Scheidungen in Zeiten von COVID-19: Interview mit RA Mag. Oliver Frohner
Lesen Sie im Interview mit dem Ehe- und Familienrechts-Experten Mag. Oliver Frohner, welche Auswirkungen die COVID-19-Pandemie auf Scheidungen hat und worauf in der Beratungspraxis besonders geachtet werden sollte.
WEKA: Es ist ja derzeit viel vom „Scheidungsjahr 2020“ die Rede – konnten Sie in Ihrer Kanzlei auch einen Anstieg der Scheidungsfälle beobachten?
Frohner: Natürlich hat das vergangene Jahr starke Auswirkungen auf Familien gehabt, was wir auch in unserer Kanzlei sehen konnten. Ich würde aber nicht so weit gehen wollen, einen quasiempirischen Zusammenhang dahingehend herstellen zu wollen, dass bedingt durch die Corona-Krise es in einem bestimmten Zeitraum zu einem so und so hohen prozentuellen Anstieg an Scheidungsfällen gekommen wäre. Das lässt sich aus meiner Sicht so nicht wirklich seriös sagen. Tatsache ist jedoch, dass gerade der erste Lockdown und die damals noch vielfach gegebenen Unsicherheiten eine größere Zahl an Ehen zum Kippen gebracht hat. Ich würde aber hier die Corona-Krise nicht als Ursache sehen, sondern eher als letzten Anlassfall, anhand dessen diese Ehen dann gescheitert sind.
So gab es etwa einige Fälle, in denen einige Ehemänner den Beginn des ersten Lockdowns Mitte März vergangenen Jahres als Anlass genommen haben, ihren Frauen zu eröffnen, dass sie eigentlich schon länger in der Ehe unglücklich gewesen wären und dementsprechend die Zeit des Lockdowns lieber mit ihrer neuen Freundin verbringen wollen würden als im gemeinsamen Heim mit Homeoffice, Home-Schooling und nicht zuletzt auch noch der Frage nach der Führung des gemeinsamen Haushaltes. Diese Ehen wären aber aller Voraussicht nach über kurz oder lang ohnehin zu Bruch gegangen, hier war das Scheitern bei genauer Betrachtung also nicht direkt auf die Pandemie zurückzuführen.
Auf der anderen Seite hat es gerade in dieser ersten Phase auch vermehrt Fälle von häuslicher Gewalt gegeben, wo rasches Handeln erforderlich war.
Darüber hinaus gilt allerdings nach wie vor, dass eine Scheidung wohlüberlegt sein muss und man sich eine solche in finanziellen Aspekten erst einmal leisten können muss, auch wenn vielleicht gerade einer der Ehegatten infolge der Krise seine Anstellung verloren hat. In den seltensten Fällen verbessert sich die wirtschaftliche Lage eines Paares und umso weniger einer ganzen Familie dadurch, dass nun zwei Haushalte, zwei Autos etc finanziert werden müssen.
WEKA: Geht der Trend weiter Richtung einvernehmliche Ehescheidungen oder gibt es auch verstärkt strittige Ehescheidungen?
Frohner: Aus meiner Sicht hat sich hier am Verhältnis zwischen einvernehmlichen Ehescheidungen und strittigen Ehescheidungen bislang nichts geändert, fraglich ist aber auch, ob das innerhalb einer Zeit von nicht einmal einem Jahr wirklich fundiert beantwortet werden kann. Vielfach beginnen Scheidungen strittig und münden dann nach einiger Zeit des streitigen Verfahrens doch noch in einer einvernehmlichen Ehescheidung. Ich denke also, das wird sich seriös erst in einigen Monaten entsprechend beurteilen lassen.
Fraglich wird dann auch noch sein, wie sich die Pandemie und die dadurch bedingten Belastungen langfristig auf die Psyche der Menschen und Beziehungen auswirken werden. Da könnte es in einiger Zeit doch noch einiges an Nachwirkungen geben, die sich auch auf Familien und Ehen negativ auswirken und dann zum Scheitern von Beziehungen beitragen.
WEKA: Was müssen Anwälte bei Scheidungsfällen während der Corona-Pandemie besonders beachten? Gibt es Scheidungsverfahren via Videokonferenz?
Frohner: Was Tagsatzungen per Videokonferenz anlangt, so haben die Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz ja vorgesehen, dass mit Einverständnis der Parteien mündliche Verhandlungen und Anhörungen ohne persönliche Anwesenheit der Parteien oder ihrer Vertreter auch ungeachtet der sonst hier üblichen gesetzlichen Voraussetzungen per Videokonferenz durchgeführt werden können, wenn sich die Parteien nicht dagegen aussprechen. Viele engagierte Richterinnen und Richter haben hier durchaus auch Verhandlungen auf diesem Wege vorgeschlagen, wobei ich aber ehrlicherweise sagen muss, dass ich dem eher skeptisch gegenüberstehe. Grundsätzlich sieht die ZPO zwar vor, dass Beweisaufnahmen auch via Videokonferenz durchgeführt werden können, wenn die Verfahrensparteien dem zustimmen; Videokonferenzen sind nach der ZPO ja auch nicht generell zugelassen, sondern wurde in den vergangenen Jahren an sich eben nur die Möglichkeit der Beweisaufnahme unter Verwendung technischer Einrichtungen eingeführt. Für mich stellen sich hier einerseits Fragen der Beweiswürdigung, die meines Erachtens in der Regel eine persönliche Einvernahme der Parteien vor dem erkennenden Gericht erforderlich machen, auch um bspw auszuschließen, dass eine Partei die vielleicht von zuhause aus per Zoom der Verhandlung zugeschalten wird, in unzulässiger Weise auf Unterlagen, Mitschriften udgl während ihrer Einvernahme zurückgreift. Andererseits ist die Kommunikation mit dem eigenen Klienten im Laufe einer mündlichen Verhandlung durchaus essenziell, was so gut wie unmöglich ist, wenn man sich hier nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe befindet.
WEKA: Ergeben sich durch COVID-19-bedingte Einkommenseinbußen oder Kontaktbeschränkungen Änderungen für Unterhalts-, Aufteilungs- oder Kontaktrechtsvereinbarungen? Können Sie Tipps für die Praxis geben?
Frohner: Was jetzt Kontakte zwischen dem nicht hauptbetreuenden Elternteil und einem Kind anlangt, so hat es Kontaktbeschränkungen hier ja nicht wirklich gegeben, obgleich hier gerade zu Beginn einiges an Verwirrung geherrscht hat. Das Ausmaß von Kontakten kann natürlich auch eine finanzielle Implikation haben, wenn etwa zuvor infolge der Erbringung von überdurchschnittlichen Betreuungsleistungen durch den nicht hauptbetreuenden Elternteil Abzüge vom Kindesunterhalt vorgenommen werden konnten und diese Betreuungsleistungen dann durch eine in der Corona-Zeit geänderte Kontaktregelung vielleicht weggefallen sind.
Was grundsätzlich Kindes-, Ehegatten- und auch nachehelichen Unterhalt betrifft, so führt natürlich jede signifikante Einkommensänderung an sich zur Möglichkeit, eine Anpassung von Unterhalt verlangen zu können. Vor allem was nun die coronabedingte Wirtschaftskrise anlangt, werden in Unterhaltsverfahren einige besondere Aspekte zu beachten sein. Einerseits wird es vermutlich schwerer zu argumentieren sein, dass jemand, der aktuell seine Anstellung verloren hat auf ein zumutbares Einkommen in mehr oder weniger der bisherigen Höhe anzuspannen sein wird. Da wird sich sicherlich auch noch in der nächsten Zeit die geänderte Situation auf dem Arbeitsmarkt auswirken und wird man das wohl berücksichtigen müssen, bevor man sich mit Verve in ein strittiges Verfahren stürzt, das im Wesentlichen auf der Behauptung gründet, der andere wäre anzuspannen.
Bei selbstständig Erwerbstätigen gibt es andere Besonderheiten. Hier wird ja idR als Bemessungsgrundlage für die zukünftigen Unterhaltszahlungen ein Durchschnitt der letzten drei Wirtschaftsjahre genommen, ausgenommen es war ein – besonders gutes oder besonders schlechtes – „Ausreißerjahr“ dabei oder ich kann konkret argumentieren, dass der Durchschnitt der Vergangenheit aufgrund aktueller Entwicklungen nicht oder nicht mehr wirklich repräsentativ ist. Gerade da gibt es dann, vermutlich auch je nach Berufsgruppe, recht viel Argumentationsspielraum. Waren 2020/2021 hier nur Ausreißer und nach dem Ende der Krise geht alles weiter wie gehabt oder hat sich für die betreffende Person die zukünftige Lage von Grund auf geändert? Um wirklich beurteilen zu können, wovon hier auszugehen ist, könnte es in manchen Fällen vielleicht klüger sein, mit der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zuzuwarten, bis Klarheit herrscht.
WEKA: Herr Mag. Frohner, vielen Dank für das Interview.
Über den Autor:
Mag. Frohner ist seit 2005 als Rechtsanwalt im Bereich Familienrecht und Internationales Familienrecht tätig, seit 2015 Partner der BHF Briefer Hülle Frohner Gaudernak RAe OG, die gleichermaßen auf sämtliche familienrechtliche Belange spezialisiert ist.
Link auf die Kanzlei: http://bhf.at/