Gekommen um zu bleiben: Die virtuelle Gesellschafterversammlung
Der Gesetzgeber will mit der fortschreitenden Digitalisierung Schritt halten. Lesen Sie im Beitrag von RA Mag. Georg Streit über das neue Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz (VirtGesG) und dessen Folgen.
Der Gesetzgeber ist vor der Sommerpause traditionell immer recht produktiv und bereichert die Rechtsordnung um viele neue Vorschriften aus allen möglichen Bereichen. Besonders im Fokus standen zuletzt gesellschaftsrechtliche Regelungen, die an die veränderten wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen angepasst wurden. Nach der bereits präsentierten geplanten neuen Gesellschaftsform der flexiblen Kapitalgesellschaft (FlexKapG), die ja auch rechtschreibtechnisch zuletzt medial stark präsent war, übernimmt der Gesetzgeber nun eine Corona-Pandemie-bedingte Maßnahme in den „Normalbetrieb“. Gesellschafterversammlungen sind in Hinkunft dauerhaft auch in virtueller Form möglich. Das regelt das so genannte virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz, kurz VirtGesG (BGBl I 2023/79).
Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Vereine
Die in der Pandemie gelernten Fertigkeiten sollen auch in der Nach-Pandemie-Zeit eingesetzt werden können. Ganz offensichtlich hat sich die Verlagerung des Organisationsrechts von Verbänden auf die virtuelle Ebene in der Praxis bewährt. Der Gesetzgeber greift nun diesen kollateralen Nutzen auf und verschafft den meisten denkbaren Verbänden, namentlich Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, kleinen Versicherungsvereinen und Sparkassen unter bestimmten Voraussetzungen, die Möglichkeit, ihre Gesellschafterversammlungen in Hinkunft auch dauerhaft und auch in Zeiten ohne Abstandsregeln und Betretungsverbote virtuell durchzuführen. Die genannten Verbände fasst der Gesetzgeber dogmatisch etwas unsauber als „Gesellschaften“ zusammen. Folgerichtig (wenngleich ebenfalls dogmatisch nicht ganz sauber) fallen unter den Begriff „Gesellschafter“ in diesem Zusammenhang neben den Aktionären und Gesellschaftern oder Genossenschaftern auch Mitglieder (von Vereinen). Unter dem Gesellschaftsvertrag versteht das Gesetz schließlich auch Vereinsstatuten.
Virtuelle Versammlungen
Eine virtuelle Versammlung wird im Gesetz als solche „ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer“ definiert. Der Gesetzgeber will den Anwendungsbereich des Gesetzes auf „Gesellschafterversammlungen im weiteren Sinn“ erstrecken. Das umschließt aber auch die Delegiertenversammlungen einer Genossenschaft oder eines Vereins. Sieht der Gesellschaftsvertrag (in der oben genannten Definition) eine virtuelle Versammlung explizit vor, ist diese grundsätzlich zulässig.
Mögliche Formen der virtuellen Versammlung
Davon gibt es nun zwei Varianten, nämlich die so genannte einfache virtuelle Versammlung und die moderierte virtuelle Versammlung. Die Entscheidung darüber, ob eine virtuelle Ver-sammlung, und gegebenenfalls welche Form davon möglich ist, trifft die Gesellschaft selbst, konkret ist dies im Gesellschaftsvertrag zu verankern. Dabei kann auch geregelt werden, ob Gesellschafterversammlungen stets virtuell durchzuführen sind oder diese Entscheidung dem einberufenen Organ übertragen wird.
Etwas verwirrend könnte sein, dass jene virtuelle Versammlung, bei der eine akustische und optische Zweiweg-Verbindung in Echtzeit dauerhaft bestehen muss, die es jedem Gesellschafter ermöglicht, sich zu Wort zu melden, an allen Abstimmungen teilzunehmen und gegebenenfalls Widerspruch zu erheben, als einfache virtuelle Versammlung bezeichnet wird.
Eine moderierte virtuelle Versammlung ist eine solche, bei der es einen Versammlungsleiter gibt. Der Gesellschaftsvertrag kann die Entscheidung, welche Variante gewählt wird, ebenfalls dem einberufenen Organ übertragen. Die moderierte virtuelle Versammlung unterscheidet sich von der einfachen virtuellen Versammlung dadurch, dass bei ihr eine optische und akustische Übertragung in Echtzeit vorhanden sein muss, ohne, dass es jedoch einer ständigen Zweiweg-Verbindung bedarf. Bei der moderierten virtuellen Versammlung müssen die Gesellschafter nur die Möglichkeit haben, sich im Wege der elektronischen Kommunikation (beim Verhandlungsleiter) zu Wort zu melden. Meldet sich jemand zu Wort, muss ihm „eine Redemöglichkeit im Wege der Videokommunikation“ gewährt werden.
Bei beiden Varianten muss in der Einberufung vom einberufenden Organ angegeben werden, welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen für die Teilnahme an der Vesammlung erforderlich sind.
Hybridvariante
Dann gibt es noch eine dritte Variante, nämlich die so genannte hybride Versammlung. Dabei können die Teilnehmer zwischen der physischen und virtuellen Teilnahme an der Versammlung entscheiden. Alle müssen gleichwertig behandelt werden.
Technische Anforderungen
Zur technischen Ausrüstung bzw den Anforderungen an die Technik bei virtuellen Gesellschafterversammlungen sagt das Gesetz nicht allzu viel. Die Verantwortung für das Funktionieren der Kommunikationskanäle liegt bei der Gesellschaft, soweit die technischen Kommunikationsmittel ihrer Sphäre zuzurechnen sind.
Börsennotierte Aktiengesellschaften
Der Vollständigkeit halber: Auch börsenorientierte Aktiengesellschaften können von der Möglichkeit virtueller oder auch hybrider Hauptversammlungen Gebrauch machen. Dazu gibt es noch einige das Gesetz ergänzende Sonderbestimmungen in § 5 VirtGesG. Aktionäre haben die Möglichkeit, über einen elektronischen Kommunikationskanal bis drei Tage vor der Versammlung Fragen oder Beschlussanträge an die Gesellschaft zu richten, die in der Versammlung „zu verlesen oder den Teilnehmern auf andere geeignete Weise zur Kenntnis zu bringen“ sind.
Aus der Pandemiezeit übernommen hat der Gesetzgeber auch das System der Stimmrechtsvertreter. In Hinkunft gibt es solche also weiterhin, aber als zusätzliches Angebot zur Teilnahme an der Gesellschafterversammlung für einen Bevollmächtigten. Für die Aktionäre muss dies kostenlos sein. Die Gesellschaft muss aber nur noch zwei (statt wie in der Pandemie vier) solche Stimmrechtsvertreter stellen. Und letztlich ist auch bereits die Stimmabgabe vor der Versammlung (auf elektronischem Weg) möglich.
Um Minderheiten zu schützen, sieht der § 5 Abs 7 VirtGesG das Recht von Aktionären, die zumindest 5 % des Kapitals halten, vor, eine Hauptversammlung in Form einer Präsenzversammlung oder zumindest einer hybriden Versammlung zu verlangen. Damit will der Gesetzgeber sicherstellen, dass zumindest jedes zweite Jahr Aktionäre bei Hauptversammlungen, börsenorientiere Aktiengesellschaften physisch anwesend sein können. Für die Aktionäre günstigere Regelungen (also die Herabsetzung des genannten Quorums von 5 %) sind möglich. Und schließlich muss eine Bestimmung in der Satzung einer börsenorientieren Aktiengesellschaft, die eine virtuelle oder hybride Hauptversammlung ermöglicht, zeitlich befristet sein, die Höchstdauer beträgt fünf Jahre. Damit wird dem leichter möglichen Wechsel von Aktionären Rechnung getragen.
Varia
Der Vollständigkeit halber: Dieses Gesetz ist in der männlichen Form verfasst. Der Gesetzgeber hat aber nicht darauf vergessen, darauf hinzuweisen, dass es sich in gleicher Weise „auf Frauen und Männer“ bezieht.
Und noch eine kleine ligistische Besonderheit: Obwohl das VirtGesG erst im Bundesgesetzblatt am 19.07.2023 publiziert wurde, ist es schon mit 14.07.2023, also fünf Tage zuvor, in Kraft getreten.
Fazit
Zusammengefasst bietet das VirtGesG also neue Rahmenbedingungen für die Abhaltung virtueller Versammlungen in Verbänden. Die Aufnahme entsprechender Regelungen in Gesellschaftsverträge, Satzungen oder Statuten ist sicherlich empfehlenswert. Weiterhin sind virtuelle Versammlungen aber auch ohne entsprechende Grundlagen möglich, wenn alle Anwesenden damit einverstanden sind.
Autor
Mag. Georg Streit ist Partner bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG (Wien).
Link auf die Website: https://www.h-i-p.at/