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11.11.2020 | Arbeitssicherheit & Brandschutz | ID: 1077241

Aktuelle OGH-Entscheidung zur Auslegung von Umziehzeiten der Dienstkleidung

Johann Schöffthaler

Gastautor Johann Schöffthaler, MA, erläutert eine wichtige neue OGH-Entscheidung zur Frage, was ausschlaggebend ist, ob die Umziehzeit zur Arbeitszeit zählt. Die Entscheidung kann weitreichende Konsequenzen für Unternehmen nach sich ziehen.

EUGH C-266/14 vom September 2015 und OGH 9 ObA 13/20g vom Mai 2020

Zauberwort „Fremdbestimmung“

Die folgende zitierte Aussage des OGH wird und hat große Auswirkungen für die Arbeitszeiterfassung der meisten Betriebe in Österreich in Zukunft, da diese Aussage einen Richtungswechsel der bisherigen Judikatur in Österreich darstellt:

Das Kriterium der Fremdbestimmung durch den Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer in der Gestaltung seiner Zeit nicht autonom im Rahmen seiner Selbstbestimmungsmöglichkeit agiert, sondern für den Arbeitgeber Handlungen setzt, die nicht Ausfluss seiner eigenen Gestaltung sind (vgl 9 ObA 8/18v Pkt 1.2. ff), kann grundsätzlich als entscheidendes Merkmal herangezogen werden, um den Zeitaufwand für eine bestimmte Tätigkeit des Arbeitnehmers als Freizeit oder als Arbeitszeit zu qualifizieren. Demnach können notwendige Umkleidezeiten im Betrieb des Arbeitgebers, die nicht im eigenen – der Privatsphäre zugehörenden – Gestaltungsbereich des Arbeitnehmers liegen, sondern darauf zurückzuführen sind, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Tragen einer bestimmten (hier von der Arbeitgeberin zudem zur Verfügung gestellten) Dienstkleidung arbeitsvertraglich verpflichtet, dann Arbeitszeit iSd § 2 Abs 1 Z 1 AZG sein, wenn mit diesen Handlungen ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung gegeben ist, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den Arbeitgeber zu bejahen ist (9 ObA 29/18g Pkt 5.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.C.). Der Arbeitnehmer erbringt zwar noch nicht seine „Kernarbeitsleistung“, steht dem Arbeitgeber aber in dem Sinn zur Verfügung, dass er seiner Anordnung Folge leistet (vgl 9 ObA 8/18v Pkt 1.4.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.B.).“ (sic!)

Wichtige Kernaussage der Entscheidung

Wenn ein oder eine Arbeitgeber/in Dienstkleidung, bei der aufgrund der Beschriftung, Logo oder Farbgestaltung erkennbar ist für wen man arbeitet, zur Verfügung stellt und ein Tragen während der Arbeitszeit verlangt, ist das Fremdbestimmung! Somit ist es nicht zumutbar diese Dienstkleidung im Privatbereich an- und auszuziehen bzw in der Öffentlichkeit zu tragen. Das An- und Ausziehen ist in der Betriebsanlage zu gestatten und ist als Arbeitszeit aufzuzeichnen bzw zu werten. Umso größer die Auffälligkeit der Kleidung, desto intensiver ist der Faktor Fremdbestimmung.

Bisherige Unterscheidung von Kleidung in der Judikatur

Um die Bedeutung hervorzuheben, um was es hier geht, muss man erklären wie das bisherige Verständnis war bzw welche Judikatur zwischen verschiedenen verwendeten Kleidungen zur Anwendung kommt.

1. Dresscode 

Damit sind Betriebe wie zB Banken, Versicherungen, etc., gemeint, welche vorgeben, dass in der Arbeitszeit zB ein Anzug bzw ein Kostüm zu tragen ist.

2. Dienstkleidung

Dienstkleidung stellt eine besondere Form einer Arbeitskleidung dar. Sie soll die Zugehörigkeit zum Betrieb bzw zu einer Organisation erkennbar machen und dient oft auch als Werbefläche. Die gesetzlichen Anforderungen an die Qualität einer Arbeitskleidung gelten nicht. Auch ist es nicht erforderlich, insbesondere bei büroähnlichen Tätigkeiten, Kleiderkästen zur Verfügung zu stellen nur weil von den Arbeitgeber/innen Dienstkleidung zur Verfügung gestellt wird.

3. Arbeitskleidung

Zurverfügungstellen von Arbeitskleidung:

Arbeitgeber/innen müssen auf ihre Kosten Arbeitskleidung zur Verfügung stellen und für deren Reinigung sorgen, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, bei denen die Kleidung mit gesundheitsgefährdenden oder Ekel erregenden Arbeitsstoffen verunreinigt wird oder bei denen die Art der Tätigkeit eine bestimmte Arbeitskleidung zum Schutz der Arbeitnehmer/innen erfordert. Dies ist durch folgende Verordnungen festgelegt:

Verordnung biologische Arbeitsstoffe, Grenzwerteverordnung und Verordnung explosionsfähige Atmosphären

Die Verpflichtung, für die Reinigung der Arbeitskleidung zu sorgen, besteht nur in diesen Fällen und nicht, wenn die Arbeitgeberin/der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin/den Arbeitnehmer, ohne dazu verpflichtet zu sein, Arbeitskleidung zur Verfügung stellt.

4. Persönliche Schutzausrüstung

Wenn technische und arbeitsorganisatorische Schutzmaßnahmen ausgeschöpft sind, muss eine entsprechende Persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung gestellt werden. Dies betrifft zB Klinikpersonal, Küchenpersonal, Baupersonal, etc., welche aufgrund von zB Hygienevorschriften oder spezifischer Gefahren am Arbeitsplatz eine besondere Kleidung zu verwenden haben.

Bis zum Erscheinen des OGH 9 ObA 13/20g vom Mai 2020 war ausjudiziert, dass in den Fällen der Punkte 3 (Arbeitskleidung vorgeschrieben aufgrund einer Verordnung) und 4 (Persönliche Schutzausrüstung) die benötigten Zeiten des Umziehens, holen und abgeben sowie die Wege zu den Umkleideräumen in der Betriebsanlage als Arbeitszeit im Sinne des Art 2 Z 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeit-Richtlinie) zu werten ist. Im genannten OGH-Urteil ging es im Verfahren nicht um Arbeitskleidung oder persönlicher Schutzausrüstung, sondern um Dienstkleidung ohne Schutzfunktion, dafür aber mit firmenbezogener Werbebeschriftung inklusive der Erlaubnis diese Dienstkleidung zu Hause bereits anzulegen.

Kriterium der Fremdbestimmung

Das Kriterium der Fremdbestimmung durch den oder die Arbeitgeber/in, wenn der oder die Arbeitnehmer/in in der Gestaltung seiner oder ihrer Zeit nicht autonom im Rahmen seiner oder ihrer Selbstbestimmungsmöglichkeit agiert, sondern für den oder die Arbeitgeber/in Handlungen setzt, die nicht Ausfluss seiner oder ihrer eigenen Gestaltung sind (vgl 9 ObA 8/18v Pkt 1.2. ff), kann grundsätzlich als entscheidendes Merkmal herangezogen werden, um den Zeitaufwand für eine bestimmte Tätigkeit des oder der Arbeitnehmers/in als Freizeit oder als Arbeitszeit zu qualifizieren.

Demnach können notwendige Umkleidezeiten im Betrieb des oder der Arbeitgebers/in, die nicht im eigenen – der Privatsphäre zugehörenden – Gestaltungsbereich des oder der Arbeitnehmers/in liegen, sondern darauf zurückzuführen sind, dass der oder die Arbeitgeber den Arbeitnehmer/innen zum Tragen einer bestimmten (hier von der Arbeitgeberin zudem zur Verfügung gestellten) Dienstkleidung arbeitsvertraglich verpflichtet, dann Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 AZG sein, wenn mit diesen Handlungen ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung gegeben ist, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den oder die Arbeitgeber/in zu bejahen ist (9 ObA 29/18g Pkt 5.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.C.). Der oder die Arbeitnehmer/in erbringt zwar noch nicht seine oder ihre „Kernarbeitsleistung“, steht dem oder der Arbeitgeber/in aber in dem Sinn zur Verfügung, dass er oder sie seiner oder ihrer Anordnung Folge leistet (vgl 9 ObA 8/18v Pkt 1.4.; vgl Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 Pkt III.B.).

Dauer des Umkleidens

Die Dauer des Umkleidens stellt zwar keine eigenständige zusätzliche Voraussetzung für die Wertung der Umkleidezeit als Arbeitszeit dar (vgl. 9 ObA 29/18g Pkt 7.; Holouschka, Die arbeitsrechtliche Beurteilung von Umkleidezeiten, Liber Amicorum – Wolfgang Mazal zum 60. Geburtstag, Pkt III.B.), ist aber bei der Gesamtbeurteilung, ob das Umkleiden ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung erreicht, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den oder die Arbeitgeber/in zu bejahen ist, mit ins Kalkül zu ziehen.

Anlegen der Dienstkleidung bereits zuhause?

Das für die Qualifikation als Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 AZG erforderliche Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung wird auch dann erreicht, wenn der oder die Arbeitgeber/in dem oder der Arbeitnehmer/in zwar das Umkleiden der vorgeschriebenen Dienstkleidung (im Regelfall) zu Hause erlaubt, es dem oder der Arbeitnehmer/in aber objektiv gesehen nicht zumutbar ist, die vorgeschriebene Dienstkleidung bereits zu Hause anzulegen, um damit den Weg zur Arbeitsstätte anzutreten und nach Arbeitsende mit dieser Dienstkleidung wieder den Heimweg anzutreten (Klein in Heilegger/Klein, AZG4 § 2 Rz 9; Auer-Mayer, DRdA 2019, 256 Pkt 3.2.; Geiblinger, ÖZPR 2018, 135 [138]; vgl auch BAG 1 ABR 54/08 [Rz 18]; BAG 1 ABR 76/13 Pkt II.1.b; 5 AZR 382/16 Pkt 2).

Dabei kann sich die Unzumutbarkeit im Einzelfall etwa daraus ergeben, dass die Dienstkleidung nach außen durch Embleme, Logos oder sonstige Farben erkennbar einen spezifischen Firmenbezug herstellt oder sonst (besonders) auffällig oder ungewöhnlich ist. Je „auffälliger“ eine vom Arbeitgeber oder Arbeitgeberin vorgeschriebene Dienstkleidung ist, desto intensiver ist das Ausmaß der Fremdbestimmung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin.

Beispiel:

Das zB am T-Shirt aufgebrachte Logo oder eine spezielle Farbkombination einer Firma, welche einen unmittelbaren Bezug zum Betrieb erkennen lässt, ist im gegenständlichen Fall eine (besonders) auffällige Kleidung. Das dadurch objektiv erforderliche Umkleiden im Betrieb der Beklagten erfolgt somit nicht mehr eigenbestimmt durch die Arbeitnehmer/innen, sondern – in einem das Mindestmaß übersteigenden Intensität – fremdbestimmt durch den oder die Arbeitgeber/in. Das Umkleiden der vom Feststellungsantrag betroffenen Arbeitnehmer/innen der Beklagten wurde daher als Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 AZG qualifiziert. Eine verpflichtende (arbeitsvertragliche) Anordnung des oder der Arbeitgebers/in an den oder die Arbeitnehmer/in, diese Dienstkleidung in der Freizeit zu tragen, würde einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre des oder der Arbeitnehmers/in bedeuten (vgl 9 ObA 82/15x).

In diesem Fall sind auch die innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem jeweiligen Umkleideort im Betrieb (z.B. Umkleideraum, Garderobe) und dem konkreten Arbeitsplatz als Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen.

Fazit

Zusammengefasst sind Zeiten, die ein oder eine Arbeitnehmerin benötigt, um sich im Betrieb die vom Arbeitgeber oder Arbeitgeberin vorgeschriebene Dienstkleidung an- bzw wieder abzulegen sowie die allenfalls in diesem Zusammenhang stehende innerbetrieblichen Wegzeiten zwischen dem jeweiligen Umkleideort im Betrieb (z.B. Umkleideraum, Garderobe) und dem konkreten Arbeitsplatz dann als Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 AZG anzusehen, wenn das Umkleiden bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ein solches Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung erreicht, dass eine arbeitsleistungsspezifische Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den oder die Arbeitgeber/in zu bejahen ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn der oder die Arbeitgeber/in dem oder der Arbeitnehmer/in erlaubt, die von ihm oder ihr vorgeschriebene Dienstkleidung zu Hause an- bzw abzulegen (und damit auf dem Arbeitsweg zu tragen), es dem oder der Arbeitnehmer/in aber objektiv unzumutbar ist, die Dienstkleidung auch am Arbeitsweg zu tragen.

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