Dokument-ID: 634553

Judikatur | Entscheidung

1 Ob 42/13b; OGH; 19. September 2013

GZ: 1 Ob 42/13b | Gericht: OGH vom 19.09.2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas König, Dr. Andreas Ermacora, Dr. Barbara Lässer und Dr. Christian Klotz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ing. K***** B*****, vertreten durch Dr. Anneliese Markl, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen Duldung (Streitwert EUR 20.000,–), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2012, GZ 2 R 93/12h-31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 22. Dezember 2011, GZ 16 C 405/08z-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.189,44 (darin EUR 198,24 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines auf einer Liegenschaft des Beklagten errichteten Superädifikats (Büro-und Geschäftshaus), das sie (bzw ihre Rechtsvorgängerin) ihm im Jahr 1992 vermietete. Der Mietvertrag sieht unter anderem vor, dass die vom Vermieter beauftragten Personen jederzeit berechtigt sind, das Mietobjekt während der Betriebszeiten zu betreten. In einer weiteren Vereinbarung wurde „dem Mieter, dessen Rechtsnachfolger oder von ihm namhaft gemachten Personen“ ab dem vollendeten 15. Vertragsjahr gerechnet ab Mietbeginn „das Recht zum vorzeitigen Erwerb eingeräumt, womit der Mietvertrag endet“. Diese Vereinbarung enthält auch Regeln über die Ermittlung des Kaufpreises.

Im Herbst 2007 teilte die Klägerin mit, den Zustand und die Substanz des Gebäudes begutachten und seinen Wert schätzen lassen zu wollen. Der Beklagte weigerte sich allerdings, der Aufforderung zur Terminkoordination für die Vornahme einer Begutachtung nachzukommen (Dies ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig.). Während des laufenden Verfahrens, in dem er seine Verpflichtung zur Duldung einer solchen Besichtigung bestritten hatte, teilte er der Klägerin Ende 2009 durch seinen Rechtsvertreter mit, er mache sein Recht zum vorzeitigen Erwerb des Superädifikats geltend, womit das Mietverhältnis ende; gleichzeitig forderte er die Klägerin auf, binnen 14 Tagen eine verbücherungsfähige Urkunde zu übermitteln. In der Folge gelangten die Streitteile allerdings zu keiner Einigung über die Höhe des Kaufpreises.

Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr den Zutritt zu sämtlichen Räumen des Hauses mit einem Sachverständigen zu ermöglichen und die Vornahme einer Begutachtung des Zustands und der Substanz zu dulden. Der Beklagte sei vertragsgemäß verpflichtet, die konstruktiven Teile des Mietobjekts instandzuhalten, sodass die Klägerin schon allein deshalb Interesse habe, über den Bauzustand informiert zu sein. Sie habe auch nach dem Mietvertrag das Recht, das Mietobjekt jederzeit während der Betriebszeiten zu betreten. Nachdem der Beklagte sowohl Mängel als auch eine unrichtige Berechnung des „Leasingentgelts“ behaupte, sei die Klägerin berechtigt, das in ihrem Eigentum stehende Objekt zu besichtigen sowie sachverständig begutachten und seinen Wert feststellen zu lassen. Das Objekt befinde sich auch in ihrem Anlagevermögen und sie habe entsprechenden Bewertungsvorschriften Folge zu leisten und in ihrer Bilanz eine Bewertung der Sachanlagegüter nach ihrem Verkehrswert auszuweisen. Die Klägerin beabsichtige, die Besichtigung für die Untermieter des Beklagten schonend durchzuführen. Von einer schikanösen Rechtsausübung könne keine Rede sein, zumal die Begehung erstmals seit Übergabe des Bestandgegenstands vor 15 Jahren erfolgen solle.

Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Klägerin habe kein nachvollziehbares Interesse daran, den Zustand des Hauses zu begutachten, zumal wirtschaftlich die Instandhaltung ausschließlich in seine Verpflichtung falle und er als wirtschaftlicher Eigentümer das höchste Eigeninteresse habe, die Immobilien in einem hochwertigen Zustand zu erhalten. Die Klägerin habe sich bisher auch ausschließlich als Finanzierer im Rahmen des Leasingvertrags und nie als erhaltungspflichtiger Vermieter verstanden. Der Beklagte habe das höchste Interesse daran, seinen potenten Untermietern jegliche Unannehmlichkeiten zu ersparen. Die Vertragsklausel, die der Klägerin ein jederzeitiges Betretungsrecht während der Betriebszeiten einräume, sei rechtsunwirksam, zumal er als Verbraucher zu behandeln sei. Die Vorgangsweise der Klägerin stelle eine Schikane und den Versuch der Druckausübung auf ihn dar. Mit Ausübung der ihm eingeräumten Kaufoption habe das Leasing- bzw Mietverhältnis geendet. Der Klägerin komme damit materiell-rechtlich gar nicht mehr die Position einer Leasinggeberin bzw Eigentümerin des Objekts zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil ein Rechtsschutzbedürfnis betreffend des erhobenen „Feststellungsbegehrens“ fehle. Der Beklagte habe den von der Klägerin begehrten Zutritt nicht verweigert.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im klagestattgebenden Sinn ab, und sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand EUR 5.000,–, nicht aber EUR 30.000,– übersteige; es erklärte die ordentliche Revision nachträglich für zulässig. Die Vertragsklausel über das Recht des Vermieters, das Mietobjekt „während der Betriebszeiten“ jederzeit zu betreten, sei keinesfalls unwirksam. Da das Superädifikat in den Teilanwendungsbereich des MRG nach dessen § 1 Abs 4 falle, sei § 8 Abs 2 MRG nicht anzuwenden und unterliege das Zutrittsrecht des Vermieters der freien Vereinbarung. Da dieses auf die Betriebszeiten des Betriebsgebäudes eingeschränkt sei, sei eine wie immer geartete Sittenwidrigkeit nicht zu erkennen. Ebenso wenig liege schikanöse Rechtsausübung vor. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei auch das Mietverhältnis nicht bereits durch die Ausübung der Kaufoption erloschen. Wenn dem Beklagten „das Recht zum vorzeitigen Erwerb“ eingeräumt wurde, „womit der Mietvertrag endet“, bedeute „Erwerb“ in diesem Zusammenhang unzweifelhaft den sachenrechtlich wirksamen Erwerb des Objekts und nicht den bloßen Erwerb eines Rechtstitels zum Erwerb des Objekts. Damit sei klargestellt, dass für eine Beendigung des Mietvertrags im Sinne der angesprochenen Vertragsregelung eine Verbücherung des Eigentumsrechts am Superädifikat notwendig wäre. Die Revision sei zulässig, weil eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof doch insgesamt zu über den Einzelfall hinausgehenden Erkenntnissen führen könnte, auch wenn das Berufungsgericht insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Entledigung der Pflicht zur Bestandzinszahlung nicht sachgerecht wäre, an der Auffassung festhalte, dass die hier (einzelfallbezogen) zu beurteilende Konstellation einzigartig sein dürfte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts unzulässig, weil in der Revision keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage erörtert wird.

1. Unstrittig ist, dass die Klägerin Eigentümerin des auf der Liegenschaft des Beklagten errichteten Superädifikats war. Der Revisionswerber behauptet gerade nicht, dass ein sachenrechtlich wirksamer Übertragungsakt (§ 431 ABGB) stattgefunden hätte, mit dem die Klägerin ihr Eigentum verloren hätte. Ginge man nun von der von ihm vertretenen Rechtsansicht aus, das Mietverhältnis, auf dessen Bestimmungen die Klägerin ihr Begehren unter anderem gestützt hatte, sei bereits mit Ausübung der Kaufoption beendet worden, wäre auch sein Benützungsrecht als Mieter erloschen, womit die Klägerin (als Eigentümerin) grundsätzlich berechtigt wäre, von ihm die Gestattung des Zutritts zu begehren.

2. Ausgehend von der erwähnten – in der Revision weitwendig begründeten – Rechtsansicht des Revisionswerbers über die eingetretene Beendigung des Mietvertrags, könnte er ein allfälliges „Alleinbenützungsrecht“, das auch die Klägerin als Eigentümerin vom begehrten Zutritt zum Objekt ausschlösse, nur aus seiner Stellung als Käufer und damit obligatorisch Berechtigter ableiten.

Abgesehen davon, dass er dazu in seiner Revision nichts ausführt, könnte aber auch eine (allenfalls ergänzende) Vertragsauslegung nach dem Maßstab redlicher und vernünftiger Vertragspartner (§ 914 ABGB) insoweit nichts für seinen Rechtsstandpunkt Günstiges ergeben, auch wenn es zutreffen sollte, dass der Kaufpreis ausreichend bestimmbar ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte als Käufer allein durch das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags – hier durch Ausübung der Option – berechtigt sein sollte, den Kaufgegenstand – unabhängig von der Kaufpreiszahlung und ohne Verpflichtung zur Zahlung laufender Miet- bzw Leasingentgelte – zu nutzen, sind nicht erkennbar. Auch wenn sich die Optionsvereinbarung insoweit als lückenhaft erweist, ist vielmehr davon auszugehen, dass die Vertragsparteien eine ausgewogene und den für Liegenschaftstransaktionen üblichen Abwicklungsmodalitäten entsprechende Regelung im Auge hatten. Dabei kann insbesondere nicht angenommen werden, dass dem Beklagten das Recht eingeräumt werden sollte, sich durch bloße Ausübung der Option (zumindest) 15 Jahre nach dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ganz unabhängig von den Umständen, insbesondere seiner aktuellen Bonität, in die Lage versetzen zu können, die „Alleinherrschaft“ über das Objekt zu übernehmen und die Verkäuferin und Eigentümerin davon gänzlich auszuschließen. Er übersieht offenbar auch, dass schon das dispositive Recht in § 1052 ABGB als Ausdruck des funktionellen Synallagmas – insbesondere auch für Kaufverträge – das Zug-um-Zug-Prinzip normiert, das immer dann zum Tragen kommt, wenn keine Vorleistungspflicht vereinbart wurde. Der Revisionswerber behauptet aber nicht, dass von seiner Seite aus alles getan worden wäre, um das – auch auf diesen Vertrag anzuwendende – Zug-um-Zug-Prinzip einzuhalten. Er will offenbar allein die (zweifellos unzutreffende) Ansicht vertreten, bereits mit Ausübung der Kaufoption sei er berechtigt, gegenüber der Klägerin wie ein Eigentümer zu handeln und diese in jeder Weise von dem noch in ihrem Eigentum stehenden Objekt auszuschließen. Schon gar nicht beruft er sich darauf, die Klägerin hätte eine vertragsgemäße Zug-um-Zug-Abwicklung widerrechtlich verweigert.

3. Damit erweist sich auch das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts als jedenfalls gut vertretbar, womit sich auch insoweit eine erhebliche Rechtsfrage nicht stellt (RIS-Justiz RS0042776). Der Revisionswerber übersieht in diesem Zusammenhang vor allem, dass sich rein grammatikalisch das Wort „womit“ in der Wortfolge „womit der Mietvertrag endet“ sinnvollerweise auf den unmittelbar davor stehenden Begriff „Erwerb“ bezieht und nicht etwa auf die – in der betreffenden Vertragspassage gar nicht erwähnte – „Ausübung“ der Option. Wie das Berufungsgericht auch zutreffend aufgezeigt hat, ist es vernünftigen Vertragspartnern nicht zu unterstellen, den Mietvertrag und damit gleichzeitig die Pflicht des Mieters zur Mietzinszahlung bereits mit Abschluss des Kaufvertrags unabhängig davon enden zu lassen, ob der Optionsberechtigte – oder etwa ein namhaft gemachter dritter Käufer – überhaupt bereit und in der Lage ist, den Kaufpreis zu zahlen. Die Auslegung, der Mietvertrag solle erst mit dem (sachenrechtlichen) Erwerb des Kaufobjekts – allenfalls auch mit einem später einvernehmlich festgelegten Stichtag – enden, stellt daher keineswegs eine bedenkliche Fehlbeurteilung dar.

Ist somit davon auszugehen, dass der Mietvertrag weiterhin aufrecht ist, kann sich die Klägerin auch auf ihr vertraglich vereinbartes Betretungsrecht berufen. Auf die dagegen ursprünglich erhobenen Einwände kommt der Revisionswerber nicht mehr zurück.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihr Schriftsatz eine zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme war.

Leitsätze