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Judikatur | Entscheidung

1 Ob 174/14s; OGH; 22. Oktober 2014

GZ: 1 Ob 174/14s | Gericht: OGH vom 22.10.2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** W***** und 2. I***** W*****, vertreten durch Dr. Kurt Kozák, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei I***** S*****, vertreten durch Dr. Robert Galler und Dr. Rudolf Höpflinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Räumung (Streitwert EUR 2.000,–) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 25. Juni 2014, GZ 22 R 197/14w-23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 26. März 2014, GZ 26 C 243/12g-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge geben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Kläger sind Vermieter, die Beklagte ist Mieterin eines Reihenhauses und mit den Mietzinszahlungen immer wieder säumig. Nachdem sie (erst) im Dezember 2011 die rückständigen Mieten für die Monate August, Oktober und November 2011 bezahlt hatte und beabsichtigte, am 04.01.2012 in die Türkei zu fliegen, machte sie der Erstkläger Anfang Jänner darauf aufmerksam, dass die Jänner-Miete fällig sei. Die Beklagte verwies darauf, dass die Fälligkeit erst am 5. des laufenden Monats eintrete. Sie begab sich daraufhin in die Türkei und war für den Kläger bis zu ihrer Rückkehr am 27.06.2012 nicht erreichbar. Wegen der (neuerlich rückständigen) Mietzinszahlungen wandte sich der Erstkläger an ihren Sohn, dem sie Vollmacht erteilt hatte. Der Sohn informierte die Beklagte telefonisch über nach Angaben der Vermieter offene Mietzinse. Sie kümmerte sich nicht weiter darum, obwohl sie wusste, dass die Bank die von ihr mittels Dauerauftrag angeordneten Überweisungen schon im Herbst 2011 (wegen mangelnder Kontodeckung) nicht durchgeführt hatte. Nachdem die Mietzinse für die Monate Jänner, März und April 2012 unbeglichen blieben, brachten die Kläger am 13.04.2012 die Mietzins- und Räumungsklage ein, die vom Sohn der Beklagten übernommen wurde. Nach ihrer Rückkehr am 27.06.2012 überwies die Beklagte auf die offenen Mietzinse von EUR 1.827,– im Juli 2012 EUR 1.800,–, am 15.05.2013 EUR 27,– und zahlte in der Tagsatzung vom 08.11.2013 die noch offenen Zinsen aus den genannten Beträgen, woraufhin die Klage auf das Räumungsbegehren eingeschränkt wurde.

Die Kläger verwiesen zu ihrem Räumungsbegehren auf den qualifizierten Zahlungsverzug, der auf einem groben Verschulden der Beklagten beruhe. Trotz persönlicher Einmahnung der Jänner-Miete und der Zusicherung, diese werde verlässlich einbezahlt, habe die Beklagte keine ausreichenden Vorkehrungen dafür getroffen, dass die Mietzinszahlungen während ihres Auslandsaufenthalts pünktlich erfolgen.

Die Beklagte wandte ein, sie habe ohnehin einen Dauerauftrag eingerichtet und die offenen Zahlungen nach ihrer Rückkehr unverzüglich nachgeholt. Ein grobes Verschulden könne ihr insbesondere deshalb nicht angelastet werden, weil sie an einer Alkoholabhängigkeit mit Krankheitswert leide und aufgrund dieser Erkrankung nicht in der Lage sei, die nachteiligen Folgen ihrer Nachlässigkeit abzusehen.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es stellte unter anderem fest, die Zahlungsrückstände seien einerseits auf ihren Alkoholabusus zurückzuführen, andererseits auf ihr mangelndes Interesse, längerfristig in Österreich zu leben, da sie die Möglichkeit habe, nahezu durchgehend in der Türkei zu leben, wo es ihr besser gefalle. Rechtlich bejahte das Erstgericht ein grobes Verschulden am aufgetretenen Zahlungsverzug mit drei Monatsmieten. Es wäre ausschließlich an der Beklagten selbst gelegen, ihr Bankkonto mit einer ausreichenden Deckung zu versehen. Schon vor ihrer Reise in die Türkei habe ein Rückstand von drei Monatsmieten bestanden, den sie erst zum Jahresende ausgeglichen habe. Die Kläger hätten zu Recht jedes Vertrauen darauf verloren, dass sie regelmäßig die fälligen Mieten zur Überweisung bringen werde. Ein neuerlicher Mietzinsrückstand kurz nach Bezahlung des letzten Rückstands lasse darauf schließen, dass auch in Zukunft Mietzinszahlungen nicht regelmäßig ergehen würden. Inwieweit die Beklagte aufgrund ihres Alkoholismus zumindest zeitweise nicht fähig gewesen sei, für die ordnungsgemäße Abwicklung ihrer Bankgeschäfte Sorge zu tragen, sei für die Beurteilung der Sache bedeutungslos.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der Beklagten in eine Klageabweisung ab und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Ein grobes Verschulden der Beklagten am (qualifizierten) Mietzinsrückstand sei zu verneinen. Das Erstgericht habe nämlich festgestellt, dass der Mietzinsrückstand (auch) im Alkoholabusus der Beklagten begründet gewesen sei, welche Erkrankung ein grobes Verschulden ausschließe. Es komme daher auch auf die bekämpfte Feststellung nicht an, nach der ein Grund für den Mietzinsrückstand auch im mangelnden Interesse der Beklagten liege, länger in Österreich zu leben. Angesichts des Umstands, dass ein Dauerauftrag zur Bezahlung der Mietzinse eingerichtet gewesen sei und die Untätigkeit der Beklagten in Bezug auf die erfolgten Rückbuchungen auf ihre Alkoholabhängigkeit zurückzuführen gewesen sei, könnten ihr weder die vor der Begleichung des Rückstands eingetretenen Verzögerungen noch die Unterlassung der nötigen Anweisungen an den Sohn, sich um pünktliche Zahlung zu kümmern, als grobes Verschulden angelastet werden. Auf Grund der besonderen Umstände sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Beklagten vor dem Zeitpunkt der letzten Teilzahlung am 08.11.2013 die Nachlässigkeit in Bezug auf die pünktliche Entrichtung des Mietzinses noch nicht als grobes Verschulden angelastet werden könne. Die Revision sei nicht zulässig, weil erhebliche – über die Beurteilung des Einzelfalls hinausgehende – Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu behandeln gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Kläger ist entgegen dem nicht bindenden Unzulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil dem Berufungsgericht eine aus Gründen der Rechtssicherheit wahrzunehmende Fehlbeurteilung der Verschuldensfrage unterlaufen ist, womit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt (vgl jüngst 9 Ob 65/13v = ecolex 2014/316 [Wilhelm]). Das Rechtsmittel ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Da beide Prozessparteien zutreffend davon ausgehen, dass das Räumungsbegehren dann gemäß § 33 Abs 2 und Abs 3 MRG berechtigt ist, wenn der Beklagten am (qualifizierten) Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden vorzuwerfen ist, kommt der Frage entscheidende Bedeutung zu, ob das Verhalten der Beklagten unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung ihrer krankheitsbedingten Einschränkungen einen Grad an Nachlässigkeit aufweist, wie er an sich sorgfältigen und rechtstreuen Personen grundsätzlich nicht unterläuft. Dabei ist unter anderem auch die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend, wobei diese auch aus dem Verhalten des Mieters bei der Zinszahlung in den vorausgegangenen Jahren erschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0069316 [T2]).

Dass die Beklagte erst kurz vor dem nunmehr geltend gemachten Zinsrückstand bereits nicht unerhebliche Rückstände angehäuft und erst wenige Tage vor dem neuerlichen Verzug bezahlt hat, steht ebenso fest wie die Tatsache, dass der Erstkläger sie noch kurz vor Fälligkeit an die bevorstehende Jänner-Miete erinnert hat. Darüber hinaus hat das Erstgericht – wenn auch von der Beklagten in der Berufung bekämpft – festgestellt, die Nachlässigkeit der Beklagten bei der Mietzinszahlung sei auch auf ihr mangelndes Interesse, längerfristig in Österreich zu leben, zurückzuführen, weil es ihr in der Türkei besser gefalle, wo sie ebenfalls durchgehend eine Wohnmöglichkeit habe. Der Auffassung des Berufungsgerichts, dass selbst bei Zutreffen dieser Tatsachenfeststellung ein grobes Verschulden zu verneinen sei, vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Sollte eine – nunmehr nachzuholende – Erledigung der Beweisrüge die erstgerichtliche Feststellung bestätigen, könnte am Vorliegen grober Fahrlässigkeit kein Zweifel mehr bestehen, stünde dann doch fest, dass die Sorglosigkeit der Beklagten keineswegs allein auf ihren Alkoholabusus zurückzuführen ist.

Aber auch wenn das Berufungsgericht in der erwähnten Frage zu einer abweichenden Tatsachenfeststellung gelangen sollte, könnte das Vorliegen groben Verschuldens nicht ohne Weiteres verneint werden:

Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang auf den Umstand verwiesen, dass die Beklagte ohnehin einen Dauerauftrag zur Bezahlung der Mietzinse eingerichtet gehabt hätte. Dabei hat es aber offenbar übersehen, dass ein solcher Dauerauftrag auch bereits in der Vergangenheit bestanden hat und es dennoch wiederholt nicht zur Begleichung der Mietzinse über das betreffende Bankkonto gekommen ist. Darüber hinaus hat die Beklagte in ihrer Parteienvernehmung erklärt, die unterlassene Durchführung der Überweisungsaufträge habe ihren Grund offenbar darin gehabt, dass das Konto nicht ausreichend gedeckt gewesen sei. Es ist aber ohne Weiteres einleuchtend, dass die Erteilung eines Dauerauftrags nur dann verlässlich zur Zahlung der angeordneten Beträge führen kann, wenn auch für ausreichende Kontodeckung gesorgt ist. Hat dies die Beklagte – insbesondere unter Berücksichtigung der bereits in der Vergangenheit aufgetretenen einschlägigen Probleme – nicht beachtet, kann sie der Umstand der formalen Einrichtung eines Dauerauftrags keineswegs entlasten.

Das Hauptargument des Berufungsgerichts, mit dem ein grobes Verschulden verneint wird, liegt im Hinweis auf die Alkoholabhängigkeit der Beklagten, zu deren Intensität und Konsequenzen aber konkrete Tatsachenfeststellungen fehlen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann aber keineswegs generell gesagt werden, dass alkoholkranken Personen grundsätzlich kein grobes Verschulden vorzuwerfen ist, wenn sie wiederholt über jeweils längere Zeiträume ihre Zinszahlungspflicht nicht erfüllen. Inwieweit die Tatsachengrundlage in diesem Zusammenhang noch einer Verbreiterung durch weitere Beweisaufnahmen bedarf, ist vom Berufungsgericht zu beurteilen, das in der von der Beklagten erhobenen Verfahrensrüge bereits mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, das Erstgericht habe die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den angesprochenen Fragen unterlassen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Leitsätze