07.06.2021 | Gesellschaftsrecht | ID: 1093471

Treuepflichten im Gesellschaftsrecht: „So geht man mit einem langjährigen Geschäftspartner nicht um“

Stefan Schermaier - Florian Schönberg

Die Gastautoren Dr. Stefan Schermaier und Mag. Florian Schönberg erläutern anhand aktueller Judikatur den Umfang gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten. Wann liegt eine Verletzung der Treuepflicht vor?

Sowohl zwischen den Gesellschaftern einer Gesellschaft zueinander als auch im Verhältnis zwischen Gesellschaftern zur Gesellschaft selbst bestehen unstrittig Treuepflichten. Aber auch die Gesellschaft selbst ist den Gesellschaftern zur Treue verpflichtet. Eine klare Definition dieser Pflichten kennt weder das Gesetz noch sehen die meisten Gesellschaftsverträge einschlägige Bestimmungen vor. Dennoch haben der Oberste Gerichtshof und die Lehre bereits bestimmte Grundsätze herausgearbeitet, welche unstrittig unter die Treuepflichten zu subsumieren sind. Wenngleich der Umfang der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten immer Einzelfallbezogen beurteilt werden muss, soll der folgende Artikel einen Überblick über die wesentlichen Grundsätze bieten und im Besonderen auch auf die jüngste Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs näher eingehen.

1. Gesetzliche und vertragliche Grundlagen

Das Gesetz nennt das Bestehen von Treuepflichten weder im allgemeinen Zivilrecht noch im Gesellschaftsrecht ausdrücklich. Als zentrale Norm, aus welcher das bestehen allgemeiner Treuepflichten von der Rechtsprechung abgeleitet wird, gilt § 1295 Abs 2 ABGB. Darüber hinaus werden gesellschaftsrechtliche Treuepflichten bei der GmbH insbesondere aus § 61 GmbHG abgeleitet. Aber auch die deutsche Rechtsprechung, welche die Existenz der Treuepflichten im Gesellschaftsrecht, bereits wesentlich früher anerkannte, wird vom OGH immer wieder für die Beurteilung herangezogen. Neben diesen sehr allgemeinen gesetzlichen Grundlagen gibt es auch in seltenen Fällen Treuepflichten, welche sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Praktisch auch selten, aber doch häufiger als in Gesellschaftsverträgen werden Treuepflichten in Syndikatsverträgen vereinbart.

2. Umfang der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten

Als Maßstab für die Treuepflichten zwischen Gesellschaftern untereinander als auch im Verhältnis zur Gesellschaft selbst verweist der OGH einerseits auf die Grundsätze von Treu und Glauben, den redlichen Verkehr sowie auf das Gebot der guten Sitten (RIS-Justiz RS0026106). Neben den vom OGH entwickelten Grundsätzen, der Lehre und allfälligen vertraglichen Grundlagen müssen Umfang und Intensität der Treuepflichten immer Einzelfallbezogen, auf Grundlage einer Interessensabwägung beurteilt werden (RIS-Justiz RS0107913). Aufgrund der individuellen Beurteilung in jedem Einzelfall ist der inhaltliche Umfang der Treuepflichten abstrakt schwer darstellbar und lässt sich dieser im Verhältnis zwischen den Gesellschaftern zur Gesellschaft dergestalt zusammenfassen, dass die Gesellschafter über die Beitragspflicht hinaus zur Förderung des Gesellschaftszwecks, zur Unterlassung gesellschaftsschädigender Handlungen sowie zur entsprechenden Rücksichtnahme auf Gesellschafts- und Mitgesellschafterinteressen verpflichtet sind (Aicher/Kraus in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 61, RZ 29). Der Umfang der Treuepflichten der Gesellschafter untereinander wird vom OGH durch die angemessene Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Mitgesellschafter umschrieben (RIS-Justiz RS0060175). Die Treuepflichten der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern beschränken sich im Wesentlichen auf die Wahrung der Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter. In allen Fällen gilt jedoch, dass sich die Treuepflichten aufgrund der individuellen Interessen im Einzelfall ergeben und stets eine Abwägung dieser Interessen entweder zwischen den Gesellschaftern untereinander oder im Verhältnis zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft stattfinden muss. Aus der Rechtsprechung des OGH lässt sich ableiten, dass die Treuepflicht besonders stark ausgeprägt ist, wenn die Gesellschaft sehr personalistisch organisiert ist (OGH 10.04.2008 6 Ob 37/08x). Darüber hinaus ist die Treuepflicht auch dann stark ausgeprägt, wenn der Einfluss eines Gesellschafters auf die Führung der Gesellschaft, welcher sich auf die Treuepflicht beruft, gering ist. Und umgekehrt: wenn der Einfluss eines Gesellschafters auf die Führung der Gesellschaft, gegen den eine Verletzung der Treuepflicht geltend gemacht wird, besonders groß ist.

3. Einzelfälle von Treuepflichtverletzungen

Da eine abstrakte Umschreibung der Treuepflichten nur sehr schwer möglich ist, scheint es sinnvoll, deren bestehen und Umfang anhand konkreter Beispiele der Rechtsprechung von Treuepflichtverletzungen darzustellen. So wurde eine Treuepflichtverletzung etwa in folgenden Fällen bejaht:

  • Wenn ein Gesellschafter trotz wirtschaftlicher Krise sein Stimmrecht für eine Gewinnausschüttung ausübt. Dies insbesondere auch dann, wenn der Gesellschafter vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 82 Abs 5 GmbHG Kenntnis hat (OGH 31.12.2013, 6 Ob 100/12t);
  • Wenn die Mehrheitsgesellschafter eine Kapitalerhöhung beschließen, deren Zweck es ist, finanzschwächere Gesellschafter die Ausübung des Bezugsrechts unmöglich zu machen, und um diese so bewusst zu verwässern (OGH 19.12.2012, 6 Ob 155/12f);
  • Wenn ein Minderheitsgesellschafter trotz Vorliegen eines Sanierungsbedarfs gegen die notwendigen Kapitalmaßnahmen (Kapitalerhöhung/Kapitalschnitt) sein Stimmrecht ausübt (BGH 20.03.1995, II ZR 205/94); oder
  • Wenn zulasten der Minderheitsgesellschafter die Bildung einer ungebührlich hohen, bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht notwendigen Rücklage beschlossen wird (OGH 31.12.2013, 6 Ob 100/12t).

4. Aktuelle Rechtsprechung (OGH 18.02.2021, 6 Ob 155/20t)

In einer seiner jüngsten Entscheidungen zum Thema Treuepflicht urteilte des OGH, dass eine Treuepflichtverletzung selbst dann vorliegen kann, wenn ein von einem Gesellschafter entsendetes Aufsichtsratsmitglied von den Gesellschaftern abberufen wird, obwohl das zugrundeliegende Entsendungsrecht des Gesellschafters nicht mehr existiert.

4.1. Sachverhalt

Die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach österreichischem Recht und betreibt eine Drogeriehandelskette (im Folgenden kurz die „Gesellschaft“). In den 1980er Jahren brachte die A GmbH gegen Gewährung von 32 % der Geschäftsanteile ihre eigenen Drogeriemärkte bei der Beklagten ein. Um ihren Einfluss bei der Beklagten bestmöglich abzusichern, ließ sich die A GmbH ein Entsendungsrecht für eines von vier Aufsichtsratsmitgliedern bei der Gesellschaft einräumen.

Die zweite Gesellschafterin der Beklagten, welche gleichzeitig im Verfahren als Nebenintervenientin auftrat (im Folgenden kurz „D GmbH“), hatte das Recht zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat der Gesellschaft zu entsenden. Das vierte Aufsichtsratsmitglied wurde in der Generalversammlung von den Gesellschaftern gewählt, wobei der zwischen D GmbH und A GmbH abgeschlossene Syndikatsvertrag vorsieht, dass über das vierte zu wählendem Aufsichtsratsmitglied einvernehmen herzustellen ist. Darüber hinaus sieht der Syndikatsvertrag vor, dass die Bestimmungen des Syndikatsvertrags auf Rechtsnachfolger überbunden werden müssen.

Im Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft wurde vereinbart, dass es für die Genehmigung zustimmungspflichtiger Geschäfte der Zustimmung der Aufsichtsratsmitglieder, welche von den Gesellschaftern (sohin D GmbH und A GmbH) entsandt wurden, bedarf. Daraus resultierte, dass A GmbH und auch D GmbH, faktisch sämtliche zustimmungspflichtigen Geschäfte der Geschäftsführung der Gesellschaft blockieren konnten.

Im Jahr 2001 entsandte A GmbH Herrn Dr. A zeitlich unbefristet in den Aufsichtsrat der Gesellschaft. Im Jahr 2004 wurde mit Spaltungs- und Übernahmsvertrag der Geschäftsanteil von A GmbH im Wege der Abspaltung an B GmbH übertragen. Danach, ebenfalls 2004, wurde mit Sacheinlage-, Übertragungs- und Abtretungsvertrag der Geschäftsanteil der B GmbH an die nunmehrige Klägerin, die A AG übertragen. Trotz des unbefristeten Aufsichtsratsmandats von Dr. A entsendete die Klägerin diesen in den Jahren 2007, 2011 und 2015 erneut in den Aufsichtsrat. D GmbH hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Entsendungen ausgesprochen und verlief die Zusammenarbeit der Gesellschafter im Wesentlichen friktionsfrei.

Im Lauf des Jahres 2017 kam es jedoch zwischen A AG und D GmbH zu grundlegenden Meinungsverschiedenheiten über die Implementierung eines Kundenbindungsprogramms. Da sich die A AG mit dem von ihr entsendeten Aufsichtsratsmitglied Dr A gegen die Implementierung aussprach und diese sohin blockierte, beantragte die D GmbH in der Generalversammlung die Abberufung von Dr. A aus dem Aufsichtsrat und wurde der entsprechende Antrag mit einer einfachen Mehrheit der Stimmen (der D GmbH) entgegen der Stimmen der A AG in der Generalversammlung angenommen.

A AG bekämpfte die Abberufung und begehrte die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Abberufung von Dr. A als Aufsichtsratsmitglied und argumentierte damit, dass das Entsendungsrecht der A GmbH auf sie als Rechtsnachfolgerin übergegangen sei. Die D GmbH entgegnete diesem Begehren, dass das Entsendungsrecht nicht auf die A AG übergegangen sei und die Abberufung daher zu Recht erfolgte.

4.2. Rechtliche Beurteilung

Bereits das Erstgericht führte aus, dass das im Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft A GmbH eingeräumte Entsendungsrecht höchstpersönlich und unübertragbar sei und dass ein Inhaberentsendungsrecht nicht vorliegen würde, weil nach § 30c Abs 2 GmbHG das Entsendungsrecht nur den Inhabern solcher Geschäftsanteile eingeräumt werden könne, deren Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden ist. Diese Rechtsansicht vertrat auch der oberste Gerichtshof.

Ungeachtet des Erlöschens des Entsendungsrechts qualifizierte aber der OGH die Stimmabgabe zur Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds Dr. A als treuwidrig und fand dafür sehr deutliche Worte. „So geht man mit einem langjährigen Geschäftspartner, mit dem man nicht nur durch einen detaillierten Gesellschaftsvertrag, sondern auch durch einen Syndikatsvertrag verbunden ist, nicht um.“

Der OGH führt weiter aus, dass ein redlicher Gesellschafter an der Stelle der D GmbH versucht hätte, die A AG doch noch vom geplanten Projekt (Kundebindungsprogramm) zu überzeugen und so deren Zustimmung zu erwirken, oder hätte eben vom Projekt Abstand genommen werden müssen. D GmbH hätte im Sommer 2017 jedoch begonnen, nach juristischen Mitteln und Wegen zu suchen, wie sie A AG entmachten und „ausbooten“ könnte, um doch noch gegen deren Willen das Kundenbindungsprogramm durchziehen zu können. Mit dem gemäß § 30c GmbHG (welche Bestimmung bis dahin niemanden interessiert hatte) weggefallenen Entsendungsrecht der Klägerin in den Aufsichtsrat sei sie schließlich „fündig“ geworden.

Darüber hinaus stellt der OGH klar, dass wenngleich der Widerstand der A AG und Dr. A gegen das Kundenbindungsprogramm für D GmbH überaus lästig und unbequem gewesen sei, das festgestellte Verhalten von A AG bzw Dr. A keine Rechtfertigung für die Handlungsweise der D GmbH gewesen war.

5. Conclusio

Die satzungsgemäße Stimmabgabe kann in Einzelfällen treuwidrig sein. Dies selbst dann, wenn – wie im dargestellten Fall selbst – die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine derartige Ausübung des Stimmrechts sprechen würden. Voraussetzung ist allerdings die Übung einer von der Satzung abweichenden Praxis. Im gegenständlichen Fall wurde diese Praxis über dreizehn Jahre hindurch dadurch ausgeübt, dass D GmbH zu keinem Zeitpunkt den (im Übrigen nicht erforderlichen) Entsendungen von Dr. A in den Aufsichtsrat widersprochen hat, obwohl ein Entsendungsrecht tatsächlich nicht mehr bestanden hat. Alles in allem fügt sich das besprochene Urteil sehr gut in die bisherige Rechtsprechung zur Treuepflicht ein und konkretisiert die Voraussetzungen, unter welchen ein Verstoß gegen die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten angenommen werden kann.

Über die Autoren

Dr. Stefan Schermaier ist Rechtsanwalt und Partner, Mag. Florian Schönberg Rechtsanwalt bei TONNINGER | SCHERMAIER & Partner Rechtsanwälte. Schwerpunkttätigkeiten der Autoren sind Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, M & A, Bank- und Kapitalmarktrecht sowie Vertragsrecht.

Link zur Website: http://www.ts.at

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