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Schriftliche Vereinbarungen bei Nachbarschaftsmediationen – Das Für und Wider
Gastautor Mag. Ulrich Wanderer, Mediator in Wien und Kärnten, erläutert die Vor- aber auch Nachteile, die eine schriftliche Vereinbarung mit sich bringen kann. Wann kann es sogar zielführender sein darauf zu verzichten?
Wurde ein Nachbarschaftskonflikt einer Mediation zugeführt, konnte ein Termin vereinbart werden und führte dieser dann darüber hinaus auch noch zu einem positiven Gespräch, so stellt sich die Frage nach der Verbindlichkeit dieser Mediation. Nachdem in vielen Lehrbüchern von schriftlichen Abschlussvereinbarungen die Rede ist, werden diese auch im Rahmen des Nachbarschaftskonfliktmanagements oftmals von den Medianden aufgesetzt und unterfertigt.
Schriftform verpflichtet
Die Praxis zeigt hier, wie so oft ein zwiespältiges Bild: Einerseits schaffen schriftliche Vereinbarungen eine nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit, die in weiterer Folge auch Sicherheit schaffen kann, oder zumindest Sicherheit bewirken soll. Andererseits jedoch gibt es immer wieder Mediationsfälle, in denen die Einstellung der Lärmbelästigung schlichtweg nicht auf alle Zeiten garantiert werden kann. Spielen beispielsweise Kinder in der Wohnung über dem Beschwerdeführer, so kann man zwar durch entsprechende Hinweise eine vorübergehende Reduktion der Geräuschkulisse bewirken, eine Vereinbarung wie: „Partei X verpflichtet sich dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder nicht mehr in der Wohnung spielen“ könnte aber möglicherweise auch dazu führen, dass beim geringsten Geräusch nun mit Anwälten gedroht wird, schließlich hat man eine schriftlich dokumentierte Vereinbarung.
Einerseits freilich ist die Mediation der nachhaltigen Verlässlichkeit verpflichtet. Nur, wenn Vereinbarungen auch tatsächlich nachprüfbar geschlossen werden und die Parteien so auf deren Einhaltbarkeit pochen können, so könnte man annehmen, dass das Ergebnis der Mediation auch Bestand hat. Die Unterschrift scheint zu fixieren, scheint einen höheren (auch moralischen) Bindungswert zu garantieren.
Das Leben ist nicht immer schriftlich
Doch:
Wie so oft im Leben gilt es zu differenzieren:
Bei reinen Sachfragen, wie beispielsweise der Höhe des Mietzinses oder einer Vereinbarung zwischen den Nachbarn über die Nutzung einer Grünfläche, kann und soll auch aus juristischer Sicht eine schriftliche Vereinbarung geschlossen werden. Müssen Definitionen geklärt werden und geht es schlicht um die formelle Fixierung von rechtlich relevanten Fragen, so ist die Schriftform praktisch unabdingbar. Zumal beispielsweise bei Vereinbarungen, welche grundbücherliche Eintragungen nach sich ziehen in der Regel auch notarielle Unterstützung geholt wird.
So eindeutig also die Frage nach der schriftlichen Fixierung der Mediationsvereinbarung zu beantworten scheint, so sei aber auch darauf hingewiesen, dass die Konzentration auf die Schriftform einen völlig ungewollten Nebeneffekt haben kann.
Gerade in Nachbarschaftskonflikten zwischen benachbarten Mietern oder Wohnungseigentümern geht es sehr oft in Wirklichkeit weniger um juristische Fakten, sondern um emotionale Bedürfnisse. Manchmal liegen die Wurzeln der Konflikte viele Jahre zurück, wurden niemals angesprochen oder ausgeräumt und treiben so ihre unkrautartigen Blüten bis in die Gegenwart. Hier besteht die Aufgabe des Mediators weniger in der primär zielorientierten schriftlichen Vereinbarung, sondern vielmehr darin, das Gesprächsklima zwischen den Medianden zu verbessern. Kommt es im Rahmen einer Mediation nach vielen Jahren des gegenseitigen Schweigens zu einer wechselseitigen Einladung in die jeweilige Wohnung, werden Nummern ausgetauscht und Hände in nachbarschaftlicher Art und Weise geschüttelt, so ist weit mehr geschehen, als der formell korrekte Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung. Gerade in jenen Fällen, in denen Missverständnisse und Irrtümer der Grund für die Kontaktaufnahme mit dem Mediator sind, kann das Festhalten an der Forderung nach der Schriftform erst wieder Misstrauen erzeugen.
Oftmals entzieht das eine oder andere mediierte Gespräch zwischen den Nachbarn dem Konflikt den Boden unten den Füssen/Wurzeln, sodass (um im botanischen Bild zu bleiben), die streittragenden Äste verdorren und der Baum bald einer grünen, nachbarschaftlichen Wiese Platz machen kann.
Vertrauen wir den Parteien dahingehend, dass sie kein zwingendes Formalkorsett für ihren persönlichen Umgang benötigen, sondern stellen wir es als mögliches Tool neben all jene anderen, die der Mediator in seiner Praxis hat.
Ein Fall aus dem Leben
Ein gutes Beispiel dafür, dass die Kreativität und situationsbedingte Flexibilität des Mediators, wie auch der Medianden zu guten, wenngleich völlig unerwarteten Ergebnissen führen kann ist der folgende Fall:
Bella Italia in Wien Ottakring
Ein anderer Fall begab sich im Bereich einer großen Wohnbaugenossenschaft:
Genervt von immer wiederkehrender Beschallung durch laute Musik bis hinein in die Nachtstunden, wandte sich Herr C an die Hausverwaltung. Es ergingen mehrere Briefe an Herrn D, welcher rasch als Verursacher ausgemacht werden konnte.
Diese Briefe brachten jedoch keinerlei Verbesserungen, da Herr D sich keiner Schuld bewusst war. Die Hausverwaltung schaltete nunmehr den Mediator und Autor dieser Zeilen ein. Nach einigen Versuchen wurde ein gemeinsamer Termin in den Räumlichkeiten der Genossenschaft vereinbart, zu welchem Herr C auch überpünktlich erschien. Herr D war 20 Minuten danach noch nicht erschienen, weswegen er vom Mediator angerufen wurde. D hatte sich irrtümlich ein falsches Datum eingetragen. Der Mediator schaltete nach Rücksprache mit den Parteien sein Handy auf den Lautsprecher und staunte über den Verlauf des Gespräches. Es stellte sich heraus, dass sich beide Herren noch nie persönlich begegnet waren. Herr C outete sich als Italienfan, was aufgrund der venezianischen Herkunft D´s sehr hilfreich war. Die beiden verabredeten ein Treffen in einem Lokal zwecks eines ersten Treffens und die Mediation wurde beendet.
Der Mediator erkundigte sich später über den Verlauf des Treffens und erfuhr, dass Herr C nun Italienisch mit Herrn D lernte und dieser von C´s Erfahrung als Schuldnerberater profitieren konnte …
Mediation ist Kreativität im Sinne der Medianden
Mediation ist zu einem sehr hohen Maß Kreativität. Ebenso wie sich die Geschichten und Probleme der Medianden, welche sie zum Mediator geführt haben nicht über einen Kamm scheren lassen, so wäre ein primär formelles Verständnis des Mediationsprozesses, gebunden an den lehrbuchgemäßen Phasen der Mediation in manchen Fällen ein suboptimaler Ansatz.
Das Ziel, eine Verbesserung der Lebensqualität am eigenen Grund beziehungsweise in den eigenen 4 Wänden wird dann am besten erreicht, wenn die Mediation ebenso individuell gestaltet wird, wie der Konflikt, welcher sie auf den Plan gerufen hat. Oftmals steht dann eine schriftliche Vereinbarung am Ende. Oftmals auch nicht.
Autor
Mag. Ulrich Wanderer
Geboren 1971 in Wien, arbeitet als Jurist und Mediator in Wien, Kärnten und Niederösterreich
Hauptaufgabengebiete als Mediator: Familienmediation, Nachbarschaftsmediation, Arbeitsplatzmediation
Herausgeber des Handbuch Mediation (WEKA Verlag)