Dokument-ID: 882111

Judikatur | Entscheidung

1 Ob 177/16k; OGH; 23. November 2016

GZ: 1 Ob 177/16k | Gericht: OGH vom 23.11.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinksi, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, Wien 8, Rathaus, vertreten durch MMag. Dr. Claus Casati, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei O***** A*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch die Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 13. Juli 2016, GZ 39 R 57/16w-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. Jänner 2016, GZ 44 C 9/15y-9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Zur Abgrenzung von Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht gemäß § 1091 ABGB besteht bereits umfangreiche Judikatur (RIS-Justiz RS0020513; RS0031183; RS0020338). Zwar wurden für diese Unterscheidung gewisse Kriterien entwickelt, entgegen den Ausführungen der Beklagten lassen sich aber keine festen, allgemein anwendbaren Regeln aufstellen (7 Ob 137/06g mwN; 8 Ob 12/13t), die hier vom Berufungsgericht falsch angewendet worden wären. Vielmehr kommt es immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0031183). Bestandsverträge, müssen im Rahmen eines Vergleichs der typischen Merkmale der Vertragstypen danach untersucht werden, welche Elemente in einer Gesamtbetrachtung überwiegen (1 Ob 25/08w = ecolex 2008, 627 [Kapsch]; 3 Ob 74/12x = ecolex 2013, 225 [Wilhelm]; 8 Ob 12/13t), insbesondere darauf, welchen Umständen die größere wirtschaftliche Bedeutung zukommt (8 Ob 11/04g; 3 Ob 115/11z = immolex 2012, 112 [Cerha] uva; RIS-Justiz RS0020521 mwN). Die Frage, ob aufgrund der näheren Umstände des Einzelfalls das eine oder das andere anzunehmen ist, übersteigt an Bedeutung regelmäßig nicht die des konkreten Verfahrens (6 Ob 189/12f). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann die Beklagte im hier zu beurteilenden Einzelfall nicht aufzeigen:

Es sprechen die in Kenntnis des Geschäftsführers der Beklagten von den unterschiedlichen Rechtsfolgen von Miete und Pacht gewählte Bezeichnung als Pachtvertrag bei Vereinbarung eines 25-jährigen Kündigungsverzichts, die ganzjährige Betriebspflicht (RIS-Justiz RS0020451), und zwar des im Vertrag näher umschriebenen Gastronomiebetriebs, der umsatzabhängige Bestandzins (vgl dazu RIS-Justiz RS0020451 [T4, T11]), die vereinbarte Überlassung der Barmittel zum Umbau bzw zur Renovierung und Instandsetzung sowie für die notwendige Ausstattung des Betriebs nach dem Großbrand durch die Klägerin und die Besonderheit des Objekts (Schloss mit Bankettsaal), das als beliebtes Ausflugsziel überregionale Bekanntheit erlangt hatte (vgl zum aktivierbaren Kundenstock 7 Ob 531/92 und 7 Ob 270/00g jeweils mwN), in Verbindung mit seiner schon historisch bekannten Aussichtslage samt den Begleitmaßnahmen eines in der Nähe betriebenen Streichelzoos, eines Weinguts mit organisierten Weinwandertagen und des Parkplatzes für 120 Fahrzeuge in einer Gesamtabwägung dafür, dass die Betriebspflicht hier auf einem wirtschaftlichen Interesse des Bestandgebers an der Art des Betriebs, an seinem Bestehen sowie seiner Weiterführung beruht und insgesamt mehr als „bloßer Geschäftsraum“ übergeben wurde (RIS-Justiz RS0020398; RS0020451).

Im Vergleich dazu ist die – wenn auch länger währende – Stilllegung des Betriebs nicht ausschlaggebend, weil ihr dessen durch viele Jahrzehnte gewachsene und gefestigte Bekanntheit gegenübersteht. Ab welcher Zeitdauer von einem nicht bloß vorübergehend stillgelegten Betrieb gesprochen werden kann (vgl dazu RIS-Justiz RS0020528), hängt im Einzelfall auch davon ab, welche Bekanntheit und Alleinstellung dem davor durch welche Zeitdauer betriebenen Unternehmen zuzuschreiben ist. Dass eine längere Unterbrechungsperiode überhaupt nur bei kriegsbedingter Unterbrechung eine vorübergehende Stilllegung bewirken könne – wie von der Revisionswerberin behauptet – trifft schon nach den vor ihr selbst zitierten Entscheidungen nicht zu (vgl schon 1 Ob 976/53 = MietSlg 4.035 und 1 Ob 155/61 = MietSlg 8.618 [„Ungunst der Zeiten, Krieg und Kriegsnachwirkungen, Alter und Krankheit des Inhabers“]). Es spricht auch nicht zwingend gegen die Annahme eines Pachtvertrags, dass zwischen den Streitteilen nicht ausdrücklich die Rückstellung eines lebenden Unternehmens ausbedungen war (vgl RIS-Justiz RS0108391), war doch auch nicht vereinbart, dass das Bestandobjekt bei Vertragsbeendigung vollkommen geräumt von allen Fahrnissen und Baulichkeiten zurückzustellen sei. Damit ergibt sich die Rückgabe des Unternehmens bei Beendigung des Vertrags hier im Wesentlichen schon aus der Wiederübernahme des Objekts in seiner nach der vertraglichen Vereinbarung über den Ausbau auf den Betrieb hin abgestimmten Ausstattung und prominenten Lage. Bei einem Gastronomiebetrieb kommt wegen der beschränkten Haltbarkeit der eingesetzten Güter dem Fehlen eines Warenlagers kein besonderes Gewicht zu (vgl 5 Ob 775/81).

Die Prämissen der von der Rechtsmittelwerberin zum Prater (9 Ob 53/04s; 6 Ob 123/05i; 7 Ob 137/06g) und zu Geschäftsstraßen herangezogenen Judikatur weichen von denen des vorliegenden Falles ab. Das der Lage zugeschriebene Anlockungspotential für Kunden im Sinne einer sofortigen Aktivierbarkeit eines Kundenstocks ist nämlich in jenen Fällen nicht allein oder überwiegend, und damit anders als hier, der Sphäre des Vermieters zuzuschreiben; es resultiert die „Sogwirkung“ für Kunden im Prater oder in beliebten Geschäftsstraßen vielmehr maßgeblich aus dem Zusammenwirken der anderen am Standort tätigen Unternehmer, die mit ihren verschiedenen geschäftlichen Bemühungen in Summe die Attraktivität gerade etwa dieser Geschäftsstraße bewirken.

Zusammengefasst listet die Revisionswerberin zwar eine Vielzahl an Entscheidungen auf, aus denen sie unter der Fokussierung auf einzelne darin erörterte Aspekte eine vom Obersten Gerichtshof in diesem Fall zu korrigierende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen erkennen will. Dies ist aber nicht der Fall. Zur Behauptung, es sei die Revision selbst dann, wenn das Urteil des Berufungsgerichts mit einer ständigen und gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang stünde, zulässig, da gewichtige Gegenstimmen in der Lehre erhoben worden seien und die Revision mit neuen bedeutsamen Argumenten begründet werde, fehlt gerade die Darstellung solcher Gegenstimmen bzw das Aufzeigen von neuen bedeutsamen Argumenten. Dass das Berufungsgericht in der hier vorliegenden Konstellation zum Ergebnis gelangte, dass Pacht vorliegt, bedarf daher keiner Korrektur.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Leitsätze

  • Zur Abgrenzung von Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht gem § 1091 ABGB

    Zur Unterscheidung zwischen dem Vorliegen eines Pachtvertrages oder einer Geschäftsraummiete kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalles an und welche Elemente insbesondere wirtschaftlich in einer Gesamtbetrachtung überwiegen. Ein Pachtvertrag kann auch bei stillgelegten Unternehmen vorliegen, soweit die Stilllegung vorübergehend ist.
    WEKA (red) | Judikatur | Leitsatz | 1 Ob 177/16k | OGH vom 23.11.2016 | Dokument-ID: 881990