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1 Ob 39/12k; OGH; 26. April 2012
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edith B*****, vertreten durch Appiano & Kramer Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2012, GZ 40 R 73/11y-36, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 30. September 2010, GZ 3 C 151/08y-30, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Erstgerichts wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Leistungsfrist für die Räumung des Geschäftslokals top 2a (Punkt 1.) 14 Tage beträgt.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.220 EUR (darin enthalten 171 EUR USt und 194 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft Wien *****. Die Beklagte ist seit 01.05.2002 Hauptmieterin des Büroobjekts top 2a, bestehend aus zwei Büroräumen mit ca 35 m2 Nutzfläche. Mitvermietet ist ein Autoabstellplatz im Hof des Hauses.
Ursprünglich existierte nur das Objekt top 2, das in einem Hinterhofgebäude untergebracht ist. Im Jahr 2002 wurden - auf Bitte der damaligen Mieter der top 2 - das Geschäftslokal top 2a und ein Verbindungsgang zur top 2 geschaffen. Die Räumlichkeiten top 2a befinden sich im Haupthaus (Hauptgebäude). Im Verbindungsgang befindet sich eine Tür ins Freie, sodass das Objekt top 2a gesondert von außen begeh- und erreichbar ist. Für die Errichtung des Verbindungsdurchgangs war es erforderlich, einen Türdurchbruch in der Außenwand des Nebengebäudes zu machen. Mit dem seinerzeitigen Mieter der top 2 war vereinbart, den Türdurchbruch bei Widerruf (seitens) der Hausverwaltung wieder zu schließen.
Die beiden Büroräume der top 2a sind mit je einem Heizkörper der Zentralheizungsanlage ausgestattet; die Heizungstherme (Kombitherme) befindet sich im Objekt top 2. In beiden Räumen stehen unter anderem PC, welche an der in top 2 befindlichen Serveranlage angeschlossen sind. Das Telefon ist ebenfalls an der in top 2 befindlichen Zentrale angeschlossen.
Nach diversen Mieterwechseln, auch die Beklagte war in der Zeit vom 01.05.2003 bis Ende Dezember 2003 Hauptmieterin des Objekts top 2, war ab 01.1.2004 die B*****gesmbH Hauptmieterin des Objekts top 2. Diese hatte Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten. Als Abgeltung für diese Verbindlichkeiten vereinbarte die B*****gesmbH mit ihr, die damals installierte Telefon-, die Server- sowie die Alarmanlage und die beiden Computer im großen Büroraum des Nebengebäudes (top 2) ins Eigentum der Beklagten zu übergeben. Im Jahr 2005/2006 ging die B*****gesmbH in Konkurs.
Die Beklagte gebraucht und benützt im Objekt top 2 den Büroeingang, den Wasseranschluss sowie „das Abwasser“ der Küche, das „Wärmezentrum“ (gemeint: die Gastherme) in der Küche, die sanitären Einrichtungen, die Server- und die Telefonanlage. Trotz wiederholter Aufforderung durch die Hausverwaltung und die Klägerin (seit 2006) verweigert der Geschäftsführer der Beklagten die Herausgabe der Schlüssel für top 2 und benützt dieses Objekt in der beschriebenen Form.
Der Mietvertrag über das Objekt top 2a enthält keine Hinweise auf ein Mitbenutzungsrecht des WCs und der Küche sowie der Infrastruktur von top 2. § 8 Abs 2 des Mietvertrags (Formgebote) sieht vor, dass Abänderungen des Vertrags nur schriftlich erfolgen können und allfällige vor Abschluss dieses Vertrags getroffene schriftliche oder mündliche Vereinbarungen bei Vertragsabschluss ihre Gültigkeit verlieren. Mündliche Zusagen durch die Klägerin oder die Hausverwaltung erfolgten nicht. Vielmehr ging die Klägerin bis etwa 2005/2006 davon aus, dass der Geschäftsführer der Beklagten zur damaligen Mieterin des Objekts top 2 gehört und die Benützung dieses Geschäftslokals durch die Beklagte auf einer internen Absprache mit der Mieterin der top 2 beruhte.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten
- die Räumung des Geschäftslokals top 2a, hilfsweise die Unterlassung jeglicher Benützung des PKW-Abstellplatzes im Hof nach 18:00 Uhr (erstes Eventualbegehren) und die Unterlassung des Nichtversperrens des Einfahrtstors nach dem Ein- und Ausfahren sowie nach sonstiger Benützung (zweites Eventualbegehren),
- die Räumung des Geschäftslokals top 2 sowie die Unterlassung dessen jeglicher (Mit-)Benützung und
- stellte das Feststellungsbegehren, dass der Beklagten keine wie immer gearteten Benützungsrechte am Geschäftslokal top 2 zustünden.
Zum im Revisionsverfahren allein strittigen, auf § 1118 erster Fall ABGB gestützten Räumungsbegehren betreffend das vermietete Geschäftslokal top 2a brachte die Klägerin vor, die Beklagte benütze titellos und ohne ihre Kenntnis sowie Zustimmung das neben ihrem Mietobjekt gelegene Geschäftslokal top 2, das infolge Konkurses der letzten Mieterin seit 2007 leer stehe. Sie habe der Beklagten dazu keinerlei Rechte eingeräumt, noch irgendwelchen Mitbenützungen zugestimmt. Mit Schreiben vom 21. 2. 2008 sei die Beklagte zur Räumung und Unterlassung der Mitbenützung der top 2 aufgefordert worden. Diese mache interne Gepflogenheiten und allfällige aus ihrer Untermietzeit herrührende Absprachen mit den nicht mehr existenten Mietern der top 2 gegen sie geltend. Zudem negiere sie die vereinbarten maximalen PKW-Abstellzeiten (bis 18:00 Uhr) und komme ihrer Verpflichtung, nach dem Ein- und Ausfahren das Haustor zu versperren, nicht nach. Dieses Verhalten dauere trotz wiederholter Abmahnung ungebrochen an.
Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, es bestehe keine Vereinbarung über die Benutzung des Autoabstellplatzes nur bis 18:00 Uhr bzw über das Versperren des Haustors beim Ein- und Ausfahren. Am 25.06.2002 habe die E***** GmbH mit der Klägerin einen Mietvertrag über den vorderen Teil (top 2) und sie selbst einen Mietvertrag über den hinteren Teil des Hinterhofgebäudes (top 2a) abgeschlossen. Dabei sei ihr mit ausdrücklichem Wissen und Wollen der Klägerin die Mitbenützung der im vorderen Teil (top 2) gelegenen Flächen und Ausstattungen gestattet worden, wie etwa die Benützung des Büroeingangs und der Zugang durch den vorderen Teil des Hinterhofgebäudes oder die Nutzung und der Gebrauch des „Wärmezentrums“. Diese Umstände seien auch der Hausverwaltung immer bekannt gewesen. Seit 2005 - nach dem Konkurs der E***** GmbH - stünden die Büroräume top 2 leer; die Einrichtung werde seither ausschließlich von ihr (der Beklagten) benutzt. Diese Mitbenützung sei wesentlicher Bestandteil des Mietvertrags vom 25.06.2002 gewesen. Sie nutze den vorderen Teil nur im Rahmen des aufrechten Vertragsverhältnisses; es bestehe für sie keine Veranlassung, von dieser abzusehen.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, sowohl das (titellos benützte) Geschäftslokal top 2 als auch das (gemietete) Geschäftslokal top 2a zu räumen, und wies (unangefochten) das Feststellungsbegehren ab. Rechtlich führte es aus, dass die beklagte Mieterin der top 2a durch die Weiterbenutzung der Eingangstür und der Infrastruktur des Objekts top 2 den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB (hinsichtlich top 2a) verwirklicht habe. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch liege vor, wenn der Bestandnehmer unablässig versuche, sein Gebrauchsrecht auf nicht vermietete Räume bzw Flächen auszudehnen. Das Geschäftslokal top 2 sei nicht vom Mietrecht der Beklagten umfasst. Beim Türdurchbruch zu top 2 in den Verbindungsgang handle es sich um ein Prekarium, das bei Widerruf der Hausverwaltung zu verschließen sei. Die Mitbenutzung der top 2 basiere auf einer internen Absprache zwischen den jeweiligen (früheren) Mietern und der Beklagten. Weder die Klägerin noch die Hausverwaltung hätten diesbezüglich zugestimmt. Für die Beklagte liege seit dem Auszug der Mieterin der top 2 keine Rechtsgrundlage für ein etwaiges Benützungsrecht vor. Sie sei sowohl von der Klägerin als auch von der Hausverwaltung mehrfach zur Schlüsselrückgabe und zur Räumung der top 2 aufgefordert worden. Durch die unterlassene Räumung ergäben sich für die Klägerin wirtschaftliche Nachteile, weil ihr ein Weitervermieten der top 2 nicht möglich sei, solange die Beklagte ihr Verhalten fortsetze. Für die Benutzung des gemieteten Geschäftslokals top 2a als Büro sei es nicht erforderlich, die Eingangstür der top 2 zu verwenden. Ein eigenes WC (außen unter der Freitreppe) stehe zur Verfügung bzw sei die Errichtung eines neuen WCs geplant gewesen. Dass die Strom- und Wärmeversorgung der top 2a über top 2 laufe, beruhe auf der damaligen internen Absprache zwischen den Mietern der top 2 und der Beklagten und nicht auf einer Vereinbarung mit der Klägerin als Vermieterin. Das zeitweise Benützen des Autoabstellplatzes nach 18:00 Uhr und das Nichtverschließen des straßenseitigen Haustors bzw das Nichtversperren des hinteren Haustors erfüllten allein betrachtet jedoch nicht den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil insofern ab, als es das Räumungsbegehren betreffend das Geschäftslokal top 2a ebenso wie das dazu gestellte (erste) Eventualbegehren über die Unterlassung jeglicher Benützung des PKW-Abstellplatzes im Hof nach 18:00 Uhr abwies. Dem zweiten Eventualbegehren gab es statt und erkannte die Beklagte schuldig, das in der Mitte der Hauseinfahrt gelegene zweiflügelige Einfahrtstor nach dem Ein- und Ausfahren zu versperren und jegliches Offenstehenlassen zu unterlassen. Es bestätigte - infolge titelloser Benützung - die Räumung des Geschäftslokals top 2 sowie die Unterlassung dessen Nutzung durch die Beklagte. Rechtlich führte das Berufungsgericht - soweit im Revisionsverfahren von Relevanz - aus, dass die Zustellung der Klage eine außergerichtliche Auflösungserklärung ersetze. Die Beklagte habe durch die titellose Weiterbenützung der top 2 nicht den Tatbestand des erheblich nachteiligen Gebrauchs des Nachbarobjekts top 2a iSd § 1118 erster Fall ABGB verwirklicht. Sie habe die Infrastruktur des Objekts top 2 im Einvernehmen mit den damaligen Mietern benutzt. Erst durch die Auflösung jenes Bestandvertrags sei die Benützung der Infrastruktur des Objekts top 2 zu einer titellosen geworden. Das Beharren auf der Weiterbenutzung dieses Objekts beruhe bloß auf einer irrigen Rechtsansicht der Beklagten. Ihrem Verhalten (Weiterbenützung wie bisher) könne jedoch nicht eine solche Intensität zugeschrieben werden, dass darin bereits ein unleidliches, Interessen der Vermieterin grob verletzendes Verhalten zu erblicken wäre. Das Räumungsbegehren hinsichtlich des angemieteten Geschäftslokals top 2a sei daher abzuweisen.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil die Frage, ob die Aufrechterhaltung der bisherigen Mitbenützung der Qualität der Akquirierung nicht mitgemieteter Räumlichkeiten gleich komme, eine solche des Einzelfalls sei.
Gegen die Abweisung des Räumungsbegehrens hinsichtlich der top 2a im Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, diesbezüglich das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Beklagte beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist auch berechtigt, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung des erheblich nachteiligen Gebrauchs gemäß § 1118 erster Fall ABGB eine im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung der Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Bestandverhältnisses unterlief.
Rechtliche Beurteilung
1. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch iSd § 1118 erster Fall ABGB liegt dann vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen wichtige Interessen des Vermieters verletzt werden oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (RIS-Justiz RS0019774; RS0067832; RS0068076; vgl RS0020981). Die wichtigen Gründe in der Person des Bestandnehmers müssen die Interessen des Bestandgebers soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Bestandgeber zur Vertragsauflösung veranlassen würden und diese als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen (RIS-Justiz RS0020981 [T17]). Der Auflösungsgrund des § 1118 erster Fall ABGB setzt kein Verschulden des Mieters voraus (RIS-Justiz RS0020981; RS0067957 [T3]; RS0070433 [T3]). Es reicht aus, dass dem Mieter das nachteilige Verhalten bewusst war oder bewusst sein musste und er dieses Verhalten dennoch fortsetzt (RIS-Justiz RS0067957 [T1, T7]; RS0070433; RS0020981; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON 1.00 §§ 1118, 1119 Rz 9), wobei der Maßstab eines durchschnittlichen Mieters anzulegen ist (5 Ob 235/07f mwN; vgl RIS-Justiz RS0020981 [T18]; RS0067957 [T5]; RS0070433 [T1]). Die in ihrer Gesamtheit zu betrachtenden Umstände sind nicht in Einzelfakten zu zerlegen (RIS-Justiz RS0020981 [T20]).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der geltend gemachte Auflösungsgrund verwirklicht wird, ist der Zugang der Auflösungserklärung, somit hier die Zustellung der Räumungsklage (am 26. 5. 2008), weil die Auflösungserklärung in ihr abgegeben wurde. Nachträgliche Änderungen, etwa eine spätere Besserung des Verhaltens des Mieters, sind daher bedeutungslos (2 Ob 164/11y mwN; RIS-Justiz RS0105354 [T5, T11], RS0021049 [T6]).
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist unleidliches Verhalten des Mieters iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG bzw § 1118 erster Fall ABGB (zur Unterstellung des unleidlichen Verhaltens unter § 1118 erster Fall ABGB: RIS-Justiz RS0020956) in laufend unternommenen Versuchen des Mieters zu erblicken, seine Benützungsrechte auf nicht in Bestand genommene Räume auszudehnen (1 Ob 674/85; 7 Ob 624/91; 7 Ob 2122/96a; 1 Ob 280/98b; 6 Ob 179/01v; 9 Ob 187/01t; 8 Ob 120/07s; 5 Ob 61/08v; 2 Ob 181/10x; RIS-Justiz RS0070417). Das trifft erst recht auf die lang andauernde eigenmächtige Nutzung der vom Bestandrecht (top 2a) der Beklagten nicht umfassten Räume und der Infrastruktur des benachbarten Objekts top 2 zu (vgl 5 Ob 235/07f). Im Jahr 2005/2006 ging die damalige Mieterin des Nebengebäudes top 2, von der die Beklagte ihre Nutzungsrechte ableitete, in Konkurs und im Zusammenhang damit wurde - nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien - dieses Bestandverhältnis aufgelöst. Die Beklagte benützt weiterhin den Büroeingang und die Infrastruktur des benachbarten Objekts top 2. Trotz wiederholter Aufforderungen durch die Hausverwaltung und die Klägerin seit 2006 verweigert der Geschäftsführer der Beklagten die Herausgabe des Schlüssels zur top 2 und die Beklagte die Räumung. Da weder die Klägerin noch die Hausverwaltung der Beklagten die Benützung der Räume sowie der Infrastruktur des Objekts top 2 gestattet hatten, das Bestandverhältnis mit der früheren Mieterin aufgelöst und in der Folge die Beklagte wiederholt zur Rückstellung des Objekts top 2 aufgefordert worden war, musste ihr die eigenmächtige Nutzung der nicht von ihrem Bestandrecht umfassten Räume zumindest bekannt sein. Dies wäre zweifellos einem durchschnittlichen Bestandnehmer bewusst bzw erkennbar. Dennoch setzte die Beklagte die Nutzung der Räume und der Infrastruktur im Objekt top 2 fort, obwohl ihr leicht erkennbar ist, dass diese titellos erfolgt. Weder kann hier von einer zwar rechtswidrigen, aber geringfügigen und daher tolerierbaren Eigenmächtigkeit der Beklagten gesprochen werden, noch - wovon das Berufungsgericht ausging - von einer bloß irrigen Rechtsansicht. Auf einen Rechtsirrtum hat sich die Beklagte auch nicht berufen. Vielmehr ist aus ihrem gesamten Verhalten zu erkennen, dass sie trotz mehrmaliger Aufforderung zur Rückgabe des Objekts top 2 hartnäckig an der eigenmächtigen, seit 2006 rechtswidrigen Ausdehnung ihrer Bestandrechte festhalten will.
Auch kann die Ansicht des Berufungsgerichts, dass im Verhalten der Beklagten kein die Interessen der Klägerin grob verletzendes Verhalten zu erblicken wäre, nicht geteilt werden. Die seit 2006 andauernde beharrliche Eigenmächtigkeit musste das Vertrauen der Klägerin in die Vertragstreue der Beklagten erschüttern und stellt ein ihr gegenüber unleidliches Verhalten dar (vgl 7 Ob 2122/96a). Der erhebliche Nachteil im Sinn des § 1118 ABGB kann in jeder erheblichen Verletzung wichtiger ideeller oder wirtschaftliche Interessen der Klägerin als Bestandgeberin liegen, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit ankommt (Würth in Rummel3, § 1118 Rz 11 mwN). Zutreffend hat das Erstgericht argumentiert, dass sich für die Klägerin wirtschaftliche Nachteile ergeben, weil ihr das Vermieten des Objekts top 2 nicht möglich ist, solange die Beklagte Räume und die Infrastruktur dieses Objekts titellos benützt. Dass sie für die Benützung dieses Objekts Betriebskosten etc zahlt, hat sie nie behauptet.
3. Diese Erwägungen führen zur Beurteilung, dass die Klägerin gemäß § 1118 erster Fall ABGB zur vorzeitigen Auflösung des Bestandverhältnisses berechtigt war. In Stattgebung ihrer Revision gegen den abändernden Teil des Berufungsurteils ist daher das Urteil des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederherzustellen, dass die Leistungsfrist gemäß § 574 iVm § 573 Abs 1 ZPO für die - im Revisionsverfahren allein strittige - Räumung des vermieteten Objekts top 2a 14 Tage beträgt (Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 573 Rz 1).
Die Entscheidung über die Prozesskosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Leitsätze
-
Vorzeitige Auflösung nach § 1118 ABGB wegen titelloser Nutzung eines Bestandobjektes
Ein titelloses Nutzen eines Bestandgegenstandes führt jedenfalls zu einem wirtschaftlichen Nachteil in diesem Sinne, da eine weitere Vermietung durch den Vermieter in diesem Falle nicht möglich ist.WEKA (fsc) | Judikatur | Leitsatz | 1 Ob 39/12k | OGH vom 26.04.2012 | Dokument-ID: 413621