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Vorgehen und Verfahren bei internationalen Kindesentführungen
Es gilt das Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ). In diesem Beitrag finden sich rechtliche Informationen zu Fragen wie, was gilt bei der Übersiedlung mit einem Kind und für Rückführungsverfahren?
Allgemeines
In der familienrechtlichen Beratungspraxis von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist das Übereinkommen vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, kurz Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ).
Für Österreich ist es am 01.10.1988 in Kraft getreten.
Derzeit gibt es weltweit 101 Vertragsstaaten dieses Übereinkommens.
Ziel des Übereinkommens ist es grundsätzlich, einerseits die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen und andererseits zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht zum persönlichen Umgang in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird (Art 1 HKÜ).
Das HKÜ ist jedenfalls nur im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten, also für widerrechtlich aus einem Vertragsstaat in einen anderen Vertragsstaat verbrachte oder zurückgehaltene Kinder anzuwenden (8 Ob 122/02b).
Das Übereinkommen ist weiters nur maßgeblich, solange das betreffende Kind das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Art 4 HKÜ). Ungeborene Kinder sind hier freilich noch nicht erfasst (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht, 2017, Rz 09.07).
Gerade in internationalen Beziehungen können im Fall von Trennungen oder Scheidungen die Grenzen des HKÜ dementsprechend schnell berührt werden. Beabsichtigt etwa eine Mutter oder ein Vater mit einem Kind, für das sie oder er nicht die alleinige Obsorge hat, in ein anderes Land zu übersiedeln, so wird hierfür in der Regel die Zustimmung des anderen Elternteiles oder aber, mangels einer solchen, eine Genehmigung des Umzuges durch das Pflegschaftsgericht erforderlich sein. Hier ist in der anwaltlichen Beratung daher große Vorsicht geboten.
Übersiedlung mit einem Kind
Selbst wenn allerdings eine Übersiedlung mit einem Kind rechtlich ohne Weiteres möglich sein und keinen Fall nach dem HKÜ begründen sollte, ist in der Beratung unbedingt zu beachten, dass es durch den Umzug unter bestimmten Umständen auch zu einer Änderung (iS eines Hinzukommens einer weiteren sorgeberechtigten Person) der ex lege bestehenden Obsorgeverhältnisse für dieses Kind kommen kann. Soll dann nach einiger Zeit etwa wieder ein Umzug in ein anderes Land erfolgen, kann plötzlich, anders als zuvor, die Zustimmung des anderen Elternteils oder eine gerichtliche Genehmigung der Übersiedlung vonnöten sein, um sich nicht dem Vorwurf einer Kindesentführung iSd HKÜ auszusetzen. In der Beratung sollte dies daher jedenfalls bedacht und auch das Bewusstsein der Mandanten für derartige Problematiken geschärft und allenfalls das Erfordernis einer weitergehenden rechtlichen Beratung im gewünschten Zielland aufgezeigt werden.
Nicht minder heikel sind freilich jene Fälle, in denen ein Elternteil mit dem Kind nach Österreich übersiedeln bzw hierher zurückkommen möchte, etwa weil er oder sie ursprünglich in Österreich beheimatet war oder Österreicher oder Österreicherin ist.
In der Praxis empfiehlt sich also auch bei Mandanten, die eine Übersiedlung aus dem Ausland nach Österreich anstreben, im Vorfeld eine genaue rechtliche Prüfung, ob dies auch ohne Weiteres möglich ist. Im Zweifel sollte auch eine rechtliche Beratung im anderen Land in Anspruch genommen werden. Besonders kritisch kann hier nämlich sein, dass ein Verhalten, das im anderen Land als Kindesentführung iSd HKÜ gewertet würde, dort auch strafrechtliche Folgen für den „entführenden“ Elternteil haben könnte, was in dem Fall, dass von österreichischen Gerichten im Rahmen eines Rückführungsverfahrens nach dem HKÜ die Rückkehr in diesen Ursprungsstaat angeordnet würde, besonders unangenehm sein kann und freilich auch einen äußerst negativen Einfluss auf die weitere Obsorgeentscheidung in diesem Land haben kann.
Rückführungsverfahren
Im Rahmen eines Rückführungsverfahrens wird letztlich auch nur das Vorliegen eines Entführungstatbestandes iSd HKÜ und allenfalls auch das Vorliegen eines Versagungsgrundes (Art 12 und Art 13 HKÜ) geprüft, nicht aber darüber hinaus, welcher Elternteil in der Zukunft mit der Obsorge bzw mit der hauptsächlichen Betreuung für ein Kind betraut sein soll. Dies soll eben vom eigentlich zuständigen Pflegschaftsgericht im Ursprungsstaat beurteilt werden; das Rückführungsverfahren wirkt daher letztlich als eine Art „familiäres Possessorium“ (vgl Fucik in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht, 2020, 593), zumal die Vertragsstaaten das schnellstmögliche Verfahren anzuwenden haben (Art 2 HKÜ).
Mit dem KindRückG 2017 (BGBl I 130/2017) wurden nun zuletzt die §§ 111a–111f ins AußStrG eingefügt. Das bisherige DGHKÜ (Bundesgesetz vom 09.06.1988 zur Durchführung des Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung idF BGBl I 15/2013) wurde damit aufgehoben und ist mit Ablauf des 31.08.2017 außer Kraft getreten. Die zur Umsetzung des HKÜ erforderlichen Ausführungsbestimmungen wurden damit erstmals in das AußStrG integriert. Hintergrund war hier ein Erkenntnis des EGMR (EGMR 15.1.2015, 4097/13, M.A./Österreich) mit welchem der bis dahin verfügbare verfahrensrechtliche Rahmen für die Führung von Verfahren nach dem HKÜ in Österreich als für eine die zügige und effiziente Führung des Rückgabeverfahrens erschwerend bezeichnet wurde. Im Folgenden orientiert sich die Darstellung daher im Wesentlichen an der in §§ 111a–111f vorgesehenen Einteilung: Die §§ 111a, 111b befassen sich mit Anträgen nach dem HKÜ auf Rückführung widerrechtlich von Österreich ins Ausland verbrachter Kinder („outgoing“-Fälle), wogegen die §§ 111c bis 111f das Verfahren nach dem HKÜ betreffend widerrechtlich nach Österreich verbrachter Kinder regeln („incoming“-Fälle).
Zu verweisen ist der Vollständigkeit halber darauf, dass gem Art 21 HKÜ ein Antrag auf Durchführung oder wirksame Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang (Kontakt) in derselben Weise an die zentrale Behörde eines Vertragsstaats gerichtet werden kann wie ein Antrag auf Rückgabe des Kindes. Dies hat jedoch eher geringere praktische Relevanz.
Verfahren
Ein Verfahren nach dem HKÜ wird grundsätzlich nur über einen entsprechenden Antrag eingeleitet (Art 8 HKÜ). Zur Entscheidung berufen sind grundsätzlich die Gerichte bzw Behörden im (vermeintlichen) Entführungsstaat (vgl Art 12 HKÜ).
Zur Behandlung eines aus dem Ausland einlangenden Antrags auf Rückführung eines Kindes ist in Österreich das Bezirksgericht am Sitz des Gerichtshofs erster Instanz, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält, zuständig; für den Sprengel des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, für den Sprengel des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz das Bezirksgericht Graz-Ost (§ 109a JN).
Ein Antrag auf Rückführung eines Kindes aus dem Ausland nach Österreich ist vom Antragsteller an sich beim Pflegschaftsgericht schriftlich anzubringen oder zu Protokoll zu geben (§ 111a Abs 1 AußStrG). Pflegschaftsgericht iSd § 111a Abs 1 ist das nach § 109 JN zuständige Gericht, sohin ist das Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Antrag wird dann über die zentralen Behörden (vgl Art 9 HKÜ), das ist in Österreich das Bundesministerium für Justiz, an die zuständige Stelle im Entführungsstaat weitergeleitet. Daneben steht es dem Antragsteller jedoch stets offen, auch unmittelbar einen Antrag direkt an das zuständige ausländische Gericht zu richten (vgl Art 8 HKÜ).
Vollstreckung; Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten
Vollstreckung einer Rückführungsanordnung
Die Vollstreckung einer Rückführungsanordnung erfolgt grundsätzlich entsprechend § 110 iVm § 111d AußStrG durch angemessene Zwangsmittel (siehe dazu §§ 111a–111f AußStrG).
Verhältnis zu Staaten, die nicht Vertragsstaaten des HKÜ sind
In Fällen, in denen ein Kind aus Österreich in einen Staat verbracht wird, der nicht Vertragsstaat des HKÜ ist, scheidet eine Antragstellung nach diesem Übereinkommen zwar aus; die (internationale) Zuständigkeit der österreichischen Gerichtsbarkeit für eine Neuregelung der Obsorge oder zur Anordnung von Schutzmaßnahmen nach der Brüssel IIa-VO oder dem KSÜ bleibt jedoch weiterhin bestehen (Nademleinsky/Neumayr, aaO, Rz 09.08).
Ob eine rechtliche Handhabe in jenem Staat besteht, in den das Kind verbracht wurde, bestimmt sich nach den dortigen Bestimmungen und ist daher im Einzelfall zu prüfen.
Wenn ein Kind aus einem Nichtvertragsstaat des HKÜ nach Österreich verbracht wird, wird sich ferner die (internationale) Zuständigkeit der österreichischen Gerichte aufgrund von Art 8 Brüssel IIa-VO bzw Art 20 Brüssel IIa-VO zur Eröffnung eines Pflegschaftsverfahrens ergeben.