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Neuparifizierung im Wohnungseigentum: Praxisfall „Eigenmächtige Veränderungen“
Gastautorin Dr. Andrea Weisert gibt in diesem Beitrag einen guten rechtlichen Überblick: Von der Änderung der Nutzfläche bis hin zur Anpassung der Nutzwerte. Wie ist im Fall einer eigenmächtigen Veränderung des WEG-Objekts vorzugehen?
Alleineigentum, Miteigentum, Wohnungseigentum
Liegenschaften samt Gebäuden stehen entweder im Eigentum einer Person, man spricht dann von Alleineigentum, oder von mehreren Personen (auch juristischen), sohin Miteigentum.
Miteigentum ist jedoch nicht real (räumlich) getrennt, sondern nach ideellen Anteilen. D.h., jedem Miteigentümer gehört die gesamte Liegenschaft (samt Gebäude) zu einem gewissen Prozentsatz. Dabei ist die Frage, welche Liegenschafts- und Gebäudeteile der Miteigentümer in welchem Umfang benützen darf, aber noch nicht geklärt. Hierzu bedarf es einer Benützungsregelung zwischen sämtlichen Miteigentümern um spätere Probleme hintanzustellen, zB bei Veräußerung, denn ein „neuer“ Eigentümer wird wissen wollen, welcher Teil der Liegenschaft verkauft wird und in welcher Form er diesen benützen darf.
Das Wohnungseigentum hingegen ist eine Sonderform des Miteigentums, hier liegt auch kein real geteiltes Eigentum vor, sondern der Wohnungseigentümer hält einen ideellen Anteil an der gesamten Liegenschaft (samt Gebäude), mit welchem das Recht verbunden ist, ein bestimmtes Objekt (z.B. eine Geschäftsräumlichkeit oder eine Wohnung oder ein Abstellplatz) ausschließlich zu nutzen und alleine darüber zu verfügen. Damit liegt eine gesetzlich besonders geregelte Form der Benützungsvereinbarung zwischen den Miteigentümern einer Liegenschaft vor. Mit jedem Miteigentumsanteil wird sohin das Nutzungsrecht an einem bestimmten Objekt (Wohnung, Geschäftslokal, KFZ-Abstellplatz)verbunden.
Begründung von Wohnungseigentum
Wohnungseigentum entsteht mit der Eintragung im Grundbuch, wofür die Bescheinigung der Baubehörde oder das Gutachten eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers bzw Immobiliensachverständigen über alle selbstständigen Objekte im Gebäude und die vorhandenen KFZ-Abstellplätze auf der Liegenschaft oder ein Gutachten eines Ziviltechnikers oder Sachverständigen über die Nutzwertberechnung sowie der Wohnungseigentumsvertrag vorliegen müssen.
Im Nutzwertgutachten werden alle Wohnungen und sonstigen selbstständigen Räumlichkeiten bewertet. Unter dem Nutzwert versteht man jene Zahl, die für die Bestimmung des Miteigentumsanteiles der Wohnungseigentümer an der Liegenschaft, genannt Mindestanteil, maßgebend ist. Als Grundlage der Nutzwerte werden die Nutzflächen der einzelnen Objekte herangezogen. Zur Nutzfläche, die als einfache Zahl übernommen wird, kommen Zu- und Abschläge für werterhöhende oder wertmindernde Unterschiede zwischen den Objekten. Maßgebend hierfür sind Kriterien wie die Widmung (Wohn- oder Geschäftszweck), die Lage der Wohnung im Haus und auch die bauliche Ausstattung.
Alle Gebäudeteile, die bei der Nutzwertfestsetzung nicht gesondert berücksichtigt worden sind, verbleiben im gemeinsamen Eigentum der Wohnungseigentümer, dazu gehören das Stiegenhaus, Hauseinfahrt, Gartenanlagen etc.
Änderung der Nutzflächen
Zu Änderungen der Nutzflächen und damit einhergehend der Nutzwerte kommt es – im einfachsten Fall – dann, wenn zB ein Dachbodenausbau durchgeführt wird oder die ehemalige Hausbesorgewohnung nicht mehr als allgemeiner Teil angesehen werden soll. Doch nicht jede Änderung ist auf den ersten Blick so offenkundig.
Jeder Wohnungseigentümer hat das ausschließliche Benutzungsrecht an seiner Wohnung, unwesentliche Änderungen darf er in der Wohnung vornehmen, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Sollte der Wohnungseigentumsvertrag nichts anderes vorsehen, sind Maßnahmen an der Außenhaut des Gebäudes (z.B. Anbringung von Satellitenantennen etc.) oder auch wesentliche Änderungen innerhalb der Wohnung wie zB Mauerdurchbrüche „zustimmungspflichtig“, dh jeder Eigentümer hat die Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer (oder jene des Außerstreitrichters) einzuholen, bevor er derartige Änderungen veranlasst. Bei Änderungen der Widmung oder Einbeziehung allgemeiner Teile in den eigenen Wohnungsverband, die jedenfalls (außer es liegen andere Vereinbarungen diesbezüglich vor) zustimmungsabhängig sind, kommt es ebenfalls zu einer Änderung der Bewertungsgrundlage in Zusammenhang mit der Nutzwertberechnung.
Teilweise kommt es, gerade in älteren Häusern vor, dass durch Einbeziehung allgemeiner Teile (Gangflächen, Gang-WC`s) in den Wohnungsverband, die Nutzfläche derselben vergrößert wird und sich dadurch auch die Nutzwerte faktisch ändern.
Hinweis:
Festzuhalten ist allerdings, dass sich „automatisch“ aber nichts ändert, es sei denn die zuständige Hausverwaltung ist in Abstimmung der Wohnungseigentümer bereit, ohne aktuelles Nutzwertgutachten eine Änderung der Verhältnisse entsprechend zu berücksichtigen. Rechtssicherheit stellt dies natürlich keine dar.
Wozu Nutzwerte anpassen?
Nutzwerte bzw Nutzflächen sind relevant für die Aufteilung der Aufwendungen (§ 32 WEG). Der Verteilungsschlüssel richtet sich zunächst nach den Vereinbarungen im Wohnungseigentumsvertrag, sollte darüber keine Vereinbarung getroffen werden, sind die Aufteilungen nach den gesetzlichen Vorschriften, welche vorsehen, dass alle Aufwendungen für die Liegenschaft nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile zum Ende der Abrechnungsperiode zu tragen sind (der so genannte Nutzwertschlüssel), aufzuteilen. Es können natürlich auch abweichende Verteilungsschlüssel vereinbart werden (im Wohnungseigentumsvertrag), wie bereits erwähnt können derartige Vereinbarungen vorsehen, dass Erhaltungsarbeiten an den Außenfenstern und der Eingangstür eines jeden Wohnungseigentumsobjektes vom einzelnen Wohnungseigentümer zu tragen sind (nicht von der Allgemeinheit) oder dass auch der Nutzflächenschlüssel für die Bewirtschaftungskosten auf Dauer herangezogen wird und nicht der Nutzwertschlüssel.
Hinweis:
Es ist daher relevant für die korrekte Abrechnung ein aktuelles Nutzwertgutachten als Basis zu haben.
Wie kann man Nutzwerteanpassen?
Die erstmalige Ermittlung der Nutzwerte (bei Wohnungseigentumsbegründung) erfolgt ausschließlich durch einen entsprechenden qualifizierten Sachverständigen (nicht mehr durch das Gericht, wie es noch die Rechtslage vor 1997 vorsah). Ab dann ist die Nutzwertfestsetzung (Neufestsetzung) durch das Gericht oder einvernehmlich möglich.
Die Bestimmung des § 9 WEG sieht Fälle vor, in denen das Gericht mittels Antrag angerufen werden kann, die Nutzwerte (neu) festzusetzen. Diese Fälle sind nicht taxativ, dh es sind auch andere Konstellationen, die einen Antrag ermöglichen, denkbar.
Konkret genannt werden folgende:
- Wenn das frühere (Nutzwert-)Gutachten gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung verstößt
- Wenn das Gutachten bei einem Wohnungseigentumsobjekt um mehr als 3 % von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht
- Wenn sich der Nutzwert eines Wohnungseigentumsobjektes durch eine abweichende Bauführung (im Vergleich zur früheren Grundlage) um mehr als 3 % ändert
- Wenn sich der Nutzwert eines Wohnungseigentumsobjektes nach Vollendung der Bauführung durch bauliche Vorgänge auf der Liegenschaft wesentlich ändert
- Wenn sich die Nutzwerte durch Änderungen im Bestand räumlich unmittelbar angrenzender Wohnungseigentumsobjekte oder durch Übertragung von Zubehörobjekten ändern
Das Verfahren wird nur über Antrag beim Bezirksgericht der gelegenen Sache (bzw. der Schlichtungsstelle) eingeleitet. Zu beachten ist, dass wenn im Wohnungseigentumsvertrag vertragliche Ansprüche auf Umparifizierung einer Liegenschaft vereinbart sind, diese nur im streitigen Verfahren geltend gemacht werden können, sollte sich derjenige, der sich dazu verpflichtet hat, dies nicht mehr durchführen wollen.
Antragslegitimation und Fristen
Die Neunutzwertfestsetzung kann von jedem Miteigentümer und Wohnungseigentümer; bei Nutzwertänderungen im Bestand räumlich unmittelbar aneinandergrenzender Wohnungseigentumsobjekte oder durch die Übertragung von Zubehörobjekte, allerdings nur gemeinsam mit den von der Änderung oder Übertragung betroffenen Wohnungseigentümern, beantragt werden.
Hinweis:
Zu beachten ist auch die Frist, die für solche Anträge gilt (§ 10 Abs 2 WEG). Keine zeitlichen Beschränkungen gibt es für den Verstoß gegen zwingende Berechnungsgrundsätze (§ 9 Abs 2 Z 1 WEG), der Bestandverschiebungen (§ 9 Abs 2 Z 5) und der nicht ausdrücklich in § 9 WEG geregelten Tatbestände. Im Übrigen beträgt die Antragsfrist jeweils ein Jahr, wobei der Beginn unterschiedlich geregelt ist.
Bei einem Antrag sind jedenfalls Unterlagen beizufügen, aus denen sich die Notwendigkeit der Nutzwertfest- oder -neufestsetzung und soweit es urkundlich belegbar ist, die Rechtzeitigkeit des Antrages ergibt.
Praxisfall: Eigenmächtige Veränderungen
Verändern Wohnungseigentümer eigenmächtig ihre Objekte, so zB durch Einbeziehung allgemeiner Teile (Gangflächen), dann rechtfertigt dies mangels Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer keine Neufestsetzung der Nutzwerte, sondern sind die sich gegen diese Änderung aussprechenden Wohnungseigentümer auf eine Klage gemäß § 523 ABGB zu verweisen (5 Ob 207/16a) – dies gilt auch dann, wenn schon in der Bauphase abweichend vom Nutzwertgutachten ein Erwerber mit dem Bauträger eine vom Nutzwertgutachten abweichende Bauführung unter Inanspruchnahme von gewidmeten Allgemeinflächen vereinbart und dadurch allgemeine Teile in die Wohnung einbezogen wurden. (22 R 209/16 p, LG Salzburg)
Der Rechtstitel für die einem Wohnungseigentümer zustehende Nutzungsbefugnis liegt nicht in der Nutzwertfestsetzung bzw der Nutzwertberechnung, sondern in der Widmung, die wiederum Grundlage des WE-Vertrages ist. Die rechtswirksame Widmung gibt den Ausschlag dafür, was zu einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt gehört und dementsprechend vom jeweiligen Wohnungseigentümer ausschließlich genutzt werden darf. Die Festsetzung bzw Berechnung der Nutzwerte schafft dagegen keinen eigenen Rechtsgrund für die Nutzung, sondern hat die Widmung nur nachzuvollziehen. Grundlage der Nutzwertfestsetzung durch den Außerstreitrichter ist daher die der jeweiligen materiellen Rechtslage entsprechende konkrete Widmung. An allgemeinen Teilen kann kein Wohnungseigentum begründet werden, sie werden daher von der Nutzwertfestsetzung nicht erfasst (5 Ob 113/07 i, Miet-SLG 59.393).
Fazit
In solchen Fällen bleibt daher nur das streitige Verfahren, sich als Wohnungseigentümer gegen einen anderen, der Allgemeinflächen in Anspruch nimmt (ohne Zustimmung der Wohnungseigentumsgemeinschaft bzw vertragliche Erlaubnis), zur Wehr zu setzen. Sollte sich in einem solchen Verfahren oder auch in einem Verfahren, in welchem nachträglich die Zustimmung von derartigen Veränderungen erlangt wird, die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme herausstellen, kann dann in weiterer Folge ein Antrag auf Neufestsetzung der Nutzwerte gestellt werden.
Autorin
Frau Dr. Weisert ist seit 2006 selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Im gleichen Jahr promovierte sie zum Doktor der Rechtswissenschaften. Ihre Haupttätigkeit liegt in der zivil- und strafrechtlichen Beratung und Vertretung. Auf folgende juristische Felder hat sie sich spezialisiert: Miet- und Wohnrecht, Immobilien- und Liegenschaftsrecht, Gewährleistungs- und Schadenersatzrecht, Familien- und Erbrecht sowie Straf- und Verwaltungsstrafrecht.
Für den WEKA-Verlag erstellt sie regelmäßig Fachbeiträge für das Portal Wohnrecht online und ist Autorin von Loseblattwerken zum WEG und Zivilverfahrensrecht.