Dokument-ID: 306242

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 92/11i; OGH; 16. Juni 2011

GZ: 6 Ob 92/11i | Gericht: OGH vom 16.06.2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** S*****, vertreten durch Mag. Daniel Schöpf und andere, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 9.500,– sA und Feststellung (Streitwert EUR 500,–), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. März 2011, GZ 53 R 360/10p-74, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 3. September 2010, GZ 17 C 1273/07d-70, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass dessen Punkt 4. zu lauten hat wie folgt:

„Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei in Ansehung von deren Miteigentumsanteilen für sämtliche, bei Übergabe schon vorhandenen Baumängel (Wassereintritte aufgrund fehlerhafter Dimensionierung von Dachabläufen, Entwässerungsleitungen und Sickerschächten und Kellerschächten und ungeeigneter Baugrubenhinterfüllung sowie mangelhafte Isolierung von Balkonen) an der Wohnanlage EZ 1135, GB *****, BG Salzburg, samt allfälliger Folgeschäden zu haften hat.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.082,92 (darin EUR 180,48 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 1.978,43 (darin EUR 124,07 USt und EUR 1.234,– Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

Die Klägerin erwarb im Juni 2006 von der beklagten Bauträgerin eine Eigentumswohnung um EUR 180.000,–. Die gegenständliche Wohnhausanlage war von der Beklagten in den Jahren 1998 und 1999 errichtet worden. Aufgrund zahlreicher Wasserschäden war der Beklagten vor den Vertragsgesprächen mit der Klägerin bekannt, dass Baumängel an der Wohnanlage bestehen. Diese Mängel waren für die Klägerin nicht offenkundig. Die Klägerin wurde vor Kaufvertragsabschluss nicht über die Baumängel aufgeklärt. Hätte die Klägerin bei Vertragsabschluss gewusst, dass die damals bereits vorhandenen Baumängel bestanden und mögliche Sanierungskosten von EUR 115.000,– zu erwarten sind, hätte sie die Wohnung nur zu einem Preis von maximal EUR 170.000,– gekauft. Anlässlich einer Hausversammlung am 04.10.2005 erfuhr die Klägerin erstmals von Mängeln in der Wohnhausanlage. Die gesamte Versickerungsanlage ist zu gering dimensioniert. Die Sanierungskosten belaufen sich auf EUR 70.000,– bis EUR 115.00,–. Für die Klägerin errechnet sich ein Aufwand von ca EUR 2.815,–. Die Wertminderung der Wohnung beträgt für den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags 5 bis 10 % des Verkehrswerts im Vergleich zu einer mängelfreien Wohneinheit.

Die Klägerin begehrt gestützt auf § 872 ABGB den Betrag von EUR 9.500,– sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere Schäden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend von den im Vorigen wiedergegebenen Feststellungen erwog es in rechtlicher Sicht, die Beklagte habe die im redlichen Verkehr zu erwartende Aufklärung über die ihr bekannte Gefahr von Wasserschäden an der Wohnanlage unterlassen.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Klägerin sei zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Vertragsanpassung aktiv legitimiert. Stehe das Begehren nach § 872 ABGB, das an sich einem Anspruch auf Preisminderung im Rahmen der Gewährleistung ähnlich sei, mit dem Anspruch auf Mängelbeseitigung in keinem Zusammenhang, so scheide auch eine Gefährdung von Gemeinschaftsinteressen aus. Allerdings seien zur Vornahme der relativen Berechnung der Preisminderung für die Vertragsanpassung nach § 872 ABGB noch Feststellungen zum Verkehrswert der Eigentumswohnung zu treffen. Das Feststellungsbegehren sei inhaltlich nicht ausreichend bestimmt.

Der Rekurs sei zulässig, weil die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Rahmen einer angemessenen Vergütung nach § 872 ABGB auch eine merkantile Wertminderung durch den Wohnungseigentümer unabhängig vom Verbesserungsanspruch begehrt werden könne, eine erhebliche Rechtsfrage darstelle.

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist im Ergebnis auch berechtigt. Dabei war wegen Spruchreife vom Obersten Gerichtshof sofort in der Sache selbst mit Urteil zu erkennen (§ 519 Abs 2 Satz 2 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

1. Auch im Fall echter Anspruchskonkurrenz wie bei Irrtum und Gewährleistung kann sich der Kläger ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränken (RIS-Justiz RS0087576). Daher ist nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin ihr Begehren ausdrücklich lediglich auf § 872 ABGB stützte. Der listig Irreführende kann dem Begehren des Vertragspartners auf Vertragsanpassung die Einwendung, dass er den Vertrag anders nicht geschlossen hätte, nur entgegensetzen, wenn durch die Anpassung wesentliche Interessen auf seiner Seite beeinträchtigt würden (RIS-Justiz RS0014780 [T1]). Die für die Vertragsanpassung wegen Irrtums oder Arglist anzuwendende Methode der Ermittlung der Höhe der Vergütung entspricht jener der Preisminderung bei der Gewährleistung; es ist also die so genannte relative Berechnungsmethode anzuwenden (RIS-Justiz RS0014772).

2. 1. Als „merkantile Wertminderung“ (auch: „merkantiler Minderwert“) wird jene Schadensposition bezeichnet, die den zusätzlichen Schaden ausgleichen soll, der einem Geschädigten nach (und trotz) einer einwandfreien und vollständigen Reparatur der beschädigten bzw wieder in Stand gesetzten Sache verbleibt (RIS-Justiz RS0031205).

2.2. Die Klägerin macht im vorliegenden Fall jedoch keinen Schadenersatzanspruch, sondern Vertragsanpassung geltend. Der Sachverständige Dr. H***** verwendet in seinem Grundlage für die Feststellungen des Erstgerichts bildenden Gutachten zwar gleichfalls den Ausdruck „merkantiler Minderwert“, erläutert diese Position aber dahingehend, dass darin die mit der Sanierung verbundenen Unannehmlichkeiten, wie Bauarbeiten am Gebäude und Lärmbelästigung sowie die Unsicherheit, ob die Mängel tatsächlich zur Gänze behoben werden können, berücksichtigt werden. Diese Faktoren würden von einem eventuellen Käufer bei der Preisbildung berücksichtigt. Der solcherart verstandene merkantile Minderwert definiere sich nicht als ein „Wert“ an sich, sondern als eine in den Verkehrswert eingehende, also ihn mindernde Eigenschaft der Sache. Aufgrund seiner Erfahrung sei der Minderwert im vorliegenden Fall zuzüglich zu den Kosten der Sanierung der Wohnung mit 5 bis 10 % des Verkehrswerts einer vergleichbaren mängelfreien Einheit anzusetzen.

2.3. Damit stellt sich aber auch entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht die Frage der Abgrenzung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs von – von der Eigentümergemeinschaft zu verfolgenden – Gewährleistungs- und Schadenersatz- ansprüchen. Nach ständiger Rechtsprechung ist zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Herstellung eines mängelfreien Zustands allgemeiner Teile, auch wenn es um die Herstellung des einem bestimmten Wohnungseigentümer vom Verkäufer vertraglich zugesagten Zustands geht, nur die Mehrheit der Wohnungseigentümer legitimiert. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn Gemeinschaftsinteressen dadurch nicht gefährdet sind, dass ein einzelner Wohnungseigentümer einen Anspruch allein geltend macht (RIS-Justiz RS0108157, RS0108158 [T6, T7, T8]).

2.4. Der von der Klägerin im Wege der Vertragsanpassung begehrte Abschlag vom Kaufpreis ist nach den im vorigen wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen unabhängig davon, ob die von der Eigentümergemeinschaft betriebene Sanierung letztlich Erfolg haben wird oder nicht. Vielmehr wird dadurch den mit der Durchführung der Bauarbeiten verbundenen Unannehmlichkeiten und der Unsicherheit, ob die diesbezüglichen Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden, Rechnung getragen. Daher kann entgegen der Rechtsansicht der Beklagten keine Rede davon sein, dass die von der Klägerin begehrte Vertragsanpassung durch den von der Eigentümergemeinschaft verfolgten Mängelbehebungs- anspruch ausgeschlossen werde.

3.1. Die Herabsetzung der Leistung ist nach jenem Verhältnis vorzunehmen, in welchem zur Zeit des Vertragsabschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zum Wert der mangelhaften Sache gestanden haben würde (RIS-Justiz RS0018764). Dabei ist § 273 ZPO anwendbar, wenn sich ein Wert der „mangelfreien Sache“ nicht ermitteln lässt. Der von der beklagten Partei eingenommene Rechtsstandpunkt, dass die vorhandenen Mängel bei der Festlegung des Preises berücksichtigt worden wären, steht in Widerspruch zu den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen, nach denen die beklagte Partei diese Mängel bewusst verheimlicht hat.

3.2.Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts bedurfte es keiner weiteren Feststellungen über den Verkehrswert der Wohnung: Abgesehen davon, dass der von der Klägerin begehrte Preisabschlag lediglich 5 % des von ihr bezahlten Kaufpreises betragen hat, hat die Beklagte überhaupt kein konkretes Vorbringen zum wahren Verkehrswert der Wohnung erstattet. Vor allem aber hat der Sachverständige nicht lediglich einen konkreten ziffernmäßigen Minderungsbetrag ermittelt, sondern ausgeführt, dass derartige Mängel stets einen Preisabschlag von 5 bis 10 % des Wertes eines Vergleichsobjekts ergeben würden. Durch die Ermittlung des Preisabschlags in Form eines prozentuellen Minderungsbetrags ist die Ermittlung des „wahren“ Wertes der Wohnung aber entbehrlich, stellt doch die Vornahme eines relativen Preisabschlags von 5 bis 10 % sicher, dass die Wert-Preis-Relation, die die Parteien beim seinerzeitigen Vertragsabschluss zu Grunde gelegt haben, auch bei der Vertragsanpassung gewahrt bleibt.

3.3. Der von der Beklagten geltend gemachte Verfahrensmangel liegt schon deshalb nicht vor, weil der im Rahmen der Berufung gestellte Antrag auf Beischaffung eines Aktes des Landesgerichts Salzburg gegen das Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) verstieß, sodass vom Berufungsgericht darauf nicht weiter einzugehen war.

4.1. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass ein Feststellungsbegehren nicht pauschal für Schäden durch „mangelhafte Planung und Herstellung“, sondern nur für solche Fälle erhoben werden kann, für deren zukünftiges Entstehen bereits jetzt Grundlagen zu finden sind. Allerdings ist das Gericht – auch noch in höherer Instanz – berechtigt und sogar verpflichtet, dem Urteilsspruch – auch aufgrund eines Feststellungsbegehrens – eine klare und deutlichere, vom Begehren abweichende Fassung zu geben, sofern diese in den Behauptungen des Klägers ihre eindeutige Grundlage findet und sich im Wesentlichen mit dem Begehren deckt (10 Ob 76/05g). Es entspricht einhelliger Rechtsprechung, dass für die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens nicht dessen Wortlaut, sondern der Sinn des Begehrens maßgeblich ist (9 ObA 173/88; 8 ObA 31/09f; 8 ObA 62/09i). Das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist (8 ObA 31/09f; 8 ObA 62/09i).

4.2. Schon in der Klage hat sich die Klägerin auf Wasserschäden berufen und nicht nur ausdrücklich Mängel bei den Dachrinnen, sondern auch bei den Balkonen angeführt. Die Klägerin hat bereits in der Klage vorgebracht, dass für Balkonsanierungen zusätzlich ca 6.000 EUR aufgewendet werden mussten. In der Folge hat die Klägerin ihr Vorbringen im Schriftsatz ON 8, der zwar nicht ausdrücklich vorgetragen wurde, an den aber als Teil der bisherigen Verfahrensergebnisse nach dem Wortlaut des einen vollen Beweis bildenden Protokolls vom 04.03.2010 gemäß § 138 ZPO „angeknüpft“ wurde, dahin präzisiert, dass mehrere Balkone in der Anlage über denselben Konstruktionsmangel verfügten. Die Mängel an den Balkonen waren auch Gegenstand der Verhandlung und Beweisaufnahme vor dem Erstgericht (vgl AS 247 = S 7 in ON 40), was auch von den Parteien nie in irgendeiner Form beanstandet wurde. Im Hinblick darauf kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Klägerin ihr Feststellungsbegehren auch auf Mängel an den Balkonen stützt, sodass sich die uneingeschränkte Klagsstattgebung durch das Erstgericht auch auf die Haftung für Mängel an den Balkonen bezieht.

4.3. Die Entscheidung des Erstgerichts ist nicht zu beanstanden. Dabei ist schon der - von der Beklagten insoweit nicht bestrittene - Umstand, dass trotz des geringen Alters der Wohnhausanlage EUR 6.000,– für Balkonsanierungen aufgewendet werden mussten, ein ausreichender Hinweis auf das Vorliegen von Mängeln, die von der beklagten Bauträgerin zu vertreten sind. Ob gerade auch der Balkon der Klägerin von derartigen Mängeln betroffen ist, ist demgegenüber rechtlich unerheblich, sind doch Balkone unzweifelhaft von der Erhaltungspflicht iSd § 28 Abs 1 WEG iVm § 3 MRG umfasst. Allfällige weitere Sanierungsarbeiten würden daher, auch wenn diese an anderen Wohnungen durchgeführt werden, von der Klägerin als Wohnungseigentümerin mitfinanziert werden müssen. Jedenfalls hätte die Klägerin weitere Beeinträchtigungen durch Baulärm und mit derartigen Arbeiten verbundene Unannehmlichkeiten. Dabei genügt es nach neuerer Rechtsprechung für die Stattgebung eines Feststellungsbegehrens, dass nur die Möglichkeit besteht, dass das schädigende Ereignis einen künftigen Schadenseintritt auslösen kann (2 Ob 83/09h). Dass diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist, kann keinem Zweifel unterliegen.

5. Damit erweist sich aber das Verfahren entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Sinne einer Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts als spruchreif, sodass durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen war (§ 519 Abs 2 Satz 2 ZPO). Dabei war jedoch im Sinne der im Vorigen wiedergegebenen Rechtsprechung dem Urteilsspruch eine deutlichere Fassung zu geben.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Leitsätze