EuGH: Tochtergesellschaft bedeutet nicht automatisch „feste Niederlassung“ in der Umsatzsteuer
Die Gastautoren Mag. Andreas Kampitsch und MMag. Michael Petritz besprechen in ihrem Beitrag dieses aktuelle EuGH-Urteil zur Frage, warum bei Bestehen einer inländischen Tochtergesellschaft nicht automatisch eine feste Niederlassung vorliegt.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.05.2020, Dong Yang Electronics, C-547/18 entschieden, dass aus dem Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft unterhält, nicht automatisch geschlossen werden kann, dass diese Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat auch eine „feste Niederlassung“ unterhält. Darüber hinaus ist es nach dem Urteil auch nicht zulässig, dass der an die Muttergesellschaft eine Leistung Erbringende zu prüfen verpflichtet ist, ob aufgrund sonstiger vertraglicher Verflechtungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft letztere eine feste Niederlassung darstellt.
1 Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits
Die polnische Gesellschaft Dong Yang schloss mit der südkoreanischen LG Korea mit Sitz in Seoul einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen in Form der Montage von Leiterplatten aus Materialien und Komponenten, die im Eigentum von LG Korea standen. Die für die Fertigung der Leiterplatten notwendigen Materialien und Komponenten wurden von einer Tochtergesellschaft von LG Korea, der LG Polen, einer Gesellschaft polnischen Rechts, verzollt und dann Dong Yang übergeben.
Dong Yang übergab die montierten Leiterplatten an LG Polen, die diese gemäß einem mit LG Korea geschlossenen Vertrag für die Herstellung von TFT‑LCD-Modulen verwendete. Diese Module, die im Eigentum von LG Korea standen, wurden an eine weitere Gesellschaft, die LG Germany, geliefert. LG Polen verfügt über eigene Produktionsmittel. Diese Gesellschaft und LG Korea haben unterschiedliche Umsatzsteuer‑Identifikationsnummern. Überdies versicherte LG Korea Dong Yang, dass die Gesellschaft in Polen keine Arbeitnehmer beschäftige bzw keine Immobilien oder technische Ausstattung in Polen besitze.
Dong Yang stellte der LG Korea die Montage der Leiterplatten in Rechnung, wobei Dong Yang der Auffassung war, dass diese Dienstleistungen in Polen nicht der Mehrwertsteuer (Leistungsort außerhalb Polens) unterlägen. Die polnische Finanzverwaltung allerdings betrachtete die LG Polen als feste Niederlassung der LG Korea und unterzog die von Dong Yang an LG Korea erbrachten Leistungen folglich der Mehrwertsteuer, weil die LG Korea ihre polnische Tochtergesellschaft aufgrund der vertraglichen Beziehungen wie eine feste Niederlassung nutze. Überdies hätte Dong Yang prüfen müssen, wer tatsächlich Begünstigter der von Dong Yang erbrachten Dienstleistungen sei und sich nicht auf die Bestätigung der LG Korea verlassen dürfen. Im daran anschließenden Rechtsstreit legte das polnische Finanzgericht dem EuGH die Frage vor, ob aus dem bloßen Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft unterhalte, geschlossen werden könne, dass eine feste Niederlassung dieser Gesellschaft in dem Mitgliedstaat vorliege. Für den Fall, dass diese Frage zu verneinen sei, bat das polnische Finanzgericht den EuGH auch um Beantwortung der Frage, ob ein Dritter wie Dong Yang verpflichtet sei, die vertraglichen Verhältnisse zwischen der Gesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft zu prüfen, um zu ermitteln, ob die Muttergesellschaft eine feste Niederlassung im Mitgliedstaat hat.
Anzumerken ist, dass im gegenständlichen Sachverhalt die Besonderheit vorlag, dass aufgrund des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Südkorea und des diesbezüglichen Vorbehalts Polens koreanische Investoren in Polen nur mittels Gesellschaften (nicht aber mittels Zweigstellen) tätig sein dürfen. Diesem Umstand kommt allerdings nach der Entscheidung des EuGH keine entscheidende Bedeutung zu.
2 Das Urteil des EuGH
Nach Art 11 der DurchführungsVO gilt als „feste Niederlassung“ jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine von der Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat gehaltene Tochtergesellschaft als feste Niederlassung der Muttergesellschaft darstellt, für die Einstufung einer Niederlassung als „feste Niederlassung“ iSd Mehrwertsteuerrechts sei nicht allein die Rechtsform der betreffenden Einrichtung relevant.
So sei es zwar möglich, dass eine Tochtergesellschaft eine feste Niederlassung iSd Mehrwertsteuerrechts darstelle (dies hatte der EuGH bereits in seinem Urteil vom 20.02.1997, DFDS, C-260/95, zu einem Reiseveranstalter entschieden), diese Tochtergesellschaft müsse aber die materiellen Voraussetzungen des Art 11 DurchführungsVO erfüllen, um als feste Niederlassung zu gelten. Diese Voraussetzungen müssen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität geprüft werden. Es könne aber nicht aus dem bloßen Bestehen einer Tochtergesellschaft abgeleitet werden, dass eine feste Niederlassung im Mitgliedstaat bestehe.
Hinsichtlich der Frage, inwieweit der Dienstleistungserbringer (im konkreten Fall: Don Yang) verpflichtet sei, die vertraglichen Verhältnisse zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft zu prüfen, verweist der EuGH auf Art 22 DurchführungsVO. Demnach seien die Art und die Verwendung der an den steuerpflichtigen Empfänger erbrachten Dienstleistung zu prüfen. Kann die feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers nicht durch diese Prüfung ermittelt werden, ist sodann insbesondere zu prüfen, ob der Vertrag, der Bestellschein sowie die vom Mitgliedstaat des Dienstleistungsempfängers vergebene und dem Dienstleistungserbringer vom Empfänger mitgeteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer die feste Niederlassung als Dienstleistungsempfänger ausweisen und ob die feste Niederlassung die Dienstleistung bezahlt. Kann die feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers nicht anhand der beiden vorgenannten Kriterien bestimmt werden, darf der Dienstleistungserbringer berechtigterweise davon ausgehen, dass die Dienstleistungen an dem Ort erbracht werden, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat (im konkreten Fall: Südkorea).
Aus Art 22 DurchführungsVO ergebe sich folglich nicht, dass der Erbringer der Dienstleistungen verpflichtet wäre, die vertraglichen Verhältnisse zwischen einer Gesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat zu prüfen, um zu ermitteln, ob die Gesellschaft eine feste Niederlassung in dem Mitgliedstaat hat. Es käme nach Art 22 DurchführungsVO nämlich auf den Vertrag zwischen dem Erbringer (Dong Yang) und Empfänger (LG Korea) und nicht auf den Vertrag zwischen diesem Empfänger und einer Einrichtung, die als seine feste Niederlassung ermittelt werden könne, an.
Der Dienstleistungserbringer (Dong Yang) ist daher nicht verpflichtet, für die Zwecke der Beurteilung, ob eine feste Niederlassung vorliegt, die vertraglichen Verhältnisse zwischen der Mutter- und Tochtergesellschaft zu prüfen.
3 Fazit
Das Urteil des EuGH sorgt für Klarheit im Bezug auf die Frage, ob bei Bestehen einer inländischen Tochtergesellschaft automatisch eine feste Niederlassung vorliegt und verneint dies deutlich. Zwar kann eine solche Tochtergesellschaft eine feste Niederlassung begründen, dies ist allerdings nicht aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Tochtergesellschaft existiert, gegeben, sondern vielmehr anhand der durch Art 11 DurchführungsVO vorgegebenen Prüfung zu ermitteln. Darüber lehnt der EuGH eine Prüfung der vertraglichen Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft durch den Dienstleistungserbringer ab. Dieser hätte in den meisten Fällen wohl gar keine Möglichkeit, diese vertraglichen Beziehungen zu prüfen.
Autoren
Mag. Andreas Kampitsch
Mag. Andreas Kampitsch, LL.M., Steuerberater, lehrt und forscht am Institut für Finanzmanagement an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
MMag. Michael Petritz
MMag. Michael Petritz, LL.M. ist als Steuerberater bei der KPMG Austria Gruppe in Wien tätig. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind das Unternehmenssteuerrecht, Internationales Steuerrecht, Estate Planning sowie Gebühren- und Verkehrsteuern. Weiters ist er Univ.-Lektor an der WU-Wien. Als Autor schreibt er für Gesellschaftsrecht Online sowie das Werk „Übertragung von Unternehmen“.