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Dokument-ID: 331884

Judikatur | Entscheidung

3 Ob 179/11m; OGH; 12. Oktober 2011

GZ: 3 Ob 179/11m | Gericht: OGH vom 12.10.2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B ***** OG, *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Z***** und 2. S*****, beide vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Juli 2011, GZ 40 R 317/11f-29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. Mai 2011, GZ 43 C 639/08b-26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin stützte ihre am 4. September 2011 eingebrachte Räumungsklage auf von den Beklagten nicht bezahlte Mietzinse für die Monate Mai bis September 2008 samt 4 % Zinsen. Die Klage wurde den Beklagten am 10. September 2009 zugestellt, eine der Klage vorangegangene Mahnung der Klägerin konnte nicht festgestellt werden. Den Mietzinsrückstand beglichen die Beklagten am 3. November 2008, die Verzugszinsen am 4. November 2008. Am 4. November 2008 fand die erste Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vor dem Erstgericht statt, bei der die Klägerin am Räumungsbegehren festhielt, die Beklagten hingegen auf die mittlerweilige Begleichung des Mietzinsrückstands samt Zinsen hinwiesen und einwendeten, dass sie am Auflaufen des Mietzinsrückstands kein grobes Verschulden treffe.

Das Berufungsgericht legte seiner Bestätigung der erstgerichtlichen Abweisung des Räumungsbegehrens zugrunde, dass die Frage nach einem allfälligen Verschulden der Beklagten am eingetretenen Mietzinsrückstand dahingestellt bleiben könne, weil sich das Räumungsbegehren mangels erfüllter Anforderungen des § 1118 zweiter Fall ABGB als zu keinem Zeitpunkt im Verfahren berechtigt erweise. Mangels außergerichtlicher Mahnung seien die rückständigen Mietzinse erst durch Zustellung der Klage an die Beklagten eingemahnt worden. Erst ab dem darauf folgenden Zinstermin (1. Oktober 2008) sei ein qualifizierter Mietzinsrückstand vorgelegen. Die Aufhebung des Vertrags könne erst nach erfolgloser Mahnung unter Gewährung einer ausreichenden Nachfrist erklärt werden. Nicht die Klage selbst, sondern erst die Weiterführung des Verfahrens sei als konkludente Vertragsaufhebungserklärung zu sehen. Eine solche Weiterführungshandlung sei in der Aufrechterhaltung des Räumungsbegehrens in der Tagsatzung vom 4. November 2008 zu sehen, zu diesem Zeitpunkt sei der Mietzinsrückstand aber schon zur Gänze beglichen gewesen.

Die Klägerin macht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend, das Berufungsgericht habe ihr Verhalten im erstinstanzlichen Verfahren unrichtig beurteilt, weil nicht erst in der Fortführung des Verfahrens in der Tagsatzung vom 4. November 2008 sondern bereits vorher im Unterlassen einer Verfahrensbeendigung nach dem der Mahnung folgenden Zinszahlungstermin am 1. Oktober 2008 die (schlüssige) Vertragsaufhebungserklärung zu sehen sei.

Rechtliche Beurteilung

Ein zur vorzeitigen Aufhebung des Bestandvertrags nach § 1118 ABGB berechtigender qualifizierter Zinsrückstand liegt vor, wenn der Bestandnehmer nach geschehener Einmahnung mit der Bezahlung des Zinses dergestalt säumig ist, dass er bis zum nächsten Zinstermin den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet hat (RIS-Justiz RS0021152). Eine Einmahnung iSd § 1118 ABGB ist jedenfalls in der Zustellung einer Zins- oder Räumungsklage zu erblicken, sofern die Mietzinsschuldigkeit darin hinreichend konkretisiert ist (1 Ob 11/04f; 8 Ob 74/07a = SZ 2007/107). Es muss immer die zeitliche Abfolge – Mahnung, Nachfristgewährung und Auflösungserklärung – gewahrt werden (RIS-Justiz RS0021072). Da die Aufhebung des Bestandvertrags somit erst nach erfolgloser Mahnung erklärt werden kann, kann – wenn mangels außergerichtlicher Mahnung die Klage erst die Mahnung ersetzt – nicht die Klage selbst, sondern nur die Weiterführung des Verfahrens als konkludente Vertragsaufhebungserklärung angesehen werden (3 Ob 556/89 = MietSlg 41.137; 5 Ob 219/08d; Würth in Rummel, ABGB³, § 1118 Rz 18 mwN). Das Räumungsbegehren ist also nur dann berechtigt, wenn der qualifizierte Mietzinsrückstand zum Zeitpunkt der Abgabe der Auflösungserklärung oder der diese ersetzenden Fortführung des Räumungsprozesses noch bestand (3 Ob 25/11i mwN).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass (erst) das Einschreiten der Klägerin bei der Verhandlungstagsatzung am 4. November 2008 (Aufrechterhaltung des Räumungsbegehrens) jenes Verhalten ist, in dem die schlüssige Vertragsaufhebungserklärung nach Verstreichen der Nachfrist nach der mit Klagenzustellung wirksam gewordenen Einmahnung des Mietzinses zu sehen ist, bildet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Die Beurteilung der Schlüssigkeit eines Verhaltens im Hinblick auf eine konkludente Willenserklärung hat regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung (vgl RIS-Justiz RS0043253 [T2]). Eine stillschweigende Erklärung kann in einer positiven Handlung oder in einem Unterlassen (Schweigen) bestehen. Die Handlung oder Unterlassung muss nach der Verkehrssitte und nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen sein, also den zwingenden Schluss zulassen, dass die Parteien einen Vertrag schließen, ändern oder aufheben wollten. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt, wobei stets die gesamten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen sind (RIS-Justiz RS0109021).

Die bloße Untätigkeit (Schweigen, Unterbleiben der Klagezurückziehung) nach Verstreichen des auf die Klagezustellung folgenden Zinstermins (1. Oktober 2008) nicht als jeden Zweifel ausschließende schlüssige Verhaltensweise im Sinn der Verfahrensfortsetzung aufzufassen, ist vertretbar. Es liegt nahe, erst im prozessualen Verhalten der Klägerin in der ersten Verhandlungstagsatzung vom 4. November 2008 (Verfahrensfortsetzung ungeachtet der Kenntnisnahme von der erfolgten Zahlung) jene schlüssige Vertragsaufhebungserklärung zu erblicken, welche – sofern der qualifizierte Mietzinsrückstand noch besteht – die Vertragsauflösung nach § 1118 ABGB rechtfertigen kann.

Da die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Leitsätze