Non-Compliance in der Arbeitssicherheit – Gründe und Tipps von der Arbeitspsychologin
Non-Compliance mit Arbeitssicherheit kann eine ernsthafte Herausforderung für Sicherheitsfachkräfte sein. Arbeitspsychologin Mag. Veronika Jakl erklärt die Gründe dafür und gibt Tipps für den Umgang mit „Problemkandidaten“.
Leider gibt es immer wieder Menschen, denen die Themen Arbeitssicherheit und Gesundheit scheinbar nicht wichtig sind und die Sicherheitsvorschriften nicht ernst nehmen. Sie ziehen Vorgaben ins Lächerliche und animieren andere dazu, es ebenfalls locker zu sehen bei der Arbeit. So kann im schlimmsten Fall eine Gruppendynamik entstehen, wo Menschen davon überzeugt sind, dass die Präventionsmaßnahmen unnötig, zeitraubend und nervig sind und diese deshalb nicht einhalten.
Die große Frage ist nun: Warum ist das so? Und wie kann man solche Personen trotzdem mit ins Boot holen? Denn eins ist doch klar: Niemand will bei der Arbeit verunfallen, niemand will sich verletzen. Nur – der Weg dorthin führt über Kommunikation und die Einhaltung von Maßnahmen und Regeln.
Gründe für Non-Compliance mit Arbeitssicherheit
Schauen wir uns zunächst an, welche Gründe es gibt, warum Menschen Sicherheitsvorschriften nicht ernst nehmen oder einhalten.
Kognitive Verzerrungen
Die erste große Gruppe an Gründen sind so genannte kognitive Verzerrungen („Bias“). Das sind psychologische Phänomene, die bei allen Menschen auftreten. Eine kognitive Verzerrung ist die Selbstüberschätzung. Wir überschätzen unsere eigenen Fähigkeiten, vor allem bei einfachen oder oft getätigten Aufgaben, sowie unsere eigene Leistung und unser eigenes Wissen systematisch.
Gleichzeitig unterschätzen wir auch Risiken, denen wir schon häufig ausgesetzt waren, ohne dass bisher etwas passiert ist. Also werden beispielsweise erfahrene Mitarbeitende, die bestimmte Aufgaben schon sehr häufig auch ohne Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt haben, die Einstellung haben, dass dabei auch in Zukunft nichts passieren wird, weil sie es bis jetzt immer ohne Unfall überlebt haben. Interessanterweise tritt dieser Effekt bei Männern stärker auf als bei Frauen.
Dann gibt es den so genannten Bestätigungs-Bias. Das bedeutet, wir fokussieren unsere Aufmerksamkeit eher auf Dinge, die unsere bisherige Einstellung unterstützen. Deshalb fällt es uns auch schwer, überhaupt Dinge wahrzunehmen, die gegen unsere bisherige Meinung sind. Wenn Menschen also davon überzeugt sind, dass sie keine Sicherheitsmaßnahmen benötigen, dann werden ihnen auch Beinahe-Unfälle in diesem Bereich weniger auffallen.
Seien Sie jedoch vorsichtig, denn dieser Bestätigungs-Bias kann auch in Ihrem Kopf vorkommen! Wenn Sie davon überzeugt sind, dass eine Person kein Interesse an Arbeitssicherheit hat, dann werden Ihnen Aussagen und Verhaltensweisen dieser Person, die auf ein Interesse hindeuten würden, weniger auffallen.
Zielkonflikte, Bedürfnisse und Präventionskultur
Manchmal stehen andere organisatorische Ziele der Arbeitssicherheit im Weg. So wird beispielsweise von Führungskräften verlangt, dass Beschäftigte möglichst schnell arbeiten. Und dann haben diese den Eindruck, dass sie sich nicht die Zeit nehmen können, um persönliche Schutzausrüstung anzulegen oder sich an Abläufe zu halten, wie das Abschalten von Maschinen vor einer Wartung oder einer Fehlerbehebung. Wenn keine technischen Maßnahmen diese Vorgehensweise verhindern, dann kann dies lebensgefährlich werden.
In diesem Kontext ist es auch interessant, sich die Präventionskultur einer Organisation anzusehen und genauer hinzuschauen, wie von Führungskräften, der Geschäftsführung und anderen Stakeholdern mit der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz in der Realität umgegangen wird. Denn auf Plakaten oder in Leitlinien wird schnell Arbeitssicherheit als oberstes Gebot deklariert. Aber wenn die Geschäftsführung hohe Zielvorgaben setzt, selbst aber gleichzeitig keine Sicherheitshinweise beachtet bei Rundgängen in der Produktionshalle, dann darf man nicht davon ausgehen, dass Beschäftigte plötzlich Arbeitssicherheit an erster Stelle sehen im hektischen Alltag.
Gruppendynamik
Sozialpsychologische Phänomene werden beeinflusst von Führungskräften wie beispielsweise Teamleitungen, aber auch langjährige Beschäftigte und Menschen, die eine gewisse Autorität ausstrahlen. Und auch der Wunsch von Menschen nach der Identifikation mit einer Gruppe beeinflusst unser Verhalten in Teams. Starker Gruppenzusammenhalt macht es oft schwierig, problematische Verhaltensweisen Einzelner anzusprechen, sicherheitsrelevante Vorfälle objektiv aufzuarbeiten oder sich selbst regelkonform zu verhalten.
Interpersonelle Gründe
Weiters können zwischenmenschliche Dynamiken zwischen den Verantwortlichen für Arbeitssicherheit und einzelnen Beschäftigten einer guten Arbeitssicherheit im Weg stehen. Wenn Sicherheitsfachkräfte oder Sicherheitsvertrauenspersonen nicht als Autorität und gleichzeitig als unsympathisch wahrgenommen werden, wird es schwierig werden, hier mit Tipps, Empfehlungen und Vorgaben durchzudringen.
Psychologische Empfehlung
Wie könnte eine Lösung für diese Probleme aussehen? Wie können Sicherheitsvertrauenspersonen und Sicherheitsfachkräfte im Beratungsalltag vorgehen, um gehört zu werden?
- Hören Sie genau hin in Gesprächen und versuchen Sie, auch zwischen den Zeilen herauszuhören, was genau der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften im Weg steht. Geht es darum, dass persönliche Schutzausrüstung nicht bequem ist oder dass sie schlecht erreichbar ist? Oder geht es um Arbeitsvorgänge, bei denen Sicherheitsvorgaben als lästig oder zeitaufwendig wahrgenommen werden? Auf diese Dinge muss Rücksicht genommen werden bei der Gestaltung von Schutzvorschriften und Präventionsmaßnahmen.
- Binden Sie die Betroffenen immer in die Entwicklung solcher Maßnahmen ein und versuchen Sie, ihre Bedürfnisse schon im Vorfeld zu berücksichtigen.
- Lernen Sie auch, Ihre Botschaft auf unterschiedlichste Arten zu kommunizieren. Finden Sie beispielsweise unterschiedlichste Gründe, warum Arbeitssicherheit eingehalten werden sollte. Manchen Menschen ist es wichtig, bestimmte Ziele zu erreichen – dann können Sie mit Kennzahlen argumentieren. Manchen Menschen ist es wichtig, sich an Regeln zu halten – dann können Sie mit Gesetzen und Normen argumentieren. Manchen Menschen ist es wichtig, auf altbewährte Abläufe zurückzugreifen – dann können Sie Geschichten erzählen, wie in anderen Organisationen mit dem Problem bereits umgegangen wurde und welche Lösungen dort gut geholfen haben.
- Versuchen Sie in jedem Fall, nicht die „Arbeitsschutzpolizei” zu spielen und hier mit Autorität zu drohen! Denn die Forschung hat klar gezeigt, dass das Menschen nicht überzeugt und sie die Schutzvorschriften dann bestenfalls gerade solange einhalten, wie Sicherheitsverantwortliche zu sehen sind. Aber es verändert das Verhalten nicht grundlegend.