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Judikatur | Entscheidung

1 Ob 120/19g; OGH; 15. Oktober 2019

GZ: 1 Ob 120/19g | Gericht: OGH vom 15.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. M***** S*****, 2. Dr. W***** S*****, beide vertreten durch Mag. Robert Reich-Rohrwig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B***** A*****, 2. C***** A*****, beide vertreten durch Dr. Fritz Arlamovsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. April 2019, GZ 40 R 287/18d-34, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 8. August 2018, GZ 5 C 198/17z-29, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die am 27.01.2017 verstorbene Mutter der Beklagten war aufgrund des Mietvertrags vom 03.05.1983 Hauptmieterin einer Wohnung; die Kläger sind als Eigentümer der Liegenschaft seit 2005 Vermieter dieser Wohnung.

Ihre Aufkündigung vom 06.04.2017 stützten sie auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 5 und Z 6 MRG. Weder bestehe ein dringendes Wohnbedürfnis einer eintrittsberechtigten Person, noch habe die Verstorbene die Wohnung regelmäßig zur Abdeckung eines dringenden Wohnbedürfnisses verwendet. Tatsächlich habe diese in einem Haus außerhalb der Bundeshauptstadt gewohnt, wo sie seit dem Jahr 2014 auch mit ihrem Hauptwohnsitz gemeldet gewesen sei.

Die Beklagten wendeten – zunächst in Vertretung der Verlassenschaft – ein, die Verstorbene und die Erstbeklagte hätten in der aufgekündigten Wohnung einen gemeinsamen Haushalt geführt, die Letzterer auch zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses diene. Die Erstbeklagte sei daher ex lege in den Mietvertrag nach ihrer verstorbenen Mutter eingetreten. Allenfalls sei zu prüfen, ob nicht in der Vergangenheit eine Weitergabe der Mietrechte an die Erstbeklagte erfolgt sei. Diese bezahle bereits seit Jahren den Mietzins im eigenen Namen, ohne dass dies beanstandet worden wäre.

Das Erstgericht erklärte mit seinem Urteil die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagten zur Räumung der Wohnung. Dabei ging es – zusammengefasst – in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass die Mieterin nach ihrer Pensionierung die Nutzung des außerhalb der Bundeshauptstadt gelegenen Hauses ausgeweitet habe, bei Schönwetter häufiger in dem ursprünglich für Wochenendzwecke angeschafften Haus verblieben sei und sich in weiterer Folge vorwiegend dort aufgehalten habe. Anfang des Jahres 2014 habe sie sich an der Adresse des Hauses als Hauptwohnsitz und in der aufgekündigten Wohnung als Nebenwohnsitz gemeldet. Die Abrechnung der medizinischen Leistungen für die Verstorbene sei ab diesem Zeitpunkt über die Gebietskrankenkasse eines Bundeslandes erfolgt. Ab dieser Zeit habe sie sich bis zu ihrem Ableben immer wieder „zu Besuchszwecken“ nach Wien in die aufgekündigte Wohnung begeben, wobei sie die Zweitbeklagte gemeinsam mit Pflegekräften nach Wien und wieder zurück gebracht habe. Mit zunehmender Verschlechterung ihres Gesundheitszustands seien solche „Besuche“ immer seltener geworden. Letztmalig sei sie im November bzw Dezember 2016 in der Wohnung gewesen. Sie habe die Wohnung in den letzten Jahren ihres Lebens nur „zu Besuchszwecken“ aufgesucht und auch nur dann, wenn es ihr Gesundheitszustand erlaubt habe. Keinesfalls hätten die Dauer der Anwesenheiten in Wien – auch schon vor Verschlechterung des Gesundheitszustands der Verstorbenen – die Dauer und Häufigkeit erreicht, mit der sie sich im Haus außerhalb von Wien aufgehalten habe.

Zur behaupteten Abtretung von Mietrechten noch zu Lebzeiten der Verstorbenen an die Erstbeklagte traf das Erstgericht eine Negativfeststellung und folgerte in rechtlicher Hinsicht, die Aufenthalte der Verstorbenen in der aufgekündigten Wohnung hätten nicht zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses, sondern „Besuchszwecken“ gedient, sodass diese in den letzten Jahren vor ihrem Ableben keinen Lebensmittelpunkt mehr dargestellt habe. Bei ihrem Tod habe daher kein gemeinsamer Haushalt mit der Erstbeklagten bestanden, sodass der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG vorliege. Auch ein Eintritt der Erstbeklagten in das Mietverhältnis liege nicht vor.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil ab, hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Die Beweisrüge in der Berufung der Beklagten, die sich insbesondere gegen die angeführte Negativfeststellung und den Tatsachenkomplex wendete, wonach sich die verstorbene Mutter der Beklagten in den letzten Jahren vor ihrem Tod in der aufgekündigten Wohnung lediglich „zu Besuchszwecken“ aufgehalten habe, ließ es unerledigt. Dazu vertrat es die Auffassung, dass die vom Erstgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegte Ansicht durch die getroffenen Feststellungen und die Beweisergebnisse nicht gedeckt sei. Danach habe die verstorbene Mutter der Beklagten nach ihrer Pensionierung lediglich die Nutzung des Hauses ausgeweitet, nicht jedoch den gemeinsamen Haushalt mit der Erstbeklagten in der aufgekündigten Wohnung aufgegeben. Die vermehrte, sogar überwiegende Nutzung des Wochenendhauses könne nicht als definitive Übersiedlung und Aufgabe ihres bisherigen Wohnsitzes verstanden werden, sei die Verstorbene doch auch zu einem Zeitpunkt, als sich ihr Gesundheitszustand schon progressiv verschlechtert gehabt habe, bis kurz vor ihrem Tod immer wieder in der Wiener Wohnung aufhältig gewesen. Dort habe sie ganze Tage und Nächte verbracht, wobei sie tagsüber von Pflegekräften betreut worden und Abends in der Gesellschaft und Obsorge ihrer Tochter gewesen sei. Dass das Erstgericht diese Aufenthalte als „zu Besuchszwecken“ erfolgt, bezeichnet habe, schade der Annahme eines gemeinsamen Haushalts mit der Erstbeklagten ebenso wenig, wie der Umstand, dass die Verstorbene ihren praktischen Arzt seit November 2006 im Ort ihres Wochenendhauses gehabt habe und ihre Pflegerin dort gemeldet gewesen sei. Damit sei die Erstbeklagte in die Mietrechte ihrer Mutter gemäß § 14 MRG eingetreten; der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG liege nicht vor. Ein Eingehen auf die Frage, ob noch zu Lebzeiten der Mutter der Erstbeklagten ein Abtreten von Mietrechten erfolgt sei, erübrige sich.

Die von den Beklagten beantwortete Revision der Kläger ist zulässig und im Sinn ihres Eventualantrags, der auf Aufhebung gerichtet ist, auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach § 14 Abs 2 MRG treten nach dem Tod des Hauptmieters die in Abs 3 leg cit genannten Personen in den Mietvertrag ein. Eintrittsberechtigt sind nach § 14 Abs 3 MRG Verwandte in gerader Linie des bisherigen Mieters, sofern diese Personen ein dringendes Wohnbedürfnis haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt haben. Wenn es nicht zur Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs 2 und 3 MRG kommt, liegt bei Mietverträgen über Wohnungen der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG vor.

1.2 Bei der Beurteilung der Eintrittsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts im Sinne des § 14 Abs 3 MRG ist auf die faktischen Verhältnisse abzustellen (RIS-Justiz RS0107188). Ein gemeinsamer Haushalt besteht in einem auf Dauer angelegten gemeinsamen Wohnen und Wirtschaften (RS0069741). Gemeinsames Wirtschaften als Merkmal des gemeinsamen Haushalts setzt in der Regel voraus, dass die Bedürfnisse des täglichen Lebens auf gemeinsame Rechnung befriedigt werden (RS0069759).

1.3 Durch Lebensumstände bedingte, auf nicht allzu lange Zeit angelegte Unterbrechungen des Zusammenlebens wird der gemeinsame Haushalt grundsätzlich nicht beendet; dazu zählen etwa auswärtige Studien, Krankenhausaufenthalte, Erholungsaufenthalte und auch befristete Aufenthalte im Altersheim (RS0069712). Auch die Aufnahme des Hauptmieters in einem Pflegeheim steht der Annahme eines gemeinsamen Haushalts nicht zwingend entgegen (RS0069712 [T4]). Maßgeblich für die Annahme eines gemeinsamen Haushalts unter solchen Umständen ist jedoch, dass die Absicht, in die Wohnung (mit dem Zweck eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens) zurückzukehren, fortbesteht und diese Möglichkeit nicht schlechthin (objektiv) ausgeschlossen ist (RS0069705).

2. Die Kläger rügen in ihrer Revision ein Abgehen von den Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht, weil dieses ohne Erledigung der Beweisrüge die Feststellung, dass sich die verstorbene Mutter der Beklagten jedenfalls in der Zeit ab 2014 bis zu ihrem Tod in der aufgekündigten Wohnung nur noch „zu Besuchszwecken“ aufgehalten habe, ignoriert habe und damit von einem feststellungsfremden Sachverhalt ausgegangen sei, und zeigt damit die Verletzung von Vorschriften des Verfahrensrechts auf, die der Wahrung der Rechtssicherheit dienens (vgl RS0042151).

2.1 Wer sich auf das Eintrittsrecht beruft, muss alle dafür erforderlichen Voraussetzungen beweisen (RS0069504; RS0107852). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines gemeinsamen Haushalts ist der Zeitpunkt des Todes des ehemaligen Hauptmieters (RS0069744).

2.2 Von den Voraussetzungen des § 14 Abs 3 MRG sind hier das Hauptmietverhältnis, die Eigenschaft der Erstbeklagten als nahe Angehörige und ihr dringendes Wohnbedürfnis ebenso wenig strittig, wie der Umstand, dass die Verstorbene seit Anfang des Jahres 2014 die Adresse des Hauses als Hauptwohnsitz gemeldet hatte, wo auch ihre Pflegekräfte eine Wohnmöglichkeit erhielten. Nach dem von den Beklagten bekämpften, vom Berufungsgericht aber nicht geprüften Sachverhalt suchte die Verstorbene in den letzten Jahren ihres Lebens die aufgekündigte Wohnung nur noch zum Zwecke von Besuchen auf.

2.3 Der Aufenthalt in einer Wohnung, um dort einen Besuch abzustatten, schließt einen gemeinsamen Haushalt im Sinn eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Wohnens und Wirtschaftens mit der darin lebenden Person schon rein begrifflich aus. Dass das Erstgericht nicht eine Fehlbezeichnung vornahm, wie das Berufungsgericht wohl unterstellte, macht nicht nur die insoweit eindeutige Diktion deutlich, die geradezu das Gegenteil eines gemeinsamen Haushalts meint, sondern zeigt sich auch in der ausführlichen Beweiswürdigung des Erstrichters, wonach in den letzten Lebensjahren der Mieterin ein auch nur ansatzweiser regelmäßiger Aufenthalt in der aufgekündigten Wohnung nicht vorlag, weil diese bereits vor der Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nur noch extrem selten und nur zu Besuchen in die Wohnung kam. Damit besteht kein Zweifel, dass der Erstrichter durch die von ihm gewählte Formulierung („zu Besuchszwecken“) gerade das Gegenteil eines gemeinsamen Haushalts der Erstbeklagten mit ihrer verstorbenen Mutter zum Ausdruck bringen wollte und dabei deutlich machte, dass deren Aufenthalte in der Wohnung in den letzten Jahren ihres Lebens nicht dazu dienten, dort ihr Wohnbedürfnis zu befriedigen. Der gewählte Begriff steht zudem der Annahme entgegen, die Verstorbene hätte die Absicht gehabt, jemals in die aufgekündigte Wohnung zurückzukehren, um dort mit der Erstbeklagten einen gemeinsamen Haushalt fortzusetzen.

3. Da die Feststellungen des Erstgerichts die Überlegungen des Berufungsgerichts zum Fortbestand eines gemeinsamen Haushalts nicht tragen, liegt ein unzulässiges Abgehen des Gerichts zweiter Instanz vom festgestellten Sachverhalt vor, sodass dessen Urteil aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Erledigung der Beweisrüge der Beklagten aufzutragen ist.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Leitsätze