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Schneeräumung und Streupflicht: Übertragung auf den Mieter rechtlich möglich?
Die Gastautoren Dr. Maximilian Zirm und Mag. Michael Niederegger stellen in ihrem Beitrag die winterlichen Verkehrssicherungspflichten dar. Wann müssen Mieter den Winterdienst selbst übernehmen? Wer haftet für Schäden aufgrund mangelhafter Räumung?
Rechtliche Grundlagen zur Räum- und Streupflicht
Die zentrale Bestimmung für die winterliche Verkehrssicherungspflicht findet sich in § 93 StVO:
Gemäß § 93 Abs 1 StVO haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Ist kein Gehsteig oder Gehweg vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen.
Die Pflicht zur Schneeräumung und Streuung gilt auch für Gehsteige von Brücken, wenn diese weniger als 3 m von der eigenen Liegenschaft entfernt sind (OGH 25.05.2016, 2Ob211/15s). Wird vom Schneepflug neuerlich Schnee auf einen bereits geräumten Gehsteig geschoben, muss dieser nochmals entfernt werden. Einhaltung und Verletzung der Streupflicht werden anhand objektiver Gesichtspunkte beurteilt, wobei sich die Grenze der Streupflicht einerseits an den Verkehrsbedürfnissen, anderseits an der Zumutbarkeit für den Streupflichtigen orientiert. Bei andauerndem Schneefall oder sich ständig erneuerndem Glatteis kann dem Verpflichteten eine ununterbrochene Schneeräumung und Sicherung der Verkehrswege jedenfalls nicht zugemutet werden (RIS-Justiz RS0023277, OGH 10.04.2008, 2 Ob 66/08g).
Ist § 93 StVO aufgrund der örtlichen Eingrenzung nicht anwendbar, so gelten die allgemeinen Regelungen zur Wegehalterhaftung gemäß § 1319a ABGB. Voraussetzung dafür ist, dass der Gehweg die Kriterien eines „Weges“ iSd § 1319a Abs 2 ABGB erfüllt (RIS-Justiz RS0124736, OGH 28.03.2014, 2 Ob 43/14h). Unter „Weg“ versteht man in diesem Zusammenhang eine Fläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benutzt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benutzerkreis bestimmt ist. Bei einer in einem Innenhof gelegenen Fläche wird allgemein davon ausgegangen, dass kein Weg iSd § 1319a Abs 2 ABGB vorliegt, sofern nicht aufgrund besonderer Umstände das Gegenteil angenommen werden kann (RIS-Justiz RS0109222).
Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf den Mieter
Schneeräumung und Streupflicht können gemäß § 93 Abs 5 StVO vom Liegenschaftseigentümer auf einen Dritten (z.B. Hausbesorger, Räum- und Streudienst) übertragen werden. Das Mietrecht ermöglicht es, den Mieter durch Mietvertrag oder eine im Mietvertrag enthaltene Hausordnung zur Schneeräumung und Streuung zu verpflichten. Voraussetzung hierfür ist, dass die Vereinbarung schriftlich erfolgt. Eine dahingehende einseitige Änderung der Hausordnung durch den Vermieter ist nicht zulässig.
Haftung
Kommt aufgrund mangelhafter oder unterbliebener Schneeräumung eine Person zu schaden, trifft den Liegenschaftseigentümer bzw Dritten gem § 93 Abs 5 StVO bei Missachtung der Verkehrssicherungspflichten bereits ab leichter Fahrlässigkeit eine deliktische Haftung (OGH 18.2.1981, 3 Ob 512/80). Überträgt der Liegenschaftseigentümer seine Verkehrssicherungspflicht auf den Mieter, so geht die Haftung für Schäden aufgrund mangelhafter Schneeräumung gemäß § 93 Abs 5 StVO auf diesen über. Der Liegenschaftseigentümer haftet jedoch weiterhin für das Auswahlverschulden nach § 1315 ABGB (OGH 17.12.2008 2 Ob 127/08b).
Bei Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf den Mieter muss der Vermieter dennoch weiterhin die dafür geeigneten Mittel zur Verfügung stellen und den Winterdienst überwachen (OGH 11.02.2010, 5 Ob 209/09k). Sind Schneeräumung und Streuung durch den Mieter aufgrund einer Erkrankung für fast zwei Wochen nicht möglich, kann darin eine kausale Verletzung der Überwachungspflicht des Vermieters erblickt werden, sofern ihm die unzureichende Schneeräumung hätte auffallen können und müssen (OGH 27.04.2016, 3 Ob 45/16p). Auch ohne konkreten Schadenseintritt kann die mangelhafte Verkehrssicherung Sanktionen nach sich ziehen. Bei Verstößen gegen die Räum- und Streupflicht kann eine Verwaltungsstrafe von bis zu EUR 72,- verhängt werden (§ 93 iVm § 99 Abs 4 lit h StVO).
Im Unterschied zu den Verkehrssicherungspflichten der StVO kann der Wegehalter iSd § 1319a ABGB erst dann haftbar gemacht werden, wenn ihn grobes Verschulden trifft. Dass ein Sachverhalt vorliegt, der grobe Fahrlässigkeit indiziert, muss vom Geschädigten bewiesen werden (RIS-Justiz RS0124486). Entscheidend ist dabei insbesondere, wie oft gestreut wurde, zu welcher Tageszeit der Schadenseintritt erfolgte und wie der Weg an sich beschaffen ist.
Sonderfall Dachlawinen
Gemäß § 93 Abs 2 StVO sind Liegenschaftseigentümer dazu verpflichtet, Schneewächten und Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude zu entfernen. Art und Umfang der notwendigen Schutzmaßnahmen ergeben sich dabei aus einzelfallbezogenen Umständen wie der Witterung, Beschaffenheit des Gebäudes und der örtlichen Lage. Ein steiles, glattes Dach erfordert etwa auch ohne ausdrücklichen baubehördlichen Auftrag die Anbringung von Schutzvorrichtungen wie Schneefanggittern oder Schneerechen. (OGH 15.03.1972,1 Ob 51/72).
Das alleinige Aufstellen von Warnstangen reicht zur Verkehrssicherung gemäß § 93 StVO nicht aus, da Straßenbenützer nicht gefährdet oder behindert werden dürfen. Während der Entfernung von Schneewächten und Eis kann neben der entsprechenden Kennzeichnung deshalb auch eine Sperrung der betroffenen Stelle erforderlich sein. Fußgänger müssen zwar auf Warnsignale wie Tropfen oder Schneerieseln vom Dach achten, das Ausweichen auf die Fahrbahn ist ihnen jedoch nicht zumutbar. Autofahrer hingegen trifft ein Mitverschulden, wenn sie ihr Fahrzeug im erkennbaren bzw gekennzeichneten Gefahrenbereich abstellen und dieses von einer Dachlawine beschädigt wird.
Conclusio
Ein unzureichender Winterdienst kann weitreichende Folgen haben. Vor allem die Übertragung der Schneeräumungs- und sonstigen Winterdienstpflichten auf den Mieter sind für diesen mit unvorhergesehenen haftungsrechtlichen Risiken verbunden. Sowohl Liegenschaftseigentümern als auch Mietern ist deshalb anzuraten, sich bereits frühzeitig über die jeweiligen winterlichen Verkehrssicherungspflichten zu informieren bzw entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Autoren
Dr. Maximilian Zirm, LL.M. ist Partner bei Gibel Zirm Rechtsanwälte in Wien, einer Kanzlei mit Spezialisierung im Immobilien- und Wirtschaftsrecht. Er ist neben seiner anwaltlichen Tätigkeit Autor zahlreicher Publikationen, Lektor an einer Fachhochschule sowie seit mehreren Jahren Referent für den Weka-Verlag.
Mag. Michael Niederegger, LL.M. (WU) ist Rechtsanwaltsanwärter bei Gibel Zirm Rechtsanwälte in Wien.
Link auf die Kanzlei: https://www.gibelzirm.com/