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1 Ob 72/11m; OGH; 21. Juni 2011
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Engin-Deniz Reimitz Hafner Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei Dr. T*****, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger & Parz Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2011, GZ 39 R 331/10f-34, mit dem über Berufung der Beklagten das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 22. Juni 2010, GZ 10 C 792/08i-29, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Die Beurteilung der Frage, ob bei der Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG ein dringendes Wohnbedürfnis der eintrittsberechtigten Person (§ 14 MRG) gegeben ist oder diese ihr Wohnbedürfnis anderwertig angemessen befriedigen kann, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0044086) und berührt damit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RIS-Justiz RS0042789).
Grundsätzlich ist das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Todes des bisherigen Mieters zu beurteilen. Nachträgliche Änderungen müssen insoweit berücksichtigt werden, als sie zum Zeitpunkt des Todes des Mieters für die nächste Zeit zu erwarten waren. Nur auf ungewisse, in der Zukunft liegende Verhältnisse ist bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses nicht Bedacht zu nehmen (7 Ob 273/07h = immolex 2008/89 [Iby]; RIS-Justiz RS0069970, zuletzt 7 Ob 145/09p; 1 Ob 135/09y). Ein im Todeszeitpunkt des früheren Mieters bestehendes Eintrittsrecht wird nicht im Nachhinein dadurch wieder beseitigt, dass das zum maßgeblichen Zeitpunkt bestehende Wohnbedürfnis später aufgrund einer anderen Wohnmöglichkeit wegfällt (1 Ob 246/06t). In diesem Sinne wurde in der Judikatur wiederholt ausgesprochen, dass nachträgliche Änderungen – wenn überhaupt – nur zu Gunsten des Mieters zu berücksichtigen sind (vgl nur 3 Ob 117/95 mwN; 1 Ob 246/06t).
Die dem Beklagten von seiner Frau vermachten Wohnungen waren bei deren Ableben am 11.05.2008 befristet (bis Mitte Februar 2010 bzw bis Ende August 2012) vermietet. Weder der (subjektive) Entschluss eines der Mieter zur Aufgabe von Mietrechten, von dem auch nicht feststeht, ob er bereits im Zeitpunkt des Ablebens der Ehefrau des Beklagten getroffen war, noch die Säumigkeit des anderen Mieters mit Mietzinszahlungen bedeuteten eine aktuelle Verfügbarkeit der Wohnungen zum Zeitpunkt des Todes der Hauptmieterin. Für diesen Zeitpunkt ließ sich auch nicht verlässlich beurteilen, dass der Beklagte seine Wohnbedürfnisse in absehbarer Zeit durch eine der ererbten Wohnungen decken werde können. Eine korrekturbedürftige Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht macht die Revision mit ihrem Verweis auf die Beweislastverteilung daher nicht geltend. Auch begründet es keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn das Berufungsgericht für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Todes seiner Frau das dringende Wohnbedürfnis des Beklagten an der aufgekündigten Wohnung nicht mit dem Argument verneinte, ein alsbaldiges Freiwerden dieser Wohnung wäre wegen des Zahlungsrückstandes festgestanden.
Das Vorhandensein einer rechtlich gleichwertigen Wohnmöglichkeit führt nicht schematisch zur Verneinung des dringenden Wohnbedürfnisses an der aufgekündigten Wohnung (9 Ob 88/08v = EF-Z 2010/68, 108; vgl RIS-Justiz RS0069972). Bei der Beurteilung eines ausreichend gedeckten Wohnbedarfs in einem anderem Ort (hier R*****) als dem bisherigen Wohnort (hier W*****) ist stets auf die besonderen Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen (8 Ob 529/93 = MietSlg 45.265/11; 7 Ob 2109/96i = MietSlg 48.358).
Die Revisionswerberin gesteht zu, dass sich die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich des vom Beklagten ererbten Hauses in R***** an der herrschenden Rechtssprechung orientiert und räumt damit ein, dass dem Berufungsgericht eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Verkennung der Rechtslage nicht vorzuwerfen ist. Die von ihr gegen die herrschende Judikatur ins Treffen geführten Argumente gehen von allgemeinen Überlegungen aus und würdigen die Besonderheiten des Einzelfalls nicht ausreichend. Darauf muss schon deshalb nicht eingegangen werden, weil der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen ist, zu bloß theoretischen Fragen Stellung zu nehmen (RIS-Justiz RS0111271).
Leitsätze
-
Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG wegen dringendem Wohnbedürfnis
Ob ein dringendes Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigen Person vorliegt, muss im Einzelfall geprüft werden und stellt idR weder ein Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar, noch berechtigt es eine Überprüfung der Entscheidung durch den OGH.Judikatur | Leitsatz | 1 Ob 72/11m | OGH vom 21.06.2011 | Dokument-ID: 301522