04.11.2024 | Arbeitssicherheit & Brandschutz | ID: 1187219

Arbeitszeit und Freizeit aus Sicht des Arbeitnehmer:innenschutzes

Johann Schöffthaler

Was macht die Zeit von Arbeitnehmer:innen zur Arbeitszeit? Gastautor Johann Schöffthaler, BA MA, erläutert anhand von Praxisbeispielen, was es hinsichtlich Arbeitszeit, Freizeit und Ruhepausen im Arbeitnehmer:innenschutz zu beachten gilt.

Arbeitszeit, Freizeit und Ruhepause - Praxisbeispiele

Der Versuch einer Annäherung an das Thema anhand zweier praktischer Beispiele zum Thema Ruhepause:

Beispiel 1: Montagearbeiten am Flughafen

Die Monteure haben für ihre Mittagspause eine Zeit von 30 Minuten. Um sich ein Essen zu besorgen müssen sie den Bereich ihrer Arbeitstätigkeit verlassen und dabei durch Sicherheitsschleusen gehen. Der Zeitaufwand, um die nächste Einkaufsmöglichkeit zu erreichen beträgt durchschnittlich ca 8–10 Minuten für den Hinweg sowie 8-10 Minuten für den Rückweg. Somit verbleibt für die Essenseinnahme ein Zeitraum von ca 1–14 Minuten. Eine Alternative wäre, dass die Monteure ihr Essen mitnehmen und am Arbeitsort verzehren um die vollen 30 Minuten zur Essenseinnahme und Erholung nutzen zu können, sind aber an den Verbleib des Arbeitsplatzes/-ortes gebunden, somit nicht frei über die Entscheidung an welchem Ort sie ihre Zeit zur Erholung verbringen.

Beispiel 2: Positionierung von Sozialräumen

Eine Firma, welche den Personalstand signifikant gesteigert hat, stellt gem der Arbeitsstättenverordnung verpflichtend vom Gesetzgeber vorgegeben Sozialräume zur Verfügung, damit das Personal seine Ruhepause von 30 Minuten dort zur Essenseinnahme verbringen kann. Der Nachteil ist, dass diese Sozialräume von den Arbeitsplätzen sehr weit entfernt sind und somit sich eine vergleichbare Problematik, wie in Beispiel 1, die Folge ist.

Rechtsprechung zur Arbeitszeit

Die Rechtsprechung zum Thema Arbeitszeit hat sich in den letzten Jahren immer wieder damit befassen müssen, bestimmte Begriffe wie zB Ruhepause, Tagesruhezeit, Tagesarbeitszeit, Arbeitszeitaufzeichnung etc zu klären. Es ging dabei um mögliche Rechtsfolgen, insbesondere für die Vergütung von Arbeitszeit.

Arbeitszeit: Rechtliche Grundlagen

Das ABGB (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch) stellt bezüglich der Auslegung in den §§ 6 bis 8 klar, wie Gesetzestexte zu lesen sind:

  • § 6. Einem Gesetze darf in der Anwendung kein anderer Verstand beygelegt werden, als welcher aus der eigenthümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet.
  • § 7. Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlichen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden.
  • § 8. Nur dem Gesetzgeber steht die Macht zu, ein Gesetz auf eine allgemein verbindliche Art zu erklären. Eine solche Erklärung muß auf alle noch zu entscheidende Rechtsfälle angewendet werden, dafern der Gesetzgeber nicht hinzufügt, daß seine Erklärung bey Entscheidung solcher Rechtsfälle, welche die vor der Erklärung unternommenen Handlungen und angesprochenen Rechte zum Gegenstande haben, nicht bezogen werden solle.(sic!)

Die Richtlinie 2003/88/EG des europäischen Parlamentes und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung stellt in Artikel 23 klar, wie bzgl des Niveaus des Arbeitnehmerschutzes die Richtlinie zu lesen ist:

  • Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, je nach der Entwicklung der Lage im Bereich der Arbeitszeit unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie Vertragsvorschriften zu entwickeln, sofern die Mindestvorschriften dieser Richtlinie eingehalten werden, stellt die Durchführung dieser Richtlinie keine wirksame Rechtfertigung für eine Zurücknahme des allgemeinen Arbeitnehmerschutzes dar.(sic!)

Judikaturzitate zum Thema Arbeitszeit und Ruhepausen

Zum Thema Ruhepause wie in den oben angeführten Beispielen, welche Zeit Erholung und Freizeit darstellt und somit nicht zu vergüten ist, folgt der Versuch durch bestehende zitierte Judikatur von artgleich verwandten Themen die Problematik besser bzw verständlich darzustellen (wesentliche Grundaussagen der Judikatur sind vom Autor fett hervorgehoben):

  • Die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“ schließen einander aus. Somit ist festzustellen, dass beim derzeitigen Stand des Unionsrechts die Bereitschaftszeiten, die ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner für seinen Arbeitgeber erbrachten Tätigkeiten erbringt, entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit einzuordnen sind (vgl Urteil vom 03.10.2000, Simap, C-303/98, EU:C:2000:528, RN 47 sowie vom 10.09.2015, Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras, C-266/14, EU:C:2015:578, RN 26 und die dort angeführte Rechtsprechung [RN 54, 55]).
  • Zu den wesentlichen Merkmalen des Begriffes „Arbeitszeit“ im Sinne von Art 2 der Richtlinie 2003/88/EG gehört nicht die Intensität der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit oder dessen Leistung (Urteil vom 01.12.2005, Dellas EU, C-14/04, EU:C:2005:728, RN 43)
  • Ziel der Richtlinie 2003/88/EG ist es, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, indem ihnen Mindestruhezeiten sowie angemessene Ruhepausen zugestanden werden (Urteil vom 3. Oktober 2007 Simap, C-303/98, EU:C:2000:528, RN 49).EuGH 21.08.2018, C-518/15 – Rudy Matzak: Dieses Urteil des EuGH führt das Ausmaß der Selbst- bzw Fremdbestimmung in Bezug auf den Aufenthaltsort und die freie Verfügbarkeit über die Zeit als entscheidende Kriterien an. Gewisse Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sind auch während der Rufbereitschaft möglich, allerdings wird neben dem besonders hervorgehobenen Zweck der Richtlinie 2003/88/EG, nämlich des Gesundheitsschutzes, auch die Freizeitgestaltung, sohin die Möglichkeit anderen Tätigkeiten nachzugehen, als Kriterium herangezogen. Die verbleibende Dispositionsfreiheit muss daher wohl so weit gehen, dass die verbleibende Zeit den Namen Freizeit bzw Ruhezeit im Sinn der Arbeitszeit-RL noch verdient.
  • EuGH, 14.05.2019, C-55/18 – CCOO/Deutsche Bank SAE: Noch deutlicher nimmt der EuGH in der Rechtssache Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) gegen Deutsche Bank SAE im Urteil vom 14.05.2019 C-55/18 (große Kammer) auf die Erwägungsgründe der Arbeitszeit-RL Bezug ebenso wie auch auf die Grundrechtecharta (GRC): Um sicherzustellen, dass dieses Grundrecht beachtet wird, dürfen die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG insbesondere nicht auf Kosten der Rechte, die dem Arbeitnehmer nach dieser Richtlinie zustehen, restriktiv ausgelegt werden.
  • Unter diesen Umständen ist diese Richtlinie unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten auszulegen (Urteil vom 11.09.2014, A, C-112/13, EU:C:2014:2195, RN 51 und die dort angeführte Rechtsprechung, Urteil vom 06.11.2018, Bauer und Willmeroth, C-5 69/16 und C-570/16 EU:C:2018:871).
  • Die Mitgliedstaaten müssen daher zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88/EG die Beachtung dieser Mindestruhezeit gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verhindern. Auch wenn die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck über einen gewissen Spielraum verfügen, müssen sie angesichts der von der Richtlinie 2003/88/EG verfolgten wesentlichen Ziele, einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird, indem ihnen tatsächlich die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser Richtlinie festgesetzt sind, zugutekommen. (Urteil vom 01.12.2005, Dellas ua, C-14/04, EU:C:2005:728, RN 53; Urteil vom 07.09.2006 Kommission/Vereinigtes Königreich, C-484/04, EU:C:2006:526, RN 39 und 40 sowie Urteil vom 14.10.2010, Fuß, C-243/09, EU:C:2010:609, [RN 64]).
  • Daraus folgt, dass die von den Mitgliedstaaten festgelegten Modalitäten zur Sicherstellung der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG nicht zu einer Aushöhlung der Art 31 Abs 2 der Charta und den Art 3 und 5 sowie Art 6 lit b dieser Richtlinie verankerten Rechte führen dürfen. (Urteil vom 07.09.2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-484/04, EU:C:2006:526, [RN 44]).
  • Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrages anzusehen ist, sodass verhindert werden muss, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen kann (Urteil vom 05.10.2004, Pfeiffer ua C-397/01 bis C-403/01, EU:C:2004:584, RN 82, Urteil vom 25 11. 2010, Fuß, C-429/09, EU:C:2010:717, RN 80 und Urteil vom 06.11.2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, C-684/16, EU:C:2018:874, [RN 41]).
  • Aus einer Analyse des Arbeitszeitbegriffs der Arbeitszeit-RL gelangt Mazal zum Ergebnis, dass die Richtlinie nicht undifferenziert alle Zeiten des Zur-Verfügung-Stehens in die Arbeitszeit einbeziehen will, umgekehrt aber Zeiten, in denen der Arbeitnehmer eine für den (Mazal, Umkleidezeit als Arbeitszeit, in Kietaibl/Schörghofer/Schrammel, Rechtswissenschaft und Rechtskunde, Liber Amicorum für Robert Rebhahn, 63 (66ff) 32 Mazal, aaO) Arbeitgeber relevante Aufgabe erfülle, dem Arbeitszeitbegriff der Richtlinie nicht entzogen ist. Es müsse sich um Zeiten handeln, in denen der Arbeitnehmer Handlungen setzt, die nicht Ausfluss seiner eigenen Gestaltung sind, sondern Ausfluss der Fremdbestimmung durch den Arbeitgeber. Ist der Arbeitnehmer in dieser Entscheidung allerdings gebunden, liegt jenes Mindestmaß an Intensität der Fremdbestimmung vor, dass es rechtfertigt, von einer Tätigkeit oder Aufgabenerfüllung für den Arbeitgeber zu sprechen.

Hinweis:

Die angeführten Auszüge aus der Judikatur sowie eine interessante Zusammenfassung zum Begriff Arbeitszeit stammen von einem Vortrag im Rahmen der Innsbrucker Jahrestagung zum Arbeitsrecht und Sozialrecht 2020 zum Thema Aktuelle Aspekte des Arbeitszeitrechts (Vortrag 05.03.2020, RA Dr. Peter Wallnöfer, LL.M., Meraner Straße 1, 6020 Innsbruck), mit folgenden Grundaussagen.

Fazit: Wichtige Punkte zu Arbeitszeit, Freizeit und Ruhepausen

  • In Zeiten, in denen der Arbeitnehmer frei über seinen Aufenthaltsort und sein Verhalten entscheiden kann, erbringt er keine Arbeit. Es handelt sich dabei um Ruhezeit oder Freizeit.
  • Unabhängig von diesen juristischen Definitionen ist Arbeitszeit jedenfalls Lebenszeit und deshalb das Wertvollste, was ein Mensch in unbestimmtem Maß zur Verfügung hat, sodass ein fairer Ausgleich der Interessen der Arbeitsvertragsparteien über dieses hohe Gut besonders sensibel zu gestalten ist.
  • Arbeitszeit und Ruhezeit im Sinn der Arbeitszeit-RL schließen einander aus.
  • Ruhezeiten sollen dazu dienen, persönlichen und sozialen Interessen nachzugehen und sich anderen Tätigkeiten zu widmen.
  • Die Intensität der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers gehört gerade nicht zum Begriff der Arbeitszeit.
  • Die Arbeitszeit-Richtlinie verfolgt als Zweck den Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers.
  • Zum Zweck des Schutzes der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmer:innen gehört insbesondere auch die Gewährleistung einer angemessenen Freizeitgestaltung (Freizeit in Quantität und Qualität).
  • Dem Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerin als schwächerer Partei dürfen die auch durch die Grundrechtecharta verbürgten Rechte nicht ausgehöhlt werden.
  • Das wirtschaftliche Risiko darf auf die Arbeitnehmerin und dem Arbeitnehmer nicht übertragen werden.

Bedeutung für die Praxisbeispiele (Beispiel 1 und 2)

Zu unseren Beispielen wird festgehalten, dass durch die örtliche Vorgabe des Arbeitsplatzes (Beispiel 1 Monteure) bzw durch die örtliche Vorgabe der Sozialräume (Beispiel 2) die Arbeitnehmer:innen nicht komplett frei in ihrer Entscheidung sind und einer Fremdbestimmung unterliegen, insbesondere da das Schutzziel der Ruhepause die Zeit zur Erholung ist.

Der schwierige Teil ist nun beim Beispiel 2 der Sozialräume, dass Arbeitnehmerin A zB exakt die verbrachte Zeit im Sozialraum (Ankunft bis zum Verlassen) als Ruhezeit abgezogen wird, aber Arbeitnehmerin B derselben Firma, welche sich entschließt ihre Ruhezeit außerhalb des Betriebes mit einer Bekannten zu verbringen, die Zeit vom Verlassen des Arbeitsplatzes bis zur Ankunft desselben abzuziehen ist oder erst beim Verlassen des Betriebsstandortes bis zur Rückkehr, da sie sich bis zum Verlassen bzw der Rückkehr im Einflussbereich des Dienstgebers befindet (Hausrecht, Hausordnung, etc).

Am Beispiel 1 der Monteure ist ersichtlich, dass diese entweder ca 16 Minuten ihrer Erholungszeit den Wegen opfern oder an ihrem Arbeitsort, welcher nicht frei gewählt, sondern von der Arbeitgeberin oder vom Arbeitgeber vorgegeben ist, verbringen müssen (vgl die Ausführungen von Mazal, Seite 4, erster Punkt).

Hinweis:

Eine Klarstellung dieser Fragen bzw dieser Problematik wird immer auf den Einzelfall bezogen sein mit wahrscheinlich wesentlichen Auswirkungen für viele Betriebe und Branchen.

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