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5 Ob 56/21b; OGH; 20. Mai 2021
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerinnen 1. A*****, 2. M*****, ebenda, beide vertreten durch den Verein für gerechte Mieten Österreich, dieser vertreten durch die Gottgeisl & Leinsmer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Antragsgegner G*****, vertreten durch Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 iVm § 16 Abs 2 MRG, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Dezember 2020, GZ 38 R 176/20v-28, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 20. Juli 2020, GZ 7 Msch 6/19z-24, bestätigt wurde, den
Sachbeschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antragsgegner ist schuldig, den Antragstellerinnen binnen 14 Tagen deren mit EUR 415,– (darin EUR 69,17 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung
[1] Die Antragstellerinnen sind aufgrund eines zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Mietvertrags seit 1. April 2017 befristet für fünf Jahre Hauptmieterinnen der Wohnung Top 10 in einem ca 1890 errichteten Gründerzeithaus. Dieses Gebäude wurde im Jahr 2012 generalsaniert, damals wurden Raumeinteilungen und -widmungen in den Geschossen geändert, das Dachgeschoß wurde aus- und ein Lift eingebaut. Seit 2013 ist am Haus Wohnungseigentum begründet, der Antragsgegner ist Wohnungseigentümer der vermieteten Wohnung. Im Mietvertrag wurde ein Hauptmietzins von EUR 650,37 monatlich vereinbart, wobei laut Vertrag „anstelle des vereinbarten Hauptmietzinses gemäß §§ 18 ff MRG für die Dauer des Verteilungszeitraums (das heißt voraussichtlich bis 31.12.2022) der erhöhte Hauptmietzins von EUR 650,37 zu entrichten ist“.
[2] Tatsächlich hatte die Schlichtungsstelle mit Entscheidung vom 5. März 2010 eine Erhöhung der Hauptmietzinse gemäß §§ 18, 18b, 18c und 19 MRG für den Zeitraum 01.01.2010 bis 31.12.2019 bewilligt und zwar die Einhebung eines erhöhten monatlichen Hauptmietzinses von EUR 4,20 zuzüglich zum monatlich anrechenbaren Hauptmietzins laut Blatt 3 dieser Entscheidung. Dort ist eine Wohnung der Kategorie „A“ mit „Tür Nummer 10–11“ mit einer Nutzfläche von 62 m² genannt. Der gesamte Hauptmietzins einschließlich Erhöhung betrug dafür ab 01.01.2010 EUR 553,66.
[3] Die von den Antragstellerinnen gemietete Wohnung Top 10 hat einschließlich einer Loggia nun eine Gesamtnutzfläche von 74,65 m². Räumlichkeiten im Gesamtausmaß von 12,6 m² (einschließlich Loggia) wurden erst im Zug der Sanierung 2012 geschaffen und mit der (vormaligen) Wohnung Top 10–11 zur (nunmehrigen) Top 10 verbunden. Dass die Wohnung unter die Ausstattungskategorie „A“ fällt, ist im Revisionsrekursverfahren nicht mehr strittig.
[4] Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag auf Überprüfung des vereinbarten Hauptmietzinses nach § 16 Abs 2 MRG für die 2017 gemietete Wohnung.
[5] Das Erstgericht stellte den gesetzlich zulässigen Hauptmietzins dafür unter Berücksichtigung des Befristungsabschlags mit EUR 471,04 fest, sprach aus, dass die Hauptmietzinsvereinbarung von EUR 650,37 bezüglich eines Betrags von EUR 179,33 unwirksam und das gesetzliche Zinsausmaß für den Zeitraum April 2017 bis November 2018 daher um diesen Betrag überschritten worden sei und ermittelte die Gesamtüberschreitung in diesem Zeitraum.
[6] Auf das Mietverhältnis sei ein Richtwertmietzins nach § 16 Abs 2 MRG anzuwenden. Auch für die „zugebaute“ Loggia sei eine freie Mietzinsbildung nicht zulässig, weil in Verbindung mit der restlichen Wohnung ein einheitliches Objekt als Top 10 vorliege. Die Schlichtungsstelle habe am 5. März 2010 eine Hauptmietzinserhöhung nur für das Mietobjekt Top 10–11 mit einer Nutzfläche von 62 m² für zulässig erklärt, für das nun im Wohnungseigentum stehende und vergrößerte Objekt Top 10 sei kein erhöhter Hauptmietzins bewilligt. Ein Lagezuschlag scheide aufgrund der Lage im Gründerzeitviertel aus.
[7] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Ein frei finanzierter Neubau nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG setze voraus, dass das gesamte Gebäude nach dem darin genannten Stichtag neu errichtet worden sei. Abzustellen sei auf das Gebäude selbst und nicht den Mietgegenstand. Ein Zubau an ein bestehen gebliebenes Gebäude sei nur dann eine Neuerrichtung, wenn es sich um den Anbau eines selbstständigen Traktes handle, was hier nicht der Fall sei. Auch eine Neuschaffung des Mietgegenstands im Sinn von § 16 Abs 1 Z 2 MRG, der die Vereinbarung eines angemessenen Mietzinses ermögliche, scheide aus. Dies würde voraussetzen, dass durch die Baumaßnahmen bisher nicht zur Verfügung stehende Räume in einem in Relation zum Altbestand weitaus überwiegenden Ausmaß neu entstanden seien, was bei einem Zubau im Ausmaß von nur ca 12 m² zu einer Wohnung mit ca 62 m² nicht der Fall sei. Die Einhebung eines frei gebildeten Mietzinses nur für den neu geschaffenen Teil der Wohnung scheide aus, weil bei einem einheitlichen Bestandobjekt die Mietzinsbildungsvorschriften auf das gesamte Objekt einheitlich anzuwenden seien.
[8] Die seinerzeitige Erhöhungsentscheidung nach §§ 18–19 MRG sei hier nicht mehr maßgeblich. Zwar sei darin ein rechtsgestaltender Eingriff der Schlichtungsstelle oder des Außerstreitgerichts in den Mietvertrag zum Zweck der Finanzierung des sonst nicht gedeckten Erhaltungsaufwands zu sehen; damit würden die erhöhten Mietzinse für die einzelnen Mietobjekte für die Dauer des Verteilungszeitraums, ausgehend von Verhältnissen zum Entscheidungszeitpunkt, endgültig festgelegt. Nach der Judikatur binde die Entscheidung nach §§ 18 ff MRG nicht nur die am Verfahren Beteiligten, sondern auch während des Verteilungszeitraums nachfolgende Mieter bzw Vermieter der betreffenden Liegenschaft, das Bestandverhältnis gehe in seiner konkreten Ausgestaltung und damit auch mit der rechtskräftigen Entscheidung nach §§ 18 ff MRG auf den Rechtsnachfolger des Eigentümers über.
[9] Hier sei es aber nach der Schlichtungsstellenentscheidung im Jahr 2010 nicht nur zu einem Wechsel auf Mieter- und Vermieterseite gekommen, sondern auch zu einer flächenmäßigen Erweiterung des Bestandobjekts und zur Begründung von Wohnungseigentum am neuen Objekt. Dessen Erwerber habe 2017 mit neuen Mietern den nun zu beurteilenden Mietvertrag für das anders ausgestaltete Bestandobjekt abgeschlossen. Dies sei kein bloßer Eintritt in ein bestehendes Mietverhältnis, das die Entscheidung nach §§ 18 ff MRG gestaltet habe. Das nunmehrige Bestandobjekt sei vielmehr ein „Aliud“.
[10] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Entscheidung nach §§ 18 ff MRG auch für einen Mietvertrag gelten könne, der nach zwischenzeitlicher Begründung von Wohnungseigentum zwischen einem neuen Mieter und einem neuen Vermieter über ein Bestandobjekt abgeschlossen wird, dessen Nutzfläche von der ursprünglichen Entscheidung nach §§ 18 ff MRG genannten Nutzfläche abweicht.
[11] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners, in dem er die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin anstrebt, dass das Feststellungs- und Rückzahlungsbegehren zur Gänze ab- bzw zurückgewiesen wird, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
[12] Die Antragstellerinnen beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
[14] 1. Der Antragsgegner wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanzen, die Entscheidung der Schlichtungsstelle über die Erhöhung nach §§ 18, 19 MRG aus dem Jahr 2010 habe für den Mietvertrag über das nunmehrige Bestandobjekt keine Auswirkung. Da diese Entscheidung auch die während des Verteilungszeitraums nachfolgenden Mieter und Vermieter binde, müsse zumindest für die Flächen, die der Entscheidung der Schlichtungsstelle zugrunde gelegen seien, ein erhöhter Mietzins zulässig sein. Die spätere Begründung von Wohnungseigentum und die neue Bezeichnung könnten daran nichts ändern. Zu den Umbauarbeiten und der der § 18 MRG-Entscheidung zugrundeliegenden Nutzfläche fehlten Feststellungen. Der Anbau von 12 m2 sei ein frei finanzierter Neubau im Sinn des § 1 Abs 4 Z 1 MRG, für den eine freie Mietzinsbildung zulässig sei. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen führe zum paradoxen Ergebnis, dass der Antragsgegner für die sanierte Wohnung nur einen geringeren Mietzins als für die unsanierte Wohnung vorschreiben dürfte. Dieses Ergebnis stehe auch im Widerspruch zu den Richtlinien 2010/31/EU (Gebäudeenergieeffizienz) sowie 2012/27/EU (Energieeffizienz).
[15] Hiezu wurde erwogen:
[16] 2.1. Der erkennende Senat erachtet die Begründung des Rekursgerichts für grundsätzlich zutreffend, sodass vorweg auf deren Richtigkeit zu verweisen ist (§ 71 Abs 3 AußStrG). Den Argumenten im Revisionsrekurs ist nur ergänzend zu erwidern:
[17] 2.2. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands trifft jene Partei, die sich darauf beruft, hier im Hinblick auf § 1 Abs 4 Z 1 MRG daher den Antragsgegner (RIS-Justiz RS0069235). Nach der Rechtsprechung des Fachsenats (RS0069293) setzt dieser Ausnahmetatbestand die Neuerrichtung des Gebäudes mit dem Mietgegenstand voraus und nicht bloß die Neuerrichtung des Mietgegenstands selbst. Der bloße Umbau des Gebäudes unter Verwendung bestehen gebliebener Räume genügt nicht (vgl RS0068742; H. Böhm/Prader in GeKo Wohnrecht I § 1 MRG Rz 170 mwN). Die Neuerrichtung eines selbstständigen Traktes (5 Ob 17/00m) – auch in Form eines Anbaus (5 Ob 192/00x) – wurden hingegen als ausreichend beurteilt.
[18] 2.3. Hier lässt schon das – zur konkreten Ausgestaltung des „Anbaus“ dürftige – Vorbringen des Antragsgegners erkennen, dass die dadurch geschaffenen Räume im Gesamtausmaß von ca 12 m² kein „selbstständiger Trakt“ im Sinn dieser Rechtsprechung sind, sodass die Anwendung des Ausnahmetatbestands nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG auf das Bestandverhältnis nicht in Betracht kommt.
[19] 2.4. Für die auch im Revisionsrekurs noch angestrebte „Aufteilung“ des einheitlichen Bestandzinses in einen Richtwertzins für die (vormalige) Wohnung Top 10–11 im Ausmaß von 62 m² und einen frei vereinbarten Zins für den „Anbau“ im Ausmaß von 12 m² nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG fehlt es nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanzen an einer gesetzlichen Grundlage, die auch der Revisionsrekurswerber nicht aufzeigen kann. Bei einem – wie hier – einheitlichen Bestandobjekt sind neben den Kündigungsschutzbestimmungen (RS0020298) auch die Mietzinsbildungsvorschriften auf das gesamte Bestandobjekt einheitlich anzuwenden oder nicht anzuwenden (vgl 5 Ob 192/00x; 10 Ob 52/08g).
[20] 2.5. Auf den vom Rekursgericht verneinten Tatbestand nach § 16 Abs 1 Z 2 MRG kommt der Revisionsrekurs nicht mehr zurück.
[21] 3.1. Die Bindungswirkung der Schlichtungsstellenentscheidung aus dem Jahr 2010 in Bezug auf die damalige Mietwohnung Top 10–11 auf die nunmehrigen Mietvertragsparteien des (neuen) Mietobjekts Top Nummer 10 haben die Vorinstanzen aufgrund der grundlegenden Umgestaltung des Bestandobjekts verneint. Diese Auffassung ist zu teilen.
[22] 3.2. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Auswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung nach §§ 18 ff MRG auf die nachträgliche Vermietung einer Wohnung, an der nicht nur unter neuer Bezeichnung Wohnungseigentum begründet, sondern auch durch einen Zubau die Raumaufteilung geändert und die Nutzfläche deutlich vergrößert wurde, fehlt bisher. Auch die Literatur (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I23 §§ 18–18b Rz 13; Egglmeier-Schmolke/Schinnagl in GeKo Wohnrecht I § 19 MRG Rz 20; Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 19 MRG Rz 10, 12 und 32) befasst sich damit nicht. Einigkeit besteht aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts in § 19 Abs 3 MRG zwar dahin, dass unrichtige Kategorieeinstufungen oder Nutzflächenberechnungen der dem Verfahren nach §§ 18 ff MRG zu Grunde gelegten Wohnungen nicht Gegenstand eines Antrags auf Neuberechnung nach § 19 Abs 3 MRG sein können (vgl RS0079720; Hausmann aaO). Daraus ist für den hier zu beurteilenden Fall aber nichts zu gewinnen, wo es nicht um die Korrektur einer ursprünglich unrichtigen Kategorieeinstufung oder Nutzfläche, sondern um die Vermietung einer nach der Entscheidung nach §§ 18 ff MRG umgestalteten und vergrößerten Wohnung geht. Abzustellen ist dabei auch nach Auffassung des erkennenden Senats auf den Umfang der aus der materiellen Rechtskraft abzuleitenden Bindungswirkung der Entscheidung nach §§ 18 ff MRG.
[23] 3.3. Durch die rechtskräftige Entscheidung nach §§ 18 ff MRG wird rechtsgestaltend in Privatrechtsverhältnisse, nämlich Mietzinsvereinbarungen, eingegriffen, um den Zweck der Finanzierung sonst nicht gedeckter Erhaltungsarbeiten sicherzustellen (5 Ob 240/06i, 5 Ob 120/09x; vgl auch RS0070012). Der Erhöhungsentscheidung kommt daher eine Doppelfunktion zu, einerseits ist sie prozessuale Sachentscheidung, andererseits bewirkt sie eine Vertragsänderung (5 Ob 120/09x). Daraus folgt, dass die Entscheidung auch gegenüber künftigen Mietern und Vermietern bindend ist (5 Ob 83/93). Das Bestandverhältnis geht in seiner konkreten Ausgestaltung als solches mit der rechtskräftigen Entscheidung nach §§ 18 ff MRG auf die Rechtsnachfolger über (RS0021160 [T1], RS0069305 [T5]). Darin ist eine Rechtskrafterstreckung über die Parteien des Verfahrens nach §§ 18 ff MRG hinaus auf daran nicht beteiligte, ihnen nachfolgende Mieter und Vermieter der betroffenen Liegenschaft zu sehen (vgl Egglmeier-Schmolke/Schinnagl in GeKo Wohnrecht I § 19 MRG Rz 20).
[24] 3.4. Die Rechtskraftwirkung einer solchen Entscheidung in sachlicher Hinsicht beschränkt sich nach der Rechtsprechung des Fachsenats (5 Ob 108/90, 5 Ob 161/06x) auf die darin ausgesprochene Zulässigkeit der Einhebung eines bestimmten höheren Mietzinses für den festgesetzten bestimmten Zeitraum; im Spruch der Entscheidung ist der (fiktive) Kategoriemietzins, der nach der Nutzfläche aufgeteilte anteilige Restbetrag und die Summe aus beiden als erhöhter Mietzins auszuweisen. Den in der Entscheidung über die Mietzinserhöhung nach §§ 18 ff MRG gelösten Vorfragen – wie etwa über die Ausstattungskategorie oder die Nutzfläche des Bestandgegenstands – kommt aber keine Vermieter und Mieter über das Verfahren hinaus bindende Wirkung zu (RS0070143).
[25] 3.5. Aus diesen Judikaturgrundsätzen ist mit den Vorinstanzen abzuleiten, dass die – Ausfluss der materiellen Rechtskraft darstellende und aus Gründen der Entscheidungsharmonie allein nicht auszuweitende (RS0102102) – Bindungswirkung der Erhöhungsentscheidung einem nachfolgenden Mieter gegenüber nur unter der Voraussetzung eintritt, dass er auch tatsächlich das den Gegenstand der Erhöhung bildende Bestandobjekt gemietet hat. Davon kann hier aber nicht mehr ausgegangen werden. Ob die bloße Umbenennung nach Begründung von Wohnungseigentum an der Identität des Mietobjekts für sich allein schon etwas ändern hätte können, kann dahinstehen. Das Gegenstand der Schlichtungsstellenentscheidung bildende Objekt wurde hier nämlich nicht nur baulich umgestaltet, sondern durch einen „Anbau“ im Gesamtausmaß von 12 m² deutlich erweitert. Es handelte sich deshalb tatsächlich nicht mehr um das in der Schlichtungsstellenentscheidung genannte Objekt Top 10–11, für das damals ein zulässiger erhöhter Hauptmietzins von EUR 533,66 festgelegt wurde. Damit ist aber der auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende allgemeine Grundsatz anzuwenden, dass die materielle Rechtskraft nachträglichen Sachverhaltsänderungen nicht standhält (RS0041247; RS0007171). Über eine Erhöhung des Hauptmietzinses nach §§ 18, 19 MRG für das 2017 vermietete Objekt hat die Schlichtungsstellenentscheidung nicht abgesprochen.
[26] 3.6. Die vom Antragsgegner zitierten Entscheidungen ändern daran nichts. 5 Ob 239/05s betraf die Möglichkeit der Vereinbarung eines erhöhten Hauptmietzinses für eine Wohnung der Kategorie D während des Verteilungszeitraums nach § 18 Abs 5 Z 1 MRG und ist daher nicht einschlägig. 5 Ob 69/95 befasste sich mit der Frage nach der Berücksichtigung möglicher künftiger Mietzinseinnahmen aus neu zu schaffenden Bestandobjekten im Zug avisierter Umbauarbeiten. Der Fachsenat sprach aus, dass allfällige höhere Einnahmen nach einem bloß möglichen späteren Ausbau bei der Deckungsprüfung im Sinn des Einleitungssatzes des § 18 Abs 1 MRG nicht anzusetzen sind. Bei der Bedachtnahme auf die während des Verteilungszeitraums zu erwartenden Hauptmietzinseinnahmen sind solche Möglichkeiten nicht einzubeziehen; für die Entscheidung maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse. Was der Antragsgegner daraus für ihn Vorteilhaftes ableiten will, ist nicht ersichtlich. Hier stellte die Entscheidung der Schlichtungsstelle auf die tatsächlichen Verhältnisse, nämlich ein Mietobjekt Top 10–11 im Ausmaß von 62 m² ab, das nun nach Wohnungseigentumsbegründung und Umbau/Zubau nicht mehr existiert. Eine Rechtsnachfolge in das konkrete, von der Schlichtungsstellenentscheidung erfasste Bestandverhältnis gab es weder auf Vermieter- noch auf Mieterseite.
[27] 3.7. Das Argument des Antragsgegners, das gesamte Gebäude sei umfassend thermisch saniert worden, was zu einer Gebäude- und Energieeffizienzerhöhung im Sinn der von ihm ins Treffen geführten Richtlinien geführt habe, verstößt gegen das im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren geltende Neuerungsverbot (RS0070485). Vorbringen zu thermischen Sanierungen hat er im Verfahren erster Instanz nicht erstattet. Ob die ihm verwehrte Möglichkeit, den erhöhten Mietzins (gemeint offenbar: zur Deckung derartiger Energieeinsparungsmaßnahmen) einzuheben eine Verletzung der Richtlinien bedeutete, ist daher nicht zu erörtern.
[28] 3.8. Es mag sein, dass dieses Ergebnis dem grundsätzlichen Zweck der §§ 18 ff MRG, Anreiz für die Sanierung von Altbestand zu schaffen, im Einzelfall widersprechen könnte. Dies ist allerdings Konsequenz der Gesetzeslage, deren Änderung nicht der Rechtsprechung, sondern dem Gesetzgeber obliegt. Dass der nunmehr als zulässig anerkannte Hauptmietzins unter demjenigen der Schlichtungstellenentscheidung für das vormalige Objekt Top 10–11 liegt, ist allerdings dem aufgrund befristeter Vermietung gebotenen Befristungsabschlag von 25 % geschuldet.
[29] 4. Damit war dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
[30] 5. Gemäß § 37 Abs 3 Z 17 MRG steht den im Revisionsrekursverfahren obsiegenden Antragstellerinnen Kostenersatz für ihre Revisionsrekursbeantwortung zu.
Leitsätze
-
Bindungswirkung an eine Hauptmietzinserhöhung gem §§ 18 ff MRG bei wesentlicher Veränderung des Mietobjekts?
Die Erhöhungsentscheidung einer Schlichtungsstelle nach §§ 18 ff MRG entfaltet auch gegenüber künftigen Mietern und Vermietern Bindungswirkung. Zur Erstreckung der Rechtskraft auf zukünftige Mietvertragsparteien ist allerdings nur zu bejahen, wenn auch tatsächlich jenes Bestandobjekt gemietet wird, das Gegenstand der Entscheidung war. Wird das Bestandobjekt nicht nur baulich umgestaltet, sondern durch einen Zubau auch deutlich erweitert, ist die Bindungswirkung jedenfalls zu verneinen.Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 5 Ob 56/21b | OGH vom 20.05.2021 | Dokument-ID: 1099987