24.04.2023 | Arbeitsrecht | ID: 1134908

Der gläserne Mitarbeiter: Dürfen Softwareprogramme zur Mitarbeiterüberwachung eingesetzt werden?

Nikolaus Sauerschnig

Mag. Nikolaus Sauerschnig, LL.M. erläutert, welche rechtlichen Rahmenbedingungen im Vergleich zu Deutschland (Bsp Amazon) für die Mitarbeiterüberwachung in Österreich gelten.

Allen voran die Pandemie hat dazu geführt, dass die Digitalisierung in der Arbeitswelt zunehmend fortschreitet. Inzwischen ist Homeoffice in vielen Betrieben gängige Praxis und Mitarbeiter[1] müssen ihren Arbeitsort nicht mehr zwingend aufsuchen, um ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Dies führt aber dazu, dass Dienstgeber nicht mehr aus erster Hand nachvollziehen können, was ihre Mitarbeiter während der Arbeitszeit konkret tun. Besonders im Trend sind daher Softwareprogramme, die zur Kontrolle bzw Überwachung von Mitarbeitern eingesetzt werden können. Immer mehr Unternehmen entscheiden sich mittlerweile dazu, solche Softwareprogramme zu verwenden. Doch ist eine solche Form der Überwachung überhaupt zulässig?

Einführung 

Die Frage der Zulässigkeit der konkreten Ausgestaltung der Mitarbeiterüberwachung steht in einem ständigen Spannungsfeld zwischen den Interessen des Dienstgebers und jenen der Mitarbeiter. Auf der einen Seite haben Dienstgeber das Interesse, die Tätigkeiten ihrer Mitarbeiter (möglichst genau) zu überwachen und auf der anderen Seite wollen sich Mitarbeiter vor einem zu weiten Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte[2] schützen. Mit diesem Interessenskonflikt musste sich kürzlich das Verwaltungsgericht Hannover auseinandersetzen:

Mitarbeiterüberwachung durch Amazon

Gegenstand dieses Verfahrens waren die von Amazon eingesetzten Maßnahmen zur Überwachung der Mitarbeiter in einem Logistikzentrum in Deutschland. In diesem Logistikzentrum hatte Amazon mittels einer Software minutengenau und fortlaufend Arbeitsschritte aufgezeichnet, die Beschäftigte mit einem Handscanner durchführten. So konnte Amazon feststellen, wie viele Pakete Mitarbeiter in welchem Tempo bearbeiteten. Zweck dieser Maßnahme war in erster Linie die Steuerung des Logistikprozesses, jedoch auch die Schaffung von Bewertungsgrundlagen für Personalentscheidungen. Fraglich war nun, ob diese Maßnahme von Amazon zulässig ist.

Das Verwaltungsgericht kam nach Durchführung einer Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter und den Interessen von Amazon zur Ansicht, dass die Maßnahme zulässig sei. Für das Überwiegen der Unternehmensinteressen von Amazon spreche nach Ansicht des Verwaltungsgerichts vor allem, dass die Datenerhebung der Mitarbeiter nicht heimlich geschehe, lediglich eine Leistungs- aber keine Verhaltenskontrolle stattfinde (es wurden nämlich weder die Kommunikation, noch die physischen Bewegungen der Mitarbeiter aufgezeichnet) und dass viele Beschäftigte das durch die Maßnahme ermöglichte (objektive Feedback) schätzen würden.[3] Diese Entscheidung stieß in Deutschland durchaus auf Kritik.[4]

Rechtslage in Österreich

Dienstgeber sind grundsätzlich zur Kontrolle ihrer Mitarbeiter berechtigt. Bei der Ausübung der Kontrollrechte müssen Dienstgeber jedoch beachten, wie und in welchem Umfang, diese tatsächlich ausgeübt werden.

Wird durch die Kontrollmaßnahme in Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern eingegriffen, spricht man von einer so genannten „die Menschenwürde berührenden Kontrollmaßnahme“. (zur besseren Lesbarkeit im Folgenden als „Kontrollmaßnahme“ bezeichnet). Ein Berühren der Menschenwürde meint Eingriffe, bei denen Mitarbeiter zwar in einer hohen, aber noch gerade akzeptablen Intensität das Gefühl einer Überwachung verspüren.[5] Gemäß § 96 Abs 1 Z 3 ArbVG ist bei Vorliegen einer Kontrollmaßnahme zwingend die Zustimmung des Betriebsrats und der Abschluss einer Betriebsvereinbarung notwendig. Gibt es keinen Betriebsrat, bedarf es gemäß § 10 AVRAG der Zustimmung der betroffenen Mitarbeiter.[6]

Wann von einer Kontrollmaßnahme auszugehen ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und ist im Wege einer Interessenabwägung zu beurteilen. Hierbei sind das Bedürfnis nach Kontrolle von der Dienstgeberseite mit der Intensität des Berührens der Menschenwürde auf Seite der Mitarbeiter abzuwägen. Als Faustregel gilt, dass dann von einer Kontrollmaßnahme auszugehen ist, wenn Mitarbeiter durch die Kontrollmaßnahme das Gefühl der dauernden Überwachung bzw Kontrolle haben.[7]

Beispiele für Mitarbeiterüberwachung

Beispiele einer Kontrollmaßnahme sind etwa die Videoüberwachung oder Telefonregisteranlagen, die geführte Telefongespräche mit fremden Teilnehmern erfassen (z.B Höhe der Gesprächsgebühr, Dauer des Anrufs etc).[8]

Videoüberwachung

Für die Beurteilung, ob eine Kontrollmaßnahme vorliegt oder nicht, ist der eigentliche (Haupt-)Zweck der Maßnahme nicht von Bedeutung.[9] Wenn der Dienstgeber daher etwa eine Videoüberwachung installieren möchte, um damit sein Eigentum zu schützen und dabei gar keine Kontrolle seiner Mitarbeiter beabsichtigt (zB: Überwachung des Kassenbereichs in einem Supermarkt), schließt dies das Vorliegen einer Kontrollmaßnahme nicht aus.

Entscheidend ist lediglich, ob die jeweilige Maßnahme jederzeit für die Mitarbeiterkontrolle eingesetzt werden könnte. Ob sie letztlich eingesetzt wird, ist unerheblich. Es reicht bereits die objektive Eignung zur Kontrolle aus.[10] Bleiben wir zur Verdeutlichung beim Beispiel der Videoüberwachung: Eine Videoüberwachung des Arbeitsplatzes des Mitarbeiters stellt selbst dann eine Kontrollmaßnahme dar, wenn die Videokamera gar nicht aktiviert ist. Es reicht bereits aus, dass diese jederzeit aktiviert werden könnte.

Unzulässige und zulässige Kontrollmaßnahmen zur Mitarbeiterüberwachung

Jedenfalls unzulässig sind Maßnahmen, die die Menschenwürde nicht nur berühren, sondern verletzen. Bei solchen Maßnahmen wird so weit in die Menschenwürde eingegriffen, dass diese in keiner Weise gerechtfertigt werden können. Beispiele für solche Maßnahmen sind etwa die ständige Überwachung des konkreten Arbeitsplatzes oder die Überwachung der Toiletten.[11]

Schließlich gibt es natürlich auch Maßnahmen der Mitarbeiterüberwachung, die die Menschenwürde nicht einmal berühren und damit keiner Zustimmungspflicht des Betriebsrats unterliegen. Zu diesen zählt beispielsweise die Kontrolle der Arbeitszeit mittels Stechuhr[12] oder die Verpflichtung zum Tragen eines Ausweises.[13]

Ist Softwareüberwachung eine Kontrollmaßnahme?

Kommen wir zurück zu unserem Beispiel aus Deutschland: Darf eine Mitarbeiterüberwachung mittels Software erfolgen? In typischer Juristenmanier lautet die Antwort: „Es kommt darauf an“, jedoch lässt sich durchaus sagen, dass Softwareprogramme zur Mitarbeiterüberwachung im Regelfall eine Kontrollmaßnahme darstellen. Letztlich hängt die Beurteilung, ob eine Kontrollmaßnahme vorliegt, von der jeweiligen Ausgestaltung des Softwareprogramms ab.

Programme, die die Benutzung von Internetdiensten (Browser bzw E-Mail) überwachen, sind als Kontrollmaßnahmen zu qualifizieren.[14] Gleiches gilt für Programme, die die Aufzeichnung von Zugriffs- und Bewegungsdaten am PC der Mitarbeiter ermöglichen.[15] Auch Softwareprogramme, die die konkrete Arbeitstätigkeit (beispielsweise durch das Erstellen von Screenshots) überwachen, sind als Kontrollmaßnahmen zu qualifizieren.[16] Jedenfalls unzulässig wäre die Installation einer geheimen Software („Spyware“) am PC der Mitarbeiter. Ein solches Vorgehen berührt nicht nur die Menschenwürde, sondern verletzt diese.[17]

Dürfte daher Amazon eine Maßnahme wie in Deutschland zur Mitarbeiterüberwachung setzen? Mit dieser Maßnahme werden einzelne Arbeitsschritte aufgezeichnet, die sogar dazu verwendet werden, die Leistung der Mitarbeiter untereinander zu vergleichen. Dies stellt einen Eingriff in die Menschenwürde der Mitarbeiter dar.

Praxishinweis:

Nach österreichischem Recht wäre eine solche Form der Mitarbeiterüberwachung somit als Kontrollmaßnahme zu qualifizieren. Die Maßnahme dürfte daher nur gesetzt werden, wenn der Betriebsrat zustimmt.

Mehr Informationen zum Thema Betriebsrat und Mitarbeiterüberwachung erhalten Sie im aktuellen „Praxishandbuch Betriebsratsarbeit“.

Die Zustimmung des Betriebsrats könnte auch nicht auf anderem Wege ersetzt werden. Beispielsweise wäre die Umgehung der Zustimmungspflicht des Betriebsrats durch den Abschluss von Einzelvereinbarungen mit den betroffenen Mitarbeitern rechtsunwirksam.[18] Stimmt der Betriebsrat der Kontrollmaßnahme nicht zu, darf diese nicht gesetzt werden.

Rechtsbehelfe gegen unzulässige Kontrollmaßnahmen

Nun stellt sich die Frage, was geschieht, wenn eine Kontrollmaßnahme, wie etwa die Installation eines Softwareprogramms, ohne Zustimmung des Betriebsrats gesetzt wird.

In diesen Fällen stehen dem Betriebsrat mehrere Rechtsbehelfe zur Verfügung. Er kann die Unterlassung der geplanten Kontrollmaßnahme fordern, ist die Kontrollmaßnahme bereits umgesetzt worden, kann er deren Beseitigung verlangen.[19] Mitarbeiter sind dabei nicht auf das Einschreiten des Betriebsrats angewiesen. Die Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung stehen auch den einzelnen Mitarbeitern zu, dies nicht nur dann, wenn kein Betriebsrat existiert.[20] Bei Gefahr im Verzug kann auch eine einstweilige Verfügung beantragt werden.[21]

Daneben kann die unzulässige Setzung von Kontrollmaßnahmen, insbesondere wenn diese bis hin zu einer Verletzung der Menschenwürde führen, Mitarbeiter zum Austritt berechtigen.[22]

Fazit

Der Einsatz von Softwareprogrammen zur Mitarbeiterüberwachung ist daher mit Vorsicht zu genießen. Dienstgeber sollten unbedingt vorab prüfen, ob das jeweilige Softwareprogramm die Menschenwürde der Mitarbeiter berührt oder vielleicht sogar verletzt. Ratsam ist es zudem, die Einführung des jeweiligen Softwareprogramms mit dem Betriebsrat und den betroffenen Mitarbeitern zu besprechen.

Autor

Mag. Nikolaus Sauerschnig, LL.M., ist Rechtsanwaltsanwärter bei Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Wettbewerbsrecht sowie Entscheidungsbesprechungen und Publikationen in verschiedenen Rechtsgebieten.

____________________________

Fußnoten:

[1] Zur besseren Lesbarkeit wird im Beitrag die männliche Form verwendet. Die Angaben beziehen sich aber natürlich auf Angehörige aller Geschlechter.

[2] Hierzu zählen insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art 8 EMRK, der Schutz des Fernmeldegeheimnisses gemäß Art 10 EMRK oder auch die Meinungsfreiheit gemäß Art 10 EMRK.

[3] Verwaltungsgericht Hannover 10 A 6199/20; Kartheuser/Pabst, Wo liegen die Grenzen der Arbeitnehmerüberwachung?

[4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Amazon-in-Winsen-Kritik-an-Urteil-zur-Mitarbeiter-Kontrolle,amazon564.html

[5] OGH 8 ObA 288/01p.

[6] Nachfolgend wird auf die gesonderte Darstellung der Zustimmung der betroffenen Mitarbeiter bei Fehlen eines Betriebsrats verzichtet. Ist daher von einer Zustimmungspflicht des Betriebsrats die Rede, umfasst dies auch die Zustimmung der Mitarbeiter bei Fehlen eines solchen.

[7] OLG Wien 8 Ra 68/95.

[8] OGH 8 ObA 288/01p.

[9] Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz22.

[10] OLG Wien 10 Ra 78/12g.

[11] Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz24.

[12] Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz24

[13] VwGH 92/01/0927

[14] Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht Band 3, §96

[15] Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz25

[16] NN, Internet-Programme zur Mitarbeiterüberwachung und Arbeitszeiterfassung bei Bildschirmarbeit, ARD 4933/9/98

[17] Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler Arbeitsverfassungsrecht Band 3, § 96 ArbVG, Rz70

[18] Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz6; Strasser/Jabornegg, ArbVG3 § 96 Anm 2 ff.

[19] OLG Wien 10 Ra 78/12g; Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz6.

[20] Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm, § 96 ArbVG, Rz6; Felten/Preiss in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht Band 3, §96 Rz13.

[21] OGH 9 ObA 114/04m.

[22] Denkbar wären auch Schadenersatzansprüche der Mitarbeiter. Eine Auseinandersetzung mit diesem Aspekt würde aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

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