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Dokument-ID: 797031

Judikatur | Entscheidung

3 Ob 185/15z; OGH; 14. Oktober 2015

GZ: 3 Ob 185/15z | Gericht: OGH vom 14.10.2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Jensik als Vorsitzenden, die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Roch und Mag. Wurzer sowie die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch MMag. Dr. Susanne Freyer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, *****, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Vertragszuhaltung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 3. Juni 2015, GZ 39 R 78/15g-28, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 26. Jänner 2015, GZ 9 C 1454/13t-24, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufgetragen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin ist nach einer krankheitsbedingten Operation seit dem Jahr 2012 ab dem neunten Brustwirbel gelähmt und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Sie war bereits Mieterin einer von der Beklagten gemieteten Wohnung, die sie wegen ihrer Behinderung nicht mehr bewohnen konnte. Im Jahr 2012 suchte sie eine behindertengerechte Wohnung. Wegen eines stationären Aufenthalts im Jänner 2012 bevollmächtigte sie ihre Schwester mit ihrer Vertretung gegenüber der Beklagten.

Eine zunächst von der Beklagten angebotene Wohnung lehnte die Schwester der Klägerin als nicht behindertengerecht ab. Die Beklagte bot ihr schließlich eine ca 104 m² große Wohnung im Erdgeschoß an. Diese besteht aus einem Vorraum, einer Küche, einem Bad mit WC, zwei Wohnräumen, einem Abstellraum, einem Klosett und zwei Balkonen mit Loggia.

Vor dem Mietvertragsabschluss am 29. März 2012 besichtigte die Schwester der Klägerin gemeinsam mit einer Sozialarbeiterin und einem bei der Beklagten beschäftigten Bautechniker die Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt war die Tür zum Abstellraum der Wohnung für die Benützung durch eine Rollstuhlfahrerin mit der Behinderung der Klägerin zu gering dimensioniert. Im Bad war die Badewanne zu nahe an dem WC positioniert, sodass eine Benutzung für die Klägerin nicht möglich war. Bei der Eingangstür zur Wohnung befand sich eine Türstaffel, die das Überqueren der Türschwelle für eine Rollstuhlfahrerin erschwerte. Das Postbrieffach der Wohnung war im Gangbereich zu hoch ausgeführt. Die Balkontüren waren zu eng dimensioniert. Eine Benutzung der Balkone war für eine Rollstuhlfahrerin mit der Behinderung der Klägerin nicht möglich. Darüber hinaus konnten die Balkone nur über eine ca 30 cm hohe Türschwelle betreten werden, sodass auch aus diesem Grund eine selbstständige Benutzung der Balkone für die Klägerin nicht möglich war. Auch ein selbstständiges Öffnen der beiden Hauseingangstüren war für die Klägerin nicht möglich.

Nach der Besichtigung unterfertigten die Schwester der Klägerin und eine Vertretungsbefugte der Beklagten einen Mietvertrag über die Wohnung beginnend ab 30. März 2012. In einem Beiblatt zum Mietvertrag wurde festgehalten, dass die Wohnung unter Heranziehung beträchtlicher öffentlicher Mittel hinsichtlich Anlage und Ausstattung den besonderen Bedürfnissen körperbehinderten Menschen angepasst wurde und daher für die dauernde Nutzung durch Körperbehinderte bestimmt ist. Wörtlich hält das Beiblatt ua fest:

„Im Hinblick auf diese für die Vermieterin wichtige und bedeutsame Tatsache wird daher gemäß § 30 Abs 2 Z 13 Mietrechtsgesetz (MRG) folgende Vereinbarung geschlossen:

Im Fall des Ablebens des/der körperbehinderten Mieters/Mieterinnen oder im Fall des Verlassens der Wohnung durch diesen/diese (§ 12 Abs 1 und 2 MRG) wird das Eintritts- bzw Fortsetzungsrecht naher Angehöriger im Sinne des § 14 MRG bzw § 12 Abs 1 und 2 MRG ausgeschlossen.“

In den Jahren 2012 und 2013 wurden Arbeiten zur Brauchbarmachung der Wohnung als behindertengerechte Wohnung durchgeführt: So wurde etwa im April 2012 der Türstock im Abstellraum herausgerissen und in weiterer Folge erneuert. Ebenfalls im April 2012 wurde die Badewanne aus dem Badezimmer entfernt. Im Mai 2012 wurde die Türstaffel vor der Wohnungstür entfernt und das Postfach heruntergesetzt. Im September 2012 wurden die Balkontüren herausgerissen und neu eingesetzt (gemeint: verbreitert). Am 18. September 2012 wurde eine Holzrampe mit einer Länge von drei Metern zur Überwindung der Höhendifferenz bei den Balkonen ausprobiert. Die Errichtung einer Rampe mit drei Metern Rampenlänge lehnte die Klägerin wegen der zu starken Neigung als unbrauchbar ab. Bei einer Länge von drei Metern war aufgrund des Gefälles ein selbstständiges Befahren mit einem Rollstuhl nicht möglich. Bei einer Rampenlänge von drei Metern ergibt sich zur Überwindung einer Höhendifferenz von 30 cm eine Rampensteigung von 10 %. Um eine Rampensteigung von 6 % zu erreichen, müsste für die Überwindung einer Höhendifferenz von 30 cm die Rampe eine Länge von fünf Metern aufweisen. Durch die Errichtung einer solchen Rampe wäre aber aufgrund der räumlichen Gegebenheiten eine Benützung des Wohnraums stark beeinträchtigt.

Eine Zusage des bei der Beklagten beschäftigten Bautechnikers bzw des bei der Beklagten tätigen Werkmeisters, der während der Umbauarbeiten die Wohnung aufsuchte, dass auf alle Fälle eine selbstständige Befahrbarkeit der Loggia und der Balkone für die Klägerin hergestellt werde bzw die Zusage der Installation eines „Liftboys“ (einer automatischen Hebebühne) erfolgte nicht.

Um eine selbstständige Benützung der Balkone durch die Klägerin zu erreichen, ist der Einbau einer rollstuhlüberfahrbaren Außentür und der Umbau des Balkonbereichs auf eine Weise erforderlich, dass kein Niveauunterschied (einseitig) bzw ein maximal beidseitiger Niveauunterschied von zwei Zentimetern besteht.

Am 18. September 2013 beanstandete die Klagevertreterin unter Hinweis auf eine bereits am 1. April 2012 übermittelte Mängelliste die Nichtbenutzbarkeit der Balkone der Wohnung.

Die Beklagte lehnte die Durchführung dieser Arbeiten ab und wies in ihrem Antwortschreiben vom 23. September 2013 darauf hin, dass die Klägerin die Wohnung vor der Anmietung besichtigt und somit auch über deren Zustand Bescheid gewusst habe.

Nach rechtskräftiger Stattgebung des Begehrens der Klägerin auf Schaffung eines barrierefreien Zugangs zum Haus bereits im ersten Rechtsgang ist Gegenstand des Revisionsverfahrens das Begehren der Klägerin, die Beklagte sei schuldig, die von ihr gemietete Wohnung in einem behindertengerechten und rollstuhlgeeigneten Zustand dadurch zu versetzen, dass sie für den barrierefreien und ebenerdigen Zugang zu beiden Balkonen der Wohnung durch Einbau einer rollstuhlüberfahrbaren Außentüre unter gleichzeitigem Umbau des Balkonbereichs auf eine Weise zu sorgen hat, dass kein Niveauunterschied bzw ein maximaler beidseitiger Niveauunterschied von zwei Zentimetern besteht. Die nähere Beschreibung des zu schaffenden barrierefreien und ebenerdigen Zugangs zu beiden Balkonen wurde von der Klägerin unter Bezugnahme auf einschlägige, näher bezeichnete Vorschriften der ÖNORM B-1600 vorgenommen. Als Alternative zu dieser Art der Gebrauchsverschaffung begehrt die Klägerin den Einbau einer Rollstuhlhebebühne, die sie ebenfalls unter Bezugnahme auf einschlägige Bestimmungen der ÖNORM B-1600 näher beschrieb.

Sie brachte zusammengefasst vor, dass die Wohnung entgegen der Zusage eines behindertengerechten Zustands bei Übergabe zahlreiche Mängel aufgewiesen habe, darunter die Nichtbenutzbarkeit der Balkone aufgrund einer rund 30 cm hohen Schwelle. Die Wohnung sei ausdrücklich als „Behindertenwohnung“ angeboten und vermietet worden. Das zeige sich bereits durch die Sondervereinbarung zum Mietvertrag und den dort vereinbarten Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 13 MRG. Die Schwester der Klägerin sei – anders als die zuständigen Referenten der Beklagten – nicht mit den Anforderungen an eine behindertengerechte Wohnung vertraut. Die Beklagte habe die behindertengerechte Adaptierung und Mängelbehebung mehrmals ausdrücklich zugesichert.

Die Beklagte wandte ein, dass die Schwester der Klägerin die Wohnung bei der Besichtigung für in Ordnung befunden habe. Die Wohnung sei im Zuge der Errichtung der Wohnhausanlage im Jahr 1982 nach den damals geltenden Vorschriften für Personen mit Behinderung errichtet worden. Die Schwester der Klägerin sei ausdrücklich mit dem Zustand der Wohnung einverstanden gewesen. Eine Mängelbehebung in der von der Klägerin nun gewünschten Form sei nicht ausdrücklich zugesagt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang ab.

Zusätzlich zu den Eingangs wiedergegebenen Feststellungen stellte das Erstgericht folgenden Sachverhalt fest:

„Bei der Besichtigung (gemeint: vor Mietvertragsabschluss) wurde zwischen dem Bautechniker der Beklagten und der Schwester der Klägerin in Anwesenheit der Sozialarbeiterin Folgendes besprochen: Es wurde besprochen, dass die vorhandenen Balkontüren für die Bedürfnisse eines Rollstuhlfahrers zu schmal waren und daher von der Beklagten zu verbreitern sind. Der Bautechniker der Beklagten sagte, dass man im Zuge der erforderlichen Verbreiterung der Balkontüren versuchen werde, den Höhenunterschied zwischen der Loggia und der jeweiligen Balkontür zu minimieren. Der Bautechniker sagte ferner, dass die Beklagte eine Holzrampe in der Wohnung zum Erreichen der Balkone und zur Überwindung des nach Umbau der Tür noch vorhandenen Höhenunterschieds errichten würde.“

Das Erstgericht ging – unter Zugrundelegung der ihm im ersten Rechtsgang vom Berufungsgericht überbundenen Rechtsansicht – davon aus, dass der Mangel bei den Balkonen zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses offenkundig gewesen sei. Die Berechtigung des nun gestellten Vertragszuhaltungsbegehrens hätte daher eine Rüge spätestens bei Übergabe des Bestandobjekts erfordert. Zwar hätten Mitarbeiter der Beklagten die Errichtung einer bestimmten, für den konkreten Fall allerdings unzweckmäßigen Rampe zugesagt, eine auf welche Art immer herzustellende Zugänglichmachung der Balkone habe die Beklagte jedoch nicht zugesagt.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 5.000,–, nicht aber EUR 30.000,– übersteigt und erklärte die Revision mit der Begründung für zulässig, dass oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob bei Vermietung einer Behindertenwohnung die Tatsache, dass Flächen von untergeordneter Bedeutung, wie Loggien oder Balkone, für den Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe nicht befahrbar seien, vor dem Mietvertragsabschluss gerügt werden müsse.

Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, dass im ersten Rechtsgang bereits abschließend die Rechtzeitigkeit der Rüge der mangelhaften Zugangsmöglichkeit zu den Balkonen verneint worden sei. Diese Frage dürfe daher nun nicht mehr neu beurteilt werden. Das Verfahren im zweiten Rechtsgang habe sich gemäß dem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ausschließlich auf das Vorbringen der Klägerin zu beschränken, die behauptet habe, dass die Beklagte nach Mietvertragsabschluss eine Mängelbehebung ausdrücklich zugesagt habe. Aus diesem Grund könne und dürfe das Berufungsgericht auf die Ausführungen in der Berufung, wonach das Gespräch bei der Besichtigung vor Mietvertragsabschluss bereits zeige, dass über die Mängel an den Balkonen gesprochen worden sei, nicht eingehen.

Das Berufungsgericht erledigte zwar die Beweisrüge der Klägerin zur Feststellung des Erstgerichts, wonach eine ausdrückliche Zusage der Beklagten bezüglich einer selbstständigen Befahrbarkeit der Balkone bzw der Installation eines Liftboys nicht erfolgte und übernahm diese bekämpfte Feststellung. Auf die in der Berufungsbeantwortung enthaltene Beweisrüge der Beklagten, die die Feststellung bekämpft, dass bei der Besichtigung der Wohnung vor Mietvertragsabschluss besprochen wurde, dass die vorhandenen Balkontüren für die Bedürfnisse eines Rollstuhlfahrers zu schmal waren und daher von der Beklagten zu verbreitern sind, ging das Berufungsgericht jedoch nicht ein.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

In der Revision verweist die Klägerin darauf, dass die Beklagte die Wohnung ausdrücklich als behindertengerecht vermietet habe. Die Unterlassung einer Rüge könne in diesem Fall niemals zu einem Anspruchsverlust führen. Das Verhalten der Klägerin könne auch nicht als Verzicht auf den Vertragszuhaltungsanspruch oder als stillschweigende Genehmigung einer Vertragsänderung angesehen werden. Das zeige sich bereits am eigenen Verhalten der Beklagten, die im September 2012 die Balkontüren durch breitere Türen ersetzt habe. Dieses Verhalten lasse nur den Schluss zu, dass die Beklagte nach wie vor davon ausgehe, verpflichtet zu sein, der Klägerin auch in Ansehung der Balkone einen behindertengerechten Zugang zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist im Sinne einer Aufhebung der berufungsgerichtlichen Entscheidung auch berechtigt.

1. Das Berufungsgericht hat im ersten Rechtsgang einen – im Anlassfall mangels Ausspruchs der Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof unbekämpfbaren – Aufhebungsbeschluss gefasst und dem Erstgericht dabei die Rechtsansicht überbunden, dass die Unbenützbarkeit der Balkone für die Klägerin offenkundig gewesen sei und es daher einer Rüge bei Übergabe des Bestandobjekts bedurft hätte, die nicht erfolgt sei. Es sei daher im zweiten Rechtsgang lediglich zu prüfen, ob das Vorbringen der Klägerin zutreffe, wonach die Beklagte die Mängelbehebung ausdrücklich zugesagt habe.

2. Diese im ersten Rechtsgang vertretene Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, an die der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (RIS-Justiz RS0042168; zuletzt 1 Ob 43/15b), ist aus folgenden Überlegungen unzutreffend:

2.1 Bei nicht gehöriger Erfüllung (Verschaffung und Erhaltung des bedungenen oder nach den Umständen üblichen Gebrauchs) kann der Bestandnehmer nach seiner Wahl entweder auf Zuhaltung des Vertrags bestehen oder gemäß § 1117 ABGB vom Vertrag zurücktreten oder sich – zunächst – mit der ex lege eintretenden Zinsbefreiung bzw Zinsminderung begnügen (6 Ob 59/00w SZ 73/180 = RIS-Justiz RS0021457 [T3]; Würth in Rummel³ § 1096 ABGB Rz 2 mwN).

2.2 Maßgeblich dafür, ob der Mietgegenstand bei Übergabe mangelhaft war, ist primär die Parteienvereinbarung (RIS-Justiz RS0021044; 4 Ob 191/10g immolex 2011/64 [Prader]). Der Bestandgeber hat dem Bestandnehmer dabei grundsätzlich den Gebrauch und die Nutzung zu gewährleisten, die ausdrücklich nach dem Vertragszweck oder nach der Verkehrssitte bedungen sind. Im Zweifel gilt mittlere Brauchbarkeit als geschuldet (Pesek in Schwimann/Kodek V4 § 1096 ABGB Rz 5; RIS-Justiz RS0020926, RS0021054).

2.3 Im vorliegenden Fall wurde die Wohnung ausdrücklich als behindertengerechte Wohnung vermietet. Das ergibt sich, worauf die Klägerin zutreffend verweist, aus dem Beiblatt zum Mietvertrag, das die Wohnung ausdrücklich als Behindertenwohnung bezeichnet und aus diesem Grund das Eintritts- bzw Fortsetzungsrecht naher Angehöriger ausschließt.

2.4 Dass bei einer im Jahr 2012 ausdrücklich als behindertengerecht vermieteten Wohnung die zur Wohnung gehörigen Balkone bzw Loggien für auf den Rollstuhl angewiesene körperbehinderte Personen barrierefrei zugänglich sein müssen, wozu neben einer ausreichenden Breite der Balkontüren auch gehört, dass kein Niveauunterschied besteht, der es dem körperbehinderten Mieter unmöglich macht, ohne fremde Hilfe mit dem Rollstuhl auf den Balkon zu gelangen, bezweifelte die Beklagte in erster Instanz nur unter dem Gesichtspunkt, dass die nunmehrigen Vorgaben der ÖNORM B-1600 zum Zeitpunkt der Errichtung der Wohnhausanlage nicht galten und eine ausdrückliche Zusicherung der Beklagten, dass die Wohnung den Kriterien dieser ÖNORM entspreche, nicht gegeben wurde. Darauf kommt es aber nicht an, weil bereits nach allgemeiner Verkehrssitte eine freie Zugänglichmachung aller zur Wohnung gehörigen Teile für die körperbehinderte Person möglich sein muss, wenn die Wohnung – wie hier – ausdrücklich als „Behindertenwohnung“ vermietet wurde. Welche konkrete Behinderung die Klägerin aufwies, dass sie also auf den Rollstuhl angewiesen ist, war der Beklagten - die schon bisher Vermieterin der Klägerin war - aus den Vorgesprächen mit der Vertreterin der Klägerin, ihrer Schwester, bekannt.

2.5 Nun trifft es zu, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Zinsminderung bzw Zinsbefreiung dann ausgeschlossen ist, wenn der Mieter in Kenntnis des bestehenden Mangels den Mietvertrag ohne Vorbehalte geschlossen hat. In den Entscheidungen 4 Ob 191/10g (immolex 2011/64 [Prader]) und 3 Ob 47/13b wurde klargestellt, dass es sich entgegen einzelner älterer Entscheidungen dabei nicht um einen „Verzicht“ auf den Gewährleistungsanspruch handelt, sondern darum, dass die (teilweise) Unbrauchbarkeit Vertragsinhalt wird, wenn den Parteien bei Vertragsschluss bewusst war, dass das Mietobjekt ganz oder teilweise unbrauchbar ist. Die Leistung des Vermieters ist in diesem Fall vertragskonform, ein (subjektiver) Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts liegt von vornherein nicht vor (so auch Pesek in Schwimann/Kodek V4 § 1096 ABGB Rz 11, 108; im Ergebnis ebenso Würth in Rummel3 § 1096 ABGB Rz 2, der darauf verweist, dass anstelle eines „Verzichts“ auf Gewährleistungsansprüche besser von einer Genehmigung einer Vertragsänderung auszugehen sei).

2.6 Welchen Vertragsinhalt die Parteien vereinbarten, hängt aber entgegen der vom Berufungsgericht im ersten Rechtsgang vertretenen Auffassung nicht von einem Verhalten des Mieters bei bzw nach Übergabe ab. Darauf, ob die Mieterin den fehlenden barrierefreien Zugang zu den Balkonen der Wohnung bei Übergabe rügte, kommt es daher nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob der vorhandene und offenkundige Mangel von der Vertreterin der Klägerin akzeptiert wurde, ob sie also trotz Vermietung der Wohnung als Behindertenwohnung damit einverstanden war, dass die Klägerin Teile der vermieteten Wohnung nicht selbstständig ohne fremde Hilfe (bzw vor Verbreiterung der Balkontüren in Wahrheit mit dem Rollstuhl gar nicht) benützen kann. Dafür ist aber relevant, ob und welche Gespräche dem Vertragsabschluss vom 29. März 2012 vorangingen.

2.7 Zu diesem Thema hat das Erstgericht die Feststellung getroffen, dass vor Mietvertragsabschluss bei Besichtigung der Wohnung besprochen wurde, dass die vorhandenen Balkontüren den Bedürfnissen eines Rollstuhlfahrers entsprechend zu verbreitern sind, wobei der Mitarbeiter der Beklagten sagte, dass man versuchen werde, den Höhenunterschied zu minimieren. Diese Feststellung rügte die Beklagte in ihrer Berufungsbeantwortung. Das Berufungsgericht ging auf die Beweisrüge in der Berufungsbeantwortung nicht ein, und zwar erkennbar deshalb, weil es die Auffassung vertrat, dass es – entsprechend seiner im ersten Rechtsgang geäußerten Rechtsansicht – nur darauf ankomme, ob die Beklagte nach Mietvertragsabschluss eine Mängelbehebung zusagte. Sei das nicht der Fall, sei das Klagebegehren abzuweisen.

Da allerdings gerade die Gespräche vor Mietvertragsabschluss maßgeblich für die Beurteilung sind, ob die Schwester der Klägerin den mangelbehafteten Zustand bezüglich der Balkontüren als Vertragsinhalt akzeptierte oder nicht, ist diese Feststellung entscheidungserheblich: Die Klägerin hat von allem Anfang an vorgebracht, die Beklagte habe ihr eine Behindertenwohnung vermietet, sie sei somit verpflichtet, einen barrierefreien Zugang auch zu den Balkonen herzustellen. Unter diesen Umständen sind aber die Feststellungen zu den Gesprächen vor Vertragsabschluss über den Vertragsgegenstand nicht nur nicht überschießend, sondern zentrales Prozessthema. Erweisen sich nämlich die vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen als zutreffend, übernimmt somit das Berufungsgericht nach Erledigung der Beweisrüge diese Feststellungen, ergibt sich daraus rechtlich, dass die Schwester der Klägerin die offenkundigen Mängel bezüglich beider Balkone nicht billigend in Kauf nahm. Dabei kommt es – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Beklagten – auch nicht darauf an, dass die Beklagte weder vor noch nach Mietvertragsabschluss ausdrücklich eine Mängelbehebung zusicherte: Wird eine Wohnung ausdrücklich als Behindertenwohnung vermietet, besteht eine vertragliche Verpflichtung des Vermieters zur Herstellung eines barrierefreien Zugangs zu den mitvermieteten Balkonen unabhängig von einer vor oder nach Mietvertragsabschluss erfolgten ausdrücklichen Zusicherung der Mängelbehebung.

3. Daraus folgt zusammengefasst, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben ist. Das Berufungsgericht hat die in der Berufungsbeantwortung erhobene Beweisrüge der Beklagten zu erledigen. Übernimmt es die bekämpfte Feststellung, ist das Zuhaltungsbegehren, das der Beklagten die Wahl gibt, den barrierefreien Zugang zu den Balkonen durch bestimmte bauliche Maßnahmen oder durch Einbau einer Rollstuhlhebebühne zu schaffen, berechtigt.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Leitsätze

  • Zu mitvermieteten Balkonen bei einer als behindertengerecht vermieteten Wohnung

    Im Falle, dass ein Mietgegenstand ausdrücklich als „behindertengerechte Wohnung“ bezeichnet wird, müssen schon nach allgemeiner Verkehrssitte alle zur Wohnung gehörigen Teile für die körperbehinderte Person frei zugänglich sein. Dies gilt nicht, wenn der Mieter in Kenntnis des bestehenden Mangels den Mietvertrag vorbehaltslos geschlossen hat.
    WEKA (ato) | Judikatur | Leitsatz | 3 Ob 185/15z | OGH vom 14.10.2015 | Dokument-ID: 796939