Arbeitsunfälle: Tätigkeitsbericht der Arbeitsinspektion – Zahlen/Daten/Fakten
Johann Schöffthaler, BA MA, erläutert wichtige Zahlen zu Arbeits- und Wegunfällen im 10-Jahres-Vergleich. Aus welchen Gründen könnte die Anzahl der tödlichen Unfälle in bestimmten Branchen gestiegen sein?
Hinweis:
Dies ist ein Versuch anhand eines Vergleiches an spezifischen Beispielen der Jahre 2017/2018 und 2021/2022. für bestimmte Aspekte eine Erklärung zu finden Ein direkter Vergleich der Daten ist nicht möglich, da bestimmte im Folgenden beschriebene Faktoren, welche eine große Wirkung haben, in den Berichten nicht berücksichtigt werden können.
Rechtlicher Hintergrund: Änderung des AZG
Der Grund für die Auswahl dieser Jahre ist folgender: Eine bestimmte Gesetzesänderung des Arbeitszeitgesetzes (AZG) im Jahr 2018 hat Auswirkung auf die Anzahl an Übertretungen.
Durch die Änderung des AZG besteht seit 2018 die Möglichkeit, freiwillig 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Deshalb gibt es bzgl der Übertretungen der Grenzen der Höchstarbeitszeit einen Rückgang.
Kontrolle der Arbeitszeitaufzeichnungen wurde komplexer
Weiters kommt hinzu, dass die Kontrollen von Arbeitszeitaufzeichnungen sehr aufwendig geworden sind, da bzgl der durchschnittlichen erlaubten Wochenarbeitszeit von 48 Stunden jeweils nach Kollektivvertrag ein rollierender Zeitraum von bis zu 52 Wochen kontrolliert werden muss.
Somit muss bei der Kontrolle von Arbeitszeitaufzeichnungen immer Bedacht auf mögliche Vereinbarungen gem Kollektivvertrag sowie Betriebsvereinbarungen genommen werden.
Dasselbe gilt beim Arbeitsruhegesetz, welches viele Ausnahmen bzgl Wochenendruhe sowie Wochenruhe in Verbindung mit Kollektivvertrag zulässt. Dh. der Aufwand einer umfassenden Kontrolle eines Betriebes ist um ein Beträchtliches für die Arbeitsinspektoren und Arbeitsinspektorinnen gestiegen.
In diesem Sinne sind nicht nur die Strafanzeigen aufgrund der Regelung im Arbeitszeitgesetz, wonach eine „schwere“ anzeigepflichtige Übertretung zB erst bei Überschreiten von 20 % der Tageshöchstarbeitszeit von 12 Stunden gegeben ist, wesentlich gesunken, sondern ebenso die Anzahl der festgestellten Übertretungen.
Einführung des digitalen Tachographen
Eine Rolle spielt hier auch die Einführung des digitalen Tachographen für Lenker und Lenkerinnen für verordnungspflichtige Fahrzeuge über 3,5 Tonnen der europäischen Union. Einerseits wird dadurch die Kontrolle für Kontrollorgane (Polizei, Arbeitsinspektion, etc.) wesentlich vereinfacht, aber die Lenker und Lenkerinnen sind dadurch „gläsern“ geworden und haben ein Gerät, welches sie bei Zeitüberschreitungen wie zB der Lenkpause warnt.
Anzahl an Arbeitsinspektor:innen tendenziell gesunken
Wesentlicher Faktor bei der Kontrolltätigkeit bzw Anzahl der Kontrollen ist auch die Personalanzahl der Arbeitsinspektoren und Arbeitsinspektorinnen. Hier sieht man im Vergleich, dass 2018 der Personalstand 303 und 2022 296 Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren betrug. Die Anzahl von fehlenden 7 Personen hat natürlich eine Wirkung, indem ca 2.100 weniger Kontrollen pro Jahr stattfinden.
Generationenwechsel
Von größerer Bedeutung ist aber der Generationenwechsel. Wie jede Bundesbehörde ist das Durchschnittsalter in der Arbeitsinspektion sehr hoch und es kommt hier ebenfalls zu einer Pensionierungswelle, welche fast die Hälfte der Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren im heurigen und im Jahr 2024 betrifft.
Die „neuen jungen“ Arbeitsinspektorinnen und Arbeitsinspektoren bringen aber viel Schwung in die Kontrolltätigkeit, was überaus sehr positiv ist, insbesondere da das neue Personal hauptsächlich aus der Privatwirtschaft rekrutiert bzw gesucht wird, was eine große Praxiserfahrung für diese Kontrolltätigkeit mit sich bringt.
Anstieg bei Unfällen und tödlichen Unfällen in den Branchen Bau, Land- und Forstwirtschaft, Herstellung
Hinsichtlich der gestiegenen Unfallzahlen bei Arbeitsunfällen und tödlichen Unfällen ist eine klare Aussage sehr schwierig. Unfälle sind schwer beeinflussbar, da hier Faktoren wie zB
- die Situation am Arbeitsmarkt,
- verfügbares Fachpersonal,
- Steigerung der Wirtschaftsleistung,
- Umwelt- und Katastrophenschäden,
- das Durchschnittsalter des Personals und
- Deutschkenntnisse
einen großen Einfluss haben. Ersichtlich ist das in den Branchen Bau, Land- und Forstwirtschaft sowie Herstellung.
Beispiel aus der Praxis: Forstarbeiten
Es macht einen großen Unterschied zB bei Forstarbeiten:
Einen Baum zu fällen, welcher geplant aufgrund seines Alters und Größe in einem bewirtschafteten Wald mit Forstwegen der Rohstoffverwertung zugeführt werden soll, ist eine komplett andere Arbeitssituation als wie Bäume nach Sturmschäden zu fällen, da man hier die Bäume oft wild übereinander bzw gegeneinander, teilweise abgebrochen, teilweise bereits liegend in unwegsamen Gelände (Steilhang) vorfindet.
Da die Katastrophen und Umweltschäden, wie Überschwemmungen, Murenabgänge, Hagel und infolgedessen die Schäden auf Dächern, Felsstürze sowie Hitzetage im Sommer signifikant zugenommen haben, kommt es hier immer wieder zu äußerst schweren, mitunter sehr gefährlichen Arbeitseinsätzen, welche das Unfallrisiko messbar steigern.
Mögliche Faktoren für erhöhte Unfallgefahr
Durch den Fachkräftemangel und der gestiegenen Wirtschaftsleistung in der Herstellung und am Bau kommt es zu erhöhtem Arbeits- und Leistungsdruck sowie zu hohen Tagesarbeitszeitleistungen.
Konzentrationsfähigkeit, angelernte Verhaltensweisen, Stress (nicht nur durch das zu erfüllende Arbeitspensum, sondern durch Existenzängste, den für das Leben notwendigen Zahlungen nicht mehr nachkommen zu können – „man muss mehr arbeiten“) und altersgerechtes Arbeiten sind hier wesentliche Faktoren ebenso wie der Kostendruck auf die Firmen durch Energie sowie Personalkosten.
Arbeitsunfälle durch Homeoffice beeinflusst?
Homeoffice ist ein Faktor, der zu weniger Arbeitsunfällen führt:
Die Anzahl der Unfälle in Privatwohnungen (Homeoffice) im Jahr 2022 ist mit 45 Fällen sehr gering. Hier ist Stürzen die häufigste Unfallart, gefolgt von An- und Zusammenstößen (20×). Am häufigsten hat es dabei eine Zehe erwischt (15×). Dank vermehrtem Arbeiten im Homeofficekam es zu weniger Wegunfällen von Erwerbstätigen. 2022 gab es mit 10.937 Fällen um 12 % weniger Wegunfälle als noch 2019 (12.468).
Nicht zu vergessen sind die Coronajahre. In dieser Zeit gab es naturgemäß die wenigsten Berufskrankheiten, Wegunfälle, Arbeitsunfälle und tödlichen Arbeitsunfälle.
Arbeitsunfälle – Entwicklung der letzten 10 Jahre im Überblick
Die Anzahl der Berufskrankheiten, Wegunfälle, Unfallzahlen sowie die tödlichen Unfälle sind seit 2013 rückläufig:
Arbeitsunfälle | 2013 | ca. 15.0000 |
Arbeitsunfälle | 2022 | 12.3156 |
Wegunfälle | 2013 | ca. 25.000 |
Wegunfälle | 2022 | 12.389 |
Anzahl tödlicher Unfälle | 2013 | 150 |
Anzahl tödlicher Unfälle | 2022 | 123 |
Unfallrate (pro 1000 Versicherter) | 2013 | 35 |
Unfallrate (pro 1000 Versicherter) | 2022 | 28,9 |
(vgl. https://www.auva.at/cdscontent/?contentid=10007.670939 vom 09.10.2023).
Kostenaufwand
Der Kostenaufwand für die Bürger und Bürgerinnen der Republik Österreich im Jahr 2023 beträgt für die Arbeitsinspektion 67,5 Millionen Euro, der Ertrag durch die Arbeitsinspektion im Jahr 2023 beträgt 0,4 Millionen Euro (https://service.bmf.gv.at/Budget/Budgets/VBB/de/2023/Home/Treemap?type=EV&houseHold=1¤cy=MioEuro&filter=200201&showGrafic=True&showTable=false vom 09.10.2023).
Nicht zu vergessen sind die Kosten der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt AUVA:
EUR 78.798.677 wurden im Jahr 2022 unter anderem für die Unfallverhütung (60 %) und Präventionsberatung von Kleinbetrieben (40 %) investiert.
Fazit
Auch wenn die Unfälle in bestimmten Branchen wie Bau, Land- und Forstwirtschaft (womöglich aus oben genannten Gründen) etwas gestiegen sind, sind die Unfallzahlen im 10-Jahres-Vergleich dennoch tendenziell rückläufig.
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