Die Taxonomie-Verordnung – Überblick und Kritik
Seit 1. Jänner 2021 ist die Taxonomie-Verordnung bereits anzuwenden. Lesen Sie in diesem Beitrag welche Auswirkungen sie ab 2022 auf die Finanzwirtschaft sowie Unternehmen ua in der Bau- und Immobilienwirtschaft hat.
Allgemeines
Angesichts des systemischen Charakters der globalen Umweltprobleme bedarf es eines system- und zukunftsorientierten Ansatzes für die ökologische Nachhaltigkeit, mit dem den zunehmenden negativen Trends wie Klimawandel, Verlust an biologischer Vielfalt, weltweit übermäßige Inanspruchnahme von Ressourcen, Nahrungsknappheit, Ozonabbau, Versauerung der Ozeane, Verschlechterung des Süßwassersystems und Landsystemwandels sowie das Aufkommen neuer Bedrohungen, einschließlich gefährlicher Chemikalien und ihrer kombinierten Wirkungen, begegnet wird.
Das Wort „Taxonomie“ stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Begriffen „taxis“ für Ordnung und „nomos“ für Gesetz zusammen. Im Duden wird Taxonomie als „Einordnung in ein bestimmtes System“ definiert.
Rechtliche Entwicklung
Seit dem Pariser Klimaschutzabkommen und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 stellt sich die Frage, wie Nachhaltigkeit beziehungsweise Klimaschutz umgesetzt werden soll. Das Finanzsystem spielt hierbei eine Schlüsselrolle, denn Kapital soll gezielt auf nachhaltige Investitionen gelenkt werden, auch im Bereich des Immobilienmarktes. Um zu klären, was Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang bedeutet, beabsichtigt der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums in einem ersten Schritt die Schaffung einer einheitlichen Definition (die so genannte EU-Taxonomie) hinsichtlich nachhaltiger Anlageprodukte und Tätigkeiten.
Seit 01.01.2021 hat die EU-Taxonomie-Verordnung zu greifen begonnen. Die Taxonomie-Verordnung trat zwanzig Tage nach Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft, somit also am 12. Juli 2020. Da es sich um eine EU-Verordnung handelt, also um einen Rechtsakt mit allgemeiner Gültigkeit und unmittelbarer Wirksamkeit in den Mitgliedstaaten, war keine Umsetzung in nationales Recht durch die nationalen Gesetzgeber erforderlich.
Harmonisierung wäre zielführend
Die Kriterien, anhand deren bestimmt wird, ob eine Wirtschaftstätigkeit ökologisch als nachhaltig einzustufen ist, sollten auf Unionsebene harmonisiert werden, um Hindernisse für das Funktionieren des Binnenmarkts im Hinblick auf die Mobilisierung von Finanzmitteln für nachhaltige Projekte zu beseitigen und das künftige Auftreten von Hindernissen für solche Projekte zu verhindern. Eine derartige Harmonisierung würde es den Wirtschaftsteilnehmern erleichtern, grenzüberschreitend Finanzmittel für ihre ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten zu mobilisieren, da ihre Wirtschaftstätigkeiten dann anhand einheitlicher Kriterien bewertet werden könnten, um als zugrunde liegende Werte für ökologisch nachhaltige Investitionen ausgewählt zu werden. Eine derartige Harmonisierung würde somit grenzüberschreitende nachhaltige Investitionen innerhalb der Union erleichtern.
Die EU-Taxonomie ist ein Teil des EU-Green-Deals, der das Ziel verfolgt, Europa klimafreundlicher zu gestalten und die fraglichen CO2-Ziele zu erreichen. Es handelt sich um ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige ökonomische Aktivitäten. Das erklärte Ziel ist es, nachhaltige Unternehmen und Projekte zu stärken, in dem Finanzierungen auf Nachhaltigkeit gelenkt werden, um so den Übergang zu einer CO²-armen, widerstandsfähigen und ressourcenschonenden Wirtschaft umzusetzen. Eine wirtschaftliche Tätigkeit kann jedenfalls nur als ökologisch nachhaltig betrachtet werden, wenn sie mindestens zu einem, der in der Taxonomie Verordnung festgeschriebenen Umweltziele beiträgt.
Die sechs Umweltziele im Überblick
- Klimaschutz (seit 2021)
- Anpassung an den Klimawandel (seit 2021)
- Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen (ab 2022)
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling (ab 2022)
- Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung (ab 2022)
- Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme (ab 2022)
Zusätzlich zu einem substanziellen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele dürfen wirtschaftliche Tätigkeiten außerdem keinem der anderen fünf oben genannten Umweltziele erhebliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen (No Significant Harm Prämisse). Außerdem müssen sie im Einklang mit den Mindestanforderungen in den Bereichen Arbeitsstandards und Menschenrechte sein, sowie den von der EU-Kommission vorgegebenen quantitativen und qualitativen Kriterien genügen.
Was bedeutet „Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen“?
Eine Wirtschaftstätigkeit gilt unter Berücksichtigung des Lebenszyklus der durch eine Wirtschaftstätigkeit bereitgestellten Produkte und Dienstleistungen, darunter auch von Erkenntnissen aus vorhandenen Lebenszyklusanalysen, als erheblich beeinträchtigend für
- den Klimaschutz, wenn diese Tätigkeit zu erheblichen Treibhausgasemissionen führt
- die Anpassung an den Klimawandel, wenn diese Tätigkeit die nachteiligen Auswirkungen des derzeitigen und des erwarteten zukünftigen Klimas auf die Tätigkeit selbst oder auf Menschen, die Natur oder Vermögenswerte verstärkt
- die nachhaltige Nutzung und den Schutz der Wasser- und Meeresressourcen, wenn diese Tätigkeit den guten Zustand oder das gute ökologische Potenzial von Gewässern, einschließlich Oberflächengewässern und Grundwässern oder den guten Umweltzustand von Meeresgewässern schädigt
- die Kreislaufwirtschaft, einschließlich Abfallvermeidung und Recycling, wenn diese Tätigkeit zu einer erheblichen Ineffizienz bei der Materialnutzung oder der unmittelbaren oder mittelbaren Nutzung natürlicher Ressourcen wie nicht erneuerbaren Energiequellen, Rohstoffen, Wasser und Boden in einer oder mehreren Phasen des Lebenszyklus von Produkten führt, unter anderem bei Haltbarkeit, Reparaturfähigkeit, Nachrüstbarkeit, Wiederverwendbarkeit oder Recyclingfähigkeit der Produkte ODER diese Tätigkeit zu einer deutlichen Zunahme bei der Erzeugung, Verbrennung oder Beseitigung von Abfällen — mit Ausnahme der Verbrennung von nicht recycelbaren gefährlichen Abfällen — führt, ODER die langfristige Abfallbeseitigung eine erhebliche und langfristige Beeinträchtigung der Umwelt verursachen kann
- die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, wenn diese Tätigkeit — im Vergleich zur Lage vor Beginn der Tätigkeit — zu einem erheblichen Anstieg der Schadstoffemissionen in Luft, Wasser oder Boden führt
- den Schutz und die Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme, wenn diese Tätigkeit den guten Zustand und die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen erheblich schädigt, oder den Erhaltungszustand der Lebensräume und Arten, einschließlich derjenigen von Unionsinteresse, schädigt
Achtung:
Bei der Bewertung einer Wirtschaftstätigkeit anhand der Kriterien des Absatzes 1 ist sowohl den Umweltauswirkungen der Tätigkeit selbst als auch den Umweltauswirkungen der durch diese Tätigkeit bereitgestellten Produkte und Dienstleistungen während ihres gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen, insbesondere durch Beachtung der Herstellung, der Verwendung und des Endes der Lebensdauer dieser Produkte und Dienstleistungen.
Wie gelingt der praktische Zugang?
Erreicht wird die Umsetzung, indem große bzw staatliche Unternehmen und sämtliche Finanzinstitute seit 1. Jänner 2021 dazu verpflichtet werden, Taxonomie-Berichte zu erstellen, zum ersten Mal im Frühjahr 2022 für das Jahr 2021. Seit 2021 sind die ersten zwei Kriterien, Umweltschutz und Klimaresilienz in Kraft, 2022 folgen die vier weiteren Kriterien: Schutz der Wasserressourcen, Förderung der Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Schutz der Ökosysteme.
Sämtliche Kriterien sind mit konkreten, messbaren Indikatoren ausgestattet worden, um das „Greenwashing“ hintanzuhalten. Die Teilnehmer der Märkte sind aufgefordert, alle Kriterien zumindest zu erfüllen und bei einem davon besonders gut abzuschneiden. Die europäische Politik hat mehrfach verdeutlicht, dass sie besonders auch die Finanzwirtschaft beim Übergang ins nachhaltige Zeitalter in der Pflicht sieht. Auf Kreditinstitute kommen daher nicht nur vermehrte Berichtspflichten in punkto Nachhaltigkeit zu, auch europäische wie nationale Aufsichtsbehörden erwarten in Zukunft die Integration von Nachhaltigkeitsrisiken im Risikomanagement. Um all diese Vorgaben zu erfüllen, werden Banken daher bei der Kreditvergabe deutlich mehr Gewicht auf die Prüfung von Nachhaltigkeitsmerkmalen der finanzierten Tätigkeit legen, als dies früher der Fall war.
Welche Auswirkungen sind auf die Bau- und Immobilienwirtschaft zu erwarten?
Die Taxonomie ist als Verordnung bereits in Rechtskraft, das bedeutet, sie gilt in ganz Europa in gleichem Maße. Es bestehen explizit keine nationalen Besonderheiten und Sonderregelungen, was angeblich sehr wichtig sei, um keine Marktverzerrungen herbeizuführen und um Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Aufgrund der Tatsache, dass alle Finanzinstitute berichtigungspflichtig sind, sind auch alle Unternehmen indirekt beeinflusst, sodass ein Umdenken branchenübergreifend erfolgen muss. Die Bau- und Immobilienbranche als großer CO2-Emittent und Abfallproduzent ist dadurch ebenfalls betroffen. Mit dem kennzahlenbasierten Berichtswesen werden auch Immobilienportfolios bewertbar gemacht. Auswirkungen der Taxonomie sind hier sowohl auf bestehende Objekte als auch auf Neubauten zu erwarten.
Hinweis:
Es darf nicht vergessen werden zu erwähnen, dass die Anwendung der Taxonomie freiwillig ist, sofern die Investments nicht ausdrücklich als nachhaltig ausgewiesen werden. Allerdings wird mit einem Wettbewerbsnachteil sowie einem Rückgang der Investorennachfrage und einer Reduktion der Verkaufspreise zu rechnen sein, sollten die Standards verletzt werden und der Nachhaltigkeitsgrad eines Objektes oder eines Portfolios fehlen.
Auf der Seite von Banken, Versicherungen, Fonds, so hofft man, wird es eine verstärkte Nachfrage nach Projekten geben, die den Richtlinien entsprechen. Zukünftig ist eine Prüfung potentieller Ankaufsobjekte hinsichtlich der Taxonomie-Kriterien unerlässlich, bevor Portfoliomaßnahmen beschlossen werden.
Auf Immobilien bezogen sind vier unterschiedliche Aktivitäten besonders entscheidend, bei denen die Taxonomie greift:
- Errichtung neuer Gebäude
- Erwerb von Gebäuden
- Renovierung von bestehenden Gebäuden
- Maßnahmen zur Sanierung, Einbau erneuerbarer Energien
- Fachliche, wissenschaftliche und technische Tätigkeiten
Beispiel 1:
Es muss bei Neuerrichtung der so genannte „Near-Zero-Building“ Standard um 20 % unterschritten werden.
Beispiel 2:
Bei der Renovierung von Bestandsgebäuden wird ein Rückgang des Energiebedarfs um 30 % angestrebt.
Auswirkungen auf die Finanzwirtschaft
Mit diesem neuen Klassifikationssystem richtet sich die EU an sämtliche Finanzmarkteilnehmer, verpflichtet diese aber nicht zu klimafreundlichen Investitionen. Eine Pflicht zur Investition in Nachhaltigkeitsprojekte oder Kapitalerleichterungen für grüne Investments konstituiert die Taxonomie somit (vorerst?) nicht. Ab welchem taxonomie-konformen Anteil Produkte als „nachhaltig“ bezeichnet werden dürfen, soll noch im Rahmen delegierter Rechtsakte festgelegt werden.
Viele Versicherungsunternehmen haben zudem Größen erreicht, die eine nicht-finanzielle Erklärung erforderlich macht. Diese Unternehmen sind ab 2022 verpflichtet, ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten auf Taxonomie-Konformität hin zu überprüfen.
Negative Kritik
Österreich hat die Absicht verdeutlicht, gegen die von der EU-Kommission beschlossene Aufnahme von Atomenergie und Gas in die Taxonomie-Verordnung Klage einzubringen. Die österreichische Klimaschutzministerin erklärte dabei, dass das Ministerium in den kommenden Wochen alle rechtlichen Schritte vorbereitet, um bei einem Inkrafttreten des Kommissionsbeschlusses beim Europäischen Gerichtshof mit einer Nichtigkeitsklage dagegen vorzugehen. Der Beschluss der EU-Kommission sei ein Greenwashing für Atom und Erdgas und folglich nicht hinnehmbar.
Die Europäische Kommission hat eine Art „Klima-Gütesiegel“ für Atomenergie und Gas beschlossen. Dadurch sollen Investitionen in Milliardenhöhe in nachhaltige Energien nach sich gezogen werden. Da es sich hierbei um einen delegierten Rechtsakt handelt, müssen sich 20 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für mindestens 65 % Prozent der EU-Einwohner ausmachen, dagegen stimmen, womit nicht zu rechnen ist. Im Europaparlament wäre die absolute Mehrheit nötig.