OGH-Urteil zur Sorgfaltspflicht: Tödlicher Unfall auf Baustelle
Bei einem Baustellenunfall wurde ein Arbeiter von einem rückwärtsfahrenden Radlader überrollt und tödlich verletzt. Die Unfallverursacher bezeichnen den Unfall als unabwendbares, haftungsbefreiendes Ereignis.
Der Unfall ereignete sich, obwohl der Arbeiter davor einige Augenblicke lang im Rückspiegel und in der Rückfahrkamera sichtbar war. Zwei Sozialversicherungsträger klagten auf Kostenersatz. Die Unfallverursacher wandten jedoch ein, der Unfall sei ein unabwendbares, haftungsbefreiendes Ereignis iSD § 3 Abs 2 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) gewesen.
Haftungsbefreiung nur bei äußerster Sorgfalt
Der OGH beurteilt diese Haftungsbefreiung jedoch folgendermaßen: Sie setze voraus, dass die Fahrer „jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben“. Diese Sorgfalt liege nur dann vor, wenn der Fahrzeuglenker ganz besondere Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart und Umsicht zeigt und auch dann der Unfall unvermeidbar war. Ist dies nicht so, gelingt der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht.
Auf einer Baustelle sei jedenfalls mit einem unvorsichtigen Verhalten von Arbeitern zu rechnen, so der OGH. Es sei eine über die gewöhnliche Sorgfalt hinausgehende besondere Umsicht nötig – vor allem beim Rückwärtsfahren. Der Lenker dürfe nur dann ohne Einweisung durch eine andere Person rückwärtsfahren, wenn auf dem Gelände nicht mit fremden Personen zu rechnen ist und er annehmen kann, dass die anwesenden Personen mit den entsprechenden Vorgängen vertraut sind.
Sorgfaltsverstoß des Fahrers
Im dargelegten Fall habe sich der Verunfallte fast eine halbe Sekunde im Sichtfeld des linken Außenspiegels befunden. Zudem sei er etwa eine Sekunde lang im Monitor der Rückfahrkamera sichtbar gewesen. So wäre, auch unter Berücksichtigung der Reaktionszeit, das tödliche Überrollen des Verunfallten durch Beobachtung des linken Rückspiegels und des Fahrassistenten vermeidbar gewesen. Den Monitor der Rückfahrkamera permanent im Auge zu behalten, sprenge nicht den Rahmen der gebotenen äußersten Sorgfalt.
Außerdem habe der Verunfallte kurz zuvor noch mit dem Fahrer am Fenster seines Radladers gesprochen, daher war nicht auszuschließen, dass er sich noch in unmittelbarer Nähe befand.
Der OGH schließt sich somit im Wesentlichen der Beurteilung des Berufungsgerichts an bzw hält diese für nicht korrekturbedürftig, dass den Lenker des Radladers ein Sorgfaltsverstoß am verfahrensgegenständlichen Unfall trifft.
Der OGH sieht einen Rekurs als unzulässig an. Die OGH-Entscheidung 9 ObA 106/20h vom 17. Dezember 2020 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im Volltext einsehbar.