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6 Ob 63/10y; OGH; 17. Dezember 2010
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. ***** Dr. H***** P***** S*****, 2. ***** Dr. H***** S*****, beide vertreten durch Dr. Georg Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach Dr. M***** S*****, vertreten durch Mag. E***** Z*****, als Verlassenschaftskurator, dieser vertreten durch Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Abgabe einer Willenserklärung (Streitwert EUR 14.600,–), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. November 2009, GZ 2 R 162/09x‑9, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. Mai 2009, GZ 26 Cg 131/08z‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, den Klägern die mit EUR 999,29 (darin EUR 166,55 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
Im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien ist seit 21.07.1994 zu FN ***** die „D*****“ ***** GmbH mit Sitz in Wien eingetragen. Dieser Gesellschaft liegt der Gesellschaftsvertrag vom 13.07.1994 in der Neufassung vom 19.11.2001 zugrunde.
Der ursprüngliche Gesellschaftsvertrag hatte in seiner Fassung vom 15.01.1996 in seinem Punkt IX. „Kündigung“ vorgesehen, dass die Gesellschaft von jedem Gesellschafter jeweils zum Ende eines Geschäftsjahrs unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist aufgekündigt werden und dass die übrigen Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft unter Übernahme des Geschäftsanteils des aufkündigenden Gesellschafters beschließen konnten.
In der außerordentlichen Generalversammlung vom 19.11.2001, bei der alle Gesellschafter anwesend waren, fassten diese einstimmig den Beschluss, den Gesellschaftsvertrag durchgreifend zu ändern. Bei dieser Generalversammlung war allerdings der (nunmehrige) Verlassenschaftskurator der Beklagten nicht persönlich anwesend. Mit Beschluss der Generalversammlung wurden die bisherigen Kündigungsbestimmungen ergänzt und das Aufgriffsrecht der Gesellschafter erweitert. Punkt X. „Kündigung“ des neugefassten Gesellschaftsvertrags lautete nunmehr wie folgt:
a) Jeder Gesellschafter ist berechtigt, die Gesellschaft jeweils zum Ende eines Geschäftsjahrs unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist aufzukündigen.
b) Die Kündigung ist durch eingeschriebenen, an die Geschäftsführung gerichteten Brief zu erklären. Die Geschäftsführer sind verpflichtet, unverzüglich alle anderen Gesellschafter von der Aufkündigung zu verständigen.
c) Mit Ende der Kündigungsfrist ist die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft zu beschließen, falls nicht die übrigen Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft unter Übernahme des Geschäftsanteils des aufkündigenden Gesellschafters im Verhältnis ihrer übernommenen Stammeinlagen zu einem Abtretungspreis, der dem anteiligen Buchwert des Geschäftsanteils des aufkündigenden Gesellschafters entspricht, beschließen. Der Abtretungspreis ist in vier gleichen Quartalsraten, beginnend drei Monate nach dem Kündigungsstichtag, auszubezahlen. Zur Fortsetzung der Gesellschaft und Übernahme des Geschäftsanteils sind nur jene Gesellschafter verpflichtet, die für die Fortsetzung gestimmt haben. Die anderen Gesellschafter werden als der Kündigung beigetreten angesehen, ihre Geschäftsanteile sind ebenfalls von den fortsetzenden Gesellschaftern anteilsmäßig zu übernehmen.
d) Der Tod des Gesellschafters bewirkt die Kündigung der Gesellschaft durch den Verstorbenen zum nächsten Kündigungstermin (lit a).
Ist die Kündigung durch den Tod eines Gesellschafters bewirkt, besteht – abweichend von der Regelung in lit c) – der an den oder die Erben oder sonstige Rechtsnachfolger insgesamt zu bezahlende Abtretungspreis – unter Ausschluss jeglicher anderer Auseinandersetzungsansprüche – aus 33,33 % des – theoretisch – auf den Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters entfallenden Gewinnanteils für die auf das Todesjahr folgenden drei Geschäftsjahre.
Diese Beträge sind binnen vierzehn Tagen nach jeweiliger Beschlussfassung über den Jahresabschluss zur Zahlung fällig.
Dieser Generalversammlungsbeschluss wurde notariell beurkundet.
Am 18.09.2006 waren im Firmenbuch die beiden Kläger und ***** Dr. M***** S***** als Gesellschafter der Gesellschaft eingetragen. An diesem Tag verstarb ***** Dr. M***** S*****, was die Kündigung der Gesellschaft zum nächsten Kündigungstermin, dem 31.12.2007, zur Folge hatte. Bereits am 25.10.2006 war für die Beklagte der Verlassenschaftskurator bestellt worden.
Mit Notariatsakt vom 30.11.2007 fassten die beiden Kläger als verbliebene Gesellschafter den Beschluss, die durch den Tod von ***** Dr. M***** S***** gekündigte Gesellschaft unter Übernahme dessen Geschäftsanteils fortzusetzen. Der Verlassenschaftskurator übernahm diesen Notariatsakt am 17.12.2007.
Mit Firmenbuchgesuch vom 03.01.2008 beantragte der Erstkläger als Geschäftsführer der Gesellschaft die Löschung von ***** Dr. M***** S***** als Gesellschafter sowie die Änderung der Stammeinlagen der beiden Kläger. Diesen Antrag bewilligte zwar das Firmenbuchgericht erster Instanz, das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht wies jedoch über Rekurs des Verlassenschaftskurators den Antrag mit Beschluss vom 24.06.2008, 28 R 19/08g, ab. Gemäß § 76 Abs 2 GmbHG bestehe zwar nach der Rechtsprechung auch für eine nachträgliche statutarische Begründung eines Aufgriffsrechts Notariatsaktspflicht, der hier nicht nachgekommen worden sei; durch die Eintragung der Neufassung des Gesellschaftsvertrags vom 19.11.2001 ins Firmenbuch am 15.12.2001 sei jedoch der Mangel der Notariatsaktsform geheilt. Allerdings sei die Ausübung eines Aufgriffsrechts durch die überlebenden Gesellschafter nicht ausreichend, sondern sei überdies der Abschluss eines entsprechenden Vertrags zwischen den überlebenden Gesellschaftern und der Verlassenschaft beziehungsweise den Erben erforderlich. Formmängel des Verfügungsgeschäfts könnten dabei nicht geheilt werden.
Die Kläger begehren unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien die Verpflichtung der Beklagten, in den Abtretungsvertrag Beilage ./A in Notariatsaktsform einzuwilligen.
Die Beklagte wendet ein, die Vereinbarung des Aufgriffsrechts am 19.11.2001 sei mangels Notariatsaktsform nicht rechtswirksam zustande gekommen; dieser Mangel sei auch nicht durch die Eintragung des neu gefassten Gesellschaftsvertrags ins Firmenbuch geheilt worden. Es bestehe daher keinerlei Verpflichtung der Beklagten, in den Abschluss eines Abtretungsvertrags einzuwilligen.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt; das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 4.000,– übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Heilung des Fehlens eines Notariatsakts durch Eintragung im Firmenbuch im Fall von Satzungsänderungen, die die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Aufgriffsrechten an Geschäftsanteilen betreffen.
In der Sache selbst meinte das Erstgericht, die in § 76 Abs 2 Satz 2 GmbHG statuierte Notariatsaktspflicht gelte aufgrund seines Wortlauts dann nicht, wenn ein Aufgriffsrecht durch Gesellschafterbeschluss erst nachträglich in den Gesellschaftsvertrag gelangte; das Verpflichtungsgeschäft sei daher mit Gesellschafterbeschluss vom 19.11.2001 aufgrund seiner notariellen Beurkundung ohne Mangel rechtswirksam zustande gekommen. Das Berufungsgericht hingegen führte aus, das Fehlen eines vom Gesetz oder der ständigen Rechtsprechung geforderten Notariatsakts für Satzungsänderungen, die die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Aufgriffsrechten an Geschäftsanteilen betreffen, wäre vom Firmenbuchgericht aufgrund der dieses treffenden formellen und materiellen Prüfpflicht zu erkennen und aufzugreifen gewesen; nichtige Beschlüsse dürften nicht in das Firmenbuch eingetragen werden; erfolgte die Eintragung im Firmenbuch dennoch, sei auch der konkret im Fehlen des Notariatsakts liegende Formmangel mit Eintragung in das Firmenbuch geheilt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil es einer Überprüfung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur (allfälligen) Notariatspflicht von nachträglichen Vereinbarungen eines Aufgriffsrechts durch Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung angesichts der Ablehnung dieser Rechtsprechung in der Literatur bedarf; sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Nach § 500 Abs 2 ZPO idF Budgetbegleitgesetz 2009 hat das Berufungsgericht, wenn der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht und es die Revision für zulässig erklären will, auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 5.000,– übersteigt. Dies gilt für alle Entscheidungen des Berufungsgerichts, deren Datum nach dem 30.06.2009 liegt (6 Ob 152/09k).
Im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht am 30.11.2009 entschieden, jedoch – im Sinn der Fassung des § 500 Abs 2 ZPO vor dem 01.07.2009 – lediglich ausgesprochen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 4.000,– übersteigt. Einer Ergänzung oder Berichtigung dieses Ausspruchs bedurfte es allerdings nicht, weil sich ohne Zweifel der Entscheidungswille des Berufungsgerichts dahin erkennen lässt, eine Bewertung über dem unteren Schwellwert der Revisionszulässigkeit vorzunehmen; eine solche Bewertung ist auch angesichts des Streitgegenstands dieses Verfahrens keineswegs offensichtlich zu hoch.
2.1. Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind gemäß § 76 Abs 1 GmbHG als Ganzes entgeltlich oder unentgeltlich frei übertragbar und vererblich. Der Gesellschafterwechsel berührt nicht die Identität und den Bestand der Gesellschaft. Durch die Erwähnung der Vererblichkeit von Geschäftsanteilen an dieser Stelle ist klargestellt, dass ein Geschäftsanteil durch den Tod eines Gesellschafters nicht untergeht. Eine Übertragung eines Geschäftsanteils durch einen Gesellschafter (und nicht durch die Gesellschaft) mittels Rechtsgeschäfts unter Lebenden sowie die Verpflichtung eines Gesellschafters zur künftigen Abtretung bedürfen jedoch nach § 76 Abs 2 GmbHG zwingend der Notariatsaktsform. Die Ausdrücke Rechtsgeschäft und Vereinbarung erfassen dingliche und obligatorische Verträge (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 76 Rz 11). Nach ganz herrschender Auffassung gilt die Notariatsaktspflicht daher nicht nur für Verfügungs‑, sondern auch für Verpflichtungsgeschäfte (P. Bydlinski, Zur Formpflicht bei der Übertragung von GmbH‑Anteilen, NZ 1986, 241; Koppensteiner/Rüffler aaO,§ 76 Rz 17 ff; Schauer, Worauf bezieht sich das Formgebot bei der Abtretung von GmbH‑Anteilen? RdW 1986, 358; 8 Ob 663/86; 6 Ob 525/89).
2.2. Die Notariatsaktsform hat nach neuerer Rechtsprechung (vgl etwa 6 Ob 150/08i) drei Funktionen: Wesentlich ist zunächst der Gedanke der „Immobilisierung“ von Beteiligungen; damit sollen die Geschäftsanteile dem börsenartigen Handel entzogen werden und eine Schädigung der breiten Bevölkerung vermieden werden. Weiters soll der Erwerber (allenfalls) vor Übereilung geschützt und zu reiflicher Überlegung angehalten werden (SZ 62/28; 1 Ob 519/90; 6 Ob 150/08i; vgl auch P. Bydlinski, NZ 1986, 242). Schließlich soll die Identität des jeweiligen Gesellschafters sicher festgestellt werden können (5 Ob 41/01t; 8 Ob 259/02z; 7 Ob 203/06p GesRz 2007, 131 [Koppensteiner]). Von Teilen der Lehre wird der Übereilungsschutz allerdings nicht als eigene Funktion der Notariatsaktsform gesehen (Reich‑Rohrwig, Zur Heilung formunwirksamer Abtretungen von GmbH‑Geschäftsanteilen, ecolex 1990, 546; Dehn, Formnichtige Rechtsgeschäfte und ihre Erfüllung [1998] 115; Koppensteiner/Rüffler aaO, § 76 Rz 16); es sei nämlich ansonsten nicht verständlich, weshalb die Veräußerung durch die Gesellschaft selbst nicht in Notariatsaktsform abgeschlossen werden müsse; auch (und vor allem) dass der gefährlichere Anteilserwerb an einer Offenen Gesellschaft formfrei möglich sei, sei damit nicht vereinbar.
3. Aufgriffsrechte sind eine Form von Übernahmerechten, die die Verpflichtung eines Gesellschafters beinhalten, seinen Geschäftsanteil unter bestimmten Voraussetzungen auf einen Berechtigten zu übertragen. Dadurch soll die Gesellschaft vor dem Eindringen unerwünschter außenstehender Personen geschützt werden (Frizberg/Frizberg, Die Formpflicht für die Regelung von Aufgriffsrechten für GmbH‑Anteile durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss, ecolex 1996, 753 mwN).
Obwohl Geschäftsanteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach § 76 Abs 1 GmbHG frei vererblich sind, ist es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig, auch Aufgriffsrechte für den Todesfall eines Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag vorzusehen (6 Ob 1013/92). Dies entspricht dem Zweck, außenstehenden Personen den Erwerb von Anteilen an der GmbH zu verwehren. Ob es möglich ist, zu vereinbaren, dass der Geschäftsanteil des verstorbenen Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern ohne Weiteres zuwächst, ist umstritten, nach jüngerer Rechtsprechung jedoch unzulässig (RIS‑Justiz RS0007884, insbesondere 6 Ob 150/08i; aA Koppensteiner/Rüffler aaO, § 76 Rz 14). Es ist daher notwendig, dass die übrigen Gesellschafter einen Abtretungsvertrag mit den Erben des Verstorbenen abschließen. Sollten sich diese weigern, so können sie durch Klage zum Abschluss einer solchen Vereinbarung verhalten werden (6 Ob 1013/92).
4. Darauf stützt sich die vorliegende Klage. Umstritten ist jedoch die Frage, ob die nachträgliche Begründung, Aufhebung oder Änderung eines statutarischen Aufgriffsrechts der Notariatsaktsform nach § 76 Abs 2 GmbHG bedarf oder ob eine notarielle Beglaubigung iSd § 49 GmbHG dafür ausreichend ist:
4.1. Nach der auf der Entscheidung 1 Ob 510/95 basierenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0086638) bedarf die wirksame nachträgliche Begründung statutarischer Aufgriffsrechte der Notariatsaktsform. Die Notariatsaktspflicht ursprünglich (also nicht nachträglich) statuierter Aufgriffsrechte ergebe sich einerseits aus § 4 Abs 3 GmbHG und andererseits aus § 76 Abs 2 GmbHG; die Vereinbarung eines solchen Aufgriffsrechts sei somit „doppelt notariatsaktspflichtig“; sollte daher ein Aufgriffsrecht erst nachträglich infolge eines bloß notariell bkundeten Gesellschafterbeschlusses in den Gesellschaftsvertrag gelangen und dabei noch kein Notariatsakt errichtet worden sein, so sei die Abtretungsverpflichtung nach § 76 Abs 2 GmbHG formgebunden; dies gelte für die Einfügung oder die wesentliche Änderung eines Aufgriffsrechts umso mehr, als schon schlichte Ergänzungen, Änderungen oder Berichtigungen der Abtretungsverpflichtung der Notariatsaktsform bedürfen.
4.2. Der grundlegenden Entscheidung 1 Ob 510/95 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung war schon in der Stammfassung eine an die Ausübung eines Aufgriffsrechts gebundene Verpflichtung der Erben beziehungsweise sonstigen Rechtsnachfolger eines verstorbenen Gesellschafters enthalten. Nach dieser Vertragsbestimmung waren der Beschluss, bei Ableben eines Gesellschafters die Gesellschaft nicht fortzusetzen, und die Befugnis, den Übernehmer des Geschäftsanteils des verstorbenen Gesellschafters zu bestimmen, der Generalversammlung vorbehalten. Durch einen Beschluss der Generalversammlung wurde das Aufgriffsrecht insofern geändert, als die eben genannten Rechte nicht mehr der Generalversammlung, sondern dem überlebenden Gesellschafter zustehen sollten, wobei schon zum Zeitpunkt des Beschlusses das frühere Ableben des in weiterer Folge auch früher verstorbenen Gesellschafters wahrscheinlich war. Die Folge war, dass dem Minderheitsgesellschafter, der zuvor nicht einmal gesellschaftsvertragsändernde Beschlüsse verhindern konnte, ein äußerst weitgehendes Aufgriffsrecht zustand. Der Generalversammlungsbeschluss war jedoch bloß notariell beurkundet (§ 49 Abs 1 GmbHG) und nach Meinung des Obersten Gerichtshofs nicht wirksam in der Form des Notariatsakts abgeschlossen.
Entscheidend war für den Obersten Gerichtshof in rechtlicher Hinsicht vor allem, dass durch den Gesellschafterbeschluss die Verpflichtung der Miterbinnen zur Abtretung ihrer Geschäftsanteile an den berechtigten Gesellschafter (…) ganz massiv modifiziert wurde. Eine solche wesentliche Änderung einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung bedurfte nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs jedenfalls eines Notariatsakts. Er schloss sich dabei Gellis/Feil (GmbHG² [1982] § 76 Anm 8, 9) und Lux (Zur Regelung statutarisch verankerter Aufgriffsrechte durch Mehrheitsbeschluss bei der GmbH – Anmerkung zu OGH 4 Ob 527/94, wbl 1995, 16) an, wobei sich letzterer wiederum auf die Ausführungen von Gellis/Feil gestützt hatte. Diese hatten gemeint, dass der Gesellschaftsvertrag für solche Vereinbarungen „die Gelegenheit des Notariatsaktes“ biete, weswegen es (nur) in den „Fällen, die im Gesellschaftsvertrag stipuliert sind und daher die Form bereits gewahrt haben“, keines Notariatsakts bedürfe (weiterhin Gellis/Feil, GmbHG7 [2009] § 76 Rz 8).
4.3. In den Entscheidungen 6 Ob 2358/96z, 6 Ob 241/98d und 6 Ob 23/99x verwies der Oberste Gerichtshof auf die Entscheidung 1 Ob 510/95 und führte wiederholend aus, dass ein bloß notariell beurkundeter Gesellschafterbeschluss über die nachträgliche Begründung eines Aufgriffsrechts für eine wirksame Satzungsänderung nicht ausreiche, weil für diesen Fall Notariatsaktspflicht bestehe.
5. Diese Rechtsprechung wurde von der Lehre abgelehnt (K. Berger, Vorsicht Falle: Änderung eines statutarischen Aufgriffsrechts bedarf der Notariatsaktsform! RdW 1996, 195; Frizberg/Frizberg, ecolex 1996, 753; Umlauft, Das Formgebot für die Begründung eines Aufgriffsrechtes nach dem GmbHG, GesRz 1996, 170; Ch. Nowotny, Hundert Jahre GmbH‑Gesetz, RdW 2006, 483; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 76 Rz 21a).
5.1. Vor allem Frizberg/Frizberg sprachen sich vehement gegen die Auffassung des Obersten Gerichtshofs aus und beriefen sich ihrerseits auf den Wortlaut, auf die Gesetzessystematik, auf den Umstand, dass es sich um materielle Satzungsbestandteile handle und auch auf den Gesetzeszweck: Der Wortlaut des § 76 Abs 2 Satz 2 GmbHG spreche gegen dessen Anwendung auf Aufgriffsrechte, weil von diesem Vereinbarungen, also Verträge (ebenso K. Berger, RdW 1996, 196) erfasst werden sollen. Gesellschafterbeschlüsse einer Kapitalgesellschaft seien hingegen Rechtsgeschäfte sui generis, auf die die allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln nur bedingt anzuwenden seien; so kämen Gesellschafterbeschlüsse allenfalls auch gegen den Willen einzelner Gesellschafter mit Bindungswirkung zustande. Wenn nun der Begriff Vereinbarung als Vertrag auszulegen sei, gelte die Formpflicht schon nach dem Wortlaut des § 76 Abs 2 GmbHG nicht für Gesellschafterbeschlüsse.
Auch die Systematik des GmbHG spreche nach Frizberg/Frizberg gegen die Argumentation des Obersten Gerichtshofs: Das I. Hauptstück (§§ 1–58) des GmbHG enthalte „organisatorische Bestimmungen“. Darin seien alle Bereiche geregelt, die die Verfassung der Gesellschaft betreffen (Organisation der Gesellschaft, Inhalt der Rechtsstellung der einzelnen Gesellschafter). Ein statutarisches Aufgriffsrecht hafte am Anteil selbst und wirke gegen den jeweiligen Inhaber des Geschäftsanteils. Es sei keine vorweggenommene Verfügung über den Geschäftsanteil, „sondern die Ausübung einer für alle Gesellschafter geltenden gemeinsamen Vertragsordnung, die für den Gesellschafter (…) Inhalt und Grenze seiner Rechtsstellung bestimmt“ und daher nach den organisatorischen Bestimmungen zu beurteilen (so schon die Entscheidung des OLG Innsbruck 5 R 264/84).
Des Weiteren unterlägen statutarische Aufgriffsrechte nicht dem § 76 Abs 2 GmbHG, sondern den §§ 49 ff GmbHG, weil es sich bei diesen um echte Satzungsbestimmungen handle. Darunter seien Satzungsbestimmungen zu verstehen, die die normative Grundordnung der Gesellschaft darstellen beziehungsweise die korporativen Rechte und Pflichten der Gesellschafter regeln. Unechte Satzungsbestimmungen seien hingegen Vereinbarungen, die nur bei Gelegenheit der Vertragserrichtung in die Satzung aufgenommen werden, wie etwa Vereinbarungen mit Dritten oder schuldrechtliche Vereinbarungen mit Gesellschaftern. Die Aufnahme eines Aufgriffsrechts, welches zu den indifferenten Satzungsbestimmungen (ebenso Reich‑Rohrwig, GmbH‑Recht¹ [1983] 421) zähle, sei im Zweifel als echter Satzungsbestandteil zu qualifizieren.
Schließlich prüften Frizberg/Frizberg, ob nach dem Normzweck eine extensive Auslegung der Formvorschrift des § 76 Abs 2 GmbHG geboten sei: Die Hauptfunktion der Vorschrift sei nach ganz herrschender Lehre und Rechtsprechung die Immobilisierung der Geschäftsanteile; damit solle der börsenartige Handel der Anteile vermieden werden. Die Begründung eines statutarischen Aufgriffsrechts, das den Inhaber unter gewissen Voraussetzungen zur Abtretung verpflichte, stelle jedoch keine Gefährdung unkontrollierbarer Spekulationen und weitgehenden Handels dar. Die zweite von der Rechtsprechung anerkannte Funktion sei der Schutz vor übereiltem Erwerb, der durch eine Belehrung durch den Notar verhindert werden solle. Im Fall der Statuierung von Aufgriffsrechten sei eine Belehrung durch den Notar jedoch gar nicht möglich, weil der künftige Erwerb nicht mit Sicherheit feststehe und der Erwerber zudem nicht einmal an der Beschlussfassung beteiligt sein müsse. Auch die Funktion der Klarstellung der Gesellschafterstellung sei keine Begründung für das Bestehen der Formpflicht, weil das Verfügungsgeschäft ohnehin der Notariatsaktspflicht unterliege und somit die Publizität ausreichend gewahrt sei.
5.2. Unter Berufung auf die Gesetzessystematik und den Zweck des § 76 Abs 2 GmbHG sprach sich auch Umlauft (GesRz 1996, 170) gegen das Notariatsaktserfordernis von nachträglich begründeten Aufgriffsrechten aus. Nach seiner Auffassung ist die Hauptfunktion des Formerfordernisses des § 76 Abs 2 GmbHG die Immobilisierung der Geschäftsanteile, welche sich jedoch ebenso mit einer notariellen Beurkundung erreichen lasse, weil lediglich die Belehrungspflicht die beiden Beurkundungsvarianten unterscheide. Diese sei jedoch ohne Bedeutung, weil es bei der nachträglichen Begründung von Aufgriffsrechten keinen Belehrungszweck gebe. Außerdem vollziehe sich der Übergang bei Geltendmachung des Aufgriffsrechts nicht eo ipso; es sei dazu weiters ein Abtretungsvertrag notwendig, der ohnehin der Notariatsaktsform bedürfe. Die Identifizierbarkeit des Gesellschafters sei somit jedenfalls gewährleistet.
Umlauft verweist auch auf Umfahrer (Formfragen bei Abänderung des GmbH‑Vertrages, ecolex 1996, 99), der sich ebenfalls – jedoch nicht bezugnehmend auf die Entscheidung 1 Ob 510/95 – gegen das Formerfordernis des § 76 Abs 2 GmbHG bei der nachträglichen Begründung statutarischer Aufgriffsrechte aussprach. Umfahrer hatte als zusätzliches Argument gegen die Notariatsaktspflicht ins Treffen geführt, dass der Gesetzgeber in gewissen Fällen, so etwa im Rahmen des Spaltungsgesetzes, in der notariellen Beurkundung einen durchaus gleichwertigen Ersatz für den Notariatsakt erblicke, und zwar dann, wenn der Zweck des Formgebots aufgrund eines fehlenden Schutzzwecks dem nicht entgegenstehe.
5.3. In späteren literarischen Stellungnahmen zur Notariatsaktspflicht von nachträglichen statutarischen Aufgriffsrechten (etwa Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 76 Rz 21a; Umfahrer, GmbH6 [2008] § 9 Rz 523; Rauter in Straube, Wiener Kommentar zum GmbH‑Gesetz [2009] § 76 Rz 154; den Meinungsstreit bloß erwähnend Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht [2008] Rz 4/513 FN 3) wird – unter Ablehnung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs – auf die Rechtsansicht von Frizberg/Frizberg, Umfahrer und Umlauft verwiesen.
6. Angesichts dieser einhelligen Ablehnung der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat sich der erkennende 6. Senat des Obersten Gerichtshofs zu einer neuerlichen eingehenden Prüfung der Frage entschlossen, ob tatsächlich eine nachträgliche Begründung statutarischer Aufgriffsrechte bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung der Notariaktsaktspflicht des § 76 Abs 2 Satz 2 GmbHG unterliegt.
6.1. Wie bereits dargelegt, gründet sich die bisherige Rechtsprechung auf die Entscheidung 1 Ob 510/95, auf deren rechtliche Beurteilung in den späteren Entscheidungen lediglich verwiesen wurde. Die Entscheidung 1 Ob 510/95 wiederum stützt sich ausschließlich auf die Rechtsansichten von Gellis/Feil und Lux, die ohne weitere Begründung übernommen wurden. So führt die Entscheidung etwa aus: Bedürfen schon schlichte Ergänzungen der Abtretungsverpflichtung der Notariatsaktsform und dürfen selbst solche Vorkehrungen deshalb nicht etwa nur in der Form einer notariellen Beurkundung vorgenommen werden (JBl 1958, 153), muss die strenge Einhaltung des im § 76 Abs 2 GmbHG statuierten Formzwangs umso mehr bei der Einfügung des Aufgriffsrechts in den Gesellschaftsvertrag beziehungsweise bei dessen wesentlicher Abänderung gefordert werden.
Der Verweis auf die Entscheidung 2 Ob 493/57 (JBl 1958, 153) findet sich zwar auch bei Gellis/Feil und Lux, ist für die hier zu beurteilende Rechtsfrage jedoch ohne wesentliche Bedeutung. In dieser Entscheidung heißt es nämlich tatsächlich: Auch Änderungen, Berichtigungen und Ergänzungen des Gesellschaftsvertrags vor der Registrierung der Gesellschaft bedürfen zwingend der Form des Notariatsakts. Diese Entscheidung behandelt also eine ganz andere Frage, und zwar jene, ob für eine Änderung des Gesellschaftsvertrags im Gründungsstadium – also vor Eintragung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung – Notariatsaktspflicht besteht oder ob diese mittels Gesellschafterbeschlusses vorgenommen werden kann und somit eine notarielle Beurkundung nach § 49 GmbHG ausreichend ist. Diese Problematik ist für die Frage der nachträglichen Begründung von Aufgriffsrechten jedoch nur dann relevant, wenn die Gesellschaft noch nicht eingetragen ist. Herrschend ist zwar, dass sich Änderungen des Gesellschaftsvertrags vor Eintragung der Gesellschaft nicht nach den §§ 49 ff GmbHG richten und daher auch diese notariatsaktspflichtig sind (Umfahrer, ecolex 1996, 100; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 2 Rz 15 mwN); ein solcher Fall lag aber der Entscheidung 1 Ob 510/95 nicht zugrunde; er ist auch hier nicht zu beurteilen.
6.2. Im Gegensatz zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat sich auch die überwiegende zweitinstanzliche Rechtsprechung gegen eine Notariatsaktspflicht bei der nachträglichen Begründung von Aufgriffsrechten ausgesprochen und eine notarielle Beurkundung gemäß § 49 GmbHG ausreichen lassen (OLG Linz RdW 1997, 596 [Umfahrer]; OLG Wien 28 R 19/08g [„… die gewichtigen Argumente, die gegen die zitierte oberstgerichtliche Rechtsprechung angeführt werden …“; aA noch OLG Wien NZ 2005, 152).
6.3. Auch nach Auffassung des erkennenden 6. Senats sprechen die besseren Gründe dafür, bei der nachträglichen Begründung statutarischer Aufgriffsrechte in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung eine notarielle Beurkundung als Formerfordernis ausreichen zu lassen. Dies ergibt sich einerseits daraus, dass es sich bei Aufgriffsrechten meist um materielle Satzungsbestandteile (nach Frizberg/Frizberg „echte Satzungsbestimmungen“) handeln wird, die nach § 49 GmbHG eines Gesellschafterbeschlusses, der bloß notariell beurkundet werden muss, bedürfen, und vor allem aus dem Normzweck: Wenn man der Formpflicht des § 76 Abs 2 GmbHG die Funktionen Immobilisierung, Übereilungsschutz des Erwerbers und Publizität der Gesellschafterstellung zuerkennt, so wird deutlich, dass bei der Begründung von Aufgriffsrechten keiner dieser Funktionen eine wesentliche Bedeutung zukommen kann. Die Immobilisierung soll den börsenartigen Handel mit den Geschäftsanteilen, also den Erwerb Dritter, verhindern, jedoch nicht den Erwerb durch einen Gesellschafter. Der Funktion des Übereilungsschutzes kann in diesem Zusammenhang ebenfalls keine Bedeutung zukommen; immerhin ist zum Zeitpunkt der Statuierung oftmals nicht klar, wer überhaupt der Erwerber sein wird beziehungsweise ob dieser überhaupt schon Gesellschafter ist und zu welchem Zeitpunkt diesem das Aufgriffsrecht zustehen wird.
Auch für die Klarstellung, wer Gesellschafter ist, bedarf es keiner Notariatsaktsform der Begründung des Aufgriffsrechts. Dies ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach Aufgriffsrechte nicht dazu führen können, dass die Geschäftsanteile eines verstorbenen Gesellschafters mit dessen Todesfall eo ipso auf die übrigen Gesellschafter übergehen, sondern dass dafür noch ein Abtretungsvertrag mit den Erben geschlossen werden muss (RIS‑Justiz RS0007884). Dieser Abtretungsvertrag ist als Verpflichtungsgeschäft aber ohnehin notariatsaktspflichtig.
7.Im vorliegenden Verfahren haben somit die damaligen Gesellschafter der Gesellschaft am 19.11.2001 notariell beurkundet das Aufgriffsrecht laut Punkt X. „Kündigung“ wirksam beschlossen, weshalb das auf Abschluss eines dem Aufgriffsrecht entsprechenden Abtretungsvertrags in Notariatsaktsform gerichtete Klagebegehren zu Recht besteht. Der Revision der Beklagten ist daher der Erfolg zu versagen.
8. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Leitsätze
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Formvorschrift für Begründung eines statutarischen Aufgriffsrechts
Bei der nachträglichen Begründung statutarischer Aufgriffsrechte in einer GmbH ist eine notarielle Beurkundung als Formerfordernis ausreichend.Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 63/10y | OGH vom 17.12.2010 | Dokument-ID: 257713