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Judikatur | Entscheidung

7 Ob 98/20t; OGH; 16. September 2020

GZ: 7 Ob 98/20t | Gericht: OGH vom 16.09.2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** S*****, 2. A***** F*****, 3. Z***** M*****, 4. C***** D*****, 5. J***** G*****, 6. E***** S*****, 7. L***** L*****, 8. J***** W*****, 9. M***** B*****, 10. K***** B*****, 11. W***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B***** B*****, 2. B***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Reinitzer Rechtsanwalts KG in Wien, wegen Räumung, Unterlassung und Duldung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 13. Februar 2020, GZ 13 R 186/19x-34, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Die Kläger sind Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft ***** W*****, N*****gasse 20 (in Hinkunft Haus 20); die Beklagten sind Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft ***** W*****, N*****gasse 22 (in Hinkunft Haus 22). Zwischen den (Vor-)Eigentümern des Hauses 20 und jenen des Hauses 22 wurde hinsichtlich der Entsorgung des Mülls des Hauses 22 eine Benützungsregelung dahin getroffen, dass im Hof des Hauses 20 zwei Großraum-Restmüll-Container des Hauses 22 aufgestellt werden, deren Leerung bzw Müllabfuhr auf Kosten des Hauses 22 gehen und die baugenehmigte Verbindungstür zwischen den Höfen der Häuser 20 und 22 beibehalten werden soll. Die Vereinbarung wurde auf die Kläger – mit Ausnahme von Zweit- bis Viertkläger – überbunden.

1. Mit Schreiben vom 06.07.2018 lösten die Kläger die Benützungsvereinbarung aus wichtigem Grund (gänzlich untragbar gewordene Lage durch die Müllentsorgung des Hauses 22) vorzeitig auf. Gestützt auf die dadurch bewirkte Beendigung des Vertragsverhältnisses begehren die Kläger, die Beklagten schuldig zu erkennen, den Hofbereich des Hauses 20 von Großraum-Restmüll-Containern des Hauses 22 zu räumen (in eventu, die Entfernung der Müllcontainer zu dulden), Müllablagerungen im Hofbereich des Hauses 20 zu unterlassen und das dauerhafte Verschließen der Verbindungstür zwischen den beiden Liegenschaften zu dulden.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Kläger gehen selbst von einer ursprünglich zustande gekommenen – der Mehrheit überbundenen – Benützungsregelung aus, die sie als obligatorische Vereinbarung qualifizieren. Zu prüfen bleibt hier nur, ob diese Vereinbarung – wie von den Klägern angestrebt – wirksam aus dem behaupteten wichtigen Grund aufgelöst wurde.

1.2. Dauerschuldverhältnisse können durch einseitige Erklärung aufgelöst werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt, insbesondere wenn die einem Dauerschuldverhältnis zugrunde liegende Vertrauensbasis weggefallen ist (RS0027780 [T7, T47]). Die Frage der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragspartner kann nur nach einer umfassenden Sicht aller dafür und dagegen sprechenden Gegebenheiten des Einzelfalls beantwortet werden (RS0027780 [T23, T41]). Mangels einer über den Anlass hinausreichender Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine unvertretbare Fehlbeurteilung unterlaufen, die zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte. Dieser Fall liegt hier nicht vor:

1.3. Die von den Klägern als Auflösungsgrund geltend gemachten Beeinträchtigungen durch Geruchsbelästigung, Verschmutzung des Hofs, Ablagerung von Müll neben den Containern, Entsorgen von Müll in die Container des Hauses 20, Reinigung von Fleischbehältnissen im Hofbereich und Auswaschen von der Nachbarliegenschaft in den Hof des Hauses 20, konnten nicht festgestellt und/oder den Bewohnern des Hauses 22 nicht zugeordnet werden.

1.4. Soweit die Kläger argumentieren, sie hätten sich im erstgerichtlichen Verfahren auch darauf gestützt, dass Mitarbeiter des im Haus 22 betriebenen Lokals im Hof des Hauses 20 rauchen würden, blieb schon diese Vorbringen zu unkonkret, um daraus unzumutbare – den Beklagten zuordenbare – Verhaltensweisen ableiten zu können.

1.5. Richtig ist, dass nunmehr drei statt zwei Großraum-Restmüll-Container für die Müllentsorgung für die Bewohner des Hauses 22 im Hof des Hauses 20 von der MA48 aufgestellt wurden. Die Kläger argumentieren auch hier ausschließlich, dass dieser Umstand (Ausweitung der Benützungsregelung) die vorzeitige Auflösung des Vertragsverhältnisses rechtfertige.

Bereits das Erstgericht hat – zur Beurteilung der Vorfrage des Inhalts der Benützungsregelung – deren Auslegung im Einzelfall dahin vorgenommen, dass die Müllentsorgung des Hauses 22 zur Gänze – (auch bei Mehrbedarf) auf den Hof des Hauses 20 erfolgen sollte, wogegen sich die Kläger nicht wandten. Im Übrigen stehen gleichfalls keine den Beklagten zuzuordnende Beeinträchtigungen allein durch das Aufstellen des dritten Containers fest.

1.6 Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Kläger hätten keine Verhaltensweisen der Beklagten dargelegt, die für sie die Fortsetzung der Benützungsregelung unzumutbar machen, weshalb sich die auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes gestützte vorzeitige Auflösung des Vertragsverhältnisses als unwirksam erweise, als nicht korrekturbedürftig.

1.7. Daraus folgt aber, dass die von den Klägern selbst angenommene obligatorische Benützungsregelung bisher nicht beendet wurde. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Vereinbarung eine (offenkundige) Servitut oder wie das Berufungsgericht – trotz des Abschlusses zwischen den Eigentümern von Nachbarliegenschaften – auch meint, eine Benützungsvereinbarung nach dem WEG darstellt.

2. Die Kläger argumentieren weiters, der Widerruf seitens Zweit- bis Viertkläger sei rechtlich gesondert zu beurteilen, weil diesen die vertragliche Vereinbarung nicht überbunden worden sei.

2.1. Nach der ständigen Judikatur kann die Negatorienklage nach § 523 ABGB auch vom Minderheitseigentümer (Wohnungseigentümer) nicht nur gegen Dritte, sondern auch gegen andere Miteigentümer (Wohnungseigentümer) erhoben werden (RS0012137). Jeder Miteigentümer, auch wenn er nur die Minderheit der Anteile repräsentiert, ist berechtigt, eigenmächtige Eingriffe (auch eines anderen Miteigentümers) in das gemeinsame Eigentum mit der Eigentumsfreiheitsklage gegen den Störer – gerichtet auf Beseitigung und Wiederherstellung des vorigen Zustands – abzuwehren (RS0012112), wobei dies jedenfalls dann gilt, sofern er sich nicht in Widerspruch zu den übrigen setzt (RS0012114 [T1]). Ein Miteigentümer setzt sich in Widerspruch zu den übrigen Miteigentümern, wenn andere Miteigentümer dem mit Eigentumsfreiheitsklage in Anspruch Genommenen zu einem obligatorischen Verhalten verpflichtet sind (RS0012114 [T8] =10 Ob 69/98i).

2.2. Da die Auflösung der zwischen der Mehrheit der Mit- und Wohnungseigentümer des Hauses 20 und den Mit- und Wohnungseigentümern des Hauses 22 bestehende Benützungsregelung aus wichtigem Grund verneint wurde, treffen die daraus resultierenden obligatorischen Verpflichtungen die Mit- und Wohnungseigentümer des Hauses 20 weiterhin. Mit ihrer Eigentumsfreiheitsklage setzen sich die Zweit- und Viertkläger daher im Sinn der obigen Ausführungen in Widerspruch zu den übrigen Mit- und Wohnungseigentümern.

3. Zusammengefasst vermögen die Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen; dieser Beschluss bedarf daher keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Leitsätze

  • Zur Auflösung einer Benützungsvereinbarung zwischen zwei Nachbarliegenschaften

    Dauerschuldverhältnisse können bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch einseitige Erklärung aufgelöst werden, welcher die Auflösung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragsteile unzumutbar erscheinen lässt, insbesondere wenn die einem Dauerschuldverhältnis zugrunde liegende Vertrauensbasis weggefallen ist. Die Frage der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für einen der Vertragspartner kann nur nach einer umfassenden Sicht aller dafür und dagegen sprechenden Gegebenheiten des Einzelfalls beantwortet werden.
    Stanislava Doganova | Judikatur | Leitsatz | 7 Ob 98/20t | OGH vom 16.09.2020 | Dokument-ID: 1084780