeit des Erreichens des Stiftungszwecks nach § 35 Abs 2 Z 2 PSG der Maßstab der überwiegenden oder der hohen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen ist, vom Obersten Gerichtshof bislang nicht beantwortet wurde (vgl dazu N. Arnold, PSG4 § 35 Rz 11a; W. Jud/Zierler, Die Auflösung der Privatstiftung wegen Nichterreichbarkeit bzw Erreichung des Stiftungszwecks, NZ 2007, 225 [225]). Allerdings zeigt der Antragsteller auch damit keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil das Rekursgericht im Rahmen seines Ermessensspielraums ohnehin nicht einmal mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen hat, dass der Stiftungszweck unerreichbar wäre.

Leitsätze

  • Auflösung wegen Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks

    Die Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks iSd § 35 Abs 2 Z 2 PSG ist durch Gesamtbetrachtung aller Umstände festzustellen. Mitunter wird hiefür eine Prognose erforderlich sein. Der Stiftungszweck ist dann nicht mehr erreichbar, wenn nach menschlichem Ermessen auf längere Sicht keine Umstände eintreten werden, die ihn erreichbar machen.
    Birgit Zettel | Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 3/24w | OGH vom 20.03.2024 | Dokument-ID: 1183295