09.08.2022 | Wohnrecht | ID: 1120325

Zum Prüfmaßstab für bauliche Veränderung bei Abweichung vom genehmigten Baukonsens

Bettina Slamanig

Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme eine zustimmungsbedürftige Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 bewirkt, ist auf den bestehenden Zustand des betreffenden Objekts abzustellen.

Geschäftszahl

OGH 04.04.2022, 5 Ob 182/21g

Norm

§ 16 WEG 2002

Leitsatz

Quintessenz:

Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme eine zustimmungsbedürftige Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 bewirkt, ist auf den bestehenden Zustand des betreffenden Objekts abzustellen. Prüfmaßstab ist dabei der aktuelle rechtmäßige Bestand.

OGH: § 16 WEG 2002 regelt die Nutzung, Änderung und Erhaltung des Wohnungseigentumsobjekts. Gemäß § 16 Abs 2 WEG 2002 ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt. Die Änderungen bedürfen der Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer, sofern die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer möglich ist.

Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme eine zustimmungsbedürftige Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 bewirkt, ist auf den bestehenden Zustand des betreffenden Objekts abzustellen. Prüfmaßstab ist dabei der aktuelle rechtmäßige Bestand. Es ist somit ein Rückgriff auf den aufrechten vertraglichen Konsens der Mit- und Wohnungseigentümer erforderlich. Nur Maßnahmen, die von diesem „ursprünglichen“ Konsens nicht erfasst sind, fallen unter § 16 Abs 2 WEG 2002.

Umgekehrt sind Maßnahmen, die nicht zur Herstellung des aktuellen rechtmäßigen Bestands notwendig sind, Änderungen iSd § 16 Abs 2 WEG 2002. In dem Fall, dass die vertragliche Einigung der Mit- und Wohnungseigentümer (bloß) auf Basis von behördlich bewilligten Bauplänen erfolgte, kann die ergänzende Vertragsauslegung ergeben, dass geringfügige Änderungen vom ursprünglichen Konsens gedeckt sind. Dies insbesondere dann, wenn Bauabweichungen ihre Ursache in einer notwendigen Anpassung an tatsächliche bauliche Gegebenheiten haben (5 Ob 222/19m; 5 Ob 55/19b; 5 Ob 180/20m). Dieser Grundsatz steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des OGH, dass für bloß bagatellhafte Umgestaltungen keine Zustimmung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 erforderlich ist.

In casu begehrten die Kläger die Beklagten zur Duldung von Baumaßnahmen zur Umsetzung bestimmt bezeichneter Zwecke zu verpflichten und deren Zustimmung zu diesen Maßnahmen durch Urteil zu ersetzen. Sie stützten die behauptete Duldungs- und Zustimmungspflicht der Beklagten primär auf entsprechende Regelungen in den Wohnungseigentumsverträgen.

Der OGH entschied, dass das mit dem Wohnungseigentumsvertrag 1998 neu konfigurierte Wohnungseigentum auf der Nutzwertneufestsetzung 1994 basiert. Der diesem Gutachten zugrunde liegende Bauzustand bildet daher hier den maßgeblichen vertraglichen Konsens. Das ist der aktuelle rechtmäßige Bestand und damit der Prüfmaßstab für die Beurteilung, ob eine Bauabweichung eine Änderung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002 bewirkt. Die Herstellung des dieser Nutzwertneufestsetzung entsprechenden Bauzustands und die dafür notwendigen Maßnahmen führen daher zu keiner „Änderung“ und sind schon deshalb nicht zustimmungsbedürftig, weil dadurch lediglich der dem zugrundeliegenden Wohnungseigentumsvertrag entsprechende Zustand hergestellt wird (5 Ob 55/19b).

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