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5 Ob 2/23i; OGH; 9. November 2023
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers *. S*, vertreten durch die Winkler Reich Rohrwig Illedits Wieger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die Antragsgegner 1. * M* K*, vertreten durch Mag. Roja C. Fehringer-Missaghi, LL.M., MBA, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, 2. E* S*, 3. M* V*, wegen § 52 Abs 1 Z 2 iVm § 16 Abs 2 WEG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. November 2022, GZ 39 R 168/22b 45, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung
[1] Die Parteien sind die Mit und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Wien. Es bestehen 13 Wohnungseigentumsobjekte: 11 Wohnungen und zwei im Souterrain des Hauses gelegene Werkstätten. Die Kellerabteile sind allgemeine Teile der Liegenschaft, sie wurden im Rahmen einer Benützungsvereinbarung den einzelnen Wohnungseigentumsobjekten zugeordnet.
[2] Der Antragsteller ließ die in seinem Wohnungseigentum stehende Werkstätte und die zwei diesem Objekt zugewiesenen Kellerabteile von August 2014 bis September 2015 zu einer Wohnung umbauen. Gegenstand des Verfahrens ist sein im November 2018 gestellter Antrag auf nachträgliche Zustimmung zu diesem Umbau und zur Umwidmung (§ 52 Abs 1 Z 2 WEG iVm § 16 Abs 2 WEG).
[3] Das Erstgericht gab dem Antrag mit bestimmten „Einschränkungen“ statt.
[4] Das Rekursgericht gab (nur) dem Rekurs der Erstantragsgegnerin Folge und wies den Antrag zur Gänze ab. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit EUR 10.000,– übersteigend und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers zeigt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[6] 1. Wenn der Wohnungseigentümer nicht allein die Genehmigung der Widmungsänderung, sondern zugleich auch die Genehmigung entsprechender baulicher Änderungen begehrt, sind diese Änderungen in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Die einzelnen Maßnahmen sind also nicht in die Kategorien der Z 1 und Z 2 des § 16 Abs 2 WEG einzuordnen und gesondert alleine nach den jeweils für die einzelne Kategorie aufgestellten Erfordernissen zu beurteilen. Greifen die baulichen Maßnahmen in allgemeine Teile der Liegenschaft ein, ist daher nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG die Verkehrsüblichkeit oder ein wichtiges Interesse des Wohnungseigentümers erforderlich (5 Ob 38/19b; vgl auch 5 Ob 15/21y; RIS Justiz RS0083309 [T2]).
[7] Die gesonderte Beurteilung der einzelnen Maßnahmen wäre nur zulässig, wenn diese – anders als hier – in keinem untrennbaren Zusammenhang stehen. Kein untrennbarer Zusammenhang besteht (und deren gesonderte Beurteilung ist zulässig), wenn einerseits die Umwidmung und die baulichen Adaptierungen aus objektiver Sicht faktisch voneinander getrennt werden können, die baulichen Änderungen zur Herstellung der neuen Nutzungsmöglichkeit also nicht zwingend notwendig sind, und andererseits der Antragsteller ausreichend klar zum Ausdruck bringt, dass (auch) er die Änderungsbegehren nicht als untrennbare Einheit ansieht und insbesondere die Widmungsänderung auch unabhängig von den Umbaumaßnahmen anstrebt (5 Ob 38/19b). Auch wenn ein Wohnungseigentümer seinen Antrag ausdrücklich auf die Widmungsänderung beschränkt, sind die mit der angestrebten Widmungsänderung objektiv notwendig verbundenen Baumaßnahmen in die Beurteilung der Zulässigkeit der Widmungsänderung einzubeziehen (5 Ob 15/21y; 5 Ob 38/19b = RS0083040 [T1]).
[8] 2. Der Antragsteller bestreitet nicht, dass für die Genehmigungsfähigkeit der Umwidmung und des bereits durchgeführten Umbaus eine der beiden positiven Voraussetzungen iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG gegeben sein muss. Schon im Rekursverfahren machte der Antragsteller in diesem Zusammenhang nur noch geltend, sein wichtiges Interesse an den Änderungen bestehe darin, seinem schwer kranken Sohn ein Ausweichquartier im Wohnhaus der Eltern und in nahezu ebenerdiger Lage zu verschaffen. Nach der Rechtsansicht des Rekursgerichts erfüllt dieser Wunsch jedoch die in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum wichtigen Interesse iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG entwickelten Kriterien nicht.
[9] Zum wichtigen Interesse des änderungswilligen Wohnungseigentümers iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG liegt umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs vor. Danach ist ein „wichtiges Interesse“ nicht jeder bloße, wenn auch verständliche oder von achtenswerten Motiven getragene Wunsch (RS0083341). Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts ist vielmehr darauf abzustellen, ob die Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Zweckmäßigkeitserwägungen oder eine Steigerung des Wohn- und Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht (RS0083341 [T4]; RS0083345 [T7]; vgl auch RS0110977). Ein weiteres Beurteilungskriterium ist das konkrete Ausmaß der Inanspruchnahme allgemeiner Liegenschaftsteile und deren Verhältnismäßigkeit zur Wichtigkeit des Interesses des änderungswilligen Wohnungseigentümers (5 Ob 36/22p; RS0083341 [T9]).
[10] Die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit einer § 16 Abs 2 WEG zu unterstellenden Änderung unter dem Gesichtspunkt des wichtigen Interesses hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind. Bei dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber dem Außerstreitrichter einen Ermessensspielraum eingeräumt (RS0083309 [T16]; RS0083341 [T23]; RS0083345 [T20]). Solange dieser nicht überschritten wird, liegt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG vor. Nur in Fällen einer auffallenden, die Rechtssicherheit infrage stellenden Fehlbeurteilung hätte der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen (5 Ob 36/22p mwN). Das ist hier aber nicht der Fall.
[11] Das Rekursgericht ging von einem richtigen Verständnis der von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Voraussetzung des wichtigen Interesses iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG entwickelten Grundsätze aus. Dessen Rechtsansicht, die Zweckdienlichkeit des umgebauten Objekts zur Nutzung als Ausweichquartier für den 1982 geborenen Sohn des Antragstellers, der sich aufgrund einer angeborenen Stoffwechselerkrankung insbesondere bei Infektionsgefahr immer wieder von seiner Familie (Ehefrau und zwei Kinder im Kleinkindalter) isolieren muss, begründe kein solches wichtiges Interesse, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung und des den Gerichten bei dieser Einzelfallbeurteilung eingeräumten Ermessensspielraums.
[12] Der Begriff des „wichtigen Interesses“ in § 16 Abs 2 Z 2 WEG stellt auch auf individuelle Gegebenheiten und die Nachvollziehbarkeit des Wunsches des Wohnungseigentümers nach der konkreten Veränderung ab (5 Ob 36/22p). Das wichtige Interesse ist also anhand der subjektiven Umstände in der konkreten Sphäre des Wohnungseigentümers zu beurteilen (zu § 9 MRG: 5 Ob 139/18d; RS0069695) und kann damit auch auf persönlichen Bedürfnissen beruhen (vgl etwa 5 Ob 218/19y [Errichtung eines Behindertenlifts]). Aber nicht jeder verständliche oder von beachtenswerten Motiven getragene Wunsch reicht aus. Der Wunsch des Wohnungseigentümers nach der konkreten Veränderung muss vielmehr, um schützenswert zu sein, fast an eine Notwendigkeit der Durchführung der Veränderung reichen, um dem Wohnungseigentümer das weitere Bewohnen seiner Wohnung nach heute üblichem Standard zu ermöglichen (5 Ob 36/22p; RS0083341 [T11]). Nach der Rechtsansicht des Rekursgerichts begründet die erst Jahre nach Durchführung des Umbaus der Werkstätte und der Aufnahme ihrer Verwendung als Wohnung bedeutsam gewordene Möglichkeit, dem Sohn ein aus medizinischen Gründen gebotenes Ausweichquartier mit den besonderen Vorzügen der Nähe zu den Eltern und einem fast barrierefreien Zugang zu bieten, schon angesichts der bestehenden Alternativen zur Deckung dieses Bedarfs kein diesem Bestreben gleichzuhaltendes Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung der Änderung iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG. Diese Beurteilung des Rekursgerichts ist angesichts der gesamten festgestellten Lebensumstände des Sohnes (und trotz des missverständlichen Verweises auf die Eigenbedarfskündigung nach § 30 Abs 2 Z 8 MRG) nicht korrekturbedürftig.
[13] 3. Die weiteren vom Antragsteller als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG bezeichneten Rechtsfragen im Zusammenhang mit der vom Rekursgericht bejahten Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Erstantragsgegnerin (§ 16 Abs 2 Z 1 WEG) sind daher im vorliegenden Fall nicht zu lösen. Unterliegt nämlich schon die vom Rekursgericht primär herangezogene Begründung mangels erheblicher Rechtsfrage nicht der inhaltlichen Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, kann auch die nur hilfsweise herangezogene Begründung nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RS0042736 [T2]).
[14] Die Frage, ob der Umstand, dass die Erstantragsgegnerin zufolge Umwidmung des Objekts von Werkstätte in Wohnung bei Ausübung des ihr vertraglich eingeräumten Vorkaufsrechts einen höheren Kaufpreis zu zahlen hätte, deren schutzwürdige Interessen als Wohnungseigentümerin iSd § 16 Abs 2 Z 1 WEG zu beeinträchtigen vermag, kann daher ebenso dahingestellt bleiben, wie die Frage, ob durch die Umwidmung der Werkstätte in eine Wohnung zufolge des Rücksichtnahmegebots die Nutzung der im Wohnungseigentum der Erstantragsgegnerin stehenden zweiten Werkstätte iSd § 16 Abs 2 Z 1 WEG beeinträchtigt. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit der vom Erstgericht von Amts wegen verfügten Einschränkung der Duldungsverpflichtung und dem damit verbundenen Verstoß gegen die Bedingungsfeindlichkeit der rechtsgestaltenden Entscheidung im Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG iVm § 16 Abs 2 WEG (vgl 5 Ob 173/19f). Von all diesen Fragen hängt die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht ab; diesen kommt hier vielmehr nur theoretische Bedeutung zu. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]; RS0088931).
Leitsätze
-
Zur Gesamtbeurteilung bei Widmungsänderung mit baulichen Maßnahmen
Beantragt ein Wohnungseigentümer sowohl die Genehmigung der Widmungsänderung als auch die Genehmigung entsprechender baulicher Änderungen, sind sämtliche Änderungen in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Die einzelnen Maßnahmen sind somit nicht jeweils den Kategorien der Z 1 und Z 2 des § 16 Abs 2 WEG zuzuordnen und gesondert nach den jeweiligen Erfordernissen zu prüfen. Anderes gilt nur, wenn kein untrennbarer Zusammenhang zwischen den Maßnahmen besteht.Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 2/23i | OGH vom 09.11.2023 | Dokument-ID: 1166055