21.02.2024 | Arbeitssicherheit & Brandschutz | ID: 1163938

Brandschutz für Arbeitnehmer mit Behinderung

Clemens Purtscher

Arbeitnehmer mit Behinderung müssen im Brandfall die Arbeitsstätte rasch und gefahrlos verlassen können. Für die Flucht bzw Rettung müssen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen gesetzt werden.

Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen (Behinderungen) werden auch als Menschen mit besonderen Bedürfnissen bezeichnet, und diese Bedürfnisse müssen speziell auch dann erfüllt werden, wenn es darum geht, sich vor einer drohenden Gefahr in Sicherheit zu bringen.

Zu dieser Personengruppe können zählen:

  • Bewegungseingeschränkte Personen: gehbehinderte Personen, Rollstuhlfahrer
  • Sinneseingeschränkte Personen: Sehbehinderte, Blinde, Hörbehinderte, Gehörlose
  • Kognitiv eingeschränkte Personen

Neben chronisch von solchen Einschränkungen betroffenen Personen sind auch temporäre Einschränkungen nicht zu vergessen, zB wenn jemand aufgrund einer Verletzung nicht ohne Unterstützung eine Treppe überwinden kann.

Im Fluchtkonzept gemäß Arbeitsstättenverordnung ist daher durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass behinderte/eingeschränkte Arbeitnehmer im Gefahrenfall flüchten können oder in Sicherheit gebracht werden.

Organisatorische Maßnahmen

Das Zentrale Arbeitsinspektorat empfiehlt, dass der Arbeitgeber gemeinsam mit dem Arbeitsmediziner und der Sicherheitsfachkraft die Gefahren ermittelt, beurteilt und dokumentiert.

Dabei sind insbesondere folgende Fragen zu klären:

  • In welchen Betriebsbereichen befinden sich Arbeitnehmer mit Behinderung während ihrer Arbeit?
  • Wo befinden sich Arbeitnehmer mit Behinderung im Gefahrenfall oder wo sollen sie sich befinden?
  • Sind für die Flucht bzw die Rettung von Menschen mit Behinderung geeignete Maßnahmen (Brandschutzplan, erweiterter vorbeugender Brandschutz, Rettungsweg etc) gesetzt?

Der Arbeitgeber soll dann Kontakt mit den betroffenen Behörden (Arbeitsinspektorat, Feuerwehr, Bezirksverwaltungsbehörde) aufnehmen, deren Sachverständige die erforderlichen Maßnahmen festlegen, um einen gleichwertigen Schutz der Arbeitnehmer mit Behinderung zu gewährleisten. Diese besonderen Maßnahmen werden von der Behörde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens bewilligt. Im Rahmen dieses Verfahrens sind Ausnahmen von Arbeitnehmerschutzbestimmungen möglich. Die besonderen Maßnahmen sind bei Bedarf (zB bei geänderten Gefahrensituationen) anzupassen!

Zu den organisatorischen Maßnahmen zählen auch Routinen zum Melden und Registrieren eingeschränkter Personen, um im Gefahrenfall rasch zu wissen, ob und wo im Betrieb sie sich befinden. Es sollten Personen samt Stellvertretern benannt sein, die sich im Gefahrenfall um die eingeschränkten Personen kümmern. Die zu treffenden Maßnahmen sind in der Brandschutzordnung festzuhalten.

Bei Personen mit leichten kognitiven Einschränkungen ist es auch eine Option, den Aushang „Verhalten im Brandfall“ in leichter Sprache anzufertigen.

Als Voraussetzung für die Rettung sind folgende Schutzziele zu erfüllen:

  • Alarmierung aller Personen sicherstellen
  • Orientierung auf dem Fluchtweg gewährleisten
  • Lückenlose Mobilitätskette für die Selbstrettung schaffen

Alarmierung

Durch geeignete technische oder organisatorische Maßnahmen ist dafür zu sorgen, dass dauerhaft oder temporär sinneseingeschränkte Personen im Gefahrenfall wirksam alarmiert werden. Dafür ist grundsätzlich das so genannte Zwei-Sinne-Prinzip anzuwenden, dh Informationen müssen für zwei Sinne gleichzeitig wahrnehmbar aufbereitet sein (zB ein Räumungsalarm nicht nur akustisch und nicht nur optisch). Als zweiter Alarmierungsweg können auch Vibrationen auf einem speziellen Alarmgeber oder digitale Systeme auf privaten Mobiltelefonen eingesetzt werden.

Dabei darf auch nicht auf die Alarmierungseinrichtungen in Toiletten für Menschen mit Behinderung vergessen werden.

Orientierung auf dem Fluchtweg

Um sinneseingeschränkten Personen die Orientierung auf dem Fluchtweg zu erleichtern, stehen verschiedene Lösungen zur Verfügung, die von taktil erfassbaren Leitelementen über eine akustisch-dynamische Fluchtwegsteuerung bis hin zu Flucht- und Rettungsplänen in Reliefform reichen.

In der Nähe (dh in einem horizontalen Abstand von höchstens 2 m) von Schutzbereichen für Menschen mit Behinderung und von Rufanlagen müssen Rettungswegleuchten angebracht sein. Bei Fluchtgeräten für Menschen mit Behinderung sind zur besseren Erkennbarkeit Sicherheitsleuchten mit einer vertikalen Mindestbeleuchtungsstärke von 5 Lux in einem Abstand von höchstens 2 m anzubringen.

Rettung (Selbstrettung und Fremdrettung)

Im Brandschutz wird grundsätzlich zwischen Selbstrettung und Fremdrettung (durch die Feuerwehr) unterschieden. Im Vordergrund steht immer die Selbstrettung, dh dass so viele Personen wie möglich das Gebäude selbstständig verlassen können. Eine Sonderform ist die Selbstrettung mit Hilfestellung, bei der die Rettung ins Freie zB durch betrieblich organisierte Evakuierungshelfer erreicht wird.

Für sinneseingeschränkte und kognitiv eingeschränkte Personen stellen die Evakuierungshelfer zunächst sicher, dass die betreffenden Personen den Alarm wahrgenommen bzw richtig eingeordnet haben und bieten dann eine Begleitung (zB mit eingehakten Armen) für die Orientierung bzw für die Betreuung der eingeschränkten Person. Für bewegungseingeschränkte Personen kann nach Möglichkeit auf technische Hilfsmittel zurückgegriffen werden, um zB Rollstuhlfahrer über eine Stiege zu transportieren. Deren Einsatz muss freilich geübt werden, um im Ernstfall verlässlich zu funktionieren.

Die Rettung durch andere Arbeitnehmer ist nach Ansicht des Zentralen Arbeitsinspektorats in der Praxis aber oft kein ausreichendes Mittel, damit Arbeitnehmer mit Behinderung im Gefahrenfall die Arbeitsstätte rasch und gefahrlos verlassen können. Daher sollten für die Selbstrettungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung bauliche und technische Lösungen möglichst früh erwogen werden. Nach bereits erfolgter Planung und Errichtung eines Gebäudes ohne solche Lösungen stehen nur noch organisatorische Rettungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Falls aufgrund der baulichen Gegebenheiten keine lückenlose Mobilitätskette für Menschen mit Behinderung gewährleistet ist, müssen die Voraussetzungen für eine Fremdrettung geschaffen werden, insbesondere durch einen vor Feuer und Rauch sicheren Bereich (bauliche Sonderlösung), in dem die betroffene Person auf ihre Bergung warten kann. In diesem Raum muss es eine an die Behinderungsart angepasste Möglichkeit geben, einen Notruf abzusetzen.

Hinweis:

Dieser Beitrag behandelt den Fall von Unternehmen, die einzelne Mitarbeiter mit Behinderungen beschäftigen. Für Unternehmen oder Institutionen, in denen sich eingeschränkte Personen in größerer Zahl befinden (zB Tageswerkstätten, Pflegeheime), sind die hier geschilderten Maßnahmen natürlich nicht ausreichend.

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