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Dokument-ID: 1099997

Judikatur | Entscheidung

4 Ob 18/21g; OGHM; 27. Mai 2021

GZ: 4 Ob 18/21g | Gericht: OGH vom 27.05.2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der Klägerin A***** GmbH, *****, vertreten durch Reinitzer Rechtsanwalts KG in Wien, gegen den Beklagten V***** N*****, vertreten durch Kronberger Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, wegen I. (AZ 4 C 304/17b) EUR 42.313,38 sA und Räumung und II. (AZ 4 C 305/17z) EUR 9.291,61 sA und Räumung, über die außerordentliche Revision des Beklagten gegen das Teilurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. November 2020, GZ 40 R 149/20p, 40 R 199/20s-62, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 28. Juni 2019, GZ 4 C 304/17b-50, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

[1] Die klagende Wohnungseigentümerin erhob gegen den beklagten Mieter Mietzins- und Räumungsklage betreffend ein Geschäftslokal und eine Wohnung. Der Mietzins sei von April 2017 bis Juli 2018 unbezahlt.

[2] Der Beklagte wendete einen 100 %-igen Mietzinsminderungsanspruch wegen der fehlenden Lüftungsanlage im Geschläftslokal (Restaurant) und damit auch Unbrauchbarkeit der für Mitarbeiter vorgesehenen Dienstwohnung ein.

[3] Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Beklagte habe zwar im Mietvertrag die Verpflichtung übernommen, sich um erforderliche behördliche Bewilligungen zu kümmern, doch sei vom Zustand des Lokals bei Vermietung auszugehen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Lüftungsanlage vorhanden, aber auch eine Klage von anderen Wohnungseigentümern anhängig gewesen, die auf die Entfernung der an der Hofseite befindlichen Teile der Anlage gerichtet gewesen sei. Durch die stattgebende Entscheidung, womit der Klägerin die Entfernung aufgetragen worden sei, sei das Geschäftslokal nicht zu dem Zweck verwendbar, zu dem es vermietet worden sei. Da die Wohnung vom Beklagten ausschließlich zum Zweck gemietet worden sei, um die Arbeitnehmer aus dem Geschäftslokal dort unterzubringen, sei auch diese nicht zu dem vereinbarten Zweck verwendbar. Der Beklagte schulde daher weder Mietzins für das Geschäftslokal noch für die Wohnung.

[4] Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten mit Teilurteil zur Zahlung des rückständigen Mietzinses und hob das Urteil hinsichtlich der Räumungsverpflichtung (betreffend Geschäftslokal und Wohnung) auf; es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Es bestehe keine Grundlage für einen Mietzinsminderungsanspruch des Beklagten, weil dieser das Geschäftslokal im Wissen, dass die vorhandene Lüftung im gegebenen Zustand nicht verwendbar und im Zusammenhang mit der Lüftungsanlage eine Klage von Miteigentümern anhängig sei, angemietet und sich im Vertrag verpflichtet habe, für sämtliche Bewilligungen des beabsichtigten Betriebs selbst zu sorgen. Bezüglich der Räumungsverpflichtung hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts auf, um dem Beklagten die Möglichkeit der Nachzahlung des Mietzinses und der Behauptung und Beweisführung zu seinem allenfalls fehlenden groben Verschulden zu geben (§ 33 MRG).

[5] Mit seiner außerordentlichen Revision strebt der Beklagte die vollständige Klagsabweisung an, ohne jedoch iSv § 502 ZPO erhebliche Rechtsfragen aufzuzeigen. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1.1. Nach § 1096 Abs 1 zweiter Satz ABGB wird der Bestandnehmer für die Dauer und in dem Maße der Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts von der Entrichtung des Zinses befreit, wenn das Bestandobjekt bei der Übergabe derart mangelhaft ist oder es während der Bestandzeit ohne Schuld des Übernehmers derart mangelhaft wird, dass es zu dem bedungenen Gebrauch nicht taugt. Im Zweifel ist von einer geschuldeten „mittleren Brauchbarkeit“ auszugehen (RIS-Justiz RS0021054; RS0020926). Die Zinsminderung gemäß § 1096 ABGB setzt entweder einen Mangel des Bestandgegenstands selbst oder ein vom Bestandgeber gesetztes, zumindest aber von ihm zu vertretendes Verhalten voraus, durch das die bedungene Benützung des Bestandgegenstands – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – beeinträchtigt oder gehindert wird (RS0021288). Die Zinsminderung tritt kraft Gesetzes und ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Bestandgebers ein (RS0021443; RS0021420). Der Anspruch auf Zinsbefreiung/Zinsminderung besteht ab Beginn der Unbrauchbarkeit beziehungsweise Gebrauchsbeeinträchtigung des Bestandobjekts bis zu deren Behebung (RS0107866).

[7] 1.2. Nach § 1096 Abs 1 ABGB tritt eine Zinsminderung nicht nur wegen nach Übergabe auftretender Mängel ein, sondern auch wegen Mängeln bei der Übergabe selbst. Das gilt jedoch dann nicht, wenn dem Mieter die Mängel des Mietgegenstands bei Vertragsabschluss bekannt waren und er den Vertrag dennoch ohne Vorbehalte geschlossen hat. Ist den Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt, dass das Mietobjekt teilweise unbrauchbar ist, und schließt der Mieter den Mietvertrag dennoch ohne Vorbehalte ab, so wird dieser Zustand zum Vertragsinhalt; die Leistung des Vermieters ist damit vertragskonform (8 Ob 28/16z). Die Rechtsprechung geht in solchen Fällen davon aus, dass der Mieter durch den vorbehaltlosen Vertragsschluss auf die Minderung verzichtet habe (RS0021408 [T3]; RS0020799 [T1]; 3 Ob 47/13b).

[8] 1.3. Die Erwirkung der zum bedungenen Gebrauch erforderlichen Bewilligungen kann vertraglich generell dem Bestandnehmer überbunden werden (RS0020947), und zwar auch im Vollanwendungsbereich des MRG, soweit sich die Bewilligung nicht auf den Vermieter zwingend treffende Erhaltungsmaßnahmen bezieht. Im Zweifel ist zwar der Bestandgeber für die Erlangung baurechtlichen Bewilligungen, insbesondere Benützungsbewilligungen, verantwortlich, nicht aber für Betriebsanlagengenehmigungen (9 Ob 43/98h) oder nachträglich vom Bestandnehmer mit Zustimmung des Bestandgebers durchgeführte bauliche Änderungen. In letzterem Fall trifft den Bestandgeber nur die Verpflichtung, entsprechende behördliche Ansuchen des Bestandnehmers, etwa durch Unterfertigung von Baueinreichplänen, zu unterstützen (zB 5 Ob 555/90).

[9] 2.1. Betreffend das Geschäftslokal war bei den Gesprächen vor Abschluss des Mietvertrags mit dem Beklagten davon die Rede, dass es Probleme mit den Bewilligungen und auch ein Problem mit der Lüftung gibt, dass die Lüftung nicht entspreche, und dass es eine Klage von Wohnungseigentümern gibt. War demnach das Vorhandensein einer tauglichen Lüftung nicht bedungen, geht der Verweis des Rechtsmittels auf § 1096 ABGB ins Leere. Das bloße Vorhandensein einer (wie gegenüber dem Beklagten offengelegt: nicht ausreichenden) Lüftungsanlage im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses hat auf die Tauglichkeit des Bestandgegenstands keinen Einfluss.

[10] 2.2. Auch eine fehlende Zustimmung der Miteigentümer zur Errichtung einer konsensfähigen Lüftungsanlage bewirkt keinen Mangel des Mietgegenstands, weil der Beklagte nicht behauptet hat, die Klägerin aufgefordert zu haben, eine solche Zustimmung zu erwirken.

[11] 2.3. Soweit sich der Beklagte auf Entscheidungen zur Raumtemperatur bezieht, verkennt er die Funktion einer Lüftungsanlage in einem Gastronomiebetrieb, die nicht in einer Klimatisierung des Raumes, sondern einer Ableitung der Küchengerüche besteht. Insoweit geht der Revisionswerber aber selbst davon aus, dass das Zahlungsbegehren für die Monate April bis Juli 2017 zur Recht besteht.

[12] 2.4. Die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung (MietSlg 39.116, 49.116, 51.242) ist hier nicht einschlägig, weil die Verpflichtung zur Einholung der behördlichen Genehmigung nach der Vertragslage hier den Mieter selbst trifft. Dass die Vermieterin bestehende Mitwirkungspflichten verletzt hätte, steht nicht fest.

[13] 3.1. Jeder Wohnungseigentümer ist berechtigt, eigenmächtige Eingriffe auch eines anderen Wohnungseigentümers in das gemeinsame Eigentum mit Eigentumsfreiheitsklage abzuwehren (RS0012137; RS0012112). Der Wohnungseigentümer ist zu Änderungen seines Wohnungseigentumsobjekts unter den in § 16 Abs 2WEG dargestellten Voraussetzungen berechtigt. Schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der übrigen Wohnungseigentümer (§ 16 Abs 2 Z 1 WEG) verpflichtet den änderungswilligen Wohnungseigentümer, die Zustimmung aller übrigen oder die Genehmigung des Außerstreitgerichts einzuholen. Tut er das nicht oder setzt er sich über den Widerspruch eines anderen Wohnungseigentümers hinweg, handelt er in unerlaubter Eigenmacht und kann im streitigen Rechtsweg mit Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB) in Anspruch genommen werden (stRsp; RS0083156; RS0005944 [T2]). Im Streitverfahren ist nur die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die Eigenmacht, nicht aber die Genehmigungsfähigkeit zu prüfen (stRsp; RS0083156 [T5, T14, T20]). Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die fehlende Zustimmung anderer Miteigentümer im Nachhinein durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden kann, auch wenn die Änderung bereits durchgeführt wurde (RS0083156 [T19]).

[14] 3.2. Damit führt aber das von Miteigentümern des Gebäudes erwirkte Unterlassungsurteil hinsichtlich des Betriebs einer bestimmten Lüftungsanlage allein nicht dazu, dass der bedungene Gebrauch am gegenständlichen Geschäftslokal nicht mehr gewährt wird, kann doch – wie aufgezeigt – die Genehmigung der Lüftungsanlage auch im Nachhinein eingeholt werden. Im Übrigen ist das Vorhandensein einer tauglichen Lüftung nicht Gegenstand des Mietvertrags.

[15] 3.3. Der Beklagte hat weder behauptet oder bewiesen, dass sich die Klägerin geweigert habe, an der Erlangung der gewerbebehördlichen Genehmigung mitzuwirken, noch dass er die Klägerin konkret aufgefordert habe, die Zustimmung der Miteigentümer zur Errichtung einer Lüftungsanlage einzuholen; für beides trifft ihn die Beweislast (vgl 6 Ob 260/09t).

[16] 4. Die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel gehen schon deshalb ins Leere, weil die angeblich fehlenden Feststellungen ohnehin getroffen wurden.

Leitsätze

  • Klagsmöglichkeit eines WE bei eigenmächtigen Eingriffen eines anderen WEers?

    Nimmt ein Wohnungseigentümer eigenmächtig Änderungen am Wohnungseigentumsobjekt vor, obwohl die Änderungen schutzwürdige Interessen der übrigen Wohnungseigentümer beeinträchtigen können (§ 16 Abs 2 Z 1 WEG 2002), können die übrigen Wohnungseigentümer gegen ihn mit der Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB vorgehen. Wohnungseigentümer sind also berechtigt, eigenmächtige Eingriffe auch eines anderen Wohnungseigentümers in das gemeinsame Eigentum mit Eigentumsfreiheitsklage abzuwehren.
    Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 4 Ob 18/21g | OGH vom 27.05.2021 | Dokument-ID: 1099988