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Kündigung des Mietgegenstands wegen gänzlicher Weitergabe
Gastautor Mag. Roman Reßler beschäftigt sich in seinem Beitrag mit einem aktuellen OGH-Judikat zur Kündigung eines Mietgegenstandes wegen gänzlicher Weitergabe ohne Bedarf in naher Zukunft für sich oder eintrittsberechtigte Personen.
Rechtsgrundlagen:
§ 30 Abs 2 Z 4, § 33 Abs 1 MRG, § 502 Abs 1 ZPO,
OGH 15.05.2012, 3 0b 69/12m
Sachverhalt:
Ein Mieter verbüßt infolge eines rechtskräftig ergangenen Urteils eine Haftstrafe von 20 Jahren.
Infolgedessen gibt er den Mietgegenstand zur Gänze weiter. Gestützt auf die Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG brachte die vermietende Partei, eine Genossenschaft, eine gerichtliche Aufkündigung nach § 33 Abs 1 MRG gegen den Mieter ein und begründete dies im Wesentlichen damit, dass durch die Verhängung einer rechtskräftigen Haftstrafe von 20 Jahren, der Mieter den Mietgegenstand offenbar in naher Zukunft nicht für sich oder Eintrittsberechtigte benötige.
Die Vorinstanzen erklärten die aufgrund § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG gestützte Aufkündigung für rechtswirksam, weil in Folge der Verbüßung einer rechtskräftig verhängten Haftstrafe von 20 Jahren von einem dringenden Wohnbedürfnis des Mieters oder eintrittsberechtigten Personen nicht ausgegangen werden kann.
Dagegen erhob der Mieter einen außerordentlichen Revisionsrekurs und begründete diesen damit, dass es an einer Rechtsprechung fehle, ob die Abwesenheit infolge Verbüßung einer 20jährigen Haftstrafe die von der Judikatur entwickelten Kriterien für das dringende Wohnbedürfnis „offenbar in naher Zeit“ erfülle. Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht wies die außerordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück.
Rechtliche Beurteilung:
Unter „Weitergabe“ ist jede entgeltliche oder unentgeltliche Gebrauchsüberlassung zu verstehen. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ist der Zeitpunkt dieser Weitergabe des Mietgegenstandes (Miet Slg 43.259). Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG wäre trotz Weitergabe nicht gegeben, wenn der Mieter nachweist, dass er oder einrittsberechtigte Personen offenbar in naher Zeit einen dringenden Bedarf am Mietgegenstand haben. Bei eintrittsberechtigten Personen müssen diese zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 14 Abs 3 MRG auch ein dringendes Wohnbedürfnis haben, damit der Kündigungsgrund als nicht verwirklicht gilt.
Hat der Eintrittsberechtigte ein eigenes Haus, schließt dies zwar das Wohnbedürfnis aus, kann jedoch im Einzelfall bejaht werden, wenn die andere Wohnmöglichkeit an einem anderen Ort liegt und die Anwesenheit des Eintrittsberechtigen am Ort der aufgekündigten Wohnung erforderlich ist. Dabei ist grundsätzlich auf die Zumutbarkeit der Benützung der anderen Wohnmöglichkeit abzustellen (Miet Slg 45.389).
Bei der Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Weitergabe des Mietgegenstandes ist eine Zukunftsprognose darüber zu erstellen, ob der Mieter den Mietgegenstand offenbar auch in naher Zukunft für sich oder eine eintrittsberechtigte Person dringend benötigt. Dabei kann die Beurteilung nicht von Ereignissen abhängen, welche selbst auch für den Mieter unvorhersehbar waren bzw nach Weitergabe des Mietgegenstandes oder erst nach Zustellung der Aufkündigung eingetreten sind (Miet Slg 48.348, 45.398).
Unter dem Begriff „offenbar in naher Zeit“ wird ein konkreter zukünftiger Bedarf verstanden, wobei das Hauptaugenmerk dabei nicht so sehr auf den Zeitraum sondern auf die gesicherte Zukunftsprognose gelegt wird. Dabei kann nach Ansicht des OGH das Tatbestandsmerkmal „offenbar in naher Zeit“ auch durch Zeiträume, welche ein Jahr erheblich übersteigen, verwirklicht werden (1 Ob 179/04 m).
Kein schutzwürdiges Interesse besteht bei bloß unbestimmten und unsicheren Möglichkeiten eines künftigen Bedarfs. Die Beweispflicht dafür, dass die Wohnung in naher Zukunft benötigt wird, trifft jedenfalls den Mieter. Im gegenständlichen Fall ist die Situation des aufgekündigten Mieters dadurch gekennzeichnet, dass auf lange Sicht aufgrund einer rechtskräftig verhängten 20jährigen Freiheitsstrafe von der er vom maßgeblichen Zeitpunkt der Weitergabe bzw der Aufkündigung erst einen geringen Teil verbüßt hat, in keiner Weise absehbar ist, ob er die von ihm aufgegebene Wohnung wieder zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses benötigen wird.
Nach Ansicht des Höchstgerichtes ist weder das genaue Haftende einschätzbar, noch der Gesundheitszustand oder die sonstigen Lebensumstände.
Hinzuzufügen ist, dass der Mieter zum Zeitpunkt des Haftantrittes bereits 62 Jahre alt war.
uch die vom Mieter ins Treffen geführten Vorentscheidungen haben stets unvergleichlich kürzere Prognosezeiträume zum Gegenstand, weshalb die Voraussetzungen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG als gegeben anzusehen sind.
Fazit:
Die im Zusammenhang mit der gänzlichen Weitergabe, ohne Bedarf in naher Zukunft für sich oder eintrittsberechtigte Personen zu prüfende Zukunftsprognose, ist im Einzelfall nicht einfach zu beantworten. Vor allem bei beruflichen Abwesenheiten wegen Ausbildungsdauer sind insbesondere die Hintergründe einer genauen Prüfung zu unterziehen.
Im gegenständlichen Fall ist aufgrund der langen Haftdauer keinesfalls absehbar, wann tatsächlich der Beklagte, die von ihm aufgegebene Wohnung jemals wieder benötigen wird, weshalb der Entscheidung des Höchstgerichtes vorbehaltslos zugestimmt werden kann.
Autor:
Mag. Roman Reßler ist Rechtsberater im Zentralverband der Hausbesitzer von Wien. Schon während seines Studiums war er als Eigentümer von Liegenschaften mit Fragen des Miet- und Wohnrechts beschäftigt. Nach Absolvierung des rechtswissenschaftlichen Studiums und des Gerichtsjahres mit dem Schwerpunkt „Wohnrecht“ sammelte er weitere praktische Erfahrungen in einer Hausverwaltung. Im Jahre 2001 begann er seine Tätigkeit als Rechtsberater im Zentralverband der Hausbesitzer von Wien, wo er für die persönliche Mitgliederberatung verantwortlich ist.
Neben seiner Tätigkeit als Rechtsberater verfasst er auch juristische Fachartikel in der monatlich erscheinenden Mitgliederzeitung „Haus & Eigentum“.