Dokument-ID: 1193005

Judikatur | Entscheidung

5 Ob 53/24s; OGH; 14. November 2024

GZ: 5 Ob 53/24s | Gericht: OGH vom 14.11.2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun-Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* I*, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei H* GmbH, *, vertreten durch die Dr. Borns Rechtsanwalts GmbH & Co KG in Gänserndorf, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Stadt *, vertreten durch die Rudeck-Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen 40.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2024, GZ 4 R 175/23v-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte von der Beklagten eine Eigentumswohnung, die im Zuge eines Dachbodenausbaus neu errichtet wurde.

[2] Der auf der öffentlichen Straße vorbeifahrende Schwerverkehr verursacht – aufgrund einer Straßenunebenheit samt zweier Straßenkappen – Erschütterungen, die in dem Bereich des Dachbodenausbaus, in dem sich die Wohnung des Klägers befindet, zu Schwingungen führen. Die Erschütterung durch den Schwerverkehr regt die Eigenfrequenz des Dachgeschoßausbaus mit einem Stahltragwerk an. Das ungünstige Verhältnis der Anregungsfrequenzen zu den Bauwerkseigenfrequenzen führt in dem Bereich des Dachgeschoßausbaus, in dem die Wohnung des Klägers liegt, zu einer zusätzlichen Resonanzverstärkung und ist insofern ursächlich mit den hohen, in der Wohnung spürbaren Erschütterungen verbunden. Durch den die Eigenfrequenz des Dachgeschoßausbaus anregenden Schwerverkehr kommt es in der Wohnung des Klägers (bereits seit der Übergabe am 30. 9. 2021) auch in den Nachtstunden zu Schwingbeschleunigungen, die den zulässigen Richtwert gemäß ÖNORM S 9012 für den Zeitraum Nacht regelmäßig um ein Mehrfaches überschreiten.

[3] Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von EUR 40.000,– sA. Die Wohnung sei aufgrund der Schwingungen für Wohnzwecke nicht geeignet. Die Beklagte habe die Verbesserung des Mangels abgelehnt, sodass der Kläger Anspruch auf Preisminderung habe. Der Verkehrswert der Wohnung sei durch den Mangel um zumindest EUR 40.000,– verringert.

[4] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[7] 1. Wer einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, leistet Gewähr, dass sie dem Vertrag entspricht. Er haftet also dafür, dass die Sache die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat, dass sie seiner Beschreibung, einer Probe oder einem Muster entspricht und der Natur des Geschäfts oder der getroffenen Verabredung gemäß verwendet werden kann (§ 922 Abs 1 ABGB).

[8] Eine Leistung ist dann mangelhaft iSd § 922 ABGB, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem vertraglich Geschuldeten zurückbleibt (RS0018547). Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt (RS0018547 [T5]).

[9] Ob eine Eigenschaft als gewöhnlich vorausgesetzt anzusehen ist, hängt dabei nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen (RS0114333). Die Mangelhaftigkeit eines Leistungsgegenstands ist allerdings nicht abstrakt, sondern immer aufgrund des konkreten Vertrags zu beurteilen (RS0018547 [T7]; RS0107680; RS0126729). Ein Kaufgegenstand muss demnach der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können (RS0114333 [T3]).

[10] 2. Ob ein Mangel im gewährleistungsrechtlichen Sinn vorliegt oder nicht, hängt daher davon ab, wie der von der Beklagten vertraglich geschuldete Inhalt auf den konkreten Einzelfall bezogen zu definieren ist. Für die Beurteilung der Mangelhaftigkeit einer Sache kommt es damit entscheidend auf die Vertragsauslegung an (4 Ob 146/20d). Fragen der Vertragsauslegung begründen im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RS0112106 [T1]). Analoges gilt für die Frage, ob eine Eigenschaft als gewöhnlich vorausgesetzt anzusehen ist; auch diese kann letztlich nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.

[11] Nach der übereinstimmenden Auffassung der Vorinstanzen ist es auch beim Kauf einer Eigentumswohnung an einer vielbefahrenen Straße im Stadtgebiet grundsätzlich als gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft iSd § 922 Abs 1 ABGB anzusehen, dass darin keine Schwingungen auftreten, die die diesbezüglichen Richtwerte regelmäßig um ein Mehrfaches übersteigen. Auf Basis der von den Vorinstanzen ermittelten Sachverhaltsgrundlage ist diese – im Hinblick auf das Zusammentreffen der mangelhaften Straßenbeschaffenheit und des ungünstigen Verhältnisses der Anregungsfrequenzen zu den Bauwerkseigenfrequenzen – vom Einzelfall geprägte Beurteilung der Vorinstanzen keine Verkennung der Rechtslage.

[12] Die Beklagte behauptet dies genau genommen auch gar nicht; sie bestreitet vielmehr, dass ihr diese Beeinträchtigung durch die von ihr nicht beeinflussbaren Immissionen gewährleistungsrechtlich als Mangel der Sache zuzurechnen sei. Der Gewährleistungsanspruch setzt allerdings kein Verschulden des Übergebers voraus (RS0018632). Dieser hat für einen (sonstigen) Mangel iSd § 922 ABGB ohne Rücksicht darauf einzustehen, ob die Sache an sich bautechnisch dem im Zeitpunkt der Herstellung und Übergabe gegebenen Stand der Technik entsprach (vgl5 Ob 510/83 mwN HS 14.856 = RS0021985; 7 Ob 689/86).

[13] Der Oberste Gerichtshof hat auch – abgesehen davon, dass der Mangel hier seine Ursache ohnedies auch in den Eigenschaften der Sache selbst hat und in einer Beeinträchtigung der Sachsubstanz besteht – bereits externe Faktoren wie etwa „Umgebungsqualitäten“ (Fernblick, Grünlage, Ruhelage), deren Beibehaltung nicht in der Macht des Gewährleistungspflichtigen liegt, bei entsprechender Vertragsgestaltung und Definition der von diesem im konkreten Einzelfall vertraglich geschuldeten Leistung als Maßstab für das Gewährleistungsrecht des Erwerbers genommen (5 Ob 40/21z [Panoramablick]; Kothbauer, Zur gewährleistungsrechtlichen Relevanz von Werbeaussagen, immolex 2021/172). Auch der von der Beklagten zur Untermauerung ihres gegenteiligen Prozessstandpunkts zitierten Entscheidung 5 Ob 38/94 (= RS0037901) ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Dort wurde der vom Erwerber einer Wohnung wegen der Beeinträchtigung durch von einer Zahnarztpraxis ausgehende Geruchs- und Lärmimmissionen geltend gemachte Wertminderungsanspruch (nur) deshalb verneint, weil der Erwerber aufgrund eines Prospekts zwar davon ausgehen habe können, dass sich in seiner Wohnanlage keine Geschäftslokale oder Werkstätten befänden, er aber trotzdem damit rechnen habe müssen, dass Berufe, die – wie eben der des Arztes – üblicherweise in Wohnungen ausgeübt würden, in der Wohnanlage praktiziert würden.

[14] Die Tatsache, dass die vom Schwerverkehr verursachten Erschütterungen nach den Feststellungen (auch) auf eine Straßenunebenheit samt zweier Straßenkappen zurückzuführen sind, steht einem aus dem Vertragsverhältnis der Streitteile abgeleiteten Gewährleistungsanspruch ebenso nicht entgegen. Einem dem Straßenhalter in diesem Zusammenhang allenfalls vorzuwerfendes Unterlassen könnte hier nur dann Relevanz zukommen, wenn die Leistung des Verkäufers zum Zeitpunkt ihrer Übergabe ordnungsgemäß erbracht gewesen wäre und erst danach durch das Verhalten eines Dritten eine nachteilige Veränderung erfahren hätte (vgl 7 Ob 97/20w [Trittschalldämmung]).

[15] Gleiches gilt für den festgestellten Umstand, dass im Falle der Verbesserung des Straßenzustands, die in der Wohnung des Klägers spürbaren Erschütterungen derart reduziert würden, dass die diesbezüglichen Richtwerte eingehalten würden. Auch dies schließt einen Preisminderungsanspruch – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – nicht dem Grunde nach aus. Beim Preisminderungsanspruch nach § 932 Abs 4 ABGB handelt es sich um ein Gestaltungsrecht, das bei erfolgreicher Geltendmachung den Vertrag nachträglich modifiziert, sodass der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis im Umfang der Preisminderung herabgesetzt wird (9 Ob 67/23b). Die Herabsetzung der Leistung ist dabei nach ständiger Rechtsprechung nach jenem Verhältnis vorzunehmen, in welchem zur Zeit des Vertragsabschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem Wert der mangelhaften Sache gestanden haben würde, also nach der so genannten relativen Berechnungsmethode (RS0018764). Das bloße Risiko späterer Wertveränderungen (auch die Relation zwischen dem Wert der mangelfreien und der mangelhaften Sache könnte sich, etwa infolge gewandelter Verkehrsauffassung, verändern) soll bei der Preisminderung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (8 Ob 562/90 mwN; RS0018764 [T3]). Die technische Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der von einem Dritten veranlassten Mängelbehebung durch Verbesserung der Straßenbeschaffenheit sowie deren allfällige rechtliche Durchsetzbarkeit im Rahmen der nachbarrechtlichen Immissionsabwehr kann daher nur bei der Ermittlung der Höhe der Preisminderung und nur insoweit Berücksichtigung finden, als sich dies – etwa weil es diesen Mangel als weniger gravierend erscheinen lässt – schon auf den Wert der mangelhaften Sache zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auswirkt. Darüber hinaus wurde auf die Verkäuferinteressen in der Rechtsprechung bisher nur dann Bedacht genommen, wenn sich der Kaufpreis nach der relativen Berechnungsmethode auf Null reduzierte. In diesem Fall könne nur eine Preisminderung bis zu dem Entgelt begehrt werden, das einer dennoch möglichen Nutzung angemessen ist (8 Ob 96/23k).

[16] 3. Zusammengefasst ging das Berufungsgericht von einem richtigen Verständnis der von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätze aus. Dessen Einzelfallbeurteilung hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Daher war die außerordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[17] Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Leitsätze

  • Kauf einer Eigentumswohnung: Preisminderung wegen übermäßiger Schwingungen durch Straßenverkehr

    Auch beim Kauf einer Eigentumswohnung an einer vielbefahrenen Straße im Stadtgebiet gilt es als gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft iSd § 922 Abs 1 ABGB, dass darin keine Schwingungen auftreten, die die diesbezüglichen Richtwerte gem ÖNORM S 9012 regelmäßig um ein Mehrfaches übersteigen. Eine Preisminderung ist auch dann möglich, wenn nur den Straßenhalter, nicht aber den Verkäufer ein Verschulden trifft.
    Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 53/24s | OGH vom 14.11.2024 | Dokument-ID: 1192994