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ESG in der Immobilienbewertung
Der Nachhaltigkeitsaspekt ESG gewinnt zunehmend an Einfluss in der Immobilienbewertung. Wie ESG auf die Wertermittlung einwirkt, erfahren Sie hier.
Laut Bericht der Vereinten Nationen sind zB die energiebezogenen CO2-Emissionen im Jahr 2021 um 6 % auf einen neuen Höchststand gestiegen und der Anstieg der Erdtemperatur schreitet weiter fort. Um die Erwärmung auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wie im Übereinkommen von Paris festgelegt, müssen die globalen Treibhausgasemissionen vor 2025 ihren Höchststand erreicht haben. Dann müssen sie bis 2030 um 43 %, und bis 2050 auf Null sinken, so der zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change; „Weltklimarat“), das für die wissenschaftliche Bewertung des Klimawandels zuständige Organ der Vereinten Nationen. • [Fußnote: Vgl Ziele für nachhaltige Entwicklung Bericht 2022, Vereinte Nationen.]
Als Reaktion auf diese Vorgaben haben die Länder unterschiedliche Aktionspläne und Regularien zur Erreichung dieser Ziele entwickelt. Diese Pläne fließen durch ESG auch in die Immobilienwirtschaft mit ein.
Nationale Regularien zur Immobilienbewertung in Österreich und ESG
Liegenschaftsbewertungsgesetz
Das Liegenschaftsbewertungsgesetz (BGBl Nr 150/1992) ist mit 1. Juli 1992 in Kraft getreten und enthält keinen expliziten Konnex zum Thema Nachhaltigkeit. Neben allgemeinen Themen wie dem Geltungsbereich, dem Bewertungsgrundsatz, allgemeinen Regeln für die Bewertung sowie allgemeinen und besonderen Erfordernissen des Gutachtens werden in erster Linie die drei Standardverfahren der Immobilienbewertung in Österreich,
- das Vergleichswertverfahren,
- das Ertragswertverfahren und
- das Sachwertverfahren, behandelt.
ÖNORM
In Österreich existiert die ÖNORM B 1802 zur Liegenschaftsbewertung, mit den drei Teilen ÖNORM B 1802-1 (Liegenschaftsbewertung Teil 1: Begriffe, Grundlagen sowie Vergleichs-, Sach- und Ertragswertverfahren), B 1802-2 (Liegenschaftsbewertung Teil 2: Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF-Verfahren)) und B 1802-3 (Liegenschaftsbewertung Teil 3: Residualwertverfahren). In der ÖNORM werden in erster Linie Begriffsdefinitionen sowie die einzelnen Bewertungsmethoden mit ihren Parametern erläutert.
Befunderhebung unter dem Aspekt ESG
Die Berücksichtigung von ESG stellt zusätzliche Anforderungen an die Gutachter im Rahmen der Befunderstellung. Grundsätzlich werden bereits eine Vielzahl von Standort- und Gebäudefaktoren erhoben, die nunmehr in Zusammenhang mit ESG unter einem weiteren Aspekt darzulegen und zu bewerten sind. Voraussetzung für den Gutachter ist jedoch eine entsprechende Kenntnis der ESG-relevanten Faktoren.
Zusätzlich zum Energieausweis sind, für Projekte angestrebte, oder bereits bestehende Gebäudezertifizierungen (im Wesentlichen DGNB/ÖGNI, LEED, BREEAM) zu dokumentieren.
Bewertungsmethoden unter dem Aspekt ESG
Hinsichtlich der Wahl der Bewertungsmethode und der Anwendung der Bewertungsmethode selbst kommt es grundsätzlich zu keinen Änderungen. Die Berücksichtigung von ESG in der Wertermittlung kann anhand unterschiedlicher Bewertungsparameter erfolgen. Im Folgenden sollen je methodischem Ansatz nur einige ausgewählte Parameter beschrieben werden.
Sachwertverfahren
Im Sachwertverfahren wird der Marktwert aus der Summe von Bodenwert sowie dem Bauzeitwert der baulichen Anlagen ermittelt, mitunter ist ein Marktanpassungsfaktor zu berücksichtigen. Das Sachwertverfahren wird in Österreich in erster Linie zur Bewertung von eigengenutzten Einfamilienhäusern herangezogen. Im Sachwertverfahren bilden die Neuherstellungskosten des Gebäudes einen wesentlichen Bewertungsparameter. Im Hinblick auf Nachhaltigkeitskriterien und Energieeffizienz sind gegebenenfalls hohe Neuherstellungskosten für energieeffizientere Gebäude (Gebäudehülle, Gebäudetechnik) zu berücksichtigen. Gleichzeitig können gesetzliche Änderungen große Auswirkungen bei der Bewertung von Bestandsobjekten haben, wenn zB bestimmte Heizungsanlagen nicht mehr erlaubt sind, und somit entsprechende Modernisierungskosten zu berücksichtigen sind.
Vergleichswertverfahren
Das Vergleichswertverfahren findet insbesondere bei der Wertermittlung von Grundstücken, aber auch Eigentumswohnungen Anwendung. Im Zuge des Verfahrens werden Transaktionen möglichst gut vergleichbarer Objekte herangezogen. Die Vergleichsobjekte werden in der Folge aufgrund wertbestimmender Merkmale, wie zB Lage und Standort, Situierung im Objekt oder diverser Bau- und Ausstattungsdetails an das zu bewertende Objekt angepasst. Nachhaltigkeitsaspekte sind in verschiedenen Merkmalen, wie zB dem Heizsystem, der Gebäudekonstruktion etc enthalten.
Ertragswertverfahren
Das Ertragswertverfahren (bzw auch sonstige ertragsorientierte Verfahren) wird vorrangig zur Bewertung von Immobilien herangezogen, bei denen die Renditeerzielung im Vordergrund steht. Nachdem eine wesentliche Zielsetzung der Agenda 2030 sowie der EU Taxonomie darin liegt, die Kapitalströme in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, kommt dementsprechend Immobilien, die im Investoreninteresse liegen, eine wesentliche Bedeutung zu.
Jeder einzelne Bewertungsparameter im Ertragswertverfahren ist somit im Hinblick auf seine Bedeutung unter Nachhaltigkeitsaspekten zu analysieren. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den wesentlichen wertbestimmenden Variablen, dem Jahresrohertrag sowie dem Kapitalisierungszinssatz. Einige Studien weisen darauf hin, dass zertifizierte Gebäude Mietpreisaufschläge von bis zu 25 % im Vergleich zu konventionellen Gebäuden zeigen. • [Fußnote: Vgl ESG in der Immobilienbewertung in ESG in der Immobilienwirtschaft, S 479, 2021.] Die Autoren weisen gleichzeitig darauf hin, dass „nachhaltige Gewerbeimmobilien meist in Spitzenlagen, wie der Innenstadt oder etablierten Bürovierteln errichtet werden. Auch wenn die Miete über der ortsüblichen Marktmiete liegt, ist es schwierig, das Delta eindeutig zu bestimmen, welches auf die Nachhaltigkeit der Immobilie zurückzuführen ist (Korrelation vs Kausalität)“. • [Fußnote: Vgl ESG in der Immobilienbewertung in ESG in der Immobilienwirtschaft, S 479, 2021.]
Der Kapitalisierungszinssatz ist der größte Hebel im Ertragswertverfahren und spiegelt unmittelbar das Risiko-Rendite-Profil des Objekts und gleichzeitig das Investorenverhalten wider. Die Erwartung, dass ESG-konforme Immobilien mit so genannten „green premiums“ bewertet werden, ist analog zum oben beschriebenen Mietpreisaufschlag zu sehen.
Fazit und künftige Anforderungen an die Gutachter
Die Bewertung von Immobilien setzt fachliches Know-how in unterschiedlichen Bereichen und umfassende Marktkenntnis voraus. Die zentrale Aufgabe des Gutachters im Rahmen der Marktwertermittlung besteht darin, die aus der Analyse der Liegenschaft gewonnenen Erkenntnisse mit den vorliegenden Markttransaktionen zu vergleichen. Mit dem Inkrafttreten der EU-Taxonomie sowie den Anforderungen an eine Nachhaltigkeitsberichterstattung durch die verpflichteten Unternehmen ist das Thema insbesondere in der Immobilienwirtschaft, aufgrund ihrer zentralen Bedeutung im Hinblick auf das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele, stark in den Vordergrund gerückt. Sämtliche Stakeholder, wie Projektentwickler, finanzierende Banken, der öffentliche Sektor, Investoren, Dienstleister und Mieter sind sich über die Bedeutung des Themas einig. Gleichzeitig mangelt es an einem „Industriestandard“, auch die im Ideal erforderlichen Daten liegen meist nicht, bzw nicht entsprechend abrufbar, vor. Darüber hinaus sind Teile der EU-Taxonomie noch nicht bekannt.
Als Gutachter ist man immer schon dazu aufgefordert, sich laufend weiterzubilden. Im Hinblick auf ESG kommt dem Weiterbildungsauftrag noch eine zusätzliche Dimension hinzu. Gutachter müssen in ihren Befunden entsprechend zu ESG-relevanten Faktoren Erhebungen durchführen und ihre Auswirkungen in der Wertermittlung darlegen und begründen. Doch auch hier mangelt es noch an belastbaren Datengrundlagen. Und so wie ganz allgemein bei jedem Bewertungsansatz, ist eine doppelte oder sogar mehrfache Berücksichtigung von Parametern nicht zulässig. Als klassisches Beispiel wäre die Berücksichtigung einer erhöhten Attraktivität einer taxonomiekonformen Büroimmobilie für Mieter sowohl beim Ansatz der fiktiv erzielbaren Marktmiete, als auch im Kapitalisierungszinssatz möglich, darüber hinaus könnte sich diese erhöhte Attraktivität auch in einem geringeren Leerstandsrisiko widerspiegeln.
Gutachter als Dienstleister, zB eines institutionellen Investors oder eines finanzierenden Instituts werden künftig zu den eigenen Maßnahmen im Hinblick auf ESG im Unternehmen Stellung nehmen müssen. Vom Aufbau und der Strukturierung des Teams bis zu Energiekennzahlen oder Maßnahmen zur Abfallvermeidung sind eine Reihe von Kriterien denkbar, die im Rahmen einer Bewerter-Due Diligence künftig abgefragt werden können. Weiters kann die Zugehörigkeit einzelner Personen oder des Unternehmens zu Berufsverbänden wie der RICS aufgrund der mit der Mitgliedschaft verbundenen Verhaltensrichtlinien • [Fußnote: Vgl Verhaltensrichtlinien, RICS, 2021.] wesentlicher Bestandteil einer Due Diligence sein.