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5 Ob 193/11k; OGH; 14. Februar 2012
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. Irina H*****, vertreten durch Gabler Gibel & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. DI René K***** und 3. Mag. M***** K*****-M*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Gunther Weichselbaum, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner MMag. Dr. Peter M*****, vertreten durch Haslinger, Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen § 52 Abs 1 Z 1 iVm § 9 Abs 2 WEG 2002, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Mai 2011, GZ 38 R 272/10x-30, mit dem infolge Rekurses der Antragsteller der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. Oktober 2010, GZ 20 Msch 22/09a-20, bestätigt wurde, den
Sachbeschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsteller haben die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung
Die Parteien sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ 2618 GB ***** (Grundstücksadresse *****). Hinsichtlich sämtlicher Miteigentumsanteile ist die Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum gemäß § 40 Abs 2 WEG 2002 angemerkt. Zum Zweck der Wohnungseigentumsbegründung hat die Erstantragstellerin ein Nutzwertgutachten des staatlich befugten und beeideten Zivilingenieurs Arch. DI Christoph F***** vom 20.02.2009 eingeholt.
Die Antragsteller begehren die gerichtliche Nutzwertfestsetzung gemäß § 9 Abs 2 WEG 2002 (gemeint: im Sinn des bereits vorliegenden, von der Erstantragstellerin eingeholten Privatgutachtens). Dieses Gutachten sei richtig und entspreche den gesetzlichen Voraussetzungen. Der Antragsgegner widersetze sich der Wohnungseigentumsbegründung wegen einer „Trittschallproblematik“ und behaupte, das von der Erstantragstellerin eingeholte Gutachten verstoße gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung und weiche bei zumindest einem Wohnungseigentumsobjekt um mehr als 3 vH von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Die Antragsteller müssten gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, weil andernfalls die Wohnungseigentumsbegründung dauerhaft scheitern würde.
Der Antragsgegner beantragte Antragszurückweisung, in eventu die Nutzwertfestsetzung unter Berücksichtigung seiner Einwände. Ihm seien bislang mehrere Entwürfe eines Nutzwertgutachtens präsentiert worden. Diese seien unrichtig, weil von Flachdächern anstellen ausgegangen werde, wo solche nicht existierten. Hinsichtlich top 6 sei ein unrichtiger Ausführungsplan herangezogen worden. Zweit- und Drittantragsteller hätten den Dachbodenausbau nicht wie eingereicht und bewilligt, sondern wesentlich größer vorgenommen. Sollte dabei das Naturmaß nur um 1 m² von den bekannt gegebenen Maßen abweichen, wäre die Grenze von 3 vH, ab welcher eine Berücksichtigung im Nutzwertgutachten zu erfolgen hätte, überschritten. Er sei an einer sachlichen Lösung – auch der „Trittschallproblematik“ – interessiert und habe dazu auch konkrete Vorschläge erstattet.
Das Erstgericht wies mit seinem Sachbeschluss den Nutzwertfestsetzungsantrag ab. Das ursprünglich der Schlichtungsstelle vorgelegte private Nutzwertgutachten sei nicht unterfertigt gewesen. Das im gerichtlichen Verfahren vorgelegte – unterfertigte – Gutachten sei eine unzulässige Antragserweiterung. Im Übrigen strebten die Antragsteller keine abweichende Nutzwertfestsetzung an, sondern beschränkten sich darauf, jene Gründe anzuführen, aufgrund derer das Nutzwertgutachten nach Ansicht des Antragsgegners unrichtig sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge. Selbst für den Fall, dass das private Nutzwertgutachten iSd § 9 Abs 1 WEG 2002 bisher noch nicht Grundlage einer Einverleibung gewesen sei, habe der Oberste Gerichtshof in 5 Ob 144/03t (wobl 2005/4 [krit T. Hausmann] = immolex 2004/171 [zust Ortner] = MietSlg 55.459 = ecolex 2004/242) klargestellt, dass eine Nutzwertfestsetzung durch das Gericht bzw die Schlichtungsstelle nach § 9 Abs 2 WEG 2002 zulässig sei. Ein solcher Antrag setze allerdings voraus, dass die Voraussetzungen für eine Nutzwertfestsetzung nach § 9 Abs 2 WEG 2002 schlüssig behauptet würden; dies sei hier jedoch nicht der Fall, stünden doch die Antragsteller auf dem Standpunkt, dass im eingeholten privaten Gutachten die Nutzwertermittlung zutreffend erfolgt sei. Eine Festsetzung der Nutzwerte gerade entsprechend dem bereits vorliegenden privaten Nutzwertgutachten sehe das Gesetz aber nicht vor.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 10.000,– übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob auch ein unschlüssiger Antrag als Verfahrensvoraussetzung einer Regelungsstreitigkeit zu einer inhaltlichen Prüfung einer allenfalls in Betracht kommenden Nutzwertfestsetzung zu führen habe, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs – soweit überblickbar – fehle.
Gegen den Sachbeschluss des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Antragssteller wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Stattgebung des verfahrenseinleitenden Sachantrags. Hilfsweise stellen die Antragsteller auch einen Aufhebungsantrag.
Der Antragsgegner beteiligte sich am Revisionsrekursverfahren nicht.
Die Antragsteller machen in ihrem Revisionsrekurs – zusammengefasst – geltend, dass es im vorliegenden Fall um die Frage gehe, wie vorzugehen sei, wenn ein Miteigentümer ein privates Nutzwertgutachten iSd § 9 Abs 1 WEG 2002 einhole, mit welchem sich der andere Teil inhaltlich nicht einverstanden erkläre. In 5 Ob 144/03t habe der Oberste Gerichtshof einen Fall beurteilt, in dem ein Miteigentümer ein privates Nutzwertgutachten und ein weiterer Miteigentümer ebenfalls ein privates Nutzwertgutachten iSd § 9 Abs 1 WEG 2002 eingeholt habe, wobei die beiden Gutachten einen unterschiedlichen Inhalt aufgewiesen hätten. Für letztgenannte Fallkonstellation habe der Oberste Gerichtshof in 5 Ob 144/03t eine Antragstellung auf gerichtliche Nutzwertfestsetzung nach § 9 Abs 2 WEG 2002 für zulässig erachtet. Im vorliegenden Fall könne nichts anderes gelten. Die gerichtlich festgesetzten Nutzwerte seien sodann dem Wohnungseigentumsvertrag zugrunde zu legen und notfalls müsste die Vertragsunterfertigung mit Klage erzwungen werden. Bei klageweiser Geltendmachung der Unterfertigung eines Wohnungseigentumsvertrags auf Basis des privat eingeholten Nutzwertgutachtens würde für den Kläger die Klärung der Frage, ob dieses Gutachten durch einen Gerichtssachverständigen bestätigt werde, eine unzumutbare Belastung darstellen. Würde nämlich der Gerichtssachverständige zum Ergebnis kommen, dass das Privatgutachten unrichtig sei, müsste der Antragsgegner als Beklagter den Wohnungseigentumsvertrag nicht unterfertigen und die Klage wäre abzuweisen. Eine gerichtliche Nutzwertfestsetzung iSd § 9 Abs 2 WEG 2002 müsse daher auch dann zulässig sein, wenn ein Nutzwertgutachten von einem Miteigentümer – hier der Antragstellerseite – eingeholt worden und der andere Teil – hier der Antragsgegner – nicht bereit sei, das Nutzwertgutachten der Wohnungseigentumsbegründung zugrunde zu legen.
Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Mit dem „Bundesgesetz, mit dem Regelungen über den Erwerb von Rechten an Gebäuden und Wohnungen von Bauträgern getroffen werden (Bauträgervertragsgesetz – BTVG) und das Wohnungseigentumsgesetz 1975 geändert wird“, BGBl I 1997/7, erfolgte (ua) durch die Novellierung (Neufassung) des § 3 WEG 1975 die so genannte „Privatisierung“ der Nutzwertberechnung.
1.2. Nach § 3 Abs 1 WEG 1975 waren die Nutzwerte von einem für den Hochbau zuständigen Ziviltechniker oder von einem allgemein beeideten gerichtlichen Sachverständigen für das Hochbau- oder das Immobilienwesen zu berechnen; dessen Gutachten ist - abgesehen von den Fällen der Festsetzung der Nutzwerte durch das Gericht (§ 3 Abs 2 WEG 1975) - der Einverleibung des Wohnungseigentums zugrunde zu legen. Gemäß § 3 Abs 2 WEG 1975 war der Nutzwert vom Gericht auf Antrag insbesondere dann festzusetzen, wenn die dort in Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen vorlagen. Zum Antrag auf Festsetzung der Nutzwerte nach § 3 Abs 2 Z 1, 1a oder 3 WEG 1975 waren nach § 4 Abs 1 WEG 1975 jeder Miteigentümer (Wohnungseigentümer) der Liegenschaft und jeder Wohnungseigentumsbewerber berechtigt. Zur Antragstellung auf Festsetzung der Nutzwerte nach § 3 Abs 2 Z 2 waren nur und nur gemeinsam die Wohnungseigentümer berechtigt, die die betreffende Änderung oder die Übertragung durchführten.
1.3. In den ErläutRV (312 BlgNR 20. GP 27 f) heißt es zur Änderung des § 3 WEG 1975 auszugsweise:
„Durch die neue Regelung des § 3 Abs 1 wird die Begründung von Wohnungseigentum für Wohnungseigentumsorganisatoren und Wohnungseigentumsbewerber wesentlich vereinfacht, da die bisherigen Nutzwertfestsetzungsentscheidungen der Gerichte sowie der Gemeinden (§ 36 Abs 3) - von den im § 3 Abs 2 angeführten Ausnahmen abgesehen - durch die in Form eines Gutachtens zu erstellende Nutzwertberechnung eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers ersetzt werden. Darüber hinaus bewirkt der Entfall der Verfahren nach § 3 Abs 1 (derzeitige Fassung) eine bedeutende Entlastung der bisher mit der Durchführung dieser Verfahren betrauten Gerichte und Schlichtungsstellen der Gemeinden; diese Maßnahme stellt daher eine bedeutende 'Deregulierung' der der Begründung des Wohnungseigentums vorangehenden Abläufe dar.
…
Nach der derzeitigen Rechtslage kann in den vom Gericht oder der Gemeinde durchzuführenden Nutzwertfestsetzungsverfahren die Unrichtigkeit des in diesen Verfahren erstatteten Sachverständigengutachtens eingewendet werden. Durch den Entfall dieser Verfahren muß daher auf andere Weise dem Rechtschutzbedürfnis der Betroffenen Rechnung getragen werden, allfällige Fehler, die dem Sachverständigen in dessen Gutachten unterlaufen sind, beheben zu können. Durch die neue Z 1 des § 3 Abs 2 soll nun eine nachträgliche Richtigstellung der Nutzwerte unter der Voraussetzung ermöglicht werden, daß das Gutachten des Ziviltechnikers wesentlich (um mehr als 3 vH) von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht. Die Antragstellung nach § 3 Abs 2 Z 1 in der Fassung des vorliegenden Gesetzesentwurfes wird allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit mit einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem erstmals die Einverleibung von Wohnungseigentum bewilligt wurde, befristet; eine andere Regelung würde dazu führen, daß die Frage der Richtigkeit der Nutzwertberechnung laufend wiederaufgerollt werden könnte.“
1.4. Zur Novellierung des WEG 1975 durch das BTVG s auch Call, Die Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes 1975 im Rahmen des Bauträgervertragsgesetzes – ein Überblick, wobl 1997, 5; Stabentheiner, Die Privatisierung der Nutzwertbestimmung, immolex 1997, 21 sowie Derbolav, 8 Thesen zur „Privatisierung“ des Nutzwertverfahrens, wobl 1997, 210.
1.5. Schon für die Auflistung jener Fälle, in denen nach § 3 Abs 2 WEG 1975 die Nutzwertfestsetzung durch das Gericht erfolgen konnte, galt, dass es sich dabei um eine demonstrative Aufzählung handelte, die die seinerzeitige Rechtsprechung um bestimmte andere Fälle erweiterte (s die Nachweise bei Ofner in Schwimann IV², § 3 WEG 1975 Rz 7 f).
2.1. Die Regelungen des § 3 WEG 1975 wurden mit § 9 WEG 2002 weitestgehend übernommen und damit blieb es auch bei der grundsätzlichen Trennung zwischen „privater“ und „behördlicher“ Nutzwertfestsetzung (5 Ob 16/06y NZ 2006/659 [GBSlg; Hoyer]). Nach § 9 Abs 1 WEG 2002 sind ebenfalls die Nutzwerte durch das Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbau- oder das Immobilienwesen zu ermitteln. Gemäß § 9 Abs 2 WEG 2002 sind die Nutzwerte auf Antrag vom Gericht insbesondere dann abweichend vom Nutzwertgutachten (Abs 1) festzusetzen, wenn (Z 1) das Gutachten gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung verstößt, (Z 2) das Gutachten bei einem Wohnungseigentumsobjekt um mehr als 3 vH von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht, (Z 3) sich der Nutzwert eines Wohnungseigentumsobjekts durch eine gegenüber den Grundlagen der Nutzwertermittlung abweichende Bauführung um mehr als 3 vH ändert, (Z 4) sich der Nutzwert eines Wohnungseigentumsobjekts nach Vollendung der Bauführung durch bauliche Vorgänge auf der Liegenschaft wesentlich ändert oder (Z 5) sich die Nutzwerte durch Änderungen im Bestand räumlich unmittelbar aneinandergrenzender Wohnungseigentumsobjekte oder durch die Übertragung von Zubehörobjekten iSd § 2 Abs 3 WEG 2002 ändern.
2.2.1. Zu § 9 WEG 2002 vertritt Würth (in Rummel³, § 9 WEG Rz 2), die Auffassung dass Abs 2 leg cit die Nutzwertfestsetzung durch das Gericht (die Schlichtungsstelle gem § 52 Abs 3 WEG 2002) nur mehr als Abänderung eines bereits vorliegenden Nutzwertgutachtens oder einer früheren Entscheidung des Gerichts/der Schlichtungsstelle vorsehe.
2.2.2. T. Hausmann (in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 9 WEG Rz 27) vertritt die Meinung, dass nach dem (in der Entlastung der Behörden zu erblickenden) Zweck der mit dem BTVG 1997 erfolgten Privatisierung der Nutzwertberechnung eine Überprüfung eines privaten Gutachtens durch das Gericht bzw die Schlichtungsstelle – ehe dieses Grundlage einer Einverleibung im Grundbuch wurde – nicht infrage kommen sollte. Er kritisiert dabei die in 5 Ob 144/03t (wobl 2005/4 [krit T. Hausmann] = immolex 2004/171 [zust Ortner] = MietSlg 55.459 = ecolex 2004/242) vertretene Ansicht, wonach eine gerichtliche Nutzwert-(neu-)festsetzung wegen der „möglichst uneingeschränkten Überprüfbarkeit der Nutzwertgutachten“ schon vor Einverleibung des Wohnungseigentums im Grundbuch begehrt werden könne (idS schon Derbolav, wobl 1997, 210 [4. These] und folgend wohl auch der Gesetzgeber in den ErläutRV zur WRN 2006 BGBl I 2006/124 [1183 BlgNR XXII. GP 13 f], mit welcher durch Anfügung des § 9 Abs 6 WEG 2002, die „Privatisierung“ der Nutzwertfestsetzung noch einen Schritt weitergeführt wurde).
3. In besagter Entscheidung 5 Ob 144/03t wollte der Antragsteller gerichtlich klären lassen, was rechtens sei, wenn zwei einander widersprechende Nutzwertgutachten vorliegen. Der erkennende Senat hat damals das Begehren des Antragstellers nicht dahin verstanden, dass dieser die gerichtliche Bestätigung der Nutzwertberechnung „seines“ Sachverständigen, sondern die Änderung einer vorliegenden privaten Nutzwertberechnung, nämlich jener des Antragsgegners, gestützt auf § 9 Abs 2 Z 1 WEG 2002, begehrte; unter diesen Umständen wurde in 5 Ob 144/03t die Möglichkeit der gerichtlichen Nutzwertfestsetzung bejaht.
4. In 5 Ob 16/06y (SZ 2006/27) hat der Oberste Gerichtshof allerdings betont, dass § 9 Abs 1 WEG 2002 die (erstmalige) Ermittlung der Nutzwerte ausschließlich durch Gutachten eines privaten Sachverständigen vorsehe und damit ebenso wie die Vorgängerbestimmung des § 3 Abs 1 WEG 1975 eine Alternative zur Anrufung des Gerichts/der Schlichtungsstelle bei erstmaliger Festsetzung der Nutzwerte ausschließe. § 9 Abs 2 WEG 2002 behandle die Neufestsetzung der Nutzwerte durch das Gericht/die Schlichtungsstelle nach erfolgter erstmaliger Wohnungseigentumsbegründung aufgrund eines privaten Gutachtens.
5. Ein Fall, welcher mit dem in 5 Ob 144/03t behandelten Sachverhalt vergleichbar wäre, liegt hier jedenfalls nicht vor:
Hier existiert (nur) ein Nutzwertgutachten, von dem (gerade) die Antragsteller behaupten, dass es den gesetzlichen Anforderungen entspreche, welches aber der Antragsgegner nicht anerkennen wolle, weil er (subjektiv) dessen Richtigkeit bezweifle und überdies nutzwertfremde Aspekte („Trittschallproblematik“) geregelt haben wolle. Nun trifft es zweifellos zu, dass § 9 Abs 2 WEG 2002 lediglich eine demonstrative Aufzählung jener Fälle enthält, die die Möglichkeit einer gerichtlichen Nutzwertfestsetzung eröffnen. Dabei handelt es sich allerdings um sachlich genau umrissene Fälle, in denen schwere Fehler des privaten Nutzwertgutachtens oder wesentliche Änderungen der Verhältnisse vorliegen, die massive Defizite der vorhandenen Nutzwertfestsetzung nahelegen. Dem kann der vorliegende Fall, in dem (lediglich) ein Miteigentümer subjektive und von ihm nicht weiter objektivierte Bedenken gegen das vorliegende Nutzwertgutachten geltend macht, nicht gleichgehalten werden. Wollte man bereits in derartigen Fällen die gerichtliche Überprüfung eines eingeholten Nutzwertgutachtens über Antrag des Auftraggebers des Gutachtens eröffnen, dann wäre die vom Gesetzgeber angestrebte „Privatisierung“ der Nutzwertfestsetzung kaum mehr zu verwirklichen und die Möglichkeit der gerichtlichen Nutzwertfestsetzung ohne spezifische sachliche Voraussetzungen praktisch schrankenlos eröffnet. Ein solches Regelungsverständnis würde zunächst dem Zweck der mit dem BTVG 1997 beabsichtigten Privatisierung der Nutzwertberechnung widersprechen. Überdies würden sich die in § 9 Abs 2 WEG 2002 detailliert geregelten Voraussetzungen der gerichtlichen Nutzwertfestsetzung erübrigen, wenn dafür bereits der Überprüfungswunsch des Auftraggebers des privaten Gutachtens ausreichte.
6. Voraussetzung für die Einverleibung des Wohnungseigentums ist im gegebenen Zusammenhang der Abschluss eines Wohnungseigentumsvertrags (Würth in Rummel³, § 3 WEG 2002 Rz 3; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 3 WEG insb Rz 10) und die Nutzwertermittlung durch ein Gutachten iSd § 9 Abs 1 WEG 2002. Die Nutzwertermittlung nach § 9 Abs 1 WEG 2002 liegt hier vor. Der Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags wird im Fall ungerechtfertigter Weigerung des Antragsgegners im Streitverfahren erzwungen werden müssen.
Dem Revisionsrekurs ist demnach der Erfolg zu versagen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 2 WEG 2002, § 37 Abs 2 Z 17 MRG.
Leitsätze
-
Gerichtliche Nutzwertfestsetzung gemäß § 9 Abs 2 WEG 2002
Den wesentlichen Defiziten einer Nutzwertfestsetzung, die eine erneute gerichtliche Festsetzung gemäß § 9 Abs 2 WEG 2002 ermöglichen, sind subjektive Bedenken eines Miteigentümers gegen ein bestehendes Nutzwertgutachten nicht gleichzusetzen.Lisa Korninger | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 193/11k | OGH vom 14.02.2012 | Dokument-ID: 423894