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Dokument-ID: 1163046

Judikatur | Entscheidung

5 Ob 70/23i; OGH; 19. Oktober 2023

GZ: 5 Ob 70/23i | Gericht: OGH vom 19.10.2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* GmbH, FN *, vertreten durch Mag. Hannes Arneitz, Mag. Eva Maria Dohr, Rechtsanwälte in Villach, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei A. * Gesellschaft mbH, FN *, vertreten durch die Wagner & Wagner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. P* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Harald Christandl, Rechtsanwalt in Graz, 2. Dr. S* GmbH, FN *, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Gernot Murko, Mag. Christian Bauer ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien 1. Ing. H* GmbH, FN *, vertreten durch die Dr. Alexander Klaus Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, 2. Ö* GmbH, FN *, vertreten durch Dr. Georg Bauer, Mag. Edwin Kerschbaummayr, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 149.318,40 sA, über die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. März 2023, GZ 4 R 165/22z 119, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

 [1] Die Klägerin beauftragte die Erstbeklagte mit Architekten bzw Planungsleistungen für ein Wohnbauprojekt, das in zwei Baustufen errichtet wurde und aus vier Wohnblöcken besteht. Die Häuser sind mit Flachdächern ausgeführt, die insgesamt 102 Lüftungsschächte aufweisen.

 [2] Die Zweitbeklagte war von ihr mit der bauphysikalischen Projektbearbeitung des Bauvorhabens beauftragt. Die Nebenintervenientin auf Seiten der Klägerin erbrachte die Dachdeckerarbeiten und stellte die Folienabdichtung her. Der Erstnebenintervenientin auf Seiten der Beklagten oblag die örtliche Bauaufsicht. Die Zweitnebenintervenientin auf Seiten der Beklagten führte im Auftrag der Klägerin die Ausflockung der Entlüftungsschächte mit dem Material „R* Firesafe“ durch. Der von der Erstbeklagten ursprünglich geplante Systemaufbau der Entlüftungsschächte auf den Dächern der Häuser wurde von der Zweitbeklagten freigegeben, obwohl er nach dem Stand der Technik nicht geeignet und nicht schadensfrei umsetzbar war. Im Zug der Bauausführung schlug die Erstnebenintervenientin, nachdem sie sich bei der Zweitnebenintervenientin über die Konvektionsdichtheit des Materials erkundigt hatte, der Erstbeklagten aus brandschutztechnischen Gründen die Ausflockung der Entlüftungsschächte mit dem Material „R* Firesafe“ anstelle des ursprünglich geplanten PU-Schaums vor. Die Erstbeklagte leitete diesen Vorschlag an die Zweitbeklagte mit der Bitte um Prüfung weiter. Der Geschäftsführer der Zweitbeklagten gab diesen Vorschlag frei, ohne das Material zu kennen oder dessen Konvektionsdichtheit zu überprüfen. Wegen der fehlenden Diffusionsdichtheit des Materials „R* Firesafe“ kam es zu Schäden an den Entlüftungsschächten.

 [3] Die Zweitbeklagte hätte einen Nachweis oder eine Berechnung der Kondensation im Inneren der Entlüftungsschächte führen müssen. Dabei hätte sie erkannt, dass das gesamte anfallende Kondensat nicht austrocknen kann, weil sich die Dämmung mit „R* Firesafe“ an der Innenseite befindet und die OSB-Platte sowie die Sarnafilabdichtung an der Außenseite liegen und dampfdicht sind. In einem solchen Fall kann eine fortschreitende Durchfeuchtung über mehrere Jahre auftreten und zu Schäden führen. Darauf hätte der Bauphysiker aufmerksam machen müssen. Auch der ursprünglich von der Erstbeklagten geplante Systemaufbau war nicht funktionstüchtig, weil er bei den Entlüftungsschächten keinen Dampfsperrenanschluss vorgesehen hatte.

 [4] Die Klägerin begehrte, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung der Sanierungskosten zu verpflichten. Der Schaden je Entlüftungsschacht belaufe sich unter Berücksichtigung eines Abzugs „neu für alt“ auf netto EUR 1.232,–.

 [5] Das Berufungsgericht bestätigte das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

 [6] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Zweitbeklagten, die keine Rechtsfragen von der Qualität gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag.

 [7] 1. Für die Legitimation zur Geltendmachung von Schadenersatz- und Gewährleistungsansprüchen kommt es darauf an, auf welcher vertraglichen Grundlage die entsprechenden Ansprüche erhoben werden. Vertragliche Ansprüche sind dabei grundsätzlich vom jeweiligen Vertragspartner geltend zu machen (RIS Justiz RS0108157 [T25, T28]).

 [8] 1.1 Da die Klägerin das gegenständliche Wohnbauprojekt als Bauträgerin (und Wohnungseigentumsorganisatorin) errichtete und die Zweitbeklagte mit der bauphysikalischen Projektbearbeitung beauftragte, beruht ihr Anspruch auf dem mit dieser abgeschlossenen Vertrag. Dieser Anspruch der Klägerin ist damit kein „die Liegenschaft betreffender Schadenersatzanspruch eines Wohnungseigentümers“, wie die Zweitbeklagte offenbar meint, wenn sie sich darauf beruft, ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer könne die Klägerin keine Ansprüche geltend machen. Es ist bloßer Zufall, dass die Klägerin als Bauträgerin (Bauherrin) noch Wohnungseigentümerin ist, weil offenbar noch nicht alle Wohnungen verkauft sind.

 [9] 1.2 Der aus der Vertragsverletzung, die die Zweitbeklagte zu Recht nicht mehr infrage stellt, abgeleitete Anspruch besteht unabhängig davon, ob die Klägerin ihrerseits von den (übrigen) Wohnungseigentümern in Anspruch genommen wurde, und sich dann bei der Zweitbeklagten regressieren könnte. Regressansprüche und der Schadenersatzanspruch stehen in Konkurrenz und schließen einander nicht aus (RS0018820 [T5]).

 [10] 1.3 Richtig ist, dass bislang lediglich einer der Entlüftungsschächte saniert wurde. Daraus folgt aber nicht die mangelnde Aktivlegitimation der Klägerin, wie die Zweitbeklagte meint. Die Revisionswerberin räumt selbst ein, dass die Klägerin die Sanierung der Entlüftungsschächte beabsichtigt. Damit fordert sie das Deckungskapital für die Mängelbehebungskosten. In einem solchen Fall hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der objektiv notwendigen Behebungskosten. Maßgeblich sind dabei die voraussichtlichen Mängelbehebungskosten, deren Höhe nach den allgemeinen Beweislastregeln der Geschädigte zu beweisen hat (RS0115060 [T1]). Der Höhe nach ist das Begehren der Klägerin nicht strittig. Warum die Klägerin zur Geltendmachung dieses vertraglichen Anspruchs nicht berechtigt sein soll, kann die Zweitbeklagte nicht schlüssig darlegen.

 [11] 1.4 Nach der Rechtsprechung kann der Grundsatz der Trennung der Verträge ausnahmsweise durchbrochen werden und ihre partielle Verknüpfung notwendig oder jedenfalls billig und geboten sein (RS0021876 [T10]), wenn die strikte Trennung der Rechtsverhältnisse sonst zu grob unbilligen Ergebnissen führen würde (1 Ob 41/19i mwN). Soweit sich die Zweitbeklagte auf diese Rechtsprechung beruft, die auf das Verhältnis zwischen Generalunternehmer und dessen Auftragnehmer (dem Subunternehmer) abstellt, übersieht sie, dass die Klägerin nicht Generalunternehmerin sondern (unstrittig) Bauherrin und sie selbst daher nicht Subunternehmerin war. Da sie selbst davon ausgeht, dass die Klägerin die Sanierung beabsichtigt, ist aber schon die von ihr behauptete Unbilligkeit nicht zu erkennen, sodass die von ihr geforderte Verknüpfung der von der Klägerin als Verkäuferin und Wohnungseigentumsorganisatorin mit den (späteren) Wohnungseigentümern abgeschlossenen Verträge mit dem Auftrag an die Zweitbeklagte von vornherein nicht in Betracht kommt und damit auch nicht geprüft werden muss.

 [12] 2. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (für viele RS0042776 [T1; T3; T6; T10; T11]). Eine erhebliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste, ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen:

 [13] 2.1 Es mag zutreffen, dass in Punkt II. der Vereinbarung zur Auftragserteilung an die Zweitbeklagte eine Rangfolge der Vorschriften niedergelegt worden ist, die ganz allgemein die Anwendung von Ö-Normen vor jenen des ABGB nennt. Die ÖNorm B 2110 ist darin jedoch nicht ausdrücklich erwähnt.

 [14] 2.2 Diese ÖNorm sieht in ihrem Punkt 12.3.1 zwar eine Haftungsbegrenzung der Höhe nach für den Auftragnehmer bei bloß leicht fahrlässigem Verhalten vor. Demgegenüber regelt Punkt XIII. des Vertrags ausdrücklich die Haftung des Auftragnehmers für den Fall, dass seine Leistungen nicht auftragsgemäß erbracht werden. Warum, wie die Zweitbeklagte meint, das Gericht zweiter Instanz unter Berufung auf diese Bestimmung von den Grundsätzen der Rechtsprechung derart abgewichen sein soll, dass seine Beurteilung zu korrigieren wäre, vermag sie nicht darzulegen.

 [15] 2.3 Die hier zu beurteilenden vertraglichen Grundlagen regeln die Haftung der Auftragnehmerin in einem eigenen Punkt und sehen deren Haftung für alle Schäden und Folgeschäden (ohne Betragsbeschränkung) vor. Dadurch unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall deutlich von dem der Entscheidung zu 7 Ob 140/21w zugrunde liegenden Sachverhalt, nach dem die ÖNorm B 2110 ausdrücklich als Teil des Leistungsverzeichnisses genannt wurde und als Konkretisierung (auch) der Haftungsbestimmungen des dortigen Vertragsverhältnisses zu verstehen war. Hier bezieht sich Punkt II. (Vertragsgrundlagen) lediglich allgemein auf die einschlägigen (technischen und rechtlichen) Ö Normen. Punkt XIII. des Vertrags verweist zwar zu den Leistungen des Auftragnehmers auf die Vertragsgrundlagen und damit auf die in Punkt II. festgehaltene Reihenfolge, die Haftung für diese richtet sich demgegenüber aber schon nach dem Wortlaut nach den gesetzlichen Bestimmungen.

 [16] 2.4 Ausgehend von der im Einzelfall nicht korrekturbedürftigen Auslegung des Vertrags durch das Berufungsgericht, kann daher dahingestellt bleiben, ob der Zweitbeklagten bloß leicht fahrlässiges oder mit dem Erstgericht grobes Verschulden anzulasten ist.

 [17] 3. Die Beweislast für die Verletzung einer Schadensminderungspflicht obliegt dem Schädiger (RS0018262 [T1]; RS0027043 [T6]). Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt unter anderem dann vor, wenn der Geschädigte Handlungen unterlassen hat, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, obwohl sie – objektiv betrachtet – von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (RS0023573).

 [18] 3.1 Der Schädiger kann nicht verlangen, dass der Geschädigte zwecks Behebung des durch den Schädiger verschuldeten Schadens auf sein Risiko und auf seine Kosten ihm nicht zumutbare Schritte unternimmt (RS0027173). Was dem Geschädigten im Rahmen der Schadensminderungspflicht zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an (RS0027787).

 [19] 3.2 Vor dem Hintergrund dieser, in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätze, ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin keine Verletzung der Schadensminderungspflicht anzulasten sei, nicht korrekturbedürftig. Die Zweitbeklagte, die ihre Haftung dem Grunde nach gar nicht in Zweifel zieht, hat es – entgegen ihrer Vorschusspflicht – unterlassen, der Klägerin die erforderlichen Mittel zur Schadensbehebung zur Verfügung zu stellen und kann sich damit auch nicht auf eine Kostensteigerung nur infolge der Indexanpassung berufen.

 [20] 4. Ein Mitverschulden der Klägerin wegen der Zurechnung des Verhaltens der Erstnebenintervenientin als örtliche Bauaufsicht käme nur in Betracht, wenn diese Pflichten oder Obliegenheiten verletzt hätte, die aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung oder nach der Verkehrsübung die Klägerin selbst getroffen hätten oder von dieser nachträglich übernommen worden wären (RS0021766 [T3; T7] ua). Anhaltspunkte dafür lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Die Bauaufsicht soll den Bauherrn vor Fehlern schützen, die in den Verantwortungsbereich der einzelnen bauausführenden Unternehmer fallen, nicht aber diese von ihrer Verantwortung entlasten oder ihre Verantwortung mindern (RS0108535; RS0107245). Dass die Klägerin die Erstnebenintervenientin mit der Bauaufsicht beauftragte, lag daher ausschließlich in ihrem eigenen Interesse. Deren Tätigkeit diente nicht der Entlastung der Zweitbeklagten (RS0108535). Sie war auch nicht „Bewahrungsgehilfin“ im Sinn der Rechtsprechung (siehe dazu RS0026815). Damit bedarf es auch keiner Korrektur, wenn das Berufungsgericht ein allfälliges Mitverschulden der Erstnebenintervenientin bei der Auswahl des Materials „R* Firesafe“ nicht der Klägerin zurechnete. Die Prüfung, inwieweit das von der Zweitbeklagten der Bauaufsicht angelastete Verhalten schuldhaft war sowie die Gewichtung eines allfälligen Verschuldens im Verhältnis zum Fehlverhalten der Zweitbeklagten ist einem allfälligen Regressprozess vorbehalten.

 [21] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Leitsätze

  • Keine Zurechnung der Bauaufsicht bei falscher Materialwahl

    Ein Mitverschulden des Bauherrn wegen der Wahl falschen Materials (auch) durch die örtliche Bauaufsicht kommt nur dann in Betracht, wenn der Bauherr eigene Pflichten oder Obliegenheiten verletzt hat. Ansonsten ist es Aufgabe der Bauaufsicht, den Bauherrn vor Fehlern zu schützen, die in den Verantwortungsbereich der einzelnen bauausführenden Unternehmer fallen. Das Mitverschulden der Bauaufsicht ist somit nicht dem Bauherrn zuzurechnen.
    Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 70/23i | OGH vom 19.10.2023 | Dokument-ID: 1162667