Krank am Arbeitsplatz? – Präsentismus unter der Lupe
Präsentismus kann negative Auswirkungen auf die Gesundheit des Arbeitnehmers, aber auch für Unternehmen selbst haben. Holen Sie sich in diesem Beitrag praktische Tipps, wie Präsentismus entgegengewirkt werden kann.
Für viele Arbeiter und Angestellte ist es keine Selbstverständlichkeit, sich bei Krankheit zu Hause zu schonen. Aus einem starken Arbeitswillen heraus entscheiden sich manche dafür, ihre Aufgaben zu erledigen, selbst wenn sie sich gesundheitlich nicht optimal fühlen. Diese Haltung zur Arbeit kann jedoch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich bringen. Es kann die Genesung verzögern und die Ausbreitung von Krankheiten am Arbeitsplatz fördern. Zudem kann es die Produktivität beeinträchtigen, da ein nicht vollständig gesunder Mitarbeiter möglicherweise nicht in der Lage ist, seine Aufgaben mit der gewohnten Effizienz zu erledigen. Es ist daher wichtig, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam ein Bewusstsein für die Bedeutung von Krankheitsprävention und -management schaffen, um das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz langfristig zu fördern.
„Working sick“
Präsentismus ist ein Begriff, der beschreibt, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit oder gesundheitlicher Beschwerden zur Arbeit gehen und dort ihre Aufgaben erfüllen. Im Gegensatz zum klassischen Absentismus, bei dem Mitarbeiter aufgrund von Krankheit der Arbeit fernbleiben, tritt Präsentismus auf, wenn Mitarbeiter trotz ihres Gesundheitszustands weiterhin arbeiten.
Personaler sind mit der wiederkehrenden Erscheinung des Präsentismus durchaus vertraut. Mitarbeiter melden sich kurzfristig krank und kehren schon in Kürze an den Arbeitsplatz zurück. Dieses Muster wiederholt sich regelmäßig und führt dazu, dass dringende Aufgaben innerhalb der Teams umverteilt werden müssen, während weniger wichtige Prioritäten vernachlässigt werden. Viele Unternehmen haben dieses Problem erkannt und ergreifen Maßnahmen, um häufige Kurzzeitausfälle zu bewältigen, beispielsweise durch die Implementierung eines systematischen Abwesenheitsmanagement. Jedoch ist das Gegenteil für viele Personalverantwortliche noch keine gängige Problematik: Mitarbeiter, die trotz Krankheitssymptomen zur Arbeit kommen. Woher kommt dieser Eifer und wie sollte man damit umgehen?
Präsentismus: Kein Phänomen mit Seltenheitswert
Laut einer Studie der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions aus dem Jahr 2012 gaben etwa 38 % der europäischen Arbeitnehmer an, in den letzten zwölf Monaten trotz Krankheit gearbeitet zu haben. Eine Studie des Forschungsinstituts Gallup aus dem Jahr 2017 ergab, dass 49 % der US-amerikanischen Arbeitnehmer angaben, im vergangenen Jahr trotz Krankheit zur Arbeit gegangen zu sein.
Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und anderer internationaler Organisationen deuten darauf hin, dass Präsentismus ein weltweites Phänomen ist, das in verschiedenen Kulturen und Arbeitsumgebungen vorkommt. Die genauen Zahlen variieren jedoch stark je nach Region und Wirtschaftssystem.
Ursachen für Präsentismus: Ein Erklärungsversuch
Präsentismus wird auf den ersten Blick oft edlen Motiven zugeschrieben. Ein starkes Pflichtbewusstsein und Teamorientierung erklären, warum Mitarbeiter die Erfüllung ihrer Aufgaben für wichtiger halten als die Erholung im Bett während einer Krankheit. Dennoch ist offensichtlich, dass gesundheitlich beeinträchtigte Mitarbeiter kaum leistungsfähig sind und somit weniger produktiv. Wenn der betriebliche Nutzen einer Anwesenheit mit laufender Nase und Kopfschmerzen vernachlässigbar ist, müssen andere Gründe als der Wille zur Leistung dafür vorliegen.
In der Tat haben insbesondere die Unternehmens- und Teamkultur einen erheblichen Einfluss darauf, wie Mitarbeiter im Krankheitsfall reagieren. Es kann durchaus sein, dass auch Unternehmen häufig unbewusst „Mitschuld“ am Präsentismus der Mitarbeiter tragen, weshalb folgende Fragen zu stellen sind:
- Besteht absolute Einigkeit dahingehend, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter oberste Priorität haben?
- Ist es völlig akzeptabel, bei Krankheit zu Hause zu bleiben?
- Wird diese Einstellung konsistent vertreten, explizit kommuniziert und auf allen Ebenen der Hierarchie praktiziert? Wird den Mitarbeitern eventuell kommuniziert, dass selbst mit Halsschmerzen und Gliederschmerzen die dringendsten Aufgaben erledigt werden können und ein Schnupfen zwar ein Grund ist, auf das Mittagessen zu verzichten, aber keineswegs ein Grund, ein Jour-Fix zu verpassen?
Kein Gewinn durch „kranke Arbeit“
Es steht außer Frage, dass Präsentismus ernsthafte Konsequenzen nach sich zieht, sowohl für die Mitarbeiter selbst als auch für das Unternehmen.
- Erstens können Krankheiten chronisch werden, wenn betroffene Mitarbeiter sich nicht ausreichend schonen. Dies kann im schlimmsten Fall zu einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit führen.
- Zweitens setzen Mitarbeiter, die trotz Schnupfen oder Grippe zur Arbeit kommen, ihre Kollegen einem Ansteckungsrisiko aus, was zu einem signifikanten Ausfall eines beträchtlichen Teils der Belegschaft führen kann.
- Drittens steigt das Sicherheitsrisiko, insbesondere, wenn Mitarbeiter aufgrund von Unkonzentriertheit leichter Arbeitsunfällen ausgesetzt sind.
Darüber hinaus führt die Leistungseinbuße kranker Mitarbeiter zu erheblichen direkten Kosten. Tatsächlich ist der Produktivitätsverlust aufgrund von Präsentismus signifikant höher als beim Gegenteil, dem Absentismus. Unternehmen sind somit nicht nur mit einer verringerten Effizienz konfrontiert, sondern auch mit einem erhöhten Krankheitsrisiko und möglichen Sicherheitsproblemen am Arbeitsplatz. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Organisationen Mechanismen implementieren, um Präsentismus zu reduzieren und das Wohlbefinden und die Produktivität ihrer Mitarbeiter zu fördern. Dies kann durch die Förderung einer gesunden Arbeitskultur, die Sensibilisierung der Belegschaft für die Bedeutung von Ruhe und Erholung bei Krankheit sowie die Bereitstellung von Ressourcen für die Gesundheitsfürsorge und das Krankheitsmanagement erreicht werden.
Es ist wichtig anzumerken, dass Präsentismus nicht nur negative Auswirkungen auf die betroffenen Mitarbeiter haben kann, sondern auch die Produktivität und die Arbeitsumgebung insgesamt beeinträchtigen kann. Unternehmen und Organisationen sollten sich bewusst sein, dass Präsentismus ein Problem darstellt und Maßnahmen ergreifen, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu fördern und Mitarbeiter zu ermutigen, sich bei Krankheit auszuruhen und zu erholen, anstatt zur Arbeit zu kommen.
Allgemeine Empfehlungen gegen Präsentismus
Eine wertschätzende Führungskultur spielt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Präsentismus. Die Art und Weise, wie ein Unternehmen mit Abwesenheiten umgeht, beeinflusst direkt das Ausmaß von Präsentismus. Nur wenn Fehlzeitengespräche gut vorbereitet und in einer vertrauensvollen Atmosphäre geführt werden, können sie effektiv dazu beitragen, die Ursachen von Absenzen anzugehen und die Mitarbeiter zu unterstützen. Eine Sanktionierung von Abwesenheiten hingegen erhöht automatisch die Tendenz zum Präsentismus.
Der Aufbau eines ganzheitlichen betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) ist unerlässlich. Durch die Bündelung verschiedener Maßnahmen zu einem umfassenden Gesundheitsmanagement können Unternehmen effektiv Präsentismus entgegenwirken. Dies umfasst
- externe Mitarbeiter- und Fachberatung,
- Coaching, Schulungen sowie
- Präventionspakete,
- Gesundheitstage und Self-Care-Angebote im Rahmen von Vorsorgemaßnahmen.
Vorsorgemaßnahmen beziehen sich auf präventive Maßnahmen im Bereich des Gesundheitsmanagements, die darauf abzielen, potenzielle Gesundheitsprobleme frühzeitig zu erkennen und ihnen vorzubeugen, bevor sie zu ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Diese Maßnahmen werden vor dem eigentlichen Auftreten von Krankheiten oder Beschwerden ergriffen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu erhalten und zu fördern.
Vorsorgemaßnahmen
Typische Vorsorgemaßnahmen umfassen Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen, Gesundheitsberatungen, Schulungen zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen, die Förderung eines gesunden Lebensstils, Stressbewältigungsprogramme sowie ergonomische Beratungen am Arbeitsplatz, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Gestaltung von Arbeitsaufgaben sollte mit Blick auf die Mitarbeiterfreundlichkeit erfolgen. Ein enger Zusammenhang besteht zwischen Präsentismus einerseits und Arbeitsbelastung sowie Termin- und Zeitdruck andererseits. Daher ist es wichtig, ausreichend Ressourcen für die Aufgabenbereiche bereitzustellen, um Präsentismus zu reduzieren.
Es ist entscheidend, das Bewusstsein zu schärfen und die Gesundheitskompetenz zu verbessern, um Präsentismus zu adressieren. Mitarbeitende, deren übermäßig engagierter Arbeitsstil zu Präsentismus führt, sollten für die Auswirkungen ihres Verhaltens sensibilisiert werden. Hierbei können Beratungsgespräche zur Stressbewältigung, Gesundheitscoaching oder Achtsamkeitskurse hilfreich sein.
Fazit
Präsentismus ist ein Phänomen am Arbeitsplatz, bei dem Mitarbeiter trotz Krankheit oder gesundheitlicher Beschwerden zur Arbeit erscheinen. Dies geschieht oft aufgrund von Pflichtgefühl, Angst vor negativen Konsequenzen oder dem Wunsch, sich als engagiert und unverzichtbar zu zeigen. Präsentismus kann jedoch ernsthafte Auswirkungen auf die individuelle Gesundheit und die Produktivität am Arbeitsplatz haben.
Um Präsentismus zu bekämpfen, sollten Unternehmen verschiedene Maßnahmen ergreifen. Dazu gehört die Förderung einer Unternehmenskultur, die die Bedeutung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz betont. Es ist wichtig, dass Mitarbeiter ermutigt werden, sich ausreichend zu erholen und im Krankheitsfall zu Hause zu bleiben, um ihre Genesung zu unterstützen und eine Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Des Weiteren können Programme zur Sensibilisierung für Gesundheitsthemen, Stressbewältigungskurse und die Bereitstellung von Ressourcen zur Gesundheitsförderung und Prävention helfen, Präsentismus zu reduzieren. Eine wertschätzende Führungskultur, die den Mitarbeitern erlaubt, ihre Bedürfnisse offen zu kommunizieren, sowie klare Richtlinien und Unterstützung für den Umgang mit Krankheitstagen sind ebenfalls entscheidend.
Letztendlich erfordert die Bekämpfung von Präsentismus eine ganzheitliche Herangehensweise, die sowohl individuelles Verhalten als auch organisatorische Maßnahmen berücksichtigt, um das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu fördern und die Produktivität am Arbeitsplatz zu steigern.