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Roman Reßler | News | 17.11.2014

Zur Streu- und Räumpflicht „rund um die Uhr“ in einer Wohnhausanlage

Gastautor Mag. Roman Reßler geht in seinem Beitrag der Frage nach, wo die Grenzen der Zumutbarkeit bezüglich einer Streu- und Räumpflicht liegen. Wie hat der OGH hierzu in einer jüngsten Entscheidung entschieden?

Rechtsgrundlagen

§§ 1313a, 1315, 1319a ABGB, § 93 Abs 1 StVO

OGH v. 28.3.2014, 2 Ob 43/14h

Sachverhalt

Die Klägerin ist Mitbewohnerin einer von ihrem Lebensgefährten gemieteten Eigentumswohnung, welche im Eigentum der Verwaltung steht, welche gleichzeitig die Wohnungseigentumsanlage verwaltet.

Die Erstbeklagte ist die Eigentümergemeinschaft, die zweitbeklagte Partei die Hausverwaltung. Die zweitbeklagte Hausverwalterin hatte mit dem Dritt- und Viertbeklagen einen Vertrag über den Winterdienst für die Saison 2011/2012 geschlossen.

Dieser Vertrag umfasste die Schneeräumung der Hauszugänge, Gehwege und Parkplätze, einschließlich sämtlicher Asphalt- und Gehflächen, wobei sämtliche Splitt- bzw Salzstreuung in der Zeit von 6 – 22 Uhr nach § 93 StVO vorzunehmen war.

In der Nacht vom 18.2. auf den 19.2.2012 ging die Klägerin (Mitbewohnerin) gegen Mitternacht nach Abschaltung der Beleuchtung mit ihrem Hund auf einen asphaltierten Weg zu den im Freien auf der Liegenschaft ausgestellten Altpapiercontainern, kam zum Sturz und verletzte sich.

Am 18.2.2012 hatte es in diesem Bereich untertags getaut und in der Nacht gefroren, sodass es glatt war. Am 12.2. wurde der Schnee zwischen den Containern und den Abstellplätzen auf die Wiese geschoben, wobei festgestellt wurde, dass am 12.2. ab 22.10 Uhr, am 14.2. ab 4.20 Uhr und am 16.2. ab 22.10 Uhr sowie am 18.2. ab 05.00 Uhr beim Wohnhaus der Klägerin und dessen Umgebung eine Salzstreuung durchgeführt wurde. Ebenso auch am 19.2. ab 05.50 Uhr.

Die Klägerin (Mitbewohnerin) begehrte Schmerzengeld und pauschale Unkosten. In der Klage führte sie aus, dass das untertags gebildete Schmelzwasser in den Nachtstunden gefroren sei. Überdies wäre die Sturzstelle weder beleuchtet noch abgesichert bzw bestreut gewesen.

Nach Ansicht der Klägerin wäre es keine Überspannung der Anforderungen an die Streupflicht, einen Weg im Februar um Mitternacht rutschfest zu machen und die Wohnanlage über 24 Stunden in einem Zustand zu halten, sodass es zu keinem Unfall kommen könne. Die Eigentümergemeinschaft hafte für das Verschulden ihrer Gehilfen wie für ihr Eigenes. Weiters sei ihr auch ein Auswahlverschulden nach § 1315 ABGB anzulasten. Darüber hinaus hafte die Wohnungseigentümergemeinschaft ihren Mietern deliktisch im Rahmen der ihr obliegenden Wegsicherungspflichten nach § 1319a ABGB. Eine Haftung nach § 93 Abs 1 StVO scheide in diesem Falle jedoch aus.

Hinsichtlich des Winterdienstvertrages führte sie aus, dass eine Räumungsverpflichtung nur für den Zeitraum zwischen 6 Uhr und 22 Uhr vereinbart wurde und nicht entsprechend der konkreten Witterungssituation.

Zur Vertragshaftung stellte der OGH fest, dass nach gängiger Lehre und Judikatur Schutz und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis auch gegenüber bestimmten dritten Personen bestehen, welche der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. In diesem Falle erwirbt der Dritte unmittelbare Vertragsansprüche gegen den Schuldner, der gem § 1313a ABGB für das Verschulden jener Personen haftet, denen er sich zur Erfüllung bediente. Demnach erstreckt sich die Streupflicht als Nebenpflicht aus einem Bestandvertrag des Vermieters auch auf die zur Hausgemeinschaft des Mieters gehörenden Personen.

Die Streupflicht des Bestandgebers wird durch die Verkehrsbedürfnisse einerseits und die Zumutbarkeit von Streumaßnahmen andererseits begrenzt. Die Anforderungen an eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht dürfen nicht überspannt werden, da sie keine vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben dürfen. Eine Schneeräumung bzw Maßnahmen gegen Glatteis „rund um die Uhr“ sind regelmäßig unzumutbar. Dafür spricht nach Ansicht des Höchstgerichtes auch die Vorschrift des § 93 Abs 1 StVO, die auch für die meist stärker frequentierten, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege eine Räumpflicht lediglich für die Zeit von 6 – 22 Uhr statuiert.

Zur Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB führte der OGH aus, dass ein Weg im Sinne des Abs 2 leg cit eine Landfläche ist, die von Jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art benützt werden darf, auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benutzerkreis bestimmt ist. Innerhalb eines Grundstückes befindliche Wege sind jedoch vom Anwendungsbereich § 1319a ABGB ausgeschlossen, weil ihnen das Merkmal der Zulässigkeit der allgemeinen Benützung fehlt.

Bei einer auf Privatgrund liegenden Fläche ist daher davon auszugehen, dass kein Weg im Sinne der Bestimmung des § 1319a ABGB vorliegt.

Zur Haftung der Winterdienstunternehmen stellte das Höchstgericht fest, dass diese den Winterdienst lediglich für die Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr abends übernommen haben, wobei es im gegenständlichen Fall unbestritten ist, dass sich der Unfall der Klägerin außerhalb dieses Zeitraumes ereignete. Ebenso wurde von der Klägerin nicht vorgebracht, dass sich der Unfall deshalb ereignet hätte, weil das Winterdienstunternehmen ihren Verpflichtungen für die Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr nicht nachgekommen wäre.

Aus diesen Gründen wurde auch die Haftung der dritt- und viertbeklagten Partei abgelehnt.

Fazit

Der vorliegenden Entscheidung des Höchstgerichtes ist vorbehaltslos zuzustimmen, da die Grenzen der Zumutbarkeit einer Streu- und Räumpflicht nicht überschritten werden dürfen. Abgesehen davon, dass eine „rund um die Uhr“-Betreuung durch Winterdienstunternehmen nur mit erheblichen Kostenaufwand durchgeführt werden kann, sind Unfälle in Extremsituationen (sich ständig erneuerndes Glatteis, Dauerschneefall) in Einzelfällen kaum zu verhindern.

Dennoch ist bei Unfällen außerhalb des Zeitraumes von 6.00 bis 22.00 Uhr besondere Vorsicht geboten, da es im Einzelfall eine entscheidende Rolle spielt, ob in der Zeit zwischen 6 und 22 Uhr ordnungsgemäß geräumt wurde.

Autor

Mag. Roman Reßler ist Rechtsberater im Zentralverband Haus und Eigentum. Schon während seines Studiums war er als Eigentümer von Liegenschaften mit Fragen des Miet- und Wohnrechts beschäftigt. Nach Absolvierung des rechtswissenschaftlichen Studiums und des Gerichtsjahres mit dem Schwerpunkt „Wohnrecht“ sammelte er weitere praktische Erfahrungen in einer Hausverwaltung. Im Jahre 2001 begann er seine Tätigkeit als Rechtsberater im Zentralverband Haus und Eigentum, wo er für die persönliche Mitgliederberatung verantwortlich ist.

Neben seiner Tätigkeit als Rechtsberater verfasst er auch juristische Fachartikel in der monatlich erscheinenden Mitgliederzeitung „Haus & Eigentum".