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5 Ob 13/23g; OGH; 30. März 2023
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin Ö*, vertreten durch Dr. Eva Kamelreiter, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegnerin H*-GmbH, *, vertreten durch Prof. Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG (§ 12a MRG), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Dezember 2022, GZ 40 R 144/22f 45, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung
[1] Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Hauses in Wien, die Antragsgegnerin ist Hauptmieterin eines Geschäftslokals in diesem Haus.
[2] Die Antragstellerin begehrte nach Übertragung sämtlicher Anteile der Mietergesellschaft an den Sohn der bisherigen Alleingesellschafterin zum Stichtag 6. April 2020 die Festsetzung des angemessenen monatlichen Hauptmietzinses für das Geschäftslokal. Die Antragsgegnerin wendete im Wesentlichen ein, im Zug der Covid 19 Krise habe sich der Markt für Geschäftsraummieten drastisch verändert; eine Anhebung des Mietzinses sei daher nicht möglich.
[3] Das Erstgericht ermittelte einen angemessenen Hauptmietzins für das Geschäftslokal zum Stichtag, der das Anhebungsbegehren der Antragstellerin zum 1. Mai 2020 übersteigt. Die von der Antragsgegnerin eingewendeten Einschränkungen der Benutzbarkeit des Objekts infolge von COVID 19 Maßnahmen seien bei dieser Berechnung nicht zu beachten.
[4] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung. Der angemessene Mietzins richte sich nach den Marktgegebenheiten und nicht nach punktuellen Einschränkungen der Gebrauchsfähigkeit des Objekts; tatsächliche Auswirkungen der Corona Krise auf die Mietzinshöhe für ähnlich konfigurierte Bestandobjekte wie das der Antragsgegnerin sowie allgemein für den Immobilienmarkt seien bisher nicht feststellbar.
Rechtliche Beurteilung
[5] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs dagegen zeigt die Antragsgegnerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[6] 1.1 Gemäß § 12a Abs 2 und 3 MRG darf der Vermieter binnen sechs Monaten nach Anzeige einer Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten in einer Gesellschaft, die Hauptmieterin eines Geschäftslokals ist, die Anhebung des Hauptmietzinses bis zu dem nach § 16 Abs 1 MRG zulässigen Betrag (unter Berücksichtigung der Art der im Objekt ausgeübten Geschäftstätigkeit) verlangen.
[7] 1.2 Das Gesetz definiert die Höhe des angemessenen Hauptmietzinses nicht, nennt aber die zur Ermittlung der Angemessenheit heranzuziehenden wertbestimmenden Faktoren, die daher stets nur im Einzelfall an Hand der im Gesetz bezeichneten Komponenten beurteilt werden kann. Dies hat nach kritischer Ermittlung des für vergleichbare Mietgegenstände nach Art, Größe und Lage üblichen Mietzinses durch entsprechende Aufschläge oder Abschläge zu geschehen, die der Beschaffenheit, dem Ausstattungszustand und dem Erhaltungszustand des Objekts gebührend Rechnung tragen (RS0070448 [T10]). Die Beurteilung der Angemessenheit des Mietzinses ist eine Rechtsfrage, die vom Richter – und nicht vom Sachverständigen – zu lösen ist. Die Ermittlung des üblichen Mietzinses – als Orientierungshilfe für die Angemessenheitsprüfung – gehört hingegen zur Tatfrage, zu deren Lösung der Richter auf die Hilfe eines Sachverständigen zurückgreifen kann. Dessen Bewertungsergebnis und die Aufgabenadäquanz der von ihm gewählten Methode sind vom Gericht frei zu würdigen (RS0111105, vgl auch RS0070382, RS0107999).
[8] 2.1 Nach den Feststellungen hat sich die Corona Krise bisher auf die Höhe der Mietzinse auf dem Immobilien (teil)markt der dem Bestandobjekt der Antragsgegnerin vergleichbaren Geschäftslokale (noch) nicht ausgewirkt; erst allmählich könnten (allenfalls) solche Auswirkungen eintreten. Die Antragsgegnerin argumentiert in diesem Zusammenhang nur damit, dass zum Stichtag den Mietern von Geschäftslokalen nach der Rechtsprechung infolge der pandemiebedingten eingeschränkten Nutzbarkeit im Sinn der §§ 1104 ff ABGB Mietzinsminderungsansprüche zugestanden wären. Damit lässt sie allerdings die Feststellungen über die Lage und Konfiguration des Lokals sowie zu den Vergleichsobjekten in der näheren Umgebung außer Acht, anhand derer das Erstgericht den monatlichen angemessenen Hauptmietzins für das Geschäftslokal ermittelte; die Zeitpunkte der Anmietung dieser Vergleichsobjekte liegen überwiegend (sechs von neun) nach dem Stichtag 6. April 2020 und bilden daher die Marktgegebenheiten einschließlich einer allfälligen Beeinträchtigung durch die Corona Krise ab.
[9] 2.2 Die Antragsgegnerin verweist selbst darauf, dass die gegenwärtigen ortsüblichen Marktverhältnisse zum Stichtag für die Bestimmung des angemessenen Mietzinses im Sinn der § 12a Abs 2 iVm § 16 Abs 1 MRG maßgeblich sind. Temporäre Sonderentwicklungen der durchschnittlichen Mietzinse für Geschäftslokale – sei es generell oder an einem bestimmten Standort – sind bei der Ermittlung des angemessenen Mietzinses aufgrund eines Anhebungstatbestands grundsätzlich unbeachtlich, weil der Vermieter letztlich den Mietzins erhalten soll, den er im Fall einer Neuvermietung beim Eintritt des die Anhebung rechtfertigenden Ereignisses zu üblichen Bedingungen erzielt hätte (vgl 5 Ob 184/01x mwN).
[10] 2.3 Nach ständiger Rechtsprechung besteht im Fall einer eingeschränkten Nutzbarkeit des Bestandobjekts ein Anspruch auf Zinsminderung oder Zinsbefreiung nach § 1096 ABGB ab Beginn der Gebrauchsbeeinträchtigung oder Unbrauchbarkeit des Objekts bis zu deren Behebung (RS0107866 [T4]). Es kann nicht anstelle der Zinsbefreiung bis zur Behebung der Unbrauchbarkeit zu einer Neufestsetzung eines angemessenen Mietzinses kommen (1 Ob 27/97w; RS0024613; Pesek in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1096 Rz 204; Pletzer in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht I § 1096 Rz 123; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 30 mwN). Wenn die Antragsgegnerin meint, eine auf den ortsüblichen Mietzins abstellende Vergleichsmethode würde „in Zeiten von Corona (...) kein sachgerechtes Ergebnis“ erbringen, so zeigt sie damit weder eine korrekturbedürftige Beurteilung noch eine erhebliche Rechtsfrage auf. Das Anhebungsrecht des Vermieters nach § 12a Abs 2 MRG besteht (nur) unter den dort geregelten Voraussetzungen. Allfällige dem Mieter wegen einer vorübergehenden Gebrauchsbeeinträchtigung nach § 1096 ABGB zukommende Mietzinsminderungsansprüche stehen mit den für die Anhebung maßgeblichen Kriterien nicht im Zusammenhang.
[11] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Leitsätze
-
Irrelevanz der pandemiebedingten Beeinträchtigung bei der Hauptmietzinsermittlung nach § 12a MRG
Für die Bestimmung des angemessenen Mietzinses nach § 12a Abs 2 iVm § 16 Abs 1 MRG sind die gegenwärtigen ortsüblichen Marktverhältnisse zum Stichtag maßgeblich. Temporäre Sonderentwicklungen der durchschnittlichen Mietzinse für Geschäftslokale (hier: Corona-Krise), grundsätzlich unbeachtlich. Der Vermieter soll im Ergebnis jenen Mietzins erhalten, den er im Fall einer Neuvermietung beim Eintritt des die Anhebung rechtfertigenden Ereignisses zu üblichen Bedingungen erzielt hätte.Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 13/23g | OGH vom 30.03.2023 | Dokument-ID: 1139406