10.06.2021 | Arbeitsrecht | ID: 1093685

COVID-19: Test- und Impfpflicht in Betrieben? Zumutbar oder unzulässig?

Georg Streit - Nikolaus Sauerschnig

Mag. Georg Streit und Mag. Nikolaus Sauerschnig erläutern in diesem Beitrag, welche gesetzlichen Regelungen bezüglich einer Test- und Impfpflicht im Betrieb bestehen. Darf man geimpfte Dienstnehmer bevorzugen?

Wohl kaum ein Thema wurde bzw wird in den letzten Wochen so heiß diskutiert, wie eine Test- bzw Impfpflicht auf bzw gegen COVID-19. Auch (Arbeits-)Juristen sind sich nicht einig, ob Arbeitgeber von ihren Mitarbeiter*innen[1] einen Test- oder gar Impfnachweis für das Betreten von Betriebsräumlichkeiten, noch mehr als Voraussetzung für den Abschluss eines Dienstvertrags fordern können. Im Folgenden liefern wir daher eine Darstellung der Argumente, die gegen eine Test- und/oder Impfpflicht sprechen.

Die Fürsorgepflicht des Dienstgebers

Den Dienstgeber trifft gegenüber seinen Dienstnehmern eine Fürsorgepflicht.[2] Denn der Dienstnehmer ist wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Dienstgeber besonders schutzbedürftig. Die Fürsorgepflicht ist eine Rechtspflicht und nicht um eine bloß freiwillige Rücksichtnahme des Dienstgebers.[3]

Den Kernbereich der Fürsorgepflicht bildet der Schutz von Leben und Gesundheit der Dienstnehmer.[4] Um seiner Fürsorgepflicht nachzukommen, hat der Dienstgeber alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, die den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit seiner Dienstnehmer auf angemessene Weise gewährleisten.[5]

Verletzung der Fürsorgepflicht – was können Arbeitnehmer tun?

Auf die derzeitige Pandemie bezogen bedeutet dies daher, dass der Dienstgeber dafür zu sorgen hat, dass die Gesundheit seiner Dienstnehmer nicht gefährdet ist und das Infektionsrisiko so gut wie möglich minimiert wird. Verletzt der Dienstgeber seine Fürsorgepflicht, kommen zunächst Schadenersatzansprüche der Dienstnehmer in Betracht.

Daneben haben Dienstnehmer auch Anspruch, dass entsprechende Schutzmaßnahmen gesetzt werden und/oder könnten Unterlassungs- bzw Beseitigungsansprüche geltend machen.[6]

Gravierende Fälle der Verletzung der Fürsorgepflicht berechtigen den Dienstnehmer sogar zur Verweigerung der Arbeitsleistung bei bestehendem Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Etwa wenn der Dienstgeber überhaupt keine Schutzmaßnahmen oder beispielsweise Dienstnehmer trotz Symptomen, die für eine COVID-19-Erkrankung sprechen, zur Arbeit erscheinen lässt.

Derartige gravierende Verstöße können bis hin zum vorzeitigen Austritt des Dienstnehmers führen.[7] Insbesondere wenn durch (mangelnde) Maßnahmen des Dienstgebers eine Gesundheitsgefährdung besteht und es keine Alternativen wie Homeoffice gibt, ist ein Austritt wohl zulässig.

Testpflicht in Betrieben?

Als entsprechende Präventionsmaßnahme zum Schutz der Dienstnehmer vor einer COVID-19-Ansteckung kommt sicherlich die regelmäßige Testung von Dienstnehmern infrage. Da diese jedoch wohl einen Eingriff in die körperliche Integrität sowie einen Eingriff in das Recht auf Privatleben gemäß Art 8 EMRK bedeutet, ist eine Testpflicht nur durchsetzbar, wenn die Interessen des Dienstgebers das Infektionsrisiko von Dienstnehmern am Arbeitsplatz zu minimieren und so Schäden für den Betrieb abzuwehren (z.B: vorübergehende Stilllegung) gegenüber den Interessen der Dienstnehmer, der Schutz deren körperlichen Integrität und deren Persönlichkeitsrechte, überwiegen.

Aufgrund der Pandemie besteht ein erhöhtes Risiko von Ansteckungen innerhalb der Belegschaft. Diesem Risiko muss der Dienstgeber aufgrund der Fürsorgepflicht begegnen. Die Durchführung von Tests bildet dabei einen wichtigen Beitrag. Darüber hinaus haben ja Dienstnehmer selbst aus der Fürsorgepflicht den Anspruch, dass der Dienstgeber geeignete Maßnahmen zur Umsetzung des Gesundheitsschutzes setzt. Zudem dient die Testpflicht der Abwendung von Schäden für den Betrieb. Kommt es nämlich zu Ansteckungen in der Belegschaft, kann dies dazu führen, dass der Betrieb für einige Zeit stillgelegt werden muss.

Testverweigerer könnten der Testpflicht zwar entgegnen, dass auch gelinderte Mittel zur Minimierung des Infektionsrisikos möglich sind (z.B.: Tragen eines MNS bzw einer FFP2-Maske oder Homeoffice), jedoch lässt sich dem wiederum entgegenhalten, dass derartige Schutzmaßnahmen auf Dauer für Dienstnehmer wohl unzumutbar sind (z.B: verpflichtende Maskenpause gemäß § 4 „Generalkollektivvertrag Corona-Test). Zudem können Ansteckungen trotz MNS-Tragepflicht nicht immer verhindert werden. Mit Tests ist dies leichter möglich.[8]

Eine gesetzliche Grundlage für die Einführung einer Testpflicht in Betrieben gibt es nach derzeitigem Stand nicht.

In der letzten Änderung des COVID-19-Maßnahmengesetzes („COVID-19-MG“)[9] hat der Gesetzgeber beschlossen, dass als gesundheitspolizeiliche Auflagen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gemäß § 1 Abs 5 Z Z5 und Z 6 COVID-19-MG Dienstnehmer dazu verpflichtet werden können, bei Betreten und Befahren von Arbeitsorten, ein negatives Testergebnis vorzuweisen, wenn wegen der Art der Tätigkeit oder des physischen Kontakts zu anderen Personen die Gefahr einer Ansteckung mit COVID-19 besteht. Liegt kein Testergebnis vor, hat der Dienstgeber die Durchführung eines Tests zu ermöglichen.

Diese Bestimmung bringt für Dienstgeber aber keine gesetzliche Grundlage für die Einführung einer Testpflicht für Dienstnehmer, sondern räumt nur im Rahmen von gesundheitspolizeilichen Maßnahmen die Möglichkeit ein, solche Auflagen zu erlassen.

Offenbar sieht der Gesundheitsminister, der die COVID-19-ÖV und in Folge die 2. COVID-19-Öffnungsverordnung erlassen hat, keinen Anlass für eine generelle Testpflicht in Betrieben. Die 2. COVID-19-ÖV stellt wohl nur das geforderte Mindestmaß an Vorkehrungen gegen Infektionen dar. Dienstgeber müssen aber nicht nur das geforderte Mindestmaß ihrer Fürsorgepflicht erfüllen. Vielmehr müssen Dienstgeber jene Maßnahmen setzen, die für den Schutz der Dienstnehmer konkret erforderlich sind. Der Umfang der Fürsorgepflicht bestimmt sich nicht nach dem Gesetz, sondern ergibt sich aus der jeweiligen Interessensabwägung zwischen den schutzwürdigen Interessen der Dienstnehmer und des Dienstgebers.[10]

Nach Abwägung der oben genannten Interessen von Dienstgebern und Dienstnehmern überwiegen unseres Erachtens die Interessen von Dienstgebern an einer Testpflicht. Durch die Tests wird ein wesentlicher Beitrag geleistet, Dienstnehmer vor einer Infektion zu schützen und können auch Gefahren für den Betrieb, wie etwa eine Stilllegung in Folge von mehreren Infektionen, abgewendet werden. Eine Verpflichtung zum Testen der Dienstnehmer ist für diese daher eher zumutbar als dem Unternehmer, das Risiko der Beeinträchtigung des Betriebs. Die Einführung einer Testpflicht in Betrieben ist daher wohl im Regelfall zulässig.

Impfpflicht im Betrieb?

Eine gesetzliche Impfpflicht gibt es, außer in einigen Spezialfällen (dies betrifft vor allem Gesundheitsberufe[11]), derzeit in Österreich nicht. Ein Dienstnehmer kann (bislang) nicht dazu gezwungen werden, eine vom Dienstgeber vorgeschriebene Impfung vornehmen zu lassen. Begründet wird dies damit, dass eine Impfpflicht einen Eingriff, im Vergleich zur Testpflicht einen viel weiteren Eingriff, in das Recht auf Privatleben gemäß Art 8 EMRK darstellt.

Ein Eingriff in dieses Grundrecht muss ebenso immer sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sind wieder die oben angeführten Interessen des Dienstgebers mit jenen der Dienstnehmer gegenüberzustellen. In diesem Fall überwiegt aber nach überwiegender und unserer Ansicht nach auch überzeugender Ansicht das Interesse der Dienstnehmer.[12]

Eine gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer generellen Impfpflicht bietet aber das Epidemiegesetz. Dieses sieht in § 17 Abs 3 bzw Abs 4 vor, dass für Personen, die in der er Krankenbehandlung, der Krankenpflege, als Hebamme sowie Leichenbesorgung tätig sind oder dies bei anderen Personen aufgrund der Art und des Umfangs einer meldepflichtigen Erkrankung (wozu COVID-19 zählt) zum Schutz der Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, eine Schutzimpfung angeordnet werden kann. Sollte daher die Pandemie außer Kontrolle geraten, bieten diese Bestimmungen des Epidemiegesetzes durchaus eine Grundlage für eine Impfpflicht.

Darf man geimpfte Dienstnehmer bevorzugen?

Die Fürsorgepflicht des Dienstgebers ist zudem Ausgangspunkt für den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser verbietet es dem Dienstgeber, willkürlich und ohne sachliche Rechtfertigung einzelne Dienstnehmer schlechter zu behandeln als andere.[13]

Grundsätzlich bedeutet dies daher, dass nicht geimpfte nicht schlechter behandelt werden dürfen als geimpfte Dienstnehmer. Allerdings betrifft dies eben nur Benachteiligungen, wie etwa dass nicht geimpfte Dienstnehmer gewisse Bereiche des Betriebs überhaupt nicht mehr betreten dürfen. Bietet daher etwa ein Dienstgeber eine Betriebskantine an, darf er nicht geimpften nicht verweigern, dort Speisen abzuholen. Zulässig wäre aber, wenn nicht geimpfte Dienstnehmer Speisen eben nur abholen dürfen, aber dieses nicht in der Betriebskantine selbst konsumieren dürfen.

Zulässig sind unserer Ansicht nach aber Privilegierungen für geimpfte Dienstnehmer. Bei COVID-19 handelt es sich um eine Krankheit, die bei Ansteckung erhebliche Gefahren für Dienstnehmer und den Betrieb selbst mit sich bringt. Durch eine Impfung kann dieses Risiko nahezu beseitigt werden. Darüber hinaus ist zudem zu berücksichtigen, dass die Impfung ja auch die Allgemeinbevölkerung schützt und daher nicht nur betriebliche Interessen für die Vorteile einer Impfung sprechen. Privilegien für geimpfte Dienstnehmer sind daher durchaus gerechtfertigt.

Zulässige Privilegien für Geimpfte

Eine zulässige Maßnahme wäre es etwa, wenn einzuhaltende COVID-19-Hygienevorschriften im Betrieb für geimpfte Dienstnehmer erleichtert werden. So könnte etwa vorgesehen werden, dass diese in der Cafeteria keine Maske tragen müssen. Denkbar wäre etwa auch, dass nicht geimpfte einen weiteren Abstand einhalten müssen oder nur geimpfte Dienstnehmer den Lift gemeinsam verwenden dürfen.

Zulässig wäre ebenso ein Anreiz in Form einer Bonuszahlung für Dienstnehmer, die sich impfen lassen. So könnten Dienstgeber etwa vorsehen, dass Dienstnehmer eine Impfprämie in Höhe von EUR 100,00 erhalten. Dadurch wäre keine nachteilige Behandlung gegenüber nicht geimpften Dienstnehmern gegeben. Nicht geimpfte Dienstnehmer haben nämlich ebenso die Möglichkeit, sich impfen zu lassen und so die Impfprämie zu erhalten. Wollen sie dies aus eigener Überzeugung nicht, dann besteht keine nachteilige Behandlung, da ja mit der Impfprämie nur ein zusätzliches Verhalten von Dienstnehmern, das insbesondere zum Wohl des Betriebs und der Allgemeinbevölkerung ist, belohnt werden soll.

Impfstatus erfragen bei Bewerbungen?

Eine in diesem Zusammenhang bestehende Frage ist zudem, ob Dienstgeber bei Bewerbungen nach dem Impfstatus fragen dürfen und so die Anstellung von nicht geimpften Personen vermeiden können.

Bei Bewerbungen kommt Dienstgebern grundsätzlich kein Fragerecht hinsichtlich einer COVID-19-Impfung zu. Derartige Fragen stellen einen zu weiten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines Bewerbers dar. Sofern es sich aber um eine Arbeit handelt, bei der aufgrund der in Aussicht genommenen Tätigkeit ein erhöhtes Ansteckungsrisiko und damit eine Gefahr für die Gesundheit anderer besteht, lässt sich jedoch ein solches Fragerecht rechtfertigen. Dies betrifft daher vor allem Ärzte, die eine Stelle im Krankenhaus antreten wollen. Die Frage nach dem Impfstatus ist in solchen Fällen gerechtfertigt, da aufgrund der Tätigkeit ein erhöhtes Infektionsrisiko gegeben ist.[14]

Fazit

Zusammengefasst lässt sich daher eine Testpflicht in Betrieben rechtfertigen. Eine Gesamtabwägung der Interessen führt zu dem Ergebnis, dass die Interessen des Dienstgebers überwiegen, da mit einer Testpflicht nicht nur Schäden für den Betrieb selbst abgewendet werden können, sondern darüber hinaus das Infektionsrisiko minimiert und damit der Schutz der Dienstnehmer sichergestellt werden kann.

Im Fall der Impfplicht geht die Interessensabwägung jedoch (zumindest derzeit) zugunsten der Dienstnehmer aus. Eine Impfpflicht stellt einen zu weiten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Dienstnehmer dar und lässt sich nicht rechtfertigen. Zulässig sind aber Privilegierungen für geimpfte Dienstnehmer. Zu beachten ist dabei aber, dass keine Benachteiligung für nicht geimpfte Dienstnehmer entstehen darf, sondern lediglich das Verhalten von impfwilligen Dienstnehmern belohnt werden soll.

Autoren

Georg Streit ist Partner, Nikolaus Sauerschnig ist Rechtsanwaltsanwärter bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG (Wien).

Link auf die Website: https://www.h-i-p.at/

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Fußnoten:

[1] Fortan wird zur besseren Lesbarkeit die männliche Form gewählt. Die Angaben beziehen sich aber selbstverständlich auf Angehörige aller Geschlechter

[2] § 18 AngG

[3] Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm § 18 AngG Rz 1ff

[4] RS 0021267, OGH 9 ObA 143/03z

[5] Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm § 18 AngG Rz 27 und Rz 131

[6] Naderhirn in Reissner AngG3, Rz 74

[7] Mosler in Neumayr/Reissner, ZellKomm § 18 AngG Rz 128ff

[8] Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff

[9] BGBl I Nr 90/2021

[10] OGH 9 ObA 9/95

[11] Vgl etwa § 26 Abs 7 StKAG

[12] vgl Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff; vgl https://sbg.arbeiterkammer.at/corona-faq

[13] OGH 9 ObA 229/02 w; Vgl Naderhirn in Reissner Kommentar zum Angestelltengesetz, § 18 Rz 65

[14] Grimm/Wolf, Verpflichtende Tests und Impfungen in der COVID-19-Pandemie aus arbeitsrechtlicher Sicht, JMG 1/2021, 8ff; vgl Medical Dialogue, Impfungen für Erwachsene im erwerbsfähigen Alter, S 12; vgl https://sbg.arbeiterkammer.at/corona-faq

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