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3 Ob 153/14t; OGH; 18. Dezember 2014
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner
als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** Leasing Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Bettina Baar-Baarenfels, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei N*****, vertreten durch Mag. Elisabeth Gerhards LL.M., Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8. Juli 2014, GZ 40 R 174/14f-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 23. April 2014, GZ 5 C 148/13d-30, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Mit Mietvertrag vom 30. August 1999 mietete der Beklagte von der Rechtsvorgängerin der klagenden Partei ab 1. September 1999 die ca 30 m² große Wohnung Nr 9 im 2. Stock des Hauses S*****gasse 67 in W*****. Der Mietvertrag wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Der Beklagte wohnte ursprünglich gemeinsam mit seiner Gattin und einem behinderten Sohn in der Wohnung. Im Jahr 2004 kam ein weiterer Sohn, G*****, mit seiner Familie nach Österreich und wohnte vorübergehend in der Wohnung; 2005 zog er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in eine eigene, ca 60 m² große Wohnung. Im Oktober 2007 mietete die Gattin des Beklagten für sich und den behinderten Sohn eine Wohnung in der S*****gasse 61 - 63 und verließ die vom Beklagten gemietete Wohnung. Am 25. März 2009 wurde die Ehe des Beklagten geschieden.
Unter anderem gestützt auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG („die vermietete Wohnung dient nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen … und wird nicht regelmäßig verwendet …“) kündigte die klagende Partei mit der am 18. Februar 2013 eingebrachten Aufkündigung das Mietverhältnis auf.
Das Erstgericht hob die am 19. Februar 2013 bewilligte und dem Beklagten durch Hinterlegung mit Beginn der Abholfrist am 26. Februar 2013 zugestellte Aufkündigung auf.
Es traf unter anderem folgende, von der klagenden Partei in der Berufung zum Teil bekämpfte Feststellungen:
Der im Jahr 1950 geborene Beklagte ist seit etwa sechs Jahren nicht mehr berufstätig. Er hält sich tagsüber zumeist nicht in der von ihm gemieteten Wohnung auf. Er hat einen Schlüssel zur Wohnung seines Sohnes G***** und kann jederzeit in diese gehen. Oft geht er schon in der Früh in dessen Wohnung und frühstückt dort. Er duscht sich auch in der Wohnung des Sohnes und bringt seine Wäsche zum Waschen dorthin. Ebenso nimmt er mit der Familie seines Sohnes die Mahlzeiten ein und sieht gemeinsam mit ihnen fern. Abends fährt er zum Schlafen in die von ihm gemietete Wohnung. Darüber hinaus trifft sich der Beklagte mit Freunden und Verwandten, geht spazieren und in den Park, erledigt Arztbesuche, kauft am Bauernmarkt für die Familie des Sohnes G***** ein und besucht seinen behinderten Sohn in der Wohnung seiner geschiedenen Frau. Ein/zweimal in der Woche, zumeist Freitag am Nachmittag kommt der Sohn G***** zum Vater in die Wohnung und holt ihn zum gemeinsamen Essen ab. Gelegentlich kommt ein Freund des Beklagten für 1 – 2 Tage zu Besuch; auch sein Cousin besucht ihn etwa zweimal im Monat in der Wohnung.
Die vom Beklagten gemietete Wohnung hat keinen Wasseranschluss und keine Heizung, das WC ist am Gang.
Der Stromverbrauch in der Wohnung betrug von April 2008 bis April 2009 836 kWh, von April 2009 bis April 2010 46 kWh, von April 2010 bis April 2011 17 kWh, von April 2011 bis April 2012 32 kWh und von April 2012 bis April 2013 231 kWh. Der Stromzählerstand war per 6. April 2012 24062, per 11. Jänner 2013 24071 und per 17. April 2013 24293.
Der Gasverbrauch in der Wohnung betrug von April 2008 bis April 2009 18 m³, von April 2009 bis April 2010 6 m³, von April 2010 bis April 2011 7 m³, von April 2011 bis April 2012 0 m³ und von April 2012 bis April 2013 19 m³.
Die Aufhebung der Aufkündigung wurde vom Erstgericht mit der regelmäßigen Verwendung der Wohnung durch den Beklagten begründet; nach der Rechtsprechung dürfe bei einem Junggesellen kein allzu strenger Maßstab an den Lebensschwerpunkt angelegt werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei dahin Folge, dass es die Aufkündigung vom 19. Februar 2013 als wirksam erkannte und den Beklagten verpflichtete, der klagenden Partei die gemietete Wohnung binnen 14 Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Das Berufungsgericht ging nicht auf die in der Berufung enthaltene Mängel- und Tatsachenrüge ein, weil es die Rechtsrüge bereits aufgrund der erstgerichtlichen Feststellungen für berechtigt ansah. Die rechtliche Beurteilung konzentriert sich auf folgende Ausführungen:
„Im Zusammenhang mit dem vom Erstgericht festgestellten Strom- und Gasverbrauch kann von einer Benützung der aufgekündigten Wohnung über ein bloßes Absteigequartier hinausgehend nicht gesprochen werden, liegt doch der Lebensmittelpunkt des Beklagten deutlich bei seinem Sohn G***** und dessen Familie. Der im Berufungsverfahren allein noch gegenständliche Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG liegt daher vor, weshalb der Berufung Folge zu geben war.“
Die Revision wurde mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zugelassen.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Trotz der Einzelfallbezogenheit des Falls (RIS-Justiz RS0068874 [T8]) ist die Revision zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abweicht, was aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigieren ist. Die Revision ist auch – im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags – berechtigt.
In seiner außerordentlichen Revision stellt der Beklagte in den Vordergrund, dass es der regelmäßigen Benützung einer Wohnung nicht entgegenstehe, wenn er – alleinstehend und keiner Berufstätigkeit nachgehend – seinen Tagesablauf nach Belieben gestalte und sich untertags vorwiegend nicht in der Wohnung aufhalte. Entscheidend sei allein, dass die aufgekündigte Wohnung seine einzige Unterkunft darstelle und er auch ausnahmslos in der aufgekündigten Wohnung nächtige.
Dazu wurde erwogen:
1.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob ein Kündigungsgrund vorliegt, ist prinzipiell derjenige des Zugangs der Aufkündigung an den Mieter (RIS-Justiz RS0070282).
2. Soweit für das Rechtsmittelverfahren noch relevant macht die klagende Partei den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG geltend („wenn … die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen (§ 14 Abs 3) regelmäßig verwendet wird, es sei denn, dass der Mieter zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist“).
Nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0070217) setzt der Kündigungsgrund
a) das (vom Vermieter nachzuweisende) Fehlen einer regelmäßigen Verwendung des Mietgegenstands zu Wohnzwecken (RIS-Justiz RS0079253) sowie
b) das Nichtvorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen voraus; für das Vorhandensein des dringenden Wohnbedürfnisses trifft den Gekündigten die Beweislast (RIS-Justiz RS0079350 [T6]).
Im Fall einer regelmäßigen Verwendung der Wohnung zu Wohnzwecken (Punkt a) kommt es nach der Rechtsprechung auf den dringenden Wohnbedarf des Mieters oder der eintrittsberechtigten Personen (Punkt b) nicht mehr an (RIS-Justiz RS0070217 [T6]; ebenso Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I22 [2009] § 30 MRG Rz 39).
3. Ausgehend von den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen (die allerdings in maßgeblichen Teilen in der Berufung bekämpft wurden, ohne dass das Berufungsgericht diese Rüge [und die Mängelrüge] erledigte) verwendet der Beklagte die Wohnung – in einer ihrem desolaten Zustand und seinem Familienstand entsprechenden Weise – regelmäßig zu Wohnzwecken: Er verbringt zwar die Zeit tagsüber auswärts, vor allem bei seinem Sohn, fährt aber jeweils abends zum Schlafen in die von ihm gemietete Wohnung.
3.1. Anders als das Berufungsgericht meint, handelt es sich bei der gemieteten Wohnung nicht um ein bloßes „Absteigequartier“, das der Beklagte nicht regelmäßig verwenden würde. Allein die Strom- und Gasverbrauchszahlen vermögen eine regelmäßige Verwendung nicht aus rechtlichen Gründen zu entkräften; diese können nur im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden.
3.2. Die Rechtsprechung hat beispielsweise eine regelmäßige Verwendung einer Wohnung verneint, wenn sich der Mieter nur ein- bis zweimal monatlich zu Nächtigungszwecken in der Wohnung aufhält (9 Ob 96/03p = RIS-Justiz RS0079240 [T3]) oder wenn er durchschnittlich nur alle 14 Tage für ein bis zwei Tage in die aufgekündigte Wohnung kommt (5 Ob 233/07m). Demgegenüber betont die Rechtsprechung auch, dass die Anzahl der Übernachtungen pro Jahr dann nicht entscheidend für die Frage des dringenden Wohnbedürfnisses ist, wenn der Mieter über keine zweite Wohnung verfügt (RIS-Justiz RS0079241 [T8]): Hintergrund ist, dass er in diesem Fall maßgebliche Aspekte seiner Wohnbedürfnisse – so wie im vorliegenden Fall das Übernachten – regelmäßig in der gemieteten Wohnung befriedigen muss. Solange der Schwerpunkt der Wohnungsnutzung zu Wohnzwecken zumindest zum Teil (6 Ob 52/97h, 6 Ob 333/98h: „in mancher Beziehung“) noch in der aufgekündigten Wohnung liegt, erfüllt auch die Benützung einer zweiten Wohnung noch nicht den Kündigungstatbestand (ebenso Würth in Rummel3 § 30 MRG Rz 32 und Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I22 § 30 MRG Rz 41).
3.3. Dabei differenziert die Rechtsprechung auch nach den Bedürfnissen des konkreten Mieters. So legt sie etwa bei einem Junggesellen keinen allzu strengen Maßstab an das Ausmaß der Benützung an (RIS-Justiz RS0068874 [T7]; zustimmend Illedits-Lohr in Illedits/Reich-Rohrwig, Wohnrecht [2011] § 30 MRG Rz 114).
Diese Differenzierung wird auch von der Literatur geteilt: Nach Hausmann (in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 [2013] § 30 Rz 53) steht „etwa die tägliche Verwendung eines Objekts zum Schlafen, Essenkochen usw durch einen Familienvater, der von Frau und Kindern verlassen wurde, einer Kündigung ohne jeden Zweifel entgegen.“ Nach Ansicht des Autors ist beispielsweise an eine ältere, alleinstehende Person oder einen Junggesellen in Bezug auf das Ausmaß der Verwendung ein geringerer Maßstab anzulegen ist als etwa an Jungvermählte mit kleinen Kindern.
3.4. Daraus ist zu schließen, dass eine durchgängige Benützung der gemieteten Wohnung bloß zum Schlafen, allerdings in jeder Nacht, einer auf § 30 Abs 2 Z 6 MRG gestützten Kündigung entgegensteht, auch wenn der Mieter sich untertags praktisch nicht in der Wohnung aufhält.
4. Ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht hat das Berufungsgericht die in der Berufung enthaltene Mängelrüge und die Tatsachenrüge – beide Rügen wurden zur entscheidungserheblichen Frage der regelmäßigen Verwendung des aufgekündigten Mietobjekts erhoben – nicht erledigt, weshalb dem Berufungsgericht zur Erledigung der Tatsachenrüge eine neuerliche Entscheidung aufzutragen ist.
5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Leitsätze
-
Zur regelmäßigen Benützung einer Wohnung
Eine regelmäßige Benützung einer Wohnung, und somit einer auf § 30 Abs 2 Z 6 MRG gestützten Kündigung entgegenstehend, stellt die durchgängige Benützung der gemieteten Wohnung bloß zum Schlafen, allerdings in jeder Nacht, dar.Judikatur | Leitsatz | 3 Ob 153/14t | OGH vom 18.12.2014 | Dokument-ID: 755233