Sturmschäden: Haftung der Gemeinde?
Schäden und Unfälle durch umstürzende Bäume und herabfallende Äste – leider aufgrund der steigenden Zahl an Unwettern in den letzten Jahren kein Einzelfall. Kann das zu Haftungsfällen in der Gemeinde führen?
Morsche Bäume auf einem Friedhof oder vor einem Kindergarten: Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen oder herabfallende Ästen verursacht werden, können rasch zu haftungsrechtlichen Fragen in der Gemeinde führen. Jedes Jahr werden zahlreiche Gemeinden zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt, weil ihnen mangelhafte Sorgfaltspflicht bei der Baumkontrolle nachgewiesen werden konnte. Erfahren Sie in diesem Beitrag, wie Sie sich als Gemeinde vor teuren Haftungsansprüchen absichern können.
Gesetzliche Grundlagen?
Der österreichische Rechtsbestand kennt keine eigenen Rechtsgrundlagen, die für derartige Fälle in Betracht kommen. Dadurch allein kann allerdings nicht darauf geschlossen werden, dass keine Haftung in Betracht kommt. Mittels Analogie können unter bestimmten Voraussetzungen vergleichbare gesetzliche Bestimmungen herangezogen werden. Ein Analogieschluss setzt eine Gesetzeslücke voraus, das heißt also, dass der Rechtsfall nach dem Gesetz nicht beurteilt werden kann, jedoch von Rechts wegen einer Beurteilung bedarf. Es muss also eine „planwidrige Unvollständigkeit“, das heißt eine nicht gewollte Lücke, vorliegen. Eine Lücke im Rechtssinn ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie (Zweck), unvollständig ist.
Das ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) sieht in § 1319 Folgendes vor:
„Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatze verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe.“
Voraussetzung für die Haftung für Bauwerke ist, dass der Einsturz oder die Ablösung von Gebäudeteilen auf eine mangelhafte Beschaffenheit des Gebäudes oder Werkes zurückzuführen ist. Mangelhaftigkeit ist dann gegeben, wenn das (Bau)Werk nicht der allgemein zu erwartenden Sicherheit entspricht. Bei Kenntnis der Gefahr kommt kein Haftungsanspruch zustande.
Die Haftung entfällt auch dann, wenn der Gebäudehalter beweisen kann, dass die erforderliche Sorgfalt angewandt wurde, um etwaige Gefahren abzuwenden, ebenso, wenn die Gefahr für den Besitzer gar nicht erkennbar gewesen ist.
Der haftende „Besitzer“
Besitzer kann der Eigentümer selbst sein, aber auch ein Mieter oder Pächter oder ein Fruchtnießer. Auf die Eigentümereigenschaft kommt es letztlich nicht an. Vielmehr ist entscheidend, wer die tatsächliche Verfügungsmacht über die Sache und damit die Möglichkeit der Gefahrenabwehr hat. Gemeinden müssen daher auch bei gepachteten oder gemieteten Grundstücken den Blick auf mögliche Haftungen richten.
Baumhalterhaftung im Analogieschluss
Die Haftung nach § 1319 ABGB wird nach der Rechtsprechung auch auf Bäume ausgedehnt. Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen verursacht werden, sind im Wege der Analogie in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung einzubeziehen. Bei Bäumen liegt der Grund der verschärften Haftung nach § 1319 ABGB nicht darin, dass sie als gefährlich angesehen werden, sondern darin, dass die erhöhte Gefährlichkeit auf einem Mangel beruht. Eine solche mangelnde Beschaffenheit liegt aber nur dann vor, wenn durch den Zustand eines Baumes von diesem eine besondere Gefahr ausgeht. Sie kann infolge mechanischer Verletzung des Baumes oder einer Krankheit bestehen (OGH, 2 Ob 203/11h).
Im Fall eines an sich „gesunden“, durch einen Sturm entwurzelten Baums wird dessen mangelhafter Zustand in der durch vorangegangene Rodungsarbeiten verursachten erhöhten „Windwurfanfälligkeit“ gesehen. Keine Haftung besteht nach § 1319 ABGB, wenn der Schaden weder durch das Umstürzen eines Baums noch durch abgebrochene oder gelockerte Äste, sondern durch deren natürliche, wenn auch – bedingt durch starken Sturm – heftige Bewegung herbeigeführt wurde (OGH 17.06.2010, 2 Ob 193/09k).
Hinzu kommt, dass die Judikatur in der Feststellung des vom Baumhalter zu erfüllenden Sorgfaltsmaßstabs entsprechende facheinschlägige Normen zur Beurteilung heranzieht, deren Kenntnis daher zur Vermeidung von Haftung unerlässlich ist. Die Zivilgerichte gehen davon aus, dass jeder Baumeigentümer entweder die in der Ö-Norm L 1122 („Baumpflege und Baumkontrolle“) vorgesehenen regelmäßigen Kontrollintervalle und Prüfvorgänge kennt oder dass diese Norm den allgemeinen von Eigentümern und Baumhaltern an den Tag gelegten Sorgfaltsmaßstab beschreibt.
Sorgfaltsmaßstab: Baumkontrolle durch die Gemeinde
Die Anforderungen an den Eigentümer eines Baumes sollen dabei aber nicht überspannt werden. Baumhalter sind nur angehalten solche Vorkehrungen zur Schadensvermeidung zu treffen, die vernünftigerweise nach der Lebenserfahrung und nach Lage der Umstände erwartet werden können. Darin liegt ein gewisser Widerspruch, da die genannte Ö-Norm L 1122 sehr hohe Ansprüche stellt, die wohl kaum der üblichen Lebenserfahrung entsprechen und dennoch in Haftungsfragen relevant werden können. Diese unbefriedigende Situation ist allerdings bis auf weiteres so hinzunehmen. Ö-Normen sind keine per se verbindlichen Rechtsquellen, werden jedoch häufig zur Füllung von unbestimmten Gesetzesbegriffen im Rahmen der Auslegung herangezogen.
Im Regelfall genügt es, wenn der Besitzer (die Gemeinde) in regelmäßigen Abständen Bäume (insbesondere solche an exponierten Stellen wie Straßenrändern, Gehwegen, öffentlichen Plätzen etc) einer sorgfältigen äußerlichen Untersuchung unterzieht. Der Standort eines Baumes ist daher bereits ein wichtiger Determinant für den Sorgfaltsmaßstab. Dabei wird festgestellt und unbedingt auch dokumentiert, ob von Bäumen Gefahrenquellen, insbesondere aufgrund mangelnder Standfestigkeit oder durch morsche Äste, bestehen.
Weitere Kriterien des Sorgfaltsmaßstabes sind
- der Zustand der Bäume,
- das Alter der Bäume,
- das Vorliegen etwaiger Vorschäden (zB Krankheiten, Blitzschläge etc),
- die Häufigkeit und Genauigkeit der durchgeführten Kontrollen.
Häufigkeit der Kontrolle
Bei der Häufigkeit der Kontrollen bestehen keine starren Grenzen oder Zeitintervalle, die eingehalten werden müssen und sind daher einzelfallbezogen. Häufigere Kontrollen können etwa erforderlich werden, wenn extreme Witterungsverhältnisse gegeben sind, oder auch wie in den letzten Jahren häufig Schädlingsbefall vorliegt (zB Borkenkäfer). Auch intensive Bauarbeiten oder Gebiete mit unzureichendem Windschutz sind hierfür Indikatoren. Eine jährliche Kontrolle reicht bei Schadbäumen regelmäßig nicht aus.
Entstehen bei Kontrollen entsprechende Verdachtsmomente, kann es zur Einhaltung der gebotenen Sorgfalt in weiterer Folge notwendig werden, eine fachmännische Untersuchung vornehmen zu lassen. Letztlich bleiben dies jedoch Fragen des konkreten Einzelfalls, die nicht pauschal beantwortet werden können. Bestehen hingegen Anzeichen, die auf eine Gefahr hinweisen (zB absenkende morsche Äste), und werden diese übersehen oder gar ignoriert, so kann eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflichtvorliegen, die im Schadensfall Grundlage einer Haftung ist. Der für Schäden durch Ablösung von Bäumen analog den Bestimmungen des § 1319 ABGB Haftende muss grundsätzlich ohne konkrete Anhaltspunkte keine über seine Sorgfaltspflicht nach § 1297 ABGB hinausgehende besonderen Vorsichtsmaßnahmen (wie Überprüfung der Windbruchfestigkeit durch Sachverständigen) treffen (RIS-Justiz RS0026229).
Haftung der Gemeinde als „Sachverständiger“
Für Sachverständige gilt nach § 1299 ABGB ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab, so dass besondere Fachkenntnis einen höheren Grad der Haftung bewirkt. Der vom Sachverständigen einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab wird durch typische und demnach objektiv bestimmte Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises bestimmt. Entscheidend ist der Leistungsstandard der betreffenden Berufsgruppe (RIS-Justiz RS0026541). Die Beweislast für die Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt trifft den zur Sorgfalt Verpflichteten. Die subjektiven Fähigkeiten zur Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt unterstellen schon die §§ 1297 und 1299 ABGB (RIS-Justiz RS0026221).
Diese Regelungen kommen für eine Gemeinde zum Tragen, sofern diese über Einrichtungen mit Fachkenntnissen hinsichtlich der Baumpflege verfügt. Damit erhöhen sich nochmals die Sorgfaltsverpflichtungen, die aufgrund der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit ohnehin schon als erhöht zu betrachten sind.
Beweislast
Der Analogieschluss zu § 1319 ABGB führt auch dazu, dass der Besitzer eines Baums beweisen können muss, dass er alle Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können, um haftungsfrei werden zu können. Dies gilt skurrilerweise, aber auch konsequenterweise für jeden einzelnen Baum. Aus diesem Grund ist – wie bereits erwähnt – zu Beweiszwecken eine sorgfältige Dokumentation der Überprüfungen und Ergebnisse dringend anzuraten. Gemeinden sind daher letztlich dazu verpflichtet, sich in Schadensfällen frei zu beweisen. Bei besonderen Gefährdungslagen kann die Gemeinde auch den Abschluss einer entsprechenden Versicherung in Betracht ziehen.
Unwetter als höhere Gewalt?
Fälle der höheren Gewalt können für die Gemeinde keine Haftungen auslösen. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass höhere Gewalt dann anzunehmen ist, wenn ein außergewöhnliches Ereignis, das nicht regelmäßig vorkommt, von außen einwirkt und dann ein Schaden entsteht, der selbst bei größter Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu zählen wohl auch Unwetter (Gewitter, Überschwemmungen, Stürme).
Kann umgekehrt aber nachgewiesen werden, dass ein Baum aufgrund gravierender Mängel auch dann einen Schaden verursacht hätte, wenn kein außergewöhnliches Ereignis stattgefunden hätte, kann die Gemeinde als Besitzer dennoch zur Haftung herangezogen werden.
Welche Schäden werden ersetzt?
Kommt es tatsächlich zu einem Schadens- bzw Haftungsfall stellt sich die Frage, was genau zu ersetzen ist. Ersatzfähig ist primär der so genannte „positive Schaden“, also der real messbare Schaden. Im Gegensatz hierzu werden ideelle Schäden und entgangener Gewinn unterschieden, die zum Teil keine genau in Geld messbare Größe darstellen (zB Trauerschäden).
Der positive Schaden ist bei jedem Grad des Verschuldens zu ersetzen, ideelle Schäden hingegen nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Bei Personenschäden sind die Heilungskosten, aber jedenfalls ein angemessenes Schmerzengeld und der Verdienstentgang (§ 1325 ABGB) zu ersetzen sein. Bei Sachschäden ist der Zeitwert der beschädigten Sache zu ersetzen, nicht der Neuwert.
Strafrechtliche Verantwortung
Abgesehen von der zivilrechtlichen Haftung als Wegehalter besteht auch noch eine strafrechtliche Verantwortung. Wird jemand verletzt, kommt es automatisch zu Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Der Strafrahmen beträgt bis zu 3 Monaten Freiheitsstrafe, oder eine Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen.
Beitrag zum Praxishandbuch:
Mehr Informationen zu Haftungsfragen innerhalb der Gemeinde erhalten Sie in unserem aktuellen Praxishandbuch „Haftungsvermeidung in der öffentlichen Verwaltung“.