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Dokument-ID: 1139408

Judikatur | Entscheidung

5 Ob 18/23t; OGH; 18. April 2023

GZ: 5 Ob 18/23t | Gericht: OGH vom 18.04.2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Thomas Kraft, Rechtsanwalt in Kufstein, gegen die beklagte Partei A*GmbH, *, vertreten durch Dr. Christian Prader, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Wiederherstellung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. Oktober 2022, GZ 5 R 138/22p 49, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 21. Juli 2022, GZ 5 C 587/21h 38, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 417,22 (darin EUR 69,14 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Begründung

[1] Die Streitteile sind Mit und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Dem Objekt der Beklagten ist ein Garten im Ausmaß von 40,42 m² als Zubehör zugeordnet. Die Klägerin ist Wohnungseigentümerin der unmittelbar darüber liegenden Wohnung.

[2] Das Erstgericht wies Wiederherstellungs und Unterlassungsbegehren der Klägerin betreffend Veränderungen dieser Gartenfläche ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte, binnen zwei Monaten den vorherigen Zustand durch Entfernung der – näher bezeichneten – Terassenverbauung wiederherzustellen sowie die Verbauung des Gartens als Terrasse und jede ähnliche derartige Handlung zu unterlassen. Den Entscheidungsgegenstand bewertete es mit EUR 5.000,– übersteigend. Die ordentliche Revision ließ es nachträglich zu, weil es bei Beurteilung der Frage, ob die Klägerin als Einzelrechtsnachfolgerin durch die Rechtsnachfolgeklausel an die verfahrensgegenständlichen Änderungen gebunden sei, möglicherweise von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (den Entscheidungen 5 Ob 119/20s und 5 Ob 219/15s [gemeint: 5 Ob 219/16s]) abgewichen sein könnte.

[4] In ihrer Revision beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, dass sämtliche Wiederherstellungs und Unterlassungsbegehren abgewiesen werden und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

[5] Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[6] Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, sie kann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1. Gemäß § 16 Abs 2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten unter dort näher beschriebenen Voraussetzungen berechtigt. Der Änderungsbegriff des § 16 Abs 2 WEG ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs weit auszulegen (RIS Justiz RS0083108 [T1]; RS0083132). Jede Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG (RS0083132 [T10]). Holt der änderungswillige Wohnungseigentümer die Zustimmung der anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters nicht ein oder setzt er sich über den Widerspruch eines anderen Miteigentümers hinweg, handelt er in unerlaubter Eigenmacht und kann im streitigen Rechtsweg zur Beseitigung der Änderung (gegebenenfalls auch zur Unterlassung künftiger Änderungen) verhalten werden (RS0083156; RS0005944).

[8] 1.2. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0109247) kann das Vorliegen einer Änderung im Sinn des § 16 Abs 2 WEG nur für bagatellhafte Umgestaltungen verneint werden. Zu 5 Ob 25/13g ging der Fachsenat bei Gartengestaltungsmaßnahmen in Form der Errichtung eines Maschendrahtzauns, Verlegung einer Terrassenfläche von (nicht den gesamten Garten umfassenden) 13,5 m² samt Randleiste, Anbringung von drei Betonringen im Boden zur Verwendung als Blumentröge und Errichtung von 8 cm hohen Randleisten von bagatellhaften und daher nicht genehmigungsbedürftigen Änderungen aus. Nach der Entscheidung 5 Ob 84/18s ist bei der Beurteilung der Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung auch die mögliche Interessenbeeinträchtigung der anderen Mit und Wohnungseigentümer durch eine erhebliche Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses (dort ebenfalls Garten) zu berücksichtigen.

[9] 1.3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, hier liege keine bagatellhafte Änderung mehr vor, zumal es durch die Belegung des gesamten (!) Hausgartens mit Terrassenplatten zu einer Widmungsänderung von Garten auf Terrasse gekommen sei, ist nicht korrekturbedürftig. Auch wenn die Platten bei schwimmender Verlegung leichter entfernbar sein mögen als aus einem Mörtelbett, lässt sich dies nicht mit einer Abdeckung durch eine Plane vergleichen. Die Abtragung der obersten Erdschicht samt Bewuchs, Anbringung einer Schotterschicht und Verlegung von Terrassenplatten als eine auf Dauer angelegte Widmungsänderung des Hausgartens auf Terrasse zu sehen, bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von den Entscheidungen 5 Ob 25/13g und 5 Ob 84/18s, wo rein oberflächliche Gestaltungsmaßnahmen zu beurteilen waren, die nur einen geringen Teil des Hausgartens betrafen. Auf die Frage, ob – isoliert betrachtet – nur die Änderungen des Terrassenbelags im Jahr 2021 als bagatellhaft zu beurteilen wären, kommt es nicht an, zumal der Hausgarten bereits 2013 grundlegend umgestaltet wurde.

[10] 2.1. Die zu beurteilenden Änderungen hätten daher der Zustimmung sämtlicher übriger Mit- und Wohnungseigentümer bedurft. Wird eine solche Zustimmung der Übrigen erteilt, wirken deren rechtsgestaltende Parteienerklärungen materiell rechtlich. Sie führen die beabsichtigte Rechtsänderung direkt herbei (5 Ob 119/20s; 5 Ob 219/16s mwN).

[11] 2.2. Eine Zustimmung aller übrigen (damaligen) Mit- und Wohnungseigentümer zu den Veränderungen des Hausgartens Top 76 lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Sie wurde auch nicht schlüssig behauptet, zumal der Umstand, dass sie dagegen „nicht geklagt haben“ dafür nicht ausreichen kann. Die Frage, ob es wohnungseigentumsrechtlich überhaupt denkbar ist, dass die Beklagte (als Rechtsvorgängerin der Klägerin) sich selbst eine – hier ohnedies nicht festgestellte – Zustimmung zu Änderungen an einem anderen in ihrem Wohnungseigentum stehenden Objekt erteilen und diese wirksam an die Klägerin überbinden könnte, bedarf daher keiner näheren Erörterung.

[12] 2.3. Damit unterscheidet sich der Sachverhalt grundlegend von jenem zu 5 Ob 119/20s, wonach eine ausdrückliche Zustimmung des Einzelrechtsvorgängers vorlag. Der Antragsteller hatte sämtliche Baumaßnahmen noch vor deren Durchführung mit dem damaligen weiteren Mit und Wohnungseigentümer, dem Einzelrechtsvorgänger des Antragsgegners und mit diesem selbst besprochen und deren Zustimmung eingeholt. Die vom Berufungsgericht angesprochene Abweichung von der Entscheidung 5 Ob 119/20s ist daher nicht ersichtlich. Auch 5 Ob 219/16s befasste sich mit der Frage der Bindung des Einzelrechtsnachfolgers an Verfügungsakte im WEG im Fall der außergerichtlich erlangten Zustimmung aller übrigen Mit und Wohnungseigentümer, die hier weder schlüssig behauptet noch festgestellt wurde.

3. Rechtsnachfolgeklauseln im Kaufvertrag, die die Übertragung sämtlicher Rechte und Pflichten des Veräußerers auf den Erwerber vorsehen, sieht die Rechtsprechung als für eine Überbindung von obligatorischen Rechten ausreichend an (vgl RS0011871; RS0013619), soweit es um Rechte und Pflichten geht, die unmittelbar mit der Nutzung der veräußerten Liegenschaft oder des veräußerten Liegenschaftsanteils zusammenhängen (RS0013619 [T3]; 5 Ob 87/20k). Hier bezieht sich der Wiederherstellungs und Unterlassungsanspruch der Klägerin aber nicht auf den ihr veräußerten Liegenschaftsanteil, sondern denjenigen der Beklagten.

[13] 4.1. Einen Verzicht nach § 1444 ABGB auf ihr zustehende Abwehrrechte könnte die Klägerin zwar im Sinn des § 863 ABGB auch stillschweigend erklären (RS0014090 [T1]; 5 Ob 219/16s). Allerdings ist bei der Frage des konkludenten Verzichts besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten (RS0014420 [T4]; RS0014090 [T2]; RS0014146 [T5]). Ein Verzicht darf nur angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RS0014190 [T10]), also ein darauf gerichteter Wille des Anspruchsberechtigten aus den festgestellten Verhältnissen eindeutig hervorgeht (RS0014234). Bloße Untätigkeit des Berechtigten selbst über einen längeren Zeitraum reicht für sich allein nicht aus, von einem Verzicht auszugehen (RS0014190 [T9, T11]).

[14] 4.2. Ein Verhalten der Klägerin, das auf einen Verzicht auf ihre dinglichen Abwehrrechte betreffend die Änderungen im Garten der Top 76 schließen ließe, steht nicht fest. Sie war zwar nach Ankauf ihrer Wohnung zunächst untätig, beschwerte sich allerdings unmittelbar nach der Verlegung der dunklen Terrassendielen per Mail bei der Beklagten und forderte die Wiederherstellung des Hausgartens entsprechend den Bestimmungen des Kauf und Wohnungseigentumsvertrags. Hier nicht von einem rechtswirksamen Verzicht der Klägerin auf ihr zustehende Abwehransprüche auszugehen, ist keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

[15] 5. Damit war die Revision zurückzuweisen.

[16] 6. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass sie grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung hat. Zu berücksichtigen war allerdings, dass die Klägerin insgesamt drei unterschiedliche Wiederherstellungs und Unterlassungsbegehren erhoben hat (Terrassenverbauung, Neubepflanzung und Fassadenanstrich), die sie ohne Differenzierung mit EUR 7.000,– bewertete. Im Zweifel ist von einer gleichteiligen Bewertung dieser Begehren auszugehen (Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.141), sodass auf die noch Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Wiederherstellungs und Unterlassungsbegehren ein Streitwert von EUR 2.333,33 entfällt. Auf dieser Basis waren der Klägerin die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

Leitsätze