Dokument-ID: 884037

Judikatur | Entscheidung

1 Ob 84/16h; OGH; 19. Oktober 2016

GZ: 1 Ob 84/16h | Gericht: OGH vom 19.10.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. K***** O*****, vertreten durch Dr. Joachim Schallaböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien, 1. Dr. G***** K*****, und 2. Dr. E***** K*****, vertreten durch Dr. Gerhard Kornek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung (Gesamtstreitwert EUR 7.000,–) über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. August 2015, GZ 36 R 79/15g-56, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 5. Dezember 2014, GZ 11 C 1087/12x-51, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Klägerin erlangte im Erbweg im Jahr 2010 eine Eigentumswohnung. Die Nachbarliegenschaft steht im Eigentum der Beklagten. Beide Liegenschaften befinden sich in einer Gegend, in der in offener Bauweise Ein- und Zweifamilienhäuser umgeben von Gärten sowie Wohnhausanlagen stehen. Die Beklagten hatten im Jahr 1980 entlang der Grundstücksgrenze etwa 65 bis 80 cm hohe Zypressen mit einem Abstand von etwa einem Meter zueinander gesetzt. Die Bäume wurden seither nicht geschnitten, sind eng miteinander verwachsen und erreichen mittlerweile eine Höhe von 15 bis 18 m. Sie stehen etwa einen halben Meter von der Grenzmauer entfernt und erwecken den Eindruck eines Waldes. Das Haus, in dem sich die Wohnung der Klägerin befindet, ist von der Grundgrenze ca 6 m entfernt. Die Wohnung ist nach Westen hin zum Grundstück der Beklagten ausgerichtet. Durch die Baumreihe wird das Terrain auf der klägerischen Liegenschaft im gesamten Frühling und Sommer von der Grundstücksgrenze bis zum Wohnhaus ab 15:00 Uhr bis zum Sonnenuntergang beschattet. Im Herbst und Winter sind ab ca 15:00 Uhr nahezu der gesamte straßenseitige Gartenbereich der Klägerin ebenso wie alle Fenster beschattet. Die Schattengrenze an der westlichen Hausfassade liegt rund 9 m über dem Terrain. Der Klägerin bzw ihren Mietern ist es kaum möglich, die Terrasse zu nützen, weil wegen der Bäume keine Nachmittags- bzw Abendsonne durchdringt. In der Wohnung muss am Nachmittag bereits künstliches Licht verwendet werden. Mangels Sonneneinfalls muss in der Wohnung auch vermehrt geheizt werden. Die Bäume sind deutlich höher als das Wohnhaus mit der Wohnung der Klägerin. In der Umgebung finden sich keine vergleichbaren Baumreihen; es gibt lediglich einzelne hohe Bäume. Die zwischen 15 und 18 m hohe und dicht verwachsene Zypressenhecke ist in der Wohngegend nicht üblich. Vor acht bis zehn Jahren brach ein großer Ast von einer Zypresse ab und fiel auf die Liegenschaft der Klägerin. Immer wieder brechen kleinere Äste ab und fallen in ihren Garten.

Nach rechtskräftiger Abweisung eines Teilbegehrens ist im Revisionsverfahren noch das Begehren der Klägerin strittig, die Beklagten seien gegenüber der Klägerin schuldig, binnen drei Monaten durch geeignete „baumpflanzerische“ (richtig: baumpflegerische) Maßnahmen, einschließlich Entfernen oder Stutzen der Bäume, Immissionen durch Lichtentzug sowie die Gefährdung durch Äste zu beseitigen, soweit diese das ortsübliche Ausmaß übersteigen und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Wohnung der Klägerin führen.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren insoweit statt. Das Berufungsgericht erklärte die Revision letztlich für zulässig und sprach aus, dass der Wert der beiden verbliebenen Entscheidungsgegenstände jeweils EUR 5.000,–, nicht aber EUR 30.000,–, übersteigt. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, es seien für die Beurteilung, ob eine negative Immission gemäß § 364 Abs 3 ABGB unzumutbar ist, verschiedene Kriterien wesentlich: Je näher die Beeinträchtigung an der Grenze der Ortsüblichkeit liege, desto weniger werde ihre Unzumutbarkeit anzunehmen sein. Es seien das Ausmaß und die Lage der durch Entzug des Lichteinfalls beeinträchtigten Fläche zu berücksichtigen. Es sei zu fragen, welche konkrete Nutzungsmöglichkeit für den Kläger eingeschränkt oder unmöglich gemacht wird. Je größer die vom Entzug des Lichteinfalls beeinträchtigte Fläche im Verhältnis zur Gesamtfläche sei, umso eher werde das Kriterium der Unzumutbarkeit auch dann erfüllt sein, wenn zeitlich nicht von einem dauernden gänzlichen Entzug des Lichteinfalls auszugehen sei. Unzumutbarkeit sei im Einzelfall umso eher verwirklicht, als zeitlich und räumlich überwiegend kein Sonnen- oder Tageslicht in Wohnräume und/oder den Garten einfallen könne. Auch wenn die Anwendung des § 364 Abs 3 ABGB nicht daran scheitere, dass Pflanzungen vor Inkrafttreten der Bestimmung betroffen seien, weil das Gesetz eine entsprechende Einschränkung nicht vorsehe, sei bei der Unzumutbarkeitsprüfung auch zu berücksichtigen, ob die Bäume vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung gepflanzt wurden. Unter Anwendung dieser Grundsätze bei der Interessensabwägung sei das Erstgericht ohne Rechtsirrtum zur Bejahung der Unzumutbarkeit der Immission durch Lichtentzug gelangt. Bei der Bemessung der beeinträchtigten Fläche seien dabei nicht andere Wohnungseigentumsobjekte heranzuziehen, sondern ausschließlich die Wohnung der Klägerin, die ab 15:00 Uhr bis zum Sonnenuntergang beschattet ist. Auch der Einwand, dass die Zypressen 24 Jahre vor dem Inkrafttreten des § 364 Abs 3 ABGB gesetzt wurden, sei nicht zielführend, da die Beklagten davon ausgegangen sind, dass die Hecke niemals eine derartige Höhe erreichen würde und diese Bäume daher jedenfalls gesetzt hätten. Im Hinblick auf herabfallende Äste gestünden die Beklagten in ihrer Berufung zu, dass Äste im obersten Bereich der Bäume nicht abgeschnitten wurden, sodass die Gefahr, die von den im obersten Bereich herrüberragenden Äste ausgehe, offensichtlich sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung der Umstand nicht ausreichend gewichtet worden sei, dass die Zypressen bereits 24 Jahre vor dem Inkrafttreten des § 364 Abs 3 ABGB gesetzt worden sind. Es existiere – soweit überblickbar – keine Rechtsprechung zur Frage, ob die durch Äste entstehende Gefährdung unter § 364 Abs 2 ABGB zu subsumieren ist.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist nicht zulässig, weil darin keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage erörtert wird.

1. Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, hängt die Beurteilung, ob der von Pflanzen ausgehende Lichtentzug zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung eines Nachbarn führt, von der konkreten Interessensabwägung im Einzelfall ab (RIS-Justiz RS0121872). Dass dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, vermögen die Revisionswerber nicht aufzuzeigen.

2. Soweit sie darauf hinweisen, dass bei der Unzumutbarkeitsprüfung unter anderem zu berücksichtigen ist, ob die Pflanzen zu einem Zeitpunkt gepflanzt wurden, zu dem ein Inkrafttreten einer § 364 Abs 3 ABGB entsprechenden Regelung noch nicht absehbar war, übersehen sie offenbar, dass eine solche Berücksichtigung keineswegs grundsätzlich dazu führt, dass ihre Interessen insgesamt höher zu gewichten wären. Dass die Anwendung des § 364 Abs 3 ABGB nicht prinzipiell daran scheitert, dass Pflanzungen vor Inkrafttreten der Bestimmung betroffen sind, weil das Gesetz eine solche Einschränkung nicht vorsieht, wurde bereits ausgesprochen (10 Ob 60/06f = RIS-Justiz RS0122469). Besonderes Gewicht kommt stets dem Ausmaß der Beeinträchtigung der Nachbarliegenschaft zu (8 Ob 59/15g = RIS-Justiz RS0130734), das von den Revisionswerbern gar nicht bestritten wird.

3. Die Rechtsbehauptung, dass sich „neu hinzukommende Nachbarn“ grundsätzlich mit der im Gebiet „vorherrschenden Immission“ abfinden müssten, stimmt einerseits in der in der Revision formulierten Allgemeinheit nicht und passt andererseits auch nicht auf den vorliegenden Fall. Soweit schon der Rechtsvorgänger bestimmte Einwirkungen von der Nachbarliegenschaft als ortsunüblich untersagen könnte, müsste auch dem Einzelrechtsnachfolger im Regelfall ein Unterlassungsanspruch zustehen, wäre doch schwer zu begründen, warum sich die Rechtsposition des beeinträchtigenden Nachbarn durch den Eigentümerwechsel verbessern sollte. Vor allem geht es im vorliegenden Fall auch gar nicht um eine Einzelrechtsnachfolge bzw um „neu hinzukommende Nachbarn“, sondern um einen Erwerb im Erbweg, den die Klägerin nicht etwa willentlich und unter Berücksichtigung der Wohnumgebung vorgenommen hat. Da sie kraft Gesetzes in die Rechtsstellung des Erblassers eingetreten ist, kann ihr auch nicht entgegengehalten werden, dass ihr Eigentumserwerb erst wenige Jahre zurückliegt. Dass der Erblasser aus besonderen Gründen gehalten gewesen wäre, die nachteiligen Einwirkungen hinzunehmen, behaupten die Revisionswerber nicht.

4. Soweit die Revisionswerber eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Unterlassung des Bewirkens einer Gefährdung durch herabfallende Äste vermissen, setzen sie sich ausschließlich mit § 364 Abs 2 ABGB auseinander, obwohl es ständiger Judikatur entspricht, dass ein Grundeigentümer jedenfalls befugt ist, mittelbare Einwirkungen aufgrund des Nachbarrechts abzuwehren, soweit es sich um grob körperliche Immissionen handelt, was etwa für herabfallendes Gestein, Erdreich und größere Äste zutrifft (RIS-Justiz RS0010613). Dass vor einigen Jahren ein großer Ast abgebrochen und auf die von der Klägerin genutzte Liegenschaft gefallen ist, wurde festgestellt. Weiters haben die Beklagten schon in der Berufung zugestanden, dass sie im oberen Bereich der Bäume keinen Astschnitt durchführen, womit schon nach allgemeiner Lebenserfahrung die Gefahr verbunden ist, dass es zum Herabfallen auch größerer Äste und damit zu einer Gefährdung von Sachen oder Personen auf der Nachbarliegenschaft kommen kann. Wenn unter diesen Umständen die ausreichende Wahrscheinlichkeit eines künftigen derartigen Eingriffs bejaht und der Klägerin die (vorbeugende) Unterlassungsklage zugestanden wurde, kann auch darin keine erhebliche Fehlbeurteilung erblickt werden. Sie muss keineswegs zuwarten, bis es tatsächlich zu einer Schädigung kommt, um dann ihren Schaden nach § 1319 ABGB, der etwa auch auf Einwirkungen durch herabstürzende Bäume und Äste analog anwendbar ist (RIS-Justiz RS0026229), geltend zu machen.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Leitsätze

  • Zur Unzumutbarkeitsprüfung bei Lichtentzug durch dichte und unübliche Bäume

    Ob der von Pflanzen ausgehende Lichtentzug zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung eines Nachbarn führt, hängt von konkreter Interessensabwägung im Einzelfall ab. Ein besonderes Augenmerk wird im Rahmen der Beurteilung auf das Ausmaß der Beeinträchtigung der Nachbarliegenschaft gelegt.
    WEKA (ato) | Judikatur | Leitsatz | 1 Ob 84/16h | OGH vom 19.10.2016 | Dokument-ID: 884038