18.03.2025 | Arbeitsrecht | ID: 1195481

EuGH-Urteil: Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung

Johann Schöffthaler

Gastautor Johann Schöffthaler, BA MA, erläutert welche Pflichten Unternehmen hinsichtlich der Arbeitszeitaufzeichnung treffen sowie welche Vor- und Nachteile ein Aufzeichnungssystem mit sich bringt.

EUGH C-531/23: Ein Kurzüberblick

Seit einem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EUGH) im Jahr 2023 (EUGH C-531/23) hat die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene an Bedeutung gewonnen. (Im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung.)

Arbeitgeber:innen sind zunehmend gefordert, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter:innen systematisch zu dokumentieren, um arbeitsrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden (siehe dazu auch den Artikel der Tagesschau EuGH-Urteil: Pflicht zur Arbeitszeiterfassung von Hausangestellten | tagesschau.de vom 31.12.2024).

Doch was genau bedeutet diese Pflicht, und welche Konsequenzen hat sie für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen?

Geltungsbereich der Richtlinie 2003/88/EG

Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG.

Diese Richtlinie gilt unbeschadet des Artikels 2 Nummer 8 nicht für Seeleute gem der Definition in der Richtlinie 1999/63/EG.

Rechtlicher Hintergrund zur Arbeitszeitaufzeichnung

Durch die Richtlinie 2003/88 sollen Mindestvorschriften festgelegt werden, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer:innen durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern (vgl Urteil vom 14. Mai 2019, CCOO, C‑55/18).

Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Europäischen Union soll durch Gewährung von täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie die Festlegung einer Obergrenze für die wöchentliche Arbeitszeit einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen gewährleisten. Daher müssen die Mitgliedstaaten zum einen nach den Art 3 und 5 der Richtlinie 2003/88 die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jedem Arbeitnehmer:in

  • pro 24Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden und pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden gewährt wird,
  • und zum anderen gem Art 6 Buchstabe b der Richtlinie 2003/88 für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eine Obergrenze von 48 Stunden – einschließlich Überstunden – vorsehen.

Die Mitgliedstaaten müssen daher zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit der Richtlinie 2003/88 die Beachtung dieser Mindestruhezeiten gewährleisten und jede Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit verhindern.

Mindestruhezeiten: Spielraum bei der konkreten Umsetzung?

Soweit die Art 3 und 5 sowie Art 6 Buchstabe b der Richtlinie 2003/88 jedoch nicht die konkreten Maßnahmen festlegen, mit denen die Mitgliedstaaten die Umsetzung der in ihnen vorgesehenen Rechte sicherstellen müssen, verfügen die Mitgliedstaaten hinsichtlich der konkreten Maßnahmen, mit denen sie die Umsetzung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte sicherstellen wollen, über einen gewissen Spielraum. Angesichts des von der Richtlinie 2003/88 verfolgten wesentlichen Ziels, einen wirksamen Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer:innen sowie einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer:innen zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte in vollem Umfang gewährleistet wird, indem den Arbeitnehmer:innen tatsächlich die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser Richtlinie festgesetzt sind, zugutekommen.

EuGH-Urteil: Verlässliches System der Arbeitszeiterfassung verpflichtend?

Das EuGH-Urteil C-531/23 sowie C-55/18 hat klargestellt, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber:innen dazu verpflichten müssen, ein verlässliches und objektives System zur Erfassung der Arbeitszeiten einzuführen (an dieser Stelle sollte man die schriftliche Aufzeichnung ohne ein Zeiterfassungssystem zu verwenden von manchen Arbeitgeber:innen hinterfragen ob diese objektiv und verlässlich sind – ein Schelm, der an Böses denkt).

Eine genauere Hinterfragung der Bestimmungen des § 26 Arbeitszeitgesetz wäre ratsam, da einige Absätze dem Sinn der Arbeitszeitrichtlinie der EU von 2003 sowie den genannten EUGH-Urteilen klar widersprechen. Eine eindeutige Klarstellung durch den Gesetzgeber bzw der Gesetzgeberin wäre nicht nur angebracht, sondern insbesondere gegenüber den Arbeitgeber:innen fair, da diese sich sonst in „Sicherheit“ bei der Umsetzung der gesetzlichen Pflichten wähnen, es aber eindeutig nicht sind (insbesondere gegenüber möglichen zukünftigen Forderungen durch Arbeitnehmer:innen – exakt deshalb kommt es folglich zu diesen EUGH-Urteilen).

Was muss aufgezeichnet werden?

Die Arbeitszeitaufzeichnung umfasst in der Regel folgende Aspekte:

  • Tatsächlicher Beginn und tatsächliches Ende der täglichen Arbeitszeit
  • Die Lage Ruhepausenzeiten
  • Die Lage der Tagesruhezeiten
  • Die Lage der Wochen- bzw Wochenendruhezeiten

Es reicht jedoch nicht aus, lediglich die Gesamtarbeitszeit zu dokumentieren; vielmehr müssen auch die Ruhezeiten zwischen den Arbeitszeitblöcken eingehalten und nachgewiesen werden.

Anforderungen an das Aufzeichnungssystem

Ein Aufzeichnungssystem kann in unterschiedlicher Form gestaltet werden, solange es objektiv, verlässlich und zugänglich ist. Mögliche Ansätze umfassen:

  • Manuelle Erfassung, zB durch Stundenzettel oder Excel-Tabellen
  • Elektronische Systeme, zB Zeiterfassungstools oder Apps
  • Biometrische Systeme, wie Fingerabdruckscanner (unter Beachtung des Datenschutzes)

Hinweis:

Arbeitgeber:innen müssen sicherstellen, dass die erfassten Daten korrekt und manipulationssicher sind (vgl EUGH C-55/18). Zudem gelten die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), was bedeutet, dass Arbeitnehmer:innen über die Verarbeitung ihrer Daten informiert werden müssen.

Arbeitszeiterfassung: Vorteile und Herausforderungen

Die Einführung einer Arbeitszeiterfassung bringt sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich.

Vorteile:

  • Sicherstellung der Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften
  • Transparenz für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen
  • Vermeidung von Streitigkeiten über Überstunden oder Arbeitszeiten
  • Bei elektronischer Zeiterfassung ist eine Zusammenführung mit der Lohnabrechnung für eine Abrechnung in Realzeit umsetzbar, welches der Kostenübersicht des Unternehmens dient sowie den Arbeitnehmer:innen, welche dadurch keine Zeitverzögerung der Auszahlung von zB Überstunden in Kauf nehmen müssen

Herausforderungen:

  • Zusätzlicher administrativer Aufwand
  • Kosten für die Anschaffung und Implementierung von Zeiterfassungssystemen
  • Datenschutzrechtliche Aspekte

Fazit und Ausblick

Die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung ist ein wichtiger Schritt, um die Rechte von allen Arbeitnehmer:innen zu schützen und für mehr Transparenz in der Arbeitswelt zu sorgen. Dennoch stehen viele Unternehmen vor der Herausforderung, die Anforderungen praktisch umzusetzen.

Beispiel Hausgehilfen und Hausangestellte:

Mit der zu erwarteten gesetzlichen Konkretisierung in Österreich zum Beispiel im Bundesgesetz vom 23. Juli 1962 über die Regelung des Dienstverhältnisses der Hausgehilfen und Hausangestellten (Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz - HGHAG), wird es für Arbeitgeber:innen noch wichtiger, rechtzeitig geeignete Systeme einzuführen und Mitarbeiter:innen entsprechend zu schulen. Hausgehilfen und Hausangestellte sind vom Arbeitszeitgesetz (AZG) ausgenommen. Im HGHAG gibt es aber im Gegensatz zum AZG (vgl § 26 AZG) derzeit noch keine gesetzliche Verpflichtung, die Arbeitszeiten aufzuzeichnen.

Langfristig könnte die Arbeitszeiterfassung auch zu einer faireren Verteilung von Arbeitszeit und einer besseren Work-Life-Balance beitragen. Es bleibt abzuwarten, wie die gesetzlichen Entwicklungen in diesem Bereich weitergehen und welche technologischen Lösungen sich durchsetzen werden.

Quellen:

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