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Mietrecht am verfassungsgerichtlichen Prüfstand
Gastautorin Mag. Alexandra Rezaei, Bundesgeschäftsführerin der MVÖ, erläutert in ihrem Beitrag, ob ein Lagezuschlagsverbot im sog. Gründerzeitviertel sowie ein einheitlicher Befristungsabschlag verfassungswidrig sind.
Mit Jahresbeginn 2015 hat das Parlament jedem Staatsbürger die Möglichkeit eröffnet, Gesetze, die aus Sicht des Betroffenen verfassungswidrig sind, beim Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen. Der ursprüngliche Ausschluss von mietrechtlichen Angelegenheiten hielt jedoch einer Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht Stand und wurde aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis G 346/2015 vom 1. Oktober 2015 die Wortfolge „§ 37 Abs 1 MRG,“ in § 62a Abs 1 Z 4 VfGG sowie mit seinem Erkenntnis G 72/2016 vom 14. Juni 2016 die Wortfolge „§ 52 Abs 1 WEG 2002 und“ in § 62a Abs 1 Z 4 VfGG wegen Verstoßes gegen Art 140 Abs 1a erster Satz B-VG aufgehoben.
Aktuelles Erkenntnis des VfGH
Dieses 1. für den Mietrechtsbereich relevante Erkenntnis bedeutet in der Konsequenz, dass jeder Mieter, aber auch jeder Vermieter Regelungen im Mietrechtsgesetz als verfassungswidrig einstufen und den Weg Richtung Verfassungsgerichtshof einschlagen kann. Voraussetzung für eine Gesetzesprüfung ist die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof im zeitlichen Zusammenhang mit der Erhebung eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung 1. Instanz in einem zivilrechtlichen Verfahren. Damit wird die Einbringung eines Individualantrages in einem früheren Stadium ermöglicht, was natürlich zu einem direkteren Zugang zum Verfassungsgerichtshof führt.
Von der Möglichkeit dieser Individualbeschwerde haben einige VermieterInnen in der Hoffnung, der Verfassungsgerichtshof würde Bestimmungen betreffend die Regelung der Richtwerte, des Lagezuschlages und des Befristungsabschlages kippen, Beschwerden unter Berufung auf Eingriffe in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte eingebracht und in diesem Zusammenhang gerichtliche Mietzinsüberprüfungsverfahren in Hinblick auf die zu erwartende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes verzögert bzw unterbrechen lassen.
Der VfGH hat jedoch nach einer öffentlichen Verhandlung zu Gesetzesbeschwerden betreffend § 5 Abs 1 RichtWG, § 2 Abs 3 HS 2 RichtWG sowie § 16 Abs 7 MRG die Anträge einiger Vermieter auf Aufhebung von Mietzinsobergrenzen des Mietrechts- und Richtwertgesetzes sowie einer behaupteten Unzulässigkeit eines einheitlichen Befristungsabschlages ab- bzw zurückgewiesen und damit eine seit Monaten bestehende Blockade in zahlreichen zivilrechtlichen Mietzinsüberprüfungsverfahren – zumindest vorläufig – beseitigt.
Zu den Anfechtungstatbeständen im Einzelnen:
§ 2 Abs 3 HS 2 RichtWG (Lagezuschlagsverbot für so genannte Gründerzeitviertel)
Über die § 2 Abs 3 HS 2 RichtWG betreffenden Anträge hat der Verfassungsgerichtshof in der Sache selbst entschieden und sämtliche Anträge abgewiesen. Im Erkenntnis wurde festgehalten, dass bei der Ermittlung des Inhaltes einer Gesetzesstelle alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmöglichkeiten auszuschöpfen seien und erst nach Heranziehung aller Interpretationsmöglichkeiten beurteilt werde könne, ob die Norm dem Legalitätsprinzip entspricht. Nur wenn sich nach Heranziehung aller Interpretationsmethoden immer noch nicht beurteilen lässt, was im konkreten Falle rechtens ist, würde die Norm die in Art 18 B-VG statuierten rechtsstaatlichen Erfordernisse verletzen. Die Formulierung „Lage (Wohnumgebung)“ lässt jedoch einerseits ausreichend Spielraum um auf die Besonderheiten des Einzelfalls Bedacht zu nehmen und ist andererseits hinreichend klar, um die Ausübung dieses Spielraumes im konkreten Einzelfall einer Überprüfung zu unterziehen.
Auch die relevierte Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes wurde mit der Begründung abgewiesen, dass der Gesetzgeber bei der Gestaltung des Mietrechtes über einen erheblichen Gestaltungsspielraum verfüge und er angehalten ist die teils sogar widerstreitenden wohnungs-, sozial- und stadtentwicklungspolitische Interessen zum Ausgleich zu bringen. Mit dem gegenständlichen Gesetz sollte die Erschwinglichkeit einer Wohnung, insbesondere für einkommensschwächere Gruppen gewährleistet werden. Da natürlich die Lage des Mietobjektes stets einer der haupttreibenden Faktoren von Mietzinssteigerungen ist, entschloss sich der Gesetzgeber für jene Wohngegenden, welche typischerweise als unterdurchschnittlich bzw durchschnittlich angesehen wurden, durch eine Beschränkung des Lagezuschlages einer übermäßigen Mietzinssteigerung entgegenzuwirken. Die Regelung, wonach die Verrechnung eines Lagezuschlages für Gebiete, die noch zu mehr als 50 Prozent aus Häuser bestehen, die aus der Gründerzeit stammen, jedenfalls ausschließt, überschreitet nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht. Dies berücksichtigend, liegt auch keine unverhältnismäßige Beschränkung der Eigentumsfreiheit oder Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit vor, wenn der Gesetzgeber auf den Zustand von Gebäuden eines Gebietes zum Zeitpunkt der Errichtung abstellt.
Anfechtung § 16 Abs 7 MRG (Befristungsabschlag)
Auch die, auf die Aufhebung des einheitlichen Befristungsabschlages gerichteten Anträge wurden durch Entscheidung in der Sache selbst abgewiesen. Nach Dafürhalten des Verfassungsgerichtshofes liegt keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor, wenn der Gesetzgeber im Interesse des Mieters, der durch eine Befristung Nachteile in Kauf zu nehmen hat, eine Regelung schafft, die dem Vermieter einen Anreiz bieten soll, unbefristet zu vermieten. Eine degressive Staffelung des Befristungsabschlages, welche es bis zum 30.06.2000 gegeben hat, wirkt sich insoferne kontraproduktiv aus, weil mit zunehmender Länge des Befristungszeitraumes die Motivation für den Abschluss unbefristeter Mietverträge schwindet.
Anfechtung § 5 Abs 1 RichtWG
Die auf die Aufhebung des Richtwertes gerichteten Anträge wurden als unzulässig zurückgewiesen, weil der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm zu eng gewählt wurde. Die nämlich mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen müssen ebenso von der Anfechtung umfasst sein. Es genügt nicht, lediglich den Richtwert für einen bestimmten Zeitraum anzufechten. Die Anträge hätten auch sämtliche spätere Richtwerte mitumfassen müssen. Für eine formell richtige Anfechtung müssen neben dem § 5 Abs 1 RichtWG auch der § 5 Abs 2 RichtWG (Valorisierung der Richtwerte, Ermächtigung des Bundesministers für Justiz zur Kundmachung der valorisierten Richtwerte) sowie die auf Grundlage des § 5 Abs 2 RichtWG ergangenen Kundmachungen der Richtwerte als Verordnungen angefochten werden.
Resümee
Da im Hinblick auf die Richtwerte leider nicht in der Sache selbst entschieden wurde, ist eine diesbezügliche weitere Auseinandersetzung ob der Verfassungskonformität der Richtwerte der Bundesländer prolongiert. Es wird daher nur eine Frage der Zeit sein, bis ein den formellen Voraussetzungen entsprechender Antrag beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wird und eine Entscheidung über die Verfassungskonformität des Richtwertsystems getroffen wird.
Autorin
Mag. Alexandra Rezaei ist Bundesgeschäftsführerin der Mietervereinigung Österreichs und Landesgeschäftsführerin der Mietervereinigung Landesorganisation Wien. Sie verfügt über langjährige Beratungserfahrung in sämtlichen Bereichen des österreichischen Wohnrechts und Vertretungstätigkeit in allen Angelegenheiten des wohnrechtlichen Außerstreitverfahrens.