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28.04.2021 | Arbeitsrecht | ID: 1088600

Bossing wegen Nichteinteilung zu Überstunden

Stanislava Doganova

Stellt eine Verweigerung der Anordnung von Mehrdienstleistung (Überstunden) als Teil eines auch dadurch charakterisierten Bossinggeschehens eine Verletzung der sich aus § 43a BDG ergebenden Fürsorgepflicht dar?

Geschäftszahl

OGH 27.11.2020, 1 Ob 202/20t

Norm

§ 1 AHG, § 1295 ABGB, § 1296 ABGB, § 1297 ABGB, § 43a BDG, § 1157 ABGB, § 18 AngG

Leitsatz

Quintessenz:

Eine Verweigerung der Anordnung von Mehrdienstleistung (Überstunden) als Teil eines auch dadurch charakterisierten Bossinggeschehens stellt eine Verletzung der sich aus § 43a BDG ergebenden Fürsorgepflicht dar. Ebenso wie aus einer unterbliebenen Beförderung, auf die kein subjektives Recht besteht, Amtshaftungsansprüche können abgeleitet werden, wenn dies auf einen Missbrauch der eingeräumten Befugnisse zurückzuführen ist, kommt grundsätzlich auch eine Haftung des Rechtsträgers für einen auf unsachlichen Kriterien beruhenden (diskriminierenden) Ausschlusses eines Mitarbeiters von der an sich bestehenden Möglichkeit, zur Erbringung von Mehrdienstleistungen „eingeteilt“ zu werden, in Betracht.

OGH: Beim Mobbing handelt es sich um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen („Bossing“), bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder mehreren Personen systematisch und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet (1 Ob 92/20s mwN).

Typisch ist ein systematisches, ausgrenzendes und prozesshaftes Geschehen, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhalten von Informationen oder Rufschädigung (RIS-Justiz RS0124076 [T2]). Es soll zwar nicht jede spontane Gemütsäußerung „auf die Goldwaage gelegt“ werden, sehr wohl aber sollen Verhaltensweisen, die die menschliche Würde verletzen oder die dienstliche Zusammenarbeit und den Betriebsfrieden ernstlich stören, erfasst werden (ErläutRV 488 BlgNR 24. GP 9 zu § 43a BGB).

Die große Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen entzieht sich einer vollständigen Aufzählung (1 Ob 106/15t). Ob Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz als Mobbing (Bossing) zu qualifizieren sind, hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0124076 [T4, T6]).

Dass der Rechtsträger für Bossinghandlungen der von ihm mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betrauten Vorgesetzten einzustehen hat, sprach der Fachsenat bereits mehrfach aus (vgl 1 Ob 106/15t; 1 Ob 56/18v). Gestützt wird diese Haftung dabei auf § 43a BDG als Schutzgesetz zugunsten der von Mobbing bzw Bossing betroffenen Person. Zu ersetzen ist bei Vorliegen der sonstigen Haftungsvoraussetzungen auch der bloße Vermögensschaden (1 Ob 106/15t). Werden Verletzungshandlungen durch Vorgesetzte des Geschädigten begangen, begründet dies unmittelbar eine Verletzung der in § 43a BDG normierten Fürsorgepflicht des Dienstgebers, ohne dass es auf eine zusätzliche Fürsorgeverpflichtung durch eine weitere übergeordnete Stelle ankäme (1 Ob 56/18v).

Auch wenn aus § 49 BDG kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Anordnung von Mehrdienstleistung (Überstunden) abgeleitet werden kann, stellt eine Verweigerung der Anordnung von Mehrdienstleistung (Überstunden) als Teil eines auch dadurch charakterisierten Bossinggeschehens eine Verletzung der sich aus § 43a BDG ergebenden Fürsorgepflicht dar. Ebenso wie aus einer unterbliebenen Beförderung, auf die kein subjektives Recht besteht, Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden können, wenn dies auf einen Missbrauch der eingeräumten Befugnisse zurückzuführen ist (RS0112461), kommt grundsätzlich auch eine Haftung des Rechtsträgers für einen auf einen unsachlichen Kriterien beruhenden (diskriminierenden) Ausschlusses eines Mitarbeiters von der an sich bestehenden Möglichkeit, zur Erbringung von Mehrdienstleistungen „eingeteilt“ zu werden, in Betracht.

Die Argumentation, der behauptete Verdienstentgang begründe keinen Vermögensschaden des Arbeitnehmers, weil dem entgangenen Entgelt ein Mehr an Freizeit gegenüberstehe, ist nicht nachvollziehbar. Würde man dieser Argumentation folgen, wäre der Ersatz von Verdienstentgang weitgehend ausgeschlossen. Der „Ausgleich“ eines entgangenen Verdienstes durch somit in höherem Ausmaß zur Verfügung stehende Freizeit kommt deshalb nicht in Betracht, weil immaterielle Vorteile (Freizeit) mangels sachlicher Kongruenz nicht geeignet sind, einen vermögensrechtlichen Nachteil auszugleichen (vgl 2 Ob 226/07k).

Dem Argument, die Anordnung von Mehrdienstleistungen wäre aufgrund der damit verbundenen Mehrbelastung des Arbeitnehmers nicht in seinem Interesse gelegen, sondern hätte dem Arbeitnehmerschutz widersprochen und daher eine Verletzung der Fürsorgepflicht begründet, kann nicht gefolgt werden, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem Vorgesetzen sein Interesse daran bekundet hat, Überstunden zu leisten.

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