Was die EU-Gewaltschutz-Richtlinie kann
Die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ revolutioniert Gewaltschutz!
Zu den häufigsten Menschenrechtsverletzungen • [Fußnote: RL 2024/1385/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.Mai 2024 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ABl L, 2024/1385. https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-measures-end-violence-against-women/(eingesehen am 03.09.2024); https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-oct14_de.pdf (eingesehen am 03.09.2024).] weltweit zählt Gewalt an Frauen oder Mädchen. In der EU ist Erhebungen zufolge jede dritte Frau von Gewalt betroffen, eine von zwei Frauen erfährt sexuelle Belästigung und • [Fußnote: https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-oct14_de.pdf (eingesehen am 03.09.2024).] nach Schätzungen der EU wurden mindestens 600.000 Frauen europaweit Opfer von Genitalverstümmelungen • [Fußnote: https://www.consilium.europa.eu/de/policies/eu-measures-end-violence-against-women/(eingesehen am 03.09.2024).] .
Die Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt • [Fußnote: Siehe auch Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11.05.2011 (Istanbul-Konvention), welches von Österreich unterzeichnet wurde https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-gleichstellung/gewalt-gegen-frauen/istanbul-konvention-gewalt-gegen-frauen.html (eingesehen am 20.08.2024); Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau BGBl 1982/443.] ist ein wesentliches Regelungskonvolut zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder auf unionsrechtlicher Ebene. Sie trat am 13. Juni 2024 in Kraft und sieht unter anderem Strafregelungen hinsichtlich körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt sowie Normen bzgl Opferrechten und Prävention vor. Die EU-Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie bis 14. Juni 2027 in nationales Recht umsetzen • [Fußnote: Art 49 der RL ABl L 2024/1385.] .
Ziele der Richtlinie
Nach Art 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) in Verbindung mit Art 21 und 23 Grundrechtecharta zählen zu den Werten und Grundrechten der EU unter anderem Gleichheit sowie das Diskriminierungsverbot. Nachdem sowohl Gewalt gegen Frauen • [Fußnote: Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kap 3 bis 7 für Opfer geschlechtsunabhängig Gültigkeit erlangen (Art 1 Abs 2 der RL ABl L 2024/1385).] als auch häusliche Gewalt diese tragenden Werte der Union gefährden, setzt sich die vorliegende Richtlinie die Vermeidung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder in der EU zum Ziel • [Fußnote: Erwägungsgründe (1) und (2) zur RL ABl L 2024/1385.] .
Die Richtlinie enthält Mindestvorschriften hinsichtlich Straftaten und Strafen bzgl sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern und Cyberkriminalität, Opferrechte, Opferschutz- und Unterstützungsbestimmungen sowie Maßnahmen zur Prävention • [Fußnote: Art 1 Abs 1 der RL ABl L 2024/1385.] .
Begriffsdefinitionen
Unter der Bezeichnung • [Fußnote: Art 2 der RL ABl L 2024/1385.] „Gewalt gegen Frauen“ werden Formen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen oder Mädchen verstanden, die zu physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schäden führen (können). Davon ist auch die Androhung derartiger Akte, Nötigung oder Freiheitsentziehung umfasst, unabhängig davon, ob diese im öffentlichen oder privaten Bereich stattfinden.
Die Begrifflichkeit „Häusliche Gewalt“ beschreibt Akte physischer, psychischer, sexueller oder wirtschaftlicher Gewalt in der Familie oder im Haushalt. Nicht von Relevanz ist jedoch, ob Täter und Opfer biologisch oder rechtlich verbunden sind, oder im gemeinsamen Haushalt wohn(t)en. Häusliche Gewalt wird bspw vom (früheren) Ehepartner oder Partner begangen.
„Opfer“ iSd RL sind Personen gleich welchen Geschlechts, die einen Schaden erlitten haben, welcher unmittelbar durch Gewalt gegen Frauen oder häusliche Gewalt hervorgerufen wurde. Von der Opferdefinition sind auch Kinder • [Fußnote: ISd RL sind dies Personen unter 18 Jahren (Art 2 lit f der RL ABl L 2024/1385).] umfasst, die Zeugen häuslicher Gewalt wurden und dadurch einen Schaden erleiden mussten. Dass auch Kinder von der Opferdefinition umfasst sind, ist ein wesentlicher Schritt, um vulnerable Personen zu schützen, welche unmittelbar häusliche Gewalt miterleben, geschädigt und dadurch selbst Opfer werden • [Fußnote: Erwägungsgründe (13) zur RL ABl L 2024/1385.] .
„Abhängige Personen“ sind Personen oder auch Kinder, die mit dem Opfer im gemeinsamen Haushalt leben und vom Opfer betreut bzw unterstützt werden, die jedoch selbst nicht Täter oder Verdächtiger sind.
Ausgewählte Straftaten iSd RL
Genitalverstümmelung
Die vorsätzliche Genitalverstümmelung ist von den Mitgliedsstaaten der EU unter Strafe zu stellen. Hiervon sind das Entfernen, die Infibulation • [Fußnote: (Teilweise) Verschließen der großen Schamlippen, siehe https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/female-genital-mutilation (eingesehen am 03.09.2024) sowie Erwägungsgründe (15) zur RL ABl L 2024/1385.] oder das sonstige Verstümmeln der Schamlippen oder Klitoris bzw Teilen davon und ein Verhalten, durch welches Frauen oder Mädchen dazu genötigt bzw gebracht werden, derartige Handlungen durchführen zu lassen, umfasst (Art 3).
Zwangsheirat
Ebenso ist vorsätzliche Zwangsverheiratung von Erwachsenen oder Kindern zu bestrafen. Unter Zwangsheirat wird das Zwingen eines Erwachsenen oder Kindes zur Eheschließung verstanden. Ebenfalls erfasst ist das Locken in ein anderes Land als das Wohnsitzland des Erwachsenen oder Kindes unter der Absicht, diesen oder dieses zur Heirat zu zwingen (Art 4).
Cybergewalt
Definition
Cybergewalt ist als Überbegriff von Gewaltakten zu verstehen, die mittels Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) durchgeführt werden, wodurch die Schwere der Straftaten erheblich verstärkt wird. Cybergewalt trifft ua Politikerinnen, Journalistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen, aber auch Mitarbeiterinnen in Bildungseinrichtungen (etwa Schulen oder Universitäten). • [Fußnote: Erwägungsgründe (17) zur RL ABl L 2024/1385.]
Nicht-einvernehmliche Weitergabe von intimem oder manipuliertem Material
Die EU-Mitgliedsstaaten haben die vorsätzliche nicht einvernehmliche Weitergabe von intimem bzw manipuliertem Material zu bestrafen.
Hierunter fällt das öffentliche • [Fußnote: Unter öffentlichem Zugänglichmachen wird iSd RL verstanden, dass potenziell eine Personenanzahl erreicht wird, siehe Erwägungsgründe (18) zur RL ABl L 2024/1385.] Zugänglichmachen von Bildern • [Fußnote: Einschließlich sexualisierter Audio- und Videoclips, siehe Erwägungsgründe (19) zur RL ABl L 2024/1385.] , Videos oä, welche sexuelle Handlungen oder intime Körperstellen einer anderen Person zeigen, ohne dass diese hierin eingewilligt hat. Das Material muss mittels IKT der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein und die genannten Handlungen müssen der betroffenen Person wahrscheinlich einen schweren Schaden zufügen (Art 5 Abs 1 lit a). Die Strafbarkeit ist unabhängig davon gegeben, ob das Opfer der Materialerstellung zugestimmt hat, oder dieses an eine andere Person weitergegeben hat. • [Fußnote: Erwägungsgründe (19) zur RL ABl L 2024/1385.]
Auch das Herstellen, Manipulieren oder Verändern von Bildern, Videos oä (bspw durch Bildbearbeitung oder mittels KI), welche den Eindruck erwecken, die betroffene Person nehme eine eindeutig sexuelle Handlung vor und das anschließende mittels IKT der Öffentlichkeit Zugänglichmachen, ohne dass die betroffene Person hierzu ihr Einverständnis erteilt, fällt unter diesen Tatbestand. Die genannten Handlungen müssen der betroffenen Person wahrscheinlich einen schweren Schaden zufügen (Art 5 Abs 1 lit b).
Cyberstalking
Vorsätzlich ständige oder mehrfache Überwachung von Personen ohne deren Zustimmung oder rechtliche Grundlage durch IKT, um diese zu verfolgen • [Fußnote: ISv Nachverfolgung des Aufenthaltsortes des Opfers, siehe Erwägungsgründe (23) zur RL ABl L 2024/1385.] oder überwachen • [Fußnote: ISv Beobachtung des Opfers, siehe Erwägungsgründe (23) zur RL ABl L 2024/1385.] , sollen strafbar sein, wenn diese Handlungen wahrscheinlich zu einer schweren Schädigung der betreffenden Person führen (Art 6). Hierunter fallen etwa Identitätsdiebstahl, Diebstahl von Passwörtern, Hacking, Geolokalisierung, die Nutzung von Stalkerware oder der Diebstahl der Geräte der betroffenen Person. • [Fußnote: Erwägungsgründe (21) zur RL ABl L 2024/1385.]
Cybermobbing
Vorsätzliches Cybermobbing ist zu bestrafen. Hierunter fallen:
- Mehrfache oder ständige durch IKT ausgeführte Bedrohung einer Person, insb wenn diese Handlungen mit Straftatandrohungen verknüpft sind und mit gewisser Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass das Opfer sich ernsthaft um die Sicherheit ängstigt (Art 7 lit a)
- Mit anderen Personen durch IKT vollzogene öffentlich zugängliche Bedrohung oder Beleidigung eines Opfers, wenn diese Akte wahrscheinlich schwere psychische Schäden beim Opfer herbeiführen (Art 7 lit b)
- Unerbetene durch IKT erfolgte Übermittlung eines Bildes, Videos oä, auf welchem Genitalien gezeigt werden, sog Cyberflashing, wenn diese Handlungen der empfangenden Person wahrscheinlich schweren psychischen Schaden zufügen (Art 7 lit c)
- Das mittels IKT durchgeführte öffentliche Zugänglichmachen von Material mit personenbezogenen Daten, ohne Einwilligung des Opfers, um andere anzustiften, dem Opfer körperlichen oder schweren psychischen Schaden anzutun, sog Doxing (Art 7 lit d).
Aufstachelung zu Gewalt oder Hass im Internet
Im Internet, va iRd Nutzung sozialer Medien kam es in den letzten Jahren zu vermehrter Aufstachelung zu Hass und Gewalt aus Gründen des Geschlechts. Hintergrund ist, dass mittels IKT schnell und einfach Hetze ausgetauscht werden kann und das Internet durch vermutete Anonymität zur Enthemmung beiträgt. • [Fußnote: Erwägungsgründe (25) zur RL ABl L 2024/1385.]
Deshalb ist auch das vorsätzliche Aufstacheln zu Gewalt bzw Hass gegen eine Personengruppe oder gegen einzelne Mitglieder dieser Gruppe aufgrund ihres Geschlechts, durch öffentliches Verbreiten von zur Aufstachelung dienendem Material durch IKT von den Mitgliedsstaaten unter Strafe zu stellen (Art 8).